Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 1. April 2011
Aktenzeichen: 6 U 214/10

(OLG Köln: Urteil v. 01.04.2011, Az.: 6 U 214/10)

Tenor

1.) Die Berufung der Beklagten gegen das am 18.11.2010 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 332/10 - wird zurückgewiesen.

2.) Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann jedoch die Vollstreckung des Unterlassungsanspruches durch Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000 € abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Vollstreckung des Zahlungsanspruches und des Kostenerstattungsanspruches kann die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4.) Die Revision wird zugelassen, soweit die Berufung gegen die Verurteilung der Beklagten nach dem Urteilstenor zu 1 a) zurückgewiesen wird.

Gründe

B e g r ü n d u n g

Wegen des Sachverhaltes wird gem. § 540 Abs.1 S.1 Ziff.1 ZPO auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Zur Begründung ihrer Berufung, mit der die Beklagte weiter die Abweisung der Klage begehrt, wiederholt und vertieft sie ihre Rechtsauffassung, wonach beide angegriffene Werbeaussagen nicht gegen das Heilmittelwerberecht verstoßen. Der Kläger verteidigt das Urteil. Die Akten des vorausgegangenen Verfügungsverfahrens 31 O 225/10 LG Köln und des Verfahrens 31 O 295/10 LG Köln waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die zunächst Bezug genommen wird, hat die Kammer beide Werbeaussagen für "F" als wettbewerbswidrig untersagt und die Beklagte zur Erstattung der vorgerichtlichen Abmahnkosten verurteilt.

I.

Unterlassungsansprüche

Die streitgegenständlichen Unterlassungsansprüche bestehen aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2 UWG jeweils in Verbindung mit heilmittelwerberechtlichen Vorschriften.

Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verband im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG und als solcher aktivlegitimiert und zur Geltendmachung der Klageansprüche befugt. Dass er die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG erfüllt, ist gerichtsbekannt und wird von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.

Beide Aussagen verstoßen gegen Verbote des Heilmittelwerberechts und sind daher gem. § 4 Nr. 11 UWG unlauter. Die Bestimmung des § 4 Nr. 11 UWG steht mit der UGP-Richtlinie, deren Umsetzung das UWG in seiner aktuellen Fassung dient, im Einklang, soweit Marktverhaltensregelungen wie hier die Bestimmungen des HWG dem Schutz der Gesundheit von Verbrauchern dienen (vgl. BGH, GRUR 2019, 749, 752 f. - Erinnerungswerbung im Internet; ausführlich Köhler, UWG, 29. Aufl., § 4 Rz. 11.6 c unter 4.).

Zu Recht hat die Kammer daher maßgeblich auf die Frage abgestellt, ob die beiden Werbeaussagen jeweils in der angegriffenen konkreten Verletzungsform gegen die in Betracht kommenden Bestimmungen des HWG verstoßen. Diese Frage ist auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens der Beklagten zu bejahen. Dabei ist zu beachten, dass die Richtlinie 2001/83/EG des europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung (im Folgenden auch: "Richtlinie") nach der Rechtsprechung des EuGH (GRUR 2008, 267 - "Gintec") eine Vollharmonisierung bewirkt hat. Dies bedeutet, dass die nationalen Rechtsordnungen Abweichungen von der Richtlinie nur dann vorsehen dürfen, wenn dies in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehen ist. Für die hier in Rede stehenden Regelungen besteht eine derartige Ausnahmeregelungsbefugnis nicht. Deswegen sind die maßgeblichen Bestimmungen des HWG mit der Kammer so auszulegen, wie es dem Wortlaut der Richtlinie entspricht. Weiter ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. GRUR 2009, 864, Rz 17 - "Festbetragsfestsetzung") das Heilmittelwerbegesetz in erster Linie Gefahren begegnen soll, die der Gesundheit des Einzelnen und den Gesundheitsinteressen der Allgemeinheit durch unsachgemäße Selbstmedikation unabhängig davon drohen, ob sie im Einzelfall wirklich eintreten. Die Werbeverbote des Heilmittelwerbegesetzes sollen verhindern, dass kranke Menschen durch eine unangemessene Werbung zu Fehlentscheidungen beim Arzneimittelgebrauch verleitet werden (vgl. BVerfG, GRUR 2007, GRUR, 2007, 720 - "Geistheiler"; BGH GRUR 1999, 1128 - "Hormonpräparate"). Danach ist das Verbot beider Werbeaussagen zu Recht ergangen.

1.

Der Klageantrag zu I 1 betrifft die Aussage:

"Die moderne Medizin setzt daher immer öfter auf das pflanzliche Arzneimittel F…".

Diese Aussage verstößt in der angegriffenen Verletzungsform des Fließtextes einer Zeitungswerbung für das allgemeine Publikum gegen § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HWG. Dieser lautet:

"Außerhalb der Fachkreise darf für Arzneimittel ... nicht geworben werden mit Angaben, dass das Arzneimittel … ärztlich fachlich empfohlen oder geprüft ist oder angewendet wird."

Die aus den vorstehenden Gründen über den Wortlaut des Gesetzes hinaus maßgebliche Regelung in Art. 90 lit. f der vorgenannten Richtlinie lautet:

"Die Öffentlichkeitswerbung für ein Arzneimittel darf keine Elemente enthalten, die sich auf eine Empfehlung von Wissenschaftlern, von im Gesundheitswesen tätigen Personen oder von Personen beziehen, die weder Wissenschaftler noch im Gesundheitswesen tätige Personen sind, die aber aufgrund ihrer Bekanntheit zum Arzneimittelverbrauch anregen können."

Die Voraussetzungen dieser Normen sind erfüllt, weil die Werbeaussage im Sinne der Richtlinie Elemente enthält, die sich auf eine Empfehlung von im Gesundheitswesen tätigen Personen beziehen. Zugleich beinhaltet sie die Angabe, dass F von Ärzten, also im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HWG ärztlich fachlich empfohlen werde.

Die Aussage, die moderne Medizin setze auf das pflanzliche Arzneimittel F, stellt sich als eine konkrete Empfehlung an das Laienpublikum dar, das Produkt F zu verwenden. Der Verbraucher wird sie dahin verstehen, dass die Ärzte, die die "moderne Medizin" repräsentieren, das Mittel zu therapeutischen Zwecken verwenden. Der Arzt "setzt" nach allgemeinem Sprachverständnis nur dann "auf" ein bestimmtes Medikament, wenn er es bei der Behandlung auch einsetzt. Die angesprochenen Verbraucher werden daher annehmen, dass die modernen Ärzte im Rahmen der Behandlung ihrer Patienten diesen bei entsprechenden Symptomen zu F raten, es ihnen mithin empfehlen. Diese Empfehlung ist auch nicht etwa allgemein auf pflanzliche Arzneimittel bezogen. Die Aussage nennt vielmehr das Produkt F ausdrücklich, dessen Verwendung im Wege einer Selbsttherapie daher durch die angegriffene Werbung empfohlen wird.

Die Empfehlung stellt sich auch als eine solche von Ärzten, also im Sinne der Richtlinie von Personen dar, die im Gesundheitswesen tätig sind. Es werden zwar keine Ärzte namentlich genannt, der Verbraucher erkennt aber, dass die propagierte Empfehlung von Ärzten stammen soll, weil nur individuelle Personen und nicht abstrakte Institutionen auf ein Medikament "setzen" können. Die angesprochenen Verkehrskreise verstehen die Aussage zumindest auch dahin, dass diejenigen im Gesundheitswesen tätigen Personen, die als Ärzte die moderne Medizin repräsentieren und Patienten behandeln, diesen F empfehlen.

Die Berufung trägt im Wesentlichen vor, sowohl nach dem Wortlaut des Gesetzes und der Richtlinie als auch nach deren Sinn und Zweck sei für ein Verbot vorausgesetzt, dass zum einen eine konkrete Handlungsempfehlung vorgenommen werde, die nicht in einer allgemeinen Angabe bestehen dürfe, und dass diese Empfehlung zum anderen - nach der allein in Betracht kommenden Alternative der Richtlinienbestimmung - von einer (oder mehreren) bestimmten individualisierten im Gesundheitswesen tätigen Person(en) stammen müsse. Damit kann sie keinen Erfolg haben.

Die Beklagte meint, eine Empfehlung müsse ein Rat sein, eine konkrete Handlung vorzunehmen, und ein solcher liege nicht vor. Zudem müsse die Aussage, so hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung ergänzt, über eine allgemeine Anpreisung hinausgehen, weil bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wie F Werbung grundsätzlich erlaubt sei. Das greift nicht durch. Der von der Richtlinie verwendete Begriff der "Empfehlung" besagt zwar - das ist der Beklagten einzuräumen - dass zu einer konkreten Handlung geraten werden muss. Dies setzt aber schon begrifflich nicht voraus, dass ausdrücklich Formulierungen wie "wir empfehlen Ihnen…" o.ä. verwendet werden. Vielmehr stellt jede Handlung eine "Empfehlung" dar, aus der der Angesprochene erkennt, was für ein konkreter Rat ihm erteilt wird. Indes wird der angesprochene Verbraucher in der Formulierung "Die moderne Medizin setzt daher immer öfter auf das pflanzliche Arzneimittel F" die Empfehlung erkennen, dass er eben dieses Mittel auch verwenden solle. Die angegriffene Aussage wird aus den schon dargelegten Gründen von den angesprochenen Verbrauchern sinngemäß dahin ergänzt werden, dass es heißt: "…weswegen das Mittel zu empfehlen ist". Das genügt den Anforderungen des HWG und der Richtlinie. Der Senat vermag sich der Auffassung der Beklagten nicht anzuschließen, wonach es sich nur um eine allgemeine Anpreisung handelt, die angesichts der generellen Erlaubnis, nicht verschreibungspflichtige Medikamente gegenüber dem Verbraucher zu bewerben, nicht als "Empfehlung" unzulässig sein kann. Ob die streitgegenständliche Aussage tatsächlich als allgemeine werbliche Anpreisung aufgefasst wird, braucht nicht entschieden zu werden. Denn nach dem klaren Wortlaut und der Intention des Richtliniengebers ist eine Empfehlung, die speziell von im Gesundheitswesen tätigen Personen herrührt, ungeachtet des generell bestehenden Werberechts auch dann unzulässig, wenn sie sich als bloße werbliche Anpreisung darstellt.

Weiter meint die Beklagte, der Wortlaut der Richtlinie gebiete, dass die Empfehlung von einer (oder mehreren) bestimmten im Gesundheitswesen tätigen Person(en) stammen müsse. Das trifft nach Auffassung des Senats ebenfalls nicht zu. Eine Empfehlung von im Gesundheitswesen tätigen Person(en) liegt auch dann vor, wenn eine ganze Gruppe aus diesem Personenkreis auftritt, ohne dass deren Namen genannt würden. Hierfür spricht bereits der Umstand, dass in der Richtlinie - wie bei den beiden übrigen Personengruppen auch - die als Empfehlende in Betracht Kommenden mit der Formulierung "von im Gesundheitswesen tätigen Personen" nicht im Singular, sondern im Plural aufgeführt sind. Das belegt, dass eine Empfehlung auch unzulässig ist, wenn sie von mehreren Ärzten stammt. Das Erfordernis der Individualisierung lässt sich auch nicht aus der Formulierung der Richtlinie herleiten, die die dritte in Betracht kommende Personengruppe betrifft. Danach sind auch Empfehlungen solcher Menschen unzulässig, die zwar weder Wissenschaftler noch im Gesundheitswesen tätig sind, aber aufgrund ihrer Bekanntheit zum Arzneimittelverbrauch anregen können. Erfasst sind als vertrauenerweckend angesehene Persönlichkeiten, die das Publikum etwa aus Film und Fernsehen kennt. Dass bei diesen - wie die Beklagte zutreffend vorträgt - eine Individualisierung notwendig ist, versteht sich von selbst, weil das Vertrauen (nur) auf die bestimmte Person gerichtet ist. Daraus lässt sich aber nicht herleiten, dass auch die übrigen Personengruppen nicht abstrakt erfasst würden, sondern nur die Werbeempfehlungen individueller Personen verboten seien. Hinsichtlich jener dritten Gruppe setzt ein Verbot, weil deren Mitgliedern nur als erkannten Einzelpersonen Vertrauen entgegengebracht werden kann, deren offengelegte Identität voraus. Demgegenüber genügt es für die Vertreter der übrigen Personengruppen, weil sie fachlich tätig sind, dass sie überhaupt Wissenschaftler oder eben im Gesundheitswesen tätige Personen sind. Deswegen kommt es insoweit auf eine Individualisierbarkeit nicht an. Die Auffassung der Beklagten, die Zusammenfassung aller drei Personengruppen in einer einzigen Norm belege demgegenüber, dass es nicht nur für die bekannten Persönlichkeiten, sondern auch für die Wissenschaftler bzw. Personen aus dem Gesundheitswesen auf deren Individualität oder Individualisierbarkeit ankomme, überzeugt den Senat aus diesen Gründen nicht.

Auch dem Sinn der Bestimmung der Richtlinie bzw. des § 11 Abs. 1 S. Nr. 2 HWG ist nicht zu entnehmen, dass eine ärztliche Empfehlung, ein bestimmtes Medikament zu verwenden, zulässig sein soll, solange die Identität des Empfehlenden dem angesprochenen Verbraucher nicht bekannt ist. Der Auffassung der Beklagten, der Schutzzweck der Norm werde nur dann verletzt, wenn eine Therapie auf Empfehlung gerade durch einen bestimmten Arzt vorliege, vermag sich der Senat daher ebenfalls nicht anzuschließen.

Das Heilmittelwerberecht soll - wovon zu Recht auch die Beklagte selbst ausgeht - Gefahren begegnen, die der Gesundheit des Einzelnen und den Gesundheitsinteressen der Allgemeinheit durch unsachgemäße Selbstmedikation drohen. Die Werbeverbote des Heilmittelwerbegesetzes sollen insbesondere verhindern, dass kranke Menschen durch eine unangemessene Werbung zu Fehlentscheidungen beim Arzneimittelgebrauch verleitet werden (vgl. BGH GRUR 2009, 864, Rz 17 - "Festbetragsfestsetzung"; Köhler a.a.O., § 4 Rz. 11.133). Dabei dienen die hier in Rede stehenden Verbote, mit Empfehlungen von Ärzten zu werben, dem Schutz des Verbrauchers, der Ärzten wegen deren besonderer Fachkompetenz ein besonderes Vertrauen entgegenbringt und deswegen leicht geneigt ist, einer Empfehlung zu folgen, die angeblich gerade von einem Arzt ausgesprochen wird. Dieses Vertrauen genießen indes die Ärzte in ihrer Gesamtheit und nicht nur einzelne Individuen. Der Patient wird allerdings - das ist der Beklagten einzuräumen - einem ihm bekannten Arzt, etwa seinem Hausarzt, regelmäßig ein besonderes Vertrauen entgegenbringen. Zu beurteilen ist indes nicht die Therapieempfehlung eines bestimmten den einzelnen Verbraucher behandelnden Arztes, sondern eine an die Allgemeinheit gerichtete Werbung, die Empfehlungen von Ärzten enthält, die den Verbrauchern in aller Regel persönlich unbekannt sind. Dabei wird der angesprochene Verbraucher das in Rede stehende Vertrauen deswegen entwickeln, weil er Ärzte und ihre Empfehlungen generell für vertrauenswürdig ansieht und nicht deswegen, weil der die Empfehlung aussprechende, ihm unbekannte Arzt durch Namensnennung oder etwa eine bildliche Darstellung individualisiert wird. Dementsprechend wird der Verkehr der Aussage ein besonderes Vertrauen entgegenbringen, wenn sie z.B. lautete: "Die Mediziner der Universitätsklinik X setzen daher immer öfter auf das pflanzliche Arzneimittel F". Nichts anderes gilt hinsichtlich der streitgegenständlichen Aussage.

Eine engere Auslegung der Richtlinie ist auch nicht mit Blick auf deren Erwägungsgrund 45 geboten. Dieser lautet:

"Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel, die ohne ärztliche Verschreibung abgegeben werden können, könnte sich auf die öffentliche Gesundheit auswirken, wenn sie übertrieben und unvernünftig ist. Die Werbung muss, wenn sie erlaubt wird, bestimmten Anforderungen genügen, die festgelegt werden müssen".

Diesem Erwägungsgrund ist mit der Beklagten zu entnehmen, dass Motiv des Richtliniengebers die Bekämpfung übertriebener und unvernünftiger Auswirkungen von Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel war. Zu diesen hat er aber eben auch die Werbung mit ärztlichen Empfehlungen gezählt. Dass eine solche Werbung nur dann übertrieben oder unvernünftig sein soll, wenn in ihr der die Empfehlung aussprechende Arzt individualisiert wird, kann aus den vorstehenden Gründen nicht angenommen werden.

Auch ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt. Die Beklagte führt zu Recht selbst an, dass das für sie streitende Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit durch die Regeln zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, namentlich also durch Art. 90 lit f) der Richtlinie und die einschlägige Bestimmung des HWG, eingeschränkt ist. Ihrer Auffassung, eine Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gebiete eine Reduzierung des Verbotsumfanges in dem von ihr erstrebten Sinne, kann indes nicht gefolgt werden. Der Schutz der Verbraucher wäre nicht gewährleistet, wenn mit ärztlichen Empfehlungen geworben werden dürfte, solange nur der die Empfehlung aussprechende Arzt nicht individualisiert wäre. Demgegenüber stellt der Verzicht auf Werbung mit angeblichen Empfehlungen nicht näher bezeichneter Ärzte eine der Beklagten angesichts der verbleibenden Vielfalt der Werbemöglichkeiten zumutbare Einschränkung dar.

2.

Der Klageantrag zu I 2 betrifft die Aussage:

"F wirkt so stark wie die chemischen Wirkstoffe ASS und Paracetamol…"

Das Landgericht hat diese Aussage als gem. § 12 Abs. 2 HWG unzulässig angesehen. Die Bestimmung lautet:

"Außerhalb der Fachkreise darf für Arzneimittel zur Anwendung beim Menschen nicht mit Angaben geworben werden, die nahelegen, dass die Wirkung des Arzneimittels einem anderen Arzneimittel oder einer anderen Behandlung entspricht oder überlegen ist."

und entspricht im Wortlaut der Regelung in Art. 90 lit. b der Richtlinie. Dieser lautet, soweit hier von Interesse:

"Die Öffentlichkeitswerbung für ein Arzneimittel darf keine Elemente enthalten, die nahelegen, dass die Wirkung des Arzneimittels … einem anderen Arzneimittel entspricht oder überlegen ist".

Die Parteien streiten ausschließlich über die Frage, ob das gesetzliche Verbot auch für den Fall gilt, dass das beworbene Mittel nicht mit einem anderen Arzneimittel, sondern mit einem (arzneilichen) Wirkstoff verglichen wird. Diese Frage ist mit der Kammer auch angesichts des Vortrags der Beklagten in der Berufungsinstanz zu bejahen:

Die Aussage betrifft nach ihrem Wortlaut die beiden Wirkstoffe ASS und Paracetamol. Beide Begriffe stehen aber nicht nur für die betreffenden Wirkstoffe, sondern auch für einzelne Präparate. Wie sich aus dem von der Beklagten selbst (als Anlage Pk 2) vorgelegten Auszug aus der "roten Liste" ergibt, existiert auf dem Markt sogar eine Vielzahl von Präparaten (Fertigarzneimitteln), in deren Bezeichnung die Begriffe ASS oder Paracetamol zumindest als (prägender) Bestandteil enthalten ist. Das führt dazu, dass der Verkehr mit diesen Begriffen zumindest auch Bezeichnungen von Präparaten verbindet. Dieses Verständnis wird sogar im Vordergrund stehen, weil der Verbraucher frei verkäufliche Medikamente nicht nach ihrem Wirkstoff, sondern nach ihrer - nicht zuletzt zu diesem Zweck bestehenden - Bezeichnung auswählen wird. Der Verkehr wird danach die Werbeaussage dahin verstehen, dass F ebenso stark wirke wie die Präparate ASS und Paracetamol. Dem steht nicht entgegen, dass der Wortlaut der Aussage auf diese Begriffe als Bezeichnungen nicht für die Präparate, sondern für die in diesen enthaltenen Wirkstoffe abstellt. Der Verbraucher wird, soweit er die in Rede stehende Unterscheidung überhaupt nachvollzieht, annehmen, dass die Aussage sich nicht nur auf die angeführten Wirkstoffe, sondern auch auf alle Präparate beziehe, die ebenfalls diese Bezeichnung tragen. Denn der Verkehr erwartet, dass ein Präparat, das wie der Wirkstoff ASS oder Paracetamol heißt, eben auch diesen Wirkstoff enthält.

3.

Beide streitgegenständlichen Werbeaussagen sind auch im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG geeignet, die Interessen der Marktteilnehmer spürbar zu beeinträchtigen. Das folgt schon daraus, dass die verletzten Bestimmungen dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienen (vgl. BGH GRUR 2005, 775 - "Atemtest"; GRUR 2005, 875, 877 - "Diabetesteststreifen") und bedarf keiner näheren Begründung, weil die Beklagte dies nicht in Abrede stellt.

II.

Sind danach die Unterlassungsansprüche begründet, so war vorgerichtliche Abmahnung berechtigt und ist die Beklagte aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG zum Ersatz der vorgerichtlichen Abmahnkosten, deren Höhe nicht im Streit ist, verpflichtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

Der Senat lässt die Revision bezüglich der unter B I 1 erörterten Aussage zu, weil höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, ob auch Werbeaussagen mit ärztlichen Empfehlungen unter § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HWG fallen können, die nicht einem bestimmten Arzt zugeordnet werden können, soweit ersichtlich noch nicht ergangen ist. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gem. § 543 ZPO nicht vor.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren bleibt auf 20.000 € festgesetzt. Der Zahlungsanspruch erhöht den Streitwert nicht, weil mit ihm Kosten als Nebenforderungen im Sinne des § 43 Abs. 1 GKG geltend gemacht werden.






OLG Köln:
Urteil v. 01.04.2011
Az: 6 U 214/10


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