Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 24. April 2006
Aktenzeichen: II ZB 16/05
(BGH: Beschluss v. 24.04.2006, Az.: II ZB 16/05)
Tenor
Die Rechtsbeschwerden gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 18. August 2005 werden auf Kosten der Nebenintervenienten zu 1 und 2 zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 300.000,00 € (je Rechtsbeschwerde 150.000,00 €)
Gründe
I. Die klagende GmbH, die früher 804.293 Aktien der M. AG hielt, die sie an die D. Bank verpfändet hatte und die inzwischen von der Bank verwertet worden sind, begehrt im Wege der Teilklage von der Beklagten zu 1 - der F. -, dem Beklagten zu 2 als deren früherem und dem Be- klagten zu 3 als deren jetzigem Vorstandsvorsitzenden als Gesamtschuldnern Schadensersatz gemäß § 317 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 AktG in Höhe von 1 Mio. DM. Die Beklagte zu 1 habe die M. AG aufgrund des Besitzes von ca. 30 % ihrer Aktien und des mit ihr am 22. März 2001 hinsichtlich des Aufbaus eines UMTS-Netzes abgeschlossenen Cooperation Frame Work Agreement (CFA) faktisch beherrscht und dadurch sowie durch die Kündigung des CFA am 11. Juni 2002 nicht nur die M. AG geschädigt, sondern ihr, der Klägerin, als deren Aktionärin über den bloßen Reflexschaden hinaus unmittelbaren Schaden zugefügt; infolge des Kursverfalls sei nämlich bei der Verwertung ihrer verpfändeten M.-Aktien nur ein um ca. 50,00 € je Aktie verminderter Erlös erzielt worden.
Die Nebenintervenienten zu 1 bis 3 haben als Aktionäre der M. AG nach Klageerhebung den Beitritt auf Klägerseite erklärt und diesen damit begründet, dass es auch ihren berechtigten Interessen entspreche, wenn die Klägerin gegenüber den Beklagten Schadensersatzansprüche durchsetzen wolle. Zum einen hätten sie genauso wie die Klägerin durch das Verhalten der Beklagten i.S. von § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG einen im Klageweg durchsetzbaren Schaden erlitten; zum anderen seien sie als Aktionäre der M. AG selbst berechtigt, gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche im Wege der actio pro socio geltend zu machen. Schließlich müsse der Beitritt auch aus Gründen verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutzes als zulässig erachtet werden.
Das Landgericht hat auf Antrag der beiden (Haupt-) Parteien durch Zwischenurteil den Beitritt der drei Nebenintervenienten zurückgewiesen, weil diese lediglich ein wirtschaftliches, nicht jedoch das erforderliche rechtliche Interesse an dem Beitritt dargelegt hätten. Die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits verändere die Rechtssituation der Nebenintervenienten weder bei einem Erfolg noch bei einem Misserfolg der Klage und habe zudem keine präjudizielle Wirkung für die Durchsetzung ihrer etwaigen eigenen Ansprüche gegen die Beklagten.
Gegen dieses Zwischenurteil haben nur die Nebenintervenienten zu 1 und 2 sofortige Beschwerde eingelegt. Danach hat die Klägerin ihre Klage dahingehend erweitert festzustellen, dass zwischen der Beklagten zu 1 und der M. AG in der Zeit vom 22. März 2000 bis zum 28. März 2003 ein qualifiziert faktischer Konzern bestanden habe bzw. dass in diesem Zeitraum eine existenzvernichtende oder -gefährdende Nachteilszufügung durch die Beklagte zu 1 zu Lasten der M. AG stattgefunden habe. Hintergrund der Klageerweiterung sei ein von der Alleingesellschafterin der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 betriebenes Spruchverfahren gemäß § 305 AktG, für dessen erfolgreiche Durchführung die nunmehr ergänzend begehrte Feststellung in einem Zivilprozess ebenfalls erforderlich sei.
Das Oberlandesgericht hat die sofortigen Beschwerden zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde wegen Grundsatzbedeutung zugelassen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerden der Nebenintervenienten zu 1 und 2 sind unbegründet.
Mit Recht hat das Oberlandesgericht deren sofortige Beschwerden gegen das ihren Beitritt zurückweisende Zwischenurteil des Landgerichts zurückgewiesen, weil sie ein rechtliches Interesse an einem Beitritt als Streithelfer der Klägerin - auch im Hinblick auf die zwischenzeitliche Erweiterung der Klage um das Feststellungsbegehren - nicht schlüssig dargelegt haben (§§ 66 Abs. 1, 71 Abs. 1 ZPO).
Nach § 66 Abs. 1 ZPO kann nur derjenige, der ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit eine Partei obsiegt, dieser Partei zum Zwecke ihrer Unterstützung beitreten. Der Begriff des rechtlichen Interesses - im Gegensatz zu einem bloß wirtschaftlichen oder sonstigen tatsächlichen Interesse - erfordert, dass der Nebenintervenient zu der unterstützten Partei oder dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt (h.M.: vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO 25. Aufl. § 66 Rdn. 8; Stein/Jonas/ Bork, ZPO 22. Aufl. § 66 Rdn. 16; Musielak/Weth, ZPO 4. Aufl. § 66 Rdn. 5; Schilken in: MünchKomm.z.ZPO 2. Aufl. § 66 Rdn. 7; vgl. schon RGZ 111, 236, 238; aus der Rechtsprechung des BGH: zuletzt BGH, Beschl. v. 17. Januar 2006 - X ZR 236/01 Tz. 7, z.V.b.).
Diese Voraussetzungen sind nach den zutreffenden Ausführungen des Beschwerdegerichts - selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Begriff des rechtlichen Interesses in § 66 Abs. 1 ZPO weit auszulegen ist - weder hinsichtlich der im Vordergrund des Rechtsstreits stehenden Leistungsklage (1) noch bezüglich des nachträglich von der Klägerin erhobenen Feststellungsbegehrens (2) gegeben.
1. a) Zur Begründung des rechtlichen Interesses an einem Beitritt auf Seiten der Klägerin hinsichtlich ihrer auf § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG gestützten Schadensersatzklage reichte es nicht aus, dass die Nebenintervenienten zu 1 und 2 vortragen, die Durchsetzung derartiger Ersatzansprüche der Klägerin gegen die Beklagten "entspreche auch ihren (der Nebenintervenienten) Interessen". Eine solche allgemein gehaltene Behauptung lässt allenfalls auf ein - nicht ausreichendes - wirtschaftliches, nicht aber auf das erforderliche rechtliche Interesse am Obsiegen der Klägerin mit ihrer Schadensersatzklage gegen die Beklagten schließen.
b) Auch das Vorbringen der Nebenintervenienten, denkbare eigene Forderungen gegen die Beklagten seien mit den von der Klägerin eingeklagten Schadensersatzansprüchen "nahezu identisch", stellt keinen hinreichenden Interventionsgrund i.S. des § 66 Abs. 1 ZPO dar.
Stets ist nämlich erforderlich, dass sich das rechtliche Interesse auf die Entscheidung über den Streitgegenstand bezieht. Insoweit besteht indessen schon hinsichtlich des Antrags der Leistungsklage als eines wesentlichen Merkmals des Streitgegenstandes keine hinreichende rechtliche Verknüpfung zwischen den auf Ersatz ihres unmittelbaren eigenen Schadens aus § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG gestützten Ansprüchen der Klägerin und den Belangen der Nebenintervenienten, die sich auf "denkbare eigene" Ersatzforderungen gegen die Beklagten berufen möchten. Selbst wenn sie damit - was ihrem Vorbringen aber nicht einmal eindeutig zu entnehmen, geschweige denn schlüssig vor- getragen ist - behaupten wollten, auch ihnen sei als Aktionären der M. AG aufgrund deren faktischer Beherrschung durch die Beklagte zu 1 ein über den bloßen Reflexschaden hinausgehender eigener unmittelbarer Schaden i.S. des § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG entstanden, so fehlte es dabei schon angesichts der Unterschiedlichkeit der jeweiligen individuellen Schäden an der erforderlichen Beeinflussung der rechtlichen Stellung der Nebenintervenienten durch das im vorliegenden Hauptprozess zu fällende Urteil. Der bloße Wunsch der Nebenintervenienten, der Rechtsstreit möge zugunsten der Klägerin entschieden werden, und die Erwartung, dass die damit befassten Tatgerichte auch in einem künftigen eigenen Rechtsstreit gegen die Beklagte an einem einmal eingenommenen Standpunkt hinsichtlich des Teilaspekts einer faktischen Beherrschung der M. AG durch die Beklagte festhalten und zu einer ihnen günstigen Entscheidung gelangen sollten, stellen sich lediglich als Umstände dar, die ein tatsächliches Interesse am Obsiegen der Klägerin zu erklären vermögen. Selbst ein Interesse an einer bestimmten Beantwortung rechtlicher oder tatsächlicher Vorfragen genügt indessen in dem hier zu prüfenden Rahmen ebenso wenig wie der denkbare Umstand, dass in beiden Fällen dieselben Ermittlungen angestellt werden müssen oder über gleichgelagerte Rechtsfragen zu entscheiden ist (vgl. Stein/Jonas/Bork aaO § 66 Rdn. 16 m.w.Nachw.). Eine bindende Wirkung hat ein in diesem Prozess ergehendes Urteil für die etwaigen Klagen der Nebenintervenienten auf Ersatz des eigenen individuellen unmittelbaren Schaden als Aktionäre i.S. von § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG ohnehin nicht, weil insoweit kein Fall der Rechtskrafterstreckung, Gestaltungswirkung oder Tatbestandswirkung, der als Interventionsgrund in Betracht käme, vorliegt (vgl. schon RGZ aaO S. 239).
c) Noch weniger kann ein rechtliches Interesse i.S. des § 66 Abs. 1 ZPO insoweit bejaht werden, als die Nebenintervenienten meinen, sie könnten aus der angeblichen faktischen Beherrschung der M. AG durch die Beklagte einen im Wege der actio pro socio verfolgbaren Schadensersatzanspruch nach § 317 Abs. 1 Satz 1 AktG ableiten. Gemäß der Verweisung in § 317 Abs. 4 AktG auf § 309 Abs. 4 AktG bezieht sich der Ersatzanspruch aus § 317 Abs. 1 Satz 1 AktG auf den Schaden der Gesellschaft selbst, hinsichtlich dessen lediglich die Besonderheit besteht, dass außer der Gesellschaft als Gläubigerin ausnahmsweise auch der einzelne Aktionär das Recht zur gerichtlichen Geltendmachung hat, jedoch nur Leistung an die Gesellschaft selbst fordern darf. Dass auf eine derartige actio pro socio der Nebenintervenienten zur Geltendmachung des Gesellschaftsschadens i.S. des § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Entscheidung über den davon verschiedenen Streitgegenstand des Ersatzes des unmittelbaren Eigenschadens der Klägerin nach § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG weder unmittelbar noch auch nur mittelbar rechtlich einwirkt, liegt auf der Hand. Auch insoweit vermag die bloße teilweise Parallelität tatsächlicher und rechtlicher Vorfragen ein rechtliches Interesse der Nebenintervenienten am Obsiegen der Klägerin nicht zu begründen. Interventionswirkungen i.S. des § 68 ZPO hätte eine Entscheidung des Hauptprozesses im Verhältnis zwischen den Nebenintervenienten und der Klägerin, die sie als Hauptpartei unterstützen möchten, ohnehin nicht.
d) Das offensichtliche Fehlen des - gesetzlich erforderlichen - Interventionsgrundes i.S. des § 66 Abs. 1 ZPO können die Nebenintervenienten auch nicht mit der pauschalen Behauptung überspielen, die Zulassung der Nebenintervention sei "aus Gründen des verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutzes" erforderlich. Insoweit hat bereits das Beschwerdegericht zutreffend darauf hingewiesen, dass auch nicht ansatzweise zu erkennen ist, dass und gegebenenfalls weshalb ein unterbliebener Beitritt der Nebenintervenienten in diesem Rechtsstreit ihre jetzige oder eine etwaige spätere Rechtsverfolgung eigener Rechte unzumutbar erschweren würde. Denn einerseits könnten sie den Ausgang dieses Rechtsstreits abwarten und je nach dessen Ergebnis noch selbst über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen - gleich welcher Art - entscheiden. Andererseits wären sie aber auch nicht gehindert, schon jetzt etwaige eigene Schadensersatzansprüche nach § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG oder den Gesellschaftsschaden gemäß §§ 317 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, 309 Abs. 4 Satz 1 und 2 AktG gerichtlich geltend zu machen. Auf diesem Wege können sie sich daher in zumutbarer Weise eigenes rechtliches Gehör ohne Einschränkung ihrer Rechtsschutzmöglichkeiten unabhängig von der - tatbestandlich nicht zulässigen - Nebenintervention nach § 66 ZPO verschaffen.
2. Hinsichtlich des nach Erlass des erstinstanzlichen Zwischenurteils im Wege der Klageerweiterung in den Prozess eingeführten Feststellungsbegehrens gegenüber der Beklagten zu 1 gemäß § 256 ZPO gilt nichts anderes. Auch insoweit fehlt auf der Grundlage des bisherigen Vorbringens der beiden Nebenintervenienten (vgl. § 71 Abs. 1 ZPO) ein Interventionsgrund i.S. des § 66 Abs. 1 ZPO. Es ist - wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat - schon bisher nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin mit diesem neuen Antrag mehr als eine Zwischenfeststellung i.S. des § 256 Abs. 2 ZPO im Rahmen der Bescheidung ihres auf § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG gestützten Schadensersatzbegehrens anstrebt. Dass der neue Klageantrag - isoliert betrachtet - auch für die etwaige Verfolgung eines Schadens der M. aus § 317 Abs. 1 Satz 1 AktG durch die Klägerin eine Rolle spielen könnte, ändert hieran nichts. Denn die Klägerin hat bislang einen solchen Schaden nicht geltend gemacht, und die Disposition über die - außer aus dem Wortlaut des Antrags auch aus dessen Begründung abzuleitende - Zielrichtung ihres Begehrens obliegt allein der Klägerin.
Welche etwaige zusätzliche Bedeutung das neue Feststellungsbegehren in Bezug auf ein angeblich von der Alleingesellschafterin der Klägerin initiiertes Spruchverfahren haben könnte, lässt sich der Darstellung des Streitverhältnisses in der angefochtenen Beschwerdeentscheidung nicht sicher entnehmen. Auch die Rechtsbeschwerdebegründung lässt insoweit eindeutigen, rechtserheblichen Vortrag vermissen; sie beschränkt sich vielmehr auf ergänzende Ausführungen zu dem bisherigen Streitgegenstand des Leistungsantrags der Klägerin. In Bezug darauf hätte aber eine Zwischenfeststellung entsprechend dem neuen Feststellungsantrag der Klägerin ebenso wenig eine präjudizielle rechtliche Wirkung auf die Rechtslage der Nebenintervenienten wie hinsichtlich des von der Klägerin verfolgten Leistungsbegehrens.
Die von den Nebenintervenienten auch in diesem Zusammenhang hervorgehobene Absicht, einen Gesellschaftsschaden im Wege der actio pro socio zu verfolgen, stellt - wie bereits oben unter 1 ausgeführt - kein beachtliches rechtliches Interesse am Obsiegen der Klägerin im vorliegenden Prozess dar.
Goette Kurzwelly Kraemer Strohn Reichart Vorinstanzen:
LG Kiel, Entscheidung vom 29.04.2005 - 14 O 195/03 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 18.08.2005 - 5 W 22/05 -
BGH:
Beschluss v. 24.04.2006
Az: II ZB 16/05
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