Bundespatentgericht:
Beschluss vom 3. Juli 2007
Aktenzeichen: 27 W (pat) 20/07

(BPatG: Beschluss v. 03.07.2007, Az.: 27 W (pat) 20/07)

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 28 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 29. November 2004 aufgehoben, soweit der Widerspruch aus der Marke 21 00 162 zurückgewiesen wurde.

II. Die Marke 303 09 959 ist aufgrund des Widerspruchs aus der Marke 21 00 162 zu löschen.

Gründe

I Die Widersprechende hat gegen die am 30. Mai 2003 veröffentlichte Eintragung der am 24. Februar 2003 angemeldeten, für

"Druckereierzeugnisse; Abziehbilder; Kalender; Alben; Aufkleber, Stickers; Babywindeln aus Papier oder Zellstoff; Behälter, Kästen für Papier- und Schreibwaren; Briefpapier; Bücher; Comichefte; Schreibhefte; Schreib- und Malkreide; Lineale; Ordner; Radiergummis; Schablonen; Schachteln aus Pappe oder Papier; Papier- und Schreibwaren; Stempelkästen; Verpackungen aus Pappe oder Papier; Wimpel, Fahnen aus Papier; Zeitschriften; Reise- und Handkoffer; Taschen, insbesondere für Schule, Reisen, Einkaufen; Geldbörsen; Schirme; Bekleidungsstücke, insbesondere für Kinder, soweit in Klasse 25 enthalten; Schuhwaren, soweit in Klasse 25 enthalten; Kopfbedeckungen; Spiele und Spielzeug, soweit in Klasse 28 enthalten; Turn- und Sportartikel, soweit in Klasse 28 enthalten"

geschützten Marke Nr. 303 09 959 Wiedergabe der Marke Widerspruch eingelegt aus ihrer am 31. Dezember 1993 angemeldeten und seit 2. Mai 1996 für

"Kinderoberbekleidungsstücke; Papier, Pappe (Karton) und Waren aus diesen Materialien (soweit in Klasse 16 enthalten); Schreibwaren; Juwelierwaren, Schmuckwaren; Uhren und Zeitmessinstrumente; Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus (soweit in Klasse 18 enthalten), insbesondere Rucksäcke, Seesäcke und Taschen aus textilen Stoffen; Brillen, Behälter für Brillen"

eingetragenen Marke Nr. 2 100 162 Wiedergabe der Marke Die Markenstelle für Klasse 28 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 29. November 2004 den Widerspruch zurückgewiesen, weil trotz teilweiser Warenidentität die jüngere Marke den erforderlichen Abstand zur Widerspruchsmarke einhalte. Die einander gegenüberstehenden Marken unterschieden sich in visueller wie akustischer Hinsicht deutlich.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie hält insbesondere eine klangliche Verwechslungsgefahr für gegeben, weil die Marken einander hinsichtlich Silbenzahl, Silbenbetonung, Sprechrhythmus sowie Vokal- und Konsonantenfolge hochgradig ähnlich seien. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der sie allein unterscheidende Lippenlaut "m" klangschwach sei. Darüber hinaus sei infolge intensiver Benutzung von einer gesteigerten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen.

Die Widersprechende beantragt, den Beschluss vom 29. November 2004 aufzuheben, vorliegendem Widerspruch stattzugeben und die DE-Marke 303 09 959 für die identischen und ähnlichen Waren aus dem Register zu löschen.

Der Markeninhaber beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und der Beschwerdeführerin die Kosten aufzuerlegen.

In der Sache hat er sich zur Beschwerde bislang innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht geäußert.

In der mündlichen Verhandlung, zu welcher der ordnungsgemäß geladene Markeninhaber nicht erschienen ist, hat die Widersprechende ihren Standpunkt aufrechterhalten und vertieft.

II A. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung der Markenstelle kann eine Gefahr von Verwechslungen der Vergleichsmarken nach § 43 Abs. 2 Satz 2, § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG nicht verneint werden.

1. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hängt die Beurteilung der Verwechslungsgefahr von den miteinander in Wechselbeziehung stehenden Komponenten der Waren- und Markenähnlichkeit sowie der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke (vgl. EuGH GRUR 1998, 922, 923 - Canon; MarkenR 1999, 236, 239 - Lloyd/Loints) ab, wobei ein geringer Grad an Ähnlichkeit der Waren durch einen größeren Grad an Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. EuGH GRUR 1998, 387, 389 Tz. 23 f. - Sabèl/Puma; EuGH GRUR 1998, 922, 923 Tz. 16 f. - Canon; BGH GRUR 1999, 241, 243).

2. Nach diesen Grundsätzen ist die Markenähnlichkeit angesichts zumindest durchschnittlicher Warenähnlichkeit und unter Zugrundelegung normaler Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zu groß, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen.

a) Die gegenüberstehenden Waren sind teils identisch, teils hochgradig, teils in einem mittleren bis engen Grad ähnlich.

aa) Die Ähnlichkeit der jeweils beanspruchten Waren ist nach ständiger Rechtsprechung unter Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren zu ermitteln, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen; hierzu gehören insbesondere ihre Beschaffenheit, ihr Verwendungszweck und ihre Nutzung sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte (vgl. EuGH GRUR 1998, 922, 923 [Rz. 23] - Canon); daneben können auch ihre regelmäßige betriebliche Herkunft, die Vertriebsart sowie ihre wirtschaftliche Bedeutung Berücksichtigung finden (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Aufl. 2006, § 9 Rn. 44 m. w. N.). Abzustellen ist dabei vor allem darauf, ob zwischen den jeweils angebotenen Produkten so enge Beziehungen bestehen, dass sich den Abnehmern, wenn sie die Waren mit denselben Zeichen gekennzeichnet wahrnehmen, der Schluss aufdrängt, dass diese Waren vom selben oder von wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen (vgl. EuGH GRUR Int. 1994, 614 [Rz. 16] - Ideal Standard II; GRUR 1998, 922, 924 [Rz. 29] - Canon).

bb) Nach diesen Grundsätzen liegt hinsichtlich der beiderseits beanspruchten Waren der Klassen 16 und 18 sowie hinsichtlich der jeweils geschützten Bekleidungsstücke Warenidentität und im Hinblick auf die regelmäßigen gemeinsamen Vertriebsstätten und den einander ergänzenden Einsatzzweck eine mittlere bis hochgradige Warenähnlichkeit der von der angegriffenen Marke beanspruchten Kopfbedeckungen und Schuhwaren zu den für die Widerspruchsmarke geschützten Bekleidungsstücken vor. Wegen der gemeinsamen Vertriebsstätten liegt zudem eine mittlere bis enge Warenähnlichkeit zwischen den von der angegriffenen Marke beanspruchten Waren der Klasse 28 zu den Waren der Widerspruchsmarke vor, weil Kinderbedarfsartikel, zu denen ebenso Kinderbekleidung und -schuhe wie auch (Kinder-)Spiele und Papier- und Druckwaren gehören, im Allgemeinen in nahezu sämtlichen Kinderfachgeschäften als auch in den Kinderabteilungen großer Kaufhäuser in engstem räumlichen Zusammenhang angeboten zu werden pflegen.

b) Die vorliegend zu vergleichenden Marken sind in einem Maße ähnlich, dass ein markenrechtliche Verwechslungsgefahr vorliegt.

aa) Marken sind als ähnlich anzusehen, wenn die Übereinstimmungen im Bild, im Klang oder in der Bedeutung - wobei eine Ähnlichkeit in einer dieser drei Aspekte für die Annahme einer Verwechslungsgefahr bereits ausreicht (vgl. BGH GRUR 1959, 182, 185 - Quick; GRUR 1979, 853, 854 - LILA; GRUR 1990, 367, 368 - alpi/Alba Moda; GRUR 1992, 110, 112 - dipa/dib; GRUR 1992, 550, 551 - acpharma; GRUR 1999, 241, 243 - Lions) - in der Erinnerung von nicht nur unmaßgeblichen Teilen der durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Abnehmer (vgl. EuGH GRUR 2003, 604, 605 - Libertel; GRUR 2004, 943, 944 - SAT.2), an welche sich die jeweils beanspruchten Waren richten, die daneben vorhandenen Unterschiede unter Berücksichtigung des Gewichts, welches den Übereinstimmungen oder Abweichungen in den gegenüberstehenden Marken zukommt, so stark überwiegen, dass die betreffenden Verkehrskreise die Zeichen nicht mehr hinreichend auseinander halten können. Hierfür ist grundsätzlich auf den jeweiligen Gesamteindruck unabhängig vom Prioritätsalter der sich gegenüberstehenden Zeichen abzustellen (vgl. EuGH GRUR 2005, 1043, 1044 [Rz. 28 f. - Thomson Life; GRUR 1998, 397, 390 Tz. 23 - Sabèl/Puma; BGH GRUR 2000, 233 f. - Rausch/Elfi Rauch).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist zwar eine visuelle wie auch begriffliche Nähe wegen der abweichenden grafischen Ausgestaltung und des unterschiedlichen Sinngehalts nicht gegeben. Demgegenüber lässt sich aber eine klangliche Ähnlichkeit nicht verneinen, weil Silbenzahl und Vokalfolge gleich sind und den beiden einzigen Unterschieden, nämlich dem zusätzlichen Konsonanten "m" in der Widerspruchsmarke sowie den abweichenden Endvokalen "a" und "o", im jeweiligen Klangeindruck beider Zeichen eine so geringe Bedeutung zukommt, dass der Verkehr beide Kennzeichnungen bei einer mündlichen Benennung beider Marken selbst im Falle günstiger Übertragungsbedingungen kaum auseinander zu halten vermag.

c) Die Verwechslungsgefahr hängt schließlich maßgeblich von der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ab. Diese ist vorliegend zumindest als normal anzusehen. Anhaltspunkte für eine Schwächung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke etwa wegen eines die gekennzeichneten Waren beschreibenden Sinngehalts oder infolge häufig benutzter Drittzeichen sind weder vorgetragen noch erkennbar. Ob ihr darüber hinaus auch eine - wie von der Widersprechenden lediglich behauptete - gesteigerte Kennzeichnungskraft zuzubilligen ist, kann auf sich beruhen, da bereits eine normale Kennzeichnungskraft vorliegend zur Bejahung der Verwechslungsgefahr ausreicht.

d) Da die Markenstelle somit zu Unrecht eine Verwechslungsgefahr verneint hat, war die anderslautende Entscheidung der Markenstelle auf die Beschwerde aufzuheben und auf den Widerspruch der Widersprechenden hin die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.

B. Da Gründe für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich sind, hat es dabei zu verbleiben, dass beide Beteiligte ihre jeweiligen außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen haben (§ 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG).

Dr. Albrecht Kruppa Schwarz WA






BPatG:
Beschluss v. 03.07.2007
Az: 27 W (pat) 20/07


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