Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. Mai 2006
Aktenzeichen: 19 W (pat) 342/03

(BPatG: Beschluss v. 15.05.2006, Az.: 19 W (pat) 342/03)

Tenor

Das Patent 199 58 965 wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Patentansprüche 1 bis 4 mit Beschreibung Spalten 1 und 2, sämtliche überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 2006, sowie übrige Beschreibung und Zeichnung gemäß Patentschrift.

Gründe

I Für die am 7. Dezember 1999 im Deutschen Patentamt und Markenamt eingegangene Patentanmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents am 7. August 2003 veröffentlicht worden. Es betrifft Verfahren und Schaltungsanordnung zum Vermeiden ungewollten Ansprechens von Gleisstromkreisen.

Gegen das Patent hat die A... AG am 7. November 2003 Einspruch er- hoben.

Die Einsprechende stellte den Antrag, das Patent 199 58 965 zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellte den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 bis 4 mit Beschreibung Spalten 1 und 2, sämtliche überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 2006, sowie übrige Beschreibung und Zeichnung gemäß Patentschrift.

Der Patentanspruch 1 lautet:

"Verfahren zum Vermeiden ungewollten Ansprechens von Gleisstromkreisen beim Einschalten der Antriebe von gekoppelten elektrischen Triebfahrzeugen, wobei die Hauptschalter der Triebfahrzeuge hardwaremäßig so miteinander verkettet werden, dass sie zeitversetzt eingeschaltet werdendadurch gekennzeichnet, dass die Hauptschalter beginnend vom besetzten Führerstand an einem Ende des Triebfahrzeugverbandes in der Reihenfolge der Triebfahrzeuge eingeschaltet werden unddass die Steuereinrichtungen für die Hauptschalter jedes Triebfahrzeuges so miteinander verschleift sind und nur eine Steuerleitung durch den Zug benötigt wird, dass der Schleifenausgang eines Triebfahrzeuges nach Einschalten des Hauptschalters des Triebfahrzeuges zeitverzögert mit der Steuer-Betriebsspannung beaufschlagt wird, die am Schleifeneingang des nachfolgenden Triebfahrzeuges die Freigabe für das Einschalten von dessen Hauptschalter bewirkt."

Der Patentanspruch 3 lautet:

"Schaltungsanordnung zum Vermeiden ungewollten Ansprechens von Gleisstromkreisen beim Einschalten der Antriebe von gekoppelten elektrischen Triebfahrzeugen durch jeweils einen mit einer Steuer-Betriebsspannung (UB) angesteuerten Hauptschalter (VCB1, VCB2, VCB3) zur Durchführung des Verfahrens nach den Ansprüchen 1 bis 2, gekennzeichnet durch einen ein Zeitrelais (22K51, 22K52, 22K53) ansteuernden Hilfskontakt (22K31, 22K32, 22K33) des Hauptschalters (VCB1, VCB2, VCB3) und ein durch das Zeitrelais (22K51, 22K52, 22K53) nach einer Verzögerungszeit (T2) betätigten, die Steuer-Betriebsspannung (UB) mindestens an einen mit dem nachfolgenden Triebfahrzeug verbundenen Ausgang einer Betriebsspannungsschleife (S) schaltenden Schalter (22K511, 22K521, 22K531)".

Dem Patentgegenstand liegt die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren und eine Schaltungsanordnung anzugeben, mit denen ein ungewolltes Ansprechen von Gleisstromkreisen beim Inbetriebnehmen gekoppelter Triebfahrzeuge sicher vermieden wird (Streit-PS Abs. 0006).

Die Einsprechende ist der Auffassung, dass auch beim Verfahren nach der DE 31 09 012 A1 eine Steuerleitung vorhanden sei, über die der Hauptschalter eines Triebfahrzeugs geschaltet werden könne.

Die Patentinhaberin ist der Meinung, erfindungswesentlich sei, dass das Verfahren nur mit einer über die Triebfahrzeuge geführten Steuerleitung realisiert werden könne. Hierauf gebe der Stand der Technik keinen Hinweis. Auch sei die Einschaltreihenfolge aus dem Stand der Technik nicht bekannt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Gemäß § 147 Abs. 3 PatG ist die Entscheidungsbefugnis auf den hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts übergegangen.

Dieser hatte aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung zu entscheiden, vgl. BPatGE 46, 134.

Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.

Der Einspruch ist zulässig; er hat in der Sache jedoch keinen über die beantragte Beschränkung hinausgehenden Erfolg. Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 und die Vorrichtung nach Patentanspruch 3 sind patentfähig.

1. Zulässigkeit des Patentanspruchs 1 Der geltende Patentanspruch 1 ist in zulässiger Weise geändert.

Der geltende Patentanspruch 1 weist gegenüber dem erteilten Patentanspruch zusätzlich das kennzeichnende Merkmal des erteilten - zugleich ursprünglichen -Patentanspruchs 2, sowie das aus der - hier mit den ursprünglichen Unterlagen übereinstimmenden - Beschreibung der Streitpatentschrift (Abs. 0020) stammende Merkmal auf, dass "nur eine Steuerleitung durch den Zug benötigt wird". Außerdem wurde ein Alternativmerkmal ("softwaremäßig") gestrichen.

2. Neuheit Das gewerblich anwendbare Verfahren gemäß Patentanspruch 1 ist neu.

Die DE 31 09 012 A1 beschäftigt sich mit dem Einschalten des Antriebs bei nur einem elektrischen Triebfahrzeug. Sie besagt, dass durch den Einschaltstromstoß hervorgerufene Störungen an Signal- und fernmeldetechnischen Anlagen dadurch zu vermeiden sind, wenn in der Nähe des Nulldurchgangs oder des Scheitels der Stromkurve geschaltet wird (S. 3 Z. 11 bis S. 4 Z. 3 i. V. m. S. 4 Z. 10 bis 16 und 27 bis 29: Nulldurchgang bzw. 31 bis 36: Scheitel).

Das Einschalten der Antriebe von gekoppelten elektrischen Triebfahrzeugen ist in der DE 31 09 012 A1 nicht angesprochen.

Aus dem UIC Kodex, 10. Ausgabe vom 1. Januar 1997 (2. Entwurf, Version 2 - 07/96) ist gemäß Seite 9, Punkt 4.11 in teilweiser Übereinstimmung mit dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 bekannt ein

"Verfahren zum Vermeiden von Einschaltstromspitzen beim Einschalten der Verbraucher von gekoppelten Wagen, wobei die Hauptschalter der Wagen hardwaremäßig so miteinander verkettet werden, dass sie zeitversetzt eingeschaltet werden".

Der Kodex a. a. O. macht keine Angaben hinsichtlich einer durch den Zug führenden einzigen Steuerleitung und über die Einschaltreihenfolge der Verbraucher.

Die in der mündlichen Verhandlung nicht angesprochene DE 37 23 877 A1 beschreibt eine streckenseitige Schaltungsanordnung für Gleisstromkreise, die diese unempfindlich gegen Störungen macht (Sp. 3 Z. 13 bis 21).

Die DE 37 23 877 A1 sagt nichts darüber aus, wie das ungewollte Ansprechen von Gleisstromkreisen beim Einschalten der Antriebe von gekoppelten elektrischen Triebfahrzeugen bereits fahrzeugseitig verhindert werden könnte.

Mit dem neuen Verfahren des Patentanspruchs 1 ist auch die, dieses Verfahren realisierende Schaltungsanordnung des Patentanspruchs 3 neu.

3. Erfinderische Tätigkeit Das Verfahren des Patentanspruchs 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als Fachmann ist ein auf dem Gebiet der Eisenbahn-Steuerungstechnik tätiger FH-Elektroingenieur anzusehen. Einem solchen Fachmann ist aufgrund seines Fachwissens geläufig, dass Einschaltstromspitzen (unsymmetrische periodische Schwingung) einen Gleichstromanteil enthalten und damit ein ungewolltes Ansprechen von Gleisstromkreisen hervorrufen können.

Ausgehend von einem Verfahren zum Vermeiden von Einschaltstromspitzen, wie es im Kodex a. a. O. beschrieben ist, stellt sich dem Fachmann - will er es bei gekoppelten elektrischen Triebfahrzeugen zum Zwecke der Vermeidung des ungewollten Ansprechens von Gleisstromkreisen anwenden - daher die Aufgabe, die Triebfahrzeuge in geeigneter Weise einzuschalten.

Der Stand der Technik gibt ihm weder einen Hinweis darauf, das Verfahren so zu gestalten, dass die Hauptschalter beginnend vom besetzten Führerstand an einem Ende des Triebfahrzeugverbandes in der Reihenfolge der Triebfahrzeuge eingeschaltet werden, noch darauf, lediglich mit einer Steuerleitung auszukommen. Denn die DE 31 09 012 A1 offenbart nur ein einziges Triebfahrzeug des Zuges und der Kodex a. a. O. und die DE 37 23 877 A1 sprechen eine vergleichbare Steuerleitung nicht an.

Der Fachmann muss somit erfinderisch tätig werden, um in Kenntnis des Standes der Technik zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 zu gelangen. Zu einer anderen Auffassung gelangte man nur durch eine rückschauende und damit unzulässige Sichtweise.

Mit dem auf erfinderischer Tätigkeit beruhenden Verfahren des Patentanspruchs 1 beruht auch die, seine Durchführung ermöglichende Schaltungsanordnung nach Patentanspruch 3 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

4. Mit dem Patentanspruch 1 haben auch die erteilten Patentansprüche 2 und 3 Bestand.

Die Beschreibung genügt den an sie nach § 34 PatG zu stellenden Anforderungen.






BPatG:
Beschluss v. 15.05.2006
Az: 19 W (pat) 342/03


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