Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 10. Mai 2010
Aktenzeichen: II ZB 14/09
(BGH: Beschluss v. 10.05.2010, Az.: II ZB 14/09)
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin zu 2 gegen den Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10. März 2009 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 486,00 €
Gründe
I.
Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren um die Höhe der von der Klägerin zu 2 der Beklagten zu erstattenden außergerichtlichen Kosten.
Im zugrunde liegenden Rechtsstreit hatten vier Anfechtungskläger Klage gegen Beschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 21. August 2008 eingereicht, und zwar die Kläger zu 1-3 gegen die die Tagesordnungspunkte 7 und 8 betreffenden Beschlüsse der Hauptversammlung und die Klägerin zu 4 gegen die Beschlüsse TOP 5-9. Für jede dieser Klagen, die in der Zeit vom 23. September bis 29. September 2008 bei Gericht eingegangen sind, hat das Landgericht ein gesondertes Verfahren mit eigenem Aktenzeichen eingetragen und von dem jeweiligen Kläger einen Gerichtskostenvorschuss angefordert, wobei bei den Klägern zu 1-3 ein Streitwert von jeweils 100.000,00 € und bei der Klägerin zu 4 ein Streitwert von 250.000,00 € zugrunde gelegt wurde.
Bereits mit jeweils vom 30. September 2008 stammenden Schriftsätzen meldete sich ein Rechtsanwalt unter Anzeige der anwaltlichen Vertretung der Beklagten und suchte in der Sache des Klägers zu 1 sowie der Klägerin zu 4 um Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle nach. Diese wurde ihm gewährt und er nahm auf der Geschäftsstelle in die Gerichtsakten aller vier Klagen Einsicht.
Am 24. Oktober 2008, nach Einzahlung der jeweiligen Gerichtskostenvorschüsse, hat das Landgericht die vier Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 246 Abs. 3 Satz 5 AktG a.F. (= Satz 6 n.F.) verbunden und das Verfahren 3-5 O 236/08 (die zuerst eingegangene Klage) zum führenden Verfahren erklärt. Zeitgleich wurde die Zustellung der Klagen verfügt.
Mit Urteil vom 27. Januar 2009 hat das Landgericht die Klagen abgewiesen, den Gesamtstreitwert für das verbundene Verfahren auf 250.000,00 € festgesetzt und u.a. der beschwerdeführenden Klägerin zu 2 18 % der außergerichtlichen Kosten der Beklagten auferlegt. Die Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat mit Schriftsatz vom 3. Februar 2009 die außergerichtlichen Kosten zur Kostenfestsetzung angemeldet und zwar dergestalt, dass sie aus den ursprünglichen vier Klageverfahren nach deren jeweiligem Gegenstandswert eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG sowie jeweils die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG und zusätzlich eine 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG aus dem nach Verbindung festgesetzten Gegenstandswert von 250.000,00 € abgerechnet hat. Die Rechtspflegerin hat die angemeldeten Verfahrensgebühren jeweils um eine anrechenbare Geschäftsgebühr gekürzt und die anteilig auf die Klägerin zu 2 entfallenden Kosten auf 1.172,92 € festgesetzt.
Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin zu 2 sofortige Beschwerde eingelegt mit der Begründung, da mehrere Anfechtungskläger prozessrechtlich notwendige Streitgenossen seien, sei für eine Streitwertfestsetzung von Einzelverfahren bis zur vollständigen Verbindung kein Raum. Vielmehr sei für die Beklagte nur eine 1,3 Verfahrensgebühr aus dem Streitwert der verbundenen Verfahren entstanden. Mit Beschluss vom 28. April 2009 hat die Rechtspflegerin der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde im Ergebnis mit der Begründung zurückgewiesen, die Klägerin zu 2 sei durch die Kostenfestsetzung nicht beschwert, da ihre tatsächliche Kostenlast bei zutreffender Berechnung der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten über dem festgesetzten Betrag liege. Es hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil die Frage, ob die Rechtsverteidigung gegenüber Anfechtungsklagen mehrerer Kläger mehrere Verfahrensgebühren auslöst, und ob diese von den Klägern im Unterliegensfall zu erstatten sind, immer wieder auftrete und nicht in gesicherter Weise obergerichtlich geklärt sei.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch sonst zulässig.
2. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Die Kosten, deren Erstattung die Beklagte nach der Kostengrundentscheidung im Urteil des Landgerichts vom 27. Januar 2009 beanspruchen kann, betragen bei richtiger Berechnung 1.338,05 €, so dass die Klägerin zu 2 (künftig: Klägerin) durch die angefochtene Festsetzung in Höhe von nur 1.172,92 € nebst Zinsen nicht beschwert ist. Die Beklagte war berechtigt, vier 0,8 Verfahrensgebühren gemäß Nr. 3101 VV RVG nach dem jeweiligen Gegenstandswert der ursprünglichen vier Klagen zuzüglich vier Auslagenpauschalen gemäß Nr. 7002 VV RVG sowie eine 1,2 Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV RVG aus dem verbundenen Verfahren nach dem Gegenstandswert von 250.000,00 € (§ 23 Abs. 1 Satz 1 RVG i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG) zur Erstattung anzumelden (§ 15 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 RVG).
a) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde folgt aus der in § 246 Abs. 3 Satz 5 AktG a.F. (= Satz 6 n.F.) statuierten Pflicht des Gerichts, mehrere Anfechtungsklagen zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden, nicht, dass damit gebührenrechtlich nur ein Verfahren mit der Folge des Entstehens nur einer Verfahrensgebühr vorliegt.
aa) Gegenteiliges ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 246 AktG, wonach "mehrere Anfechtungsprozesse" zu verbinden sind. Wenn die ursprünglich getrennt eingereichten Klagen keine eigenständigen Prozessrechtsverhältnisse wären, bedürfte es überhaupt keiner Verbindung (in diesem Sinne auch OLG Stuttgart AG 2002, 296 f. sowie - im Zusammenhang mit den in diesen Fällen anfallenden Gerichtsgebühren - OLG Koblenz AG 2005, 661 f.; OLG Düsseldorf JurBüro 2009, 542 Tz. 4 m.w.Nachw.). Zwar war der Streitgegenstand der vier zunächst anhängig gemachten Klagen - teilweise - identisch, jedoch betraf jedes Verfahren unterschiedliche Prozessparteien. Die Identität des Streitgegenstandes allein ist für die Beantwortung der Frage nach einem "Prozessrechtsverhältnis" nicht ausreichend, dieses wird gerade auch durch die Parteien des Rechtsstreits bestimmt.
Zudem klagt jeder Aktionär, der gegen einen Hauptversammlungsbeschluss einer Aktiengesellschaft Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage erhebt, aus eigenem, aus seiner Mitgliedschaft abgeleitetem (Individual-)Recht (Hüffer, AktG 8. Aufl. § 243 Rdn. 3) und macht nicht etwa die Klage eines Mitaktionärs "nochmals" rechtshängig.
Hinzu kommt, was die Rechtsbeschwerde bei ihrer Argumentation ausblendet, dass es auch in den Fällen, in denen das Verbindungsgebot des § 246 Abs. 3 Satz 5 AktG a.F. (= Satz 6 n.F.) besteht, nicht ausgeschlossen ist, dass das mit den einzelnen anhängigen Klagen befasste Gericht von der Verfahrensverbindung aller Klagen absieht. So können etwa einzelne Anfechtungsklagen, die unzweifelhaft verfristet sind, ohne Hinzuverbindung zu den übrigen, fristgerecht erhobenen und nach Gebühreneinzahlung zuzustellenden Klagen abgewiesen werden. Ebenso wenig werden Klagen verbunden, wenn für sie kein Gerichtskostenvorschuss eingezahlt wird.
bb) Auch gebührenrechtlich lagen bis zur Verbindung vier verschiedene Angelegenheiten vor. Dies folgt aus § 15 Abs. 2 Satz 2 RVG. Danach gilt jeder prozessrechtliche Rechtszug als eine besondere Angelegenheit im Sinne des Gebührenrechts. Deshalb liegen - von hier nicht vorliegenden Ausnahmen (siehe z.B. § 16 Nr. 10 RVG) abgesehen - auch gebührenrechtlich mehrere Angelegenheiten vor, wenn mehrere prozessuale Verfahren mit demselben Streitgegenstand nebeneinander geführt werden, solange sie nicht miteinander verbunden sind (OLG Stuttgart aaO; KG ZIP 2009, 1087 Tz. 5; Hansens, RVGreport 2008, 138; N. Schneider in AnwaltKommentar RVG, 5. Aufl. § 15 Rdn. 76; Hartmann, Kostengesetze 39. Aufl. § 15 RVG Rdn. 37 m.w.Nachw.). Werden mehrere Verfahren miteinander verbunden, so liegt erst ab dem Zeitpunkt der Verbindung nur noch eine einzige Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 2 RVG vor (OLG Koblenz JurBüro 1986, 1523; N. Schneider aaO § 15 Rdn. 82, 168; Hartmann aaO).
b) Die Beklagte war berechtigt, vier 0,8 Verfahrensgebühren gemäß Nr. 3101 VV RVG nach dem jeweiligen Gegenstandswert der ursprünglichen vier Klagen zuzüglich vier Auslagenpauschalen gemäß Nr. 7002 VV RVG sowie eine 1,2 Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV RVG aus den verbundenen Verfahren nach dem Gegenstandswert von 250.000,00 € zur Erstattung anzumelden (§ 15 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 RVG).
aa) Zwar lag mit der Verbindung nur noch eine einzige gebührenrechtliche Angelegenheit vor mit der Folge des § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG, wonach der Rechtsanwalt "die Gebühren" nur einmal fordern kann, da sie nach § 15 Abs. 1 RVG die gesamte Tätigkeit vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit entgelten. Durch die Verbindung ist keine neue - und damit dritte - gebührenrechtliche Angelegenheit entstanden (BGH, Beschl. v. 14. April 2010 - IV ZB 6/09, juris Tz. 23; N. Schneider aaO § 15 Rdn. 168; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG 18. Aufl. VV 3100 Rdn. 81; Xanke in Göttlich/Mümmler, RVG 3. Aufl. S. 1058), und es ist auch nicht etwa das Klageverfahren 3-5 O 236/08 gebührenrechtlich fortgeführt und (nur) die dem "führenden" Verfahren hinzuverbundenen Prozessrechtsverhältnisse gebührenrechtlich beendet worden (a.A. KG aaO Tz. 9). Letztere Ansicht verkennt den Begriff der gebührenrechtlichen Angelegenheit, der mit der registerlichen und aktenmäßigen "Fortführung" eines Verfahrens nicht deckungsgleich ist (s. ausführlich z.B. Madert in Gerold/Schmidt, RVG 18. Aufl. § 15 Rdn. 5 ff.).
Ausgehend hiervon könnte der Anwalt im Falle einer Verfahrensverbindung nur eine 1,3 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG und eine 1,2 Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV RVG nach dem Gegenstandswert des verbundenen Verfahrens sowie eine Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG zur Erstattung anmelden.
Dem steht jedoch die Regelung des § 15 Abs. 4 RVG entgegen, wonach einmal entstandene Gebühren durch nachträglich eintretende Ereignisse nicht mehr entfallen können. Sind in den vor Verbindung gebührenrechtlich selbständigen Klageverfahren bereits vergütungspflichtige Tätigkeiten des Rechtsanwalts nach RVG-VV Teil 3 angefallen, so bleiben die hierdurch entstandenen Gebühren von der Verbindung unberührt. Einmal verdiente Gebühren kann der Rechtsanwalt gegen seinen Willen nicht wieder verlieren (KG aaO Tz. 4 m.w.Nachw.; Müller-Rabe aaO VV 3100 Rdn. 81.; Hartmann aaO VV 3100 Rdn. 50; Onderkra/N. Schneider in AnwaltKommentar RVG 5. Aufl. VV Vorbem. 3 Rdn. 62; Bischof, RVG 3. Aufl. § 15 Rdn. 84; Hansens aaO).
Dieses Spannungsverhältnis zwischen § 15 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 RVG einerseits und § 15 Abs. 4 RVG andererseits ist nur dadurch auflösbar, dass dem Rechtsanwalt ein Wahlrecht eingeräumt wird: Er kann entweder nur die Gebühren aus dem verbundenen Verfahren oder nur die bereits verdienten Gebühren aus den ursprünglich selbständigen gebührenrechtlichen Angelegenheiten zzgl. evtl. erstmalig nach Verbindung verwirklichter Gebührentatbestände (hier: die Terminsgebühr) geltend machen (BGH, Beschl. v. 14. April 2010 aaO Tz. 19 ff.; VGH Kassel JurBüro 1987, 1360 mit zustimm. Anm. Mümmler; N. Schneider aaO § 15 Rdn. 169 f.; Onderka/N. Schneider aaO VV Vorbem. 3 Rdn. 62; Müller-Rabe aaO VV 3100 Rdn. 81, 85; Riedel/Sußbauer/Keller, RVG 9. Aufl. VV Teil 3 Vorbem. 3 Rdn. 36).
Hier hat die Beklagte ihr Wahlrecht dahin ausgeübt, die bereits verdienten Gebühren aus den ursprünglich vier Klageverfahren/gebührenrechtlichen Angelegenheiten zzgl. der Terminsgebühr nach Verbindung geltend zu machen.
bb) Vor der Verbindung, und damit nach § 15 Abs. 4 RVG unentziehbar, sind vier Verfahrensgebühren in Höhe von 0,8 gemäß Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG nach den jeweiligen Gegenstandswerten der vier Klagen und vier Auslagenpauschalen nach Nr. 7002 VV RVG (vgl. BGH, Beschl. v. 14. April 2010 aaO Tz. 23 m.w.Nachw.) in Höhe von je 20,00 € entstanden.
(a) Die Verfahrensgebühr entsteht gemäß Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Sie ist erstattungsfähig, sobald der Rechtsanwalt von einer Partei zum Verfahrensbevollmächtigten bestellt worden ist und eine unter die Verfahrensgebühr fallende Tätigkeit ausgeübt hat. Im Regelfall entsteht hiernach die Verfahrensgebühr mit der Entgegennahme der ersten Information nach Erteilung des Auftrags. Es kommt nicht darauf an, wann sich der Rechtsanwalt bei Gericht bestellt (Hartmann aaO 3100 VV Rdn. 11 ff. m.w.Nachw.; Müller-Rabe aaO Vorbem. 3 VV Rdn. 27; VV 3100 Rdn. 43 ff.). Ein Verfahrensauftrag setzt weder beim Kläger noch beim Beklagten voraus, dass bereits ein Gerichtsverfahren anhängig ist. Die Tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten beginnt - wie § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG besagt - bereits mit der Vorbereitung der Klage oder der Rechtsverteidigung. Zwar wird die Erteilung eines Verfahrensauftrags durch den Beklagten vor Klagezustellung nicht allzu häufig vorkommen. Jedoch kann der Beklagte, wenn er einen Rechtsstreit erwartet, bereits vor Klageerhebung einen Rechtsanwalt zum Verfahrensbevollmächtigten mit dem Auftrag bestellen, ihn als Beklagten in dem bevorstehenden Prozess zu vertreten. Hat in diesem Fall der Rechtsanwalt deshalb die Information bereits entgegengenommen, um auf eine etwaige Klage reagieren zu können, so hat er bereits damit eine 0,8 Gebühr gemäß Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG verdient (KG aaO Tz. 7; Müller-Rabe aaO VV 3100 Rdn. 36; Onderkra/N. Schneider aaO VV Vorbem. 3 Rdn. 17, 29).
(b) So liegt der Fall hier. Die Beklagte rechnete mit Anfechtungsklagen gegen die auf der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse, da z.B. die Rechtsbeschwerdeführerin schriftlich um Angabe der Anschriften des Vorstands und der Aufsichtsratsmitglieder gebeten hatte, und beauftragte daher, wie die Akteneinsichtsgesuche vor Zustellung der Klagen belegen, ihre Verfahrensbevollmächtigten vor Klagezustellung mit ihrer Vertretung gegen evtl. Klagen. - Jedenfalls - durch die Einsichtnahme in die Akten aller vier Klageverfahren vor deren Verbindung hatte der Rechtsanwalt der Beklagten in allen vier Klageverfahren eine Verfahrensgebühr in Höhe von 0,8 gemäß Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG verdient.
Eine Verfahrensgebühr in Höhe von 1,3 gemäß Nr. 3100 VV RVG, wie von der Beklagten zur Festsetzung angemeldet, kann sie hingegen, wie das Oberlandesgericht zu Recht erkannt hat, nicht verlangen, da die dafür erforderlichen Voraussetzungen vor der Verbindung nicht erfüllt waren. Wie aus Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG i.V.m. Nr. 3100 VV RVG folgt, ist eine Verfahrensgebühr in Höhe von 1,3 u.a. erst verdient, wenn der Rechtsanwalt einen Schriftsatz mit Sachantrag oder Sachvortrag bei Gericht einreicht. Die Akteneinsichtsgesuche erfüllten diese Voraussetzungen nicht.
(c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde muss sich die Beklagte auf diese Verfahrensgebühren keine "fiktiven außergerichtlichen Geschäftsgebühren" anrechnen lassen.
Mit dem mit Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des am 4. August 2009 verkündeten Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2449) eingeführten § 15 a Abs. 2 RVG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass - schon - eine vorgerichtlich tatsächlich entstandene Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG im Kostenfestsetzungsverfahren - von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen - nicht zu berücksichtigen ist, da die Anrechnungsvorschrift in Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG nur im Verhältnis zwischen einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten gilt (Sen.Beschl. v. 2. September 2009 - II ZB 35/07, ZIP 2009, 1927; BGH, Beschl. v. 9. Dezember 2009 - XII ZB 175/07, ZIP 2010, 854; v. 3. Februar 2010 - XII ZB 177/09, z.V.b.). Erst recht scheidet jegliche Anrechnung aus, wenn, wie hier, wegen der zwischen der Beklagten und ihrer Bevollmächtigten bestehenden Honorarvereinbarung eine Geschäftsgebühr im Sinne von Nr. 2300 VV RVG gar nicht entstanden ist (BGH, Beschl. v. 18. August 2009 - VIII ZB 17/09, ZIP 2009, 2313). Der VIII. Zivilsenat hat in Übereinstimmung mit der einhelligen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und der ebenso einhelligen Ansicht in der Literatur - insoweit auch bereits zu § 118 Abs. 2 BRAGO - eine Berücksichtigung einer tatsächlich gar nicht entstandenen Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren abgelehnt.
cc) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist das Vorgehen der Beklagten, d.h. die Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten und deren Akteneinsicht vor Klagezustellung, durch das die Verfahrensgebühren nach Nr. 3101 VV RVG ausgelöst wurden, nicht rechtsmissbräuchlich, so dass ihrer Erstattung, gemessen an § 91 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. ZPO, nichts entgegensteht.
Gerade bei aktienrechtlichen Anfechtungs-/Nichtigkeitsklagen besteht ein schützenswertes Interesse der Aktiengesellschaft daran, frühzeitig Kenntnis von dem Inhalt der Klageschriften zu erlangen, etwa im Hinblick auf die Stellung eines Freigabeantrags nach § 246 a AktG oder nach den spezialgesetzlichen Freigabevorschriften. Da die beklagte Aktiengesellschaft im Freigabeverfahren die Unzulässigkeit bzw. die offensichtliche Unbegründetheit sämtlicher Beschlussmängelklagen darzulegen hat, liegt es auf der Hand, dass die Arbeit an einem Freigabeantrag ohne das Vorliegen der Klageschrift nicht möglich ist. Angesichts dessen wurde bereits bisher von vielen Gerichten den Bevollmächtigten der beklagten Aktiengesellschaften bereits vor Klagezustellung Akteneinsicht nach § 299 ZPO gewährt. Der Gesetzgeber hat diesem geschilderten Bedürfnis im Rahmen des ARUG (vom 4. August 2009, BGBl. I S. 2479) Rechnung getragen. Seit dem 1. September 2009 ist in § 246 Abs. 3 Satz 5 AktG bestimmt, dass die (beklagte) Gesellschaft unmittelbar nach dem Ablauf der Anfechtungsfrist eine eingereichte Klage bereits vor der Zustellung einsehen und sich von der Geschäftsstelle Auszüge und Abschriften erteilen lassen kann. Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers ging es bei dieser Gesetzesänderung darum, die bereits zuvor geübte und von ihm gebilligte Praxis der Akteneinsicht auf eine rechtssichere Grundlage zu stellen (Begr. RegE ARUG BT-Drucks. 847/08 S. 63).
3. Die den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zustehenden Gebühren und damit die außergerichtlichen Kosten der Beklagten errechnen sich danach wie folgt:
3 x 0,8 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3101 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 100.000,00 € (3 x 1.083,20 €) = 3.249,60 €
1 x 0,8 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3101 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 250.000,00 € = 1.641,60 €
4 x Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG = 80,00 €
1 x 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG nach dem Gesamtgegenstandswert von 250.000,00 € = 2.462,40 €
7.433,60 €
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Hiervon hätte die Klägerin 18 %, d.h. 1.338,05 € an die Beklagte zu erstatten mit der Folge, dass sie durch die Festsetzung in Höhe von lediglich 1.172,92 € nicht beschwert ist.
Goette Caliebe Drescher Löffler Bender Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 06.03.2009 - 3/5 O 236/08 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 08.06.2009 - 18 W 119/09 -
BGH:
Beschluss v. 10.05.2010
Az: II ZB 14/09
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