Oberlandesgericht Karlsruhe:
Beschluss vom 15. September 2010
Aktenzeichen: 6 W 40/10
(OLG Karlsruhe: Beschluss v. 15.09.2010, Az.: 6 W 40/10)
Die im Rahmen einer vorprozessualen Abmahnung entstandene Geschäftsgebühr betrifft im Sinne des Gebührenrechts denselben Gegenstand wie das nachfolgende einstweilige Verfügungsverfahren.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Mannheim vom 11. März 2010 (Az 2 O 280/09) wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 809,08 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten im Anwendungsbereichs des § 15 a Abs. 2 RVG über die Anrechnung der halben Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV-RVG. Der Antragsteller meint, im Kostenfestsetzungsverfahren sei zu Unrecht eine Anrechnung erfolgt, da die vorgerichtliche Geltendmachung eines endgültigen markenrechtlichen Unterlassungsanspruches gebührenrechtlich nicht denselben Gegenstand betreffe wie das nachfolgende einstweilige Verfügungsverfahren.
Der Antragsteller hat die Antragsgegnerin nach Kenntnisnahme des Verstoßes im November 2009 erfolglos wegen Verletzung seiner Markenrechte durch seine späteren Prozessbevollmächtigten unter Mitwirkung eines Patentanwalts abmahnen lassen und nachfolgend eine auf Unterlassung gerichtete Beschlussverfügung beim Landgericht Mannheim bewirkt. In dieser wurde der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auferlegt (Beschl. v. 20.12.2009). Der Antragsteller hat die einstweilige Beschlussverfügung vollzogen.
Am 12.2.2010 hat die Antragsgegnerin den Anspruch des Antragstellers auf Erstattung der 1,3 Geschäftsgebühr seines Rechtsanwaltes durch Zahlung eines Dritten erfüllt. Die Kosten des Patentanwalts sind nicht erstattet worden. Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag verlangt der Antragsteller neben den Kosten des mitwirkenden Patentanwalts, der Auslagenpauschale, Zustellkosten und Mehrwertsteuer auch Erstattung der auf seinen Prozessbevollmächtigten entfallenden 1,3 Verfahrensgebühr ohne Anrechnung der halben Geschäftsgebühr.
Das Landgericht hat mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11.3.2010 gemäß der Vorbemerk. 3 Abs. 4 VV-RVG auf die 1,3 Verfahrensgebühr des Prozessbevollmächtigten die halbe Geschäftsgebühr angerechnet, sie also um die Hälfte gekürzt. Die Kosten für den Patentanwalt blieben ungekürzt. Gegen diese Anrechnung wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er geltend macht, die Abmahnung und das einstweilige Verfügungsverfahren betreffe nicht denselben Gegenstand. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss v. 19.5.2010).
II.
Die sofortige Beschwerde ist nach § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 2, 569 ZPO zulässig. Über sie hat nach § 568 ZPO der Einzelrichter zu entscheiden.
1. Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die von dem Antragsteller geltend gemachte Verfahrensgebühr um die Hälfte der angefallenen Geschäftsgebühr gekürzt.
Ausgangspunkt der Entscheidung ist, dass die im Vorfeld eines gerichtlichen Verfahrens entstandene Geschäftsgebühr nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103, 104 ZPO nicht zum Kostenausgleich festgesetzt werden kann (BGH WRP 2009, 75 Tz. 9 m.w.N.). Dementsprechend können Kosten, die einer Partei für eine markenrechtlichen Abmahnung nach Nr. 2300 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG entstehen, nicht Gegenstand einer Kostenfestsetzung sein. Allerdings kann sich der Schuldner im Kostenfestsetzungsverfahren eines nachfolgenden Gerichtsverfahren in den in § 15 a Abs. 2 RVG genannten Fällen nach der Vorbemerk. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV-RVG dann auf die Anrechnung der halben Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr berufen, wenn die Geschäftsgebühr wegen desselben Gegenstandes wie die Verfahrensgebühr entstanden ist. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat die (erfolglos) geltend gemachte vorgerichtliche Abmahnung und das nachfolgende einstweilige Verfügungsverfahren gebührenrechtlich denselben, durch einen Wettbewerbs- oder Markenverstoß begründeten Unterlassungsanspruch zum Gegenstand.
Die Anrechnungsregelung in Vorbemerk. 3 Abs. 4 Satz 1 zu Nr. 3100 VV RVG lautet: Soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entsteht, wird diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Die Voraussetzungen zur Anrechnung der halben Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr liegen im Streitfall vor.
a) Die Geschäftsgebühr des späteren Prozessbevollmächtigten ist in Höhe von 1,3 Gebühreneinheiten entstanden. Durch die Vorlage des Abmahnschreibens ist hinreichend nachgewiesen, dass der Antragsteller diesen für sein vorprozessuales Vorgehen in dem erforderlichen Umfang beauftragt hat.
b) Der Antragsgegner kann sich nach § 15 Abs. 2 RVG wegen Erfüllung auf die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr berufen.
Grundsätzlich gilt allerdings, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Vorbemerk. 3 Abs. 4 VV-RVG nur das Innenverhältnis zwischen Anwalt und dessen Mandant betrifft und sich im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren regelmäßig nicht auswirkt (BGH NJW 2009, 3101; AGS 2010, 54; 2010, 159). Ob die Regelung des § 15 a RVG insoweit die bisherige Rechtslage geändert oder sie lediglich klargestellt hat, ist angesichts der Beauftragung des Rechtsanwalts nach Kenntnisnahme des Verstoßes (17.11.2009) und damit nach Inkrafttreten des § 15 a RVG am 5.8.2009 im Streitfall ohne Bedeutung.
Nach § 15 a Abs. 2 RVG kann ein Dritter, also ein nicht am Mandatsverhältnis Beteiligter aber z.B. aufgrund von prozessrechtlichen Regelungen dem Auftraggeber Erstattungspflichtiger, sich auf die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren geltend gemacht werden. Im Streitfall hat der Antragsgegner am 12.2.2010 den Anspruch auf Erstattung der Geschäftsgebühr des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers erfüllt (§ 362 i.V. mit § 267 Abs. 1 BGB).
c) Zu Recht hat das Landgericht Mannheim in dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss angenommen, dass die im Rahmen der vorprozessualen Abmahnung entstandene Geschäftsgebühr denselben Gegenstand betrifft wie das nachfolgende einstweilige Verfügungsverfahren.
Ohne Erfolg wendet der Antragsteller hiergegen in seiner sofortigen Beschwerde ein, die Abmahnung habe sich auf die Bereinigung der Hauptsache bezogen, während das einstweilige Verfügungsverfahren lediglich eine vorläufige Regelung zum Gegenstand habe. Es handle sich daher insoweit nicht um denselben Gegenstand i.S. der Vorbemerk. 3 zu Nr. 3100 VV-RVG. Eine Anrechnung scheide daher aus (ebenso N. Schneider NJW 2009, 2017, 2018 f.; vgl. auch Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., Anhang II Rn. 102).
Der Bundesgerichtshof hat zu dieser Rechtsfrage im Beschluss v. 2.10.2008 - I ZB 30/08, WRP 2009, 75 ausgeführt:
Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit im kostenrechtlichen Sinn wird nach allgemeiner Auffassung durch das Recht oder das Rechtsverhältnis definiert, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen des ihm von seinem Mandanten erteilten Auftrags bezieht (vgl. BGH, Urt. v. 14.3.2007 - VIII ZR 184/06, NJW 2007, 2050 Tz. 15 m.w.N.). Gegenstand der Abmahnung wie eines anschließenden Verfügungs- und Hauptsacheverfahrens ist demnach im vorliegenden Zusammenhang der durch den vermeintlichen Wettbewerbsverstoß begründete Unterlassungsanspruch. Dagegen kommt es für die Anwendung der Anrechnungsregel nach der Vorbemerk. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV-RVG nicht darauf an, ob die Geschäfts- und die Verfahrensgebühr dieselbe Angelegenheit oder unterschiedliche kostenrechtliche Angelegenheiten betreffen.
Entsprechend ist auch in der Rechtsprechung und weitgehend in der Literatur anerkannt, dass die vorprozessuale Abmahnung und das Verfügungsverfahren denselben Gegenstand im Sinne des Gebührenrechts haben (KGR Berlin 2009, 592 = AGS 2009, 435; OLG Hamm, Beschl. v. 27.10.2009 - 25 W 444/09 Juris Tz. 6; OLG München WRP 1982, 542 (zu § 118 Abs. 2 BRAGO); Ahrens/Scharen, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl., Kap 11 Rn. 23). Dem schließt sich der Senat an. Der Hinweis von Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., Anh. II Rn. 102 auf § 17 Nr. 4 RVG überzeugt nicht, da die Anrechnungsregelung nach Vorbemerk. 3 nicht darauf abstellt, ob es sich um dieselbe Angelegenheit oder unterschiedliche kostenrechtliche Angelegenheiten handelt, sondern ob wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr entstanden ist. Auch der Hinweis des Antragstellers darauf, dass der Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens ein anderer sei, als der des einstweiligen Verfügungsverfahrens (vgl. Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorl. Rechtsschutz, 4. Aufl., § 935 Rn 2 f.) und daher auch der auf die endgültige Befriedigung abzielende Gegenstand der Abmahnung ein anderer sei, führt nicht zu einer anderen Betrachtung. Denn auf den Begriff des Streitgegenstands stellt die Anrechnungsregel der Vorbemerk. 3 Abs. 4 VV-RVG nicht ab. Gebührenrechtlicher Gegenstand der Abmahnung und des nachfolgenden einstweiligen Verfügungsverfahrens ist vorliegend vielmehr in beiden Fällen der durch den vermeintlichen Markenrechtsverstoß begründete Unterlassungsanspruch.
Für diese Rechtsansicht spricht auch, dass die Abmahnung neben ihrer Funktion, eine Streitbeilegung in der Hauptsache ohne Inanspruchnahme der Gerichte zu erreichen, auch die Möglichkeit ausschließen soll, dass der Gegner den gerichtlich geltend gemachten Anspruch mit der Kostenfolge des § 93 ZPO anerkennt (BGH NJW 2008, 2040). Insoweit besteht zwischen der Abmahnung und einem nachfolgenden einstweiligen Verfügungsverfahren ein Zusammenhang. Denn die Abmahnung bereitet damit auch das einstweilige Verfügungsverfahren vor (KGR Berlin aaO juris Tz. 6).
Darüber hinaus spricht für dieses Verständnis der genannten Anrechnungsregelung, dass auf diese Weise dem Grundgedanken der Regelung Rechnung getragen werden kann. Denn die Anrechnungsregelung will berücksichtigen, dass die vom Rechtsanwalt geleistete Vorarbeit in dem anschließenden Gerichtsverfahren verwertet wird (BGH NJW 2008, 1323 Tz. 11). Handelt es sich bei dem anschließenden Gerichtsverfahren um ein einstweiliges Verfügungsverfahren, so wird auch insoweit die außergerichtliche Vorarbeit verwertet (ebenso OLG Hamburg WRP 1981, 470 (zu § 118 Abs. 2 BRAGO); OLG Frankfurt, RVGReport 2008, 314; KGR aaO Tz. 6 a.E.).
d) Der Höhe nach ist im Streitfall die Geschäftsgebühr nur nach dem Wert des Gegenstands, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist, anrechnungsfähig (Vorbemerk. 3 Abs. 4 Satz 3 zu Nr. 3100 VV-RVG). Die 1,3 Geschäftsgebühr aus dem der Abmahnung zu Grunde gelegten Wert von 100.000 EUR ist damit - wie vom Landgericht zu treffend angenommen - in Höhe der Hälfte einer 1,3 Geschäftsgebühr aus einem Streitwert von 50.000 EUR (679,90 EUR) anrechnungsfähig.
2. Da das Landgericht die Anrechnung zu Recht vorgenommen hat, bleibt die sofortige Beschwerde ohne Erfolg. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 97 ZPO.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens entspricht dem Bruttobetrag, den das Landgericht nach der Rechtsauffassung des Antragstellers zu Unrecht angerechnet hat.
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 ZPO nicht zuzulassen. Durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2.10.2008, WRP 2009, 75 ff. ist die Rechtsfrage, soweit sie von grundsätzlicher Bedeutung war, geklärt. Danach ergangene, entgegenstehende obergerichtliche Rechtsprechung ist nicht ersichtlich, so dass es auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keiner Zulassung bedarf.
OLG Karlsruhe:
Beschluss v. 15.09.2010
Az: 6 W 40/10
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