Sozialgericht Stuttgart:
Beschluss vom 8. April 2011
Aktenzeichen: S 24 SF 574/10 E

(SG Stuttgart: Beschluss v. 08.04.2011, Az.: S 24 SF 574/10 E)

1. Der Ansatz der Erledigungsgebühr erfordert ein qualifiziertes, ursächliches Mitwirken des Rechtsanwalts an der (unstreitigen) Erledigung des Rechtsstreits.

2. Die Anregung, bestimmte Beweisunterlagen beizuziehen, beinhaltet ebenso wenig wie das Stellen von Beweisanträgen ein besonderes Bemühen des Rechtsanwalts.

3. Kostengrundentscheidungserfordernis im Erinnerungsverfahren (hier offengelassen).

Tenor

Die Erinnerung des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.01.2010 (S 24 SB 6562/08) wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Streitig ist die Höhe der zugunsten des Klägers erstattungsfähigen Kosten für das erledigte Klageverfahren.

Mit seiner am 30.09.2008 erhobenen Klage im Verfahren S 24 SB 6562/08 begehrte der Kläger vom Beklagten nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50. Er reichte zur Stützung seiner Klage zunächst medizinische Unterlagen zur Gerichtsakte. Nach Beiziehung weiterer medizinischer Befundberichte seitens des Gerichts bat die Klägerseite mit Anwaltsschriftsatz vom 03.08.2009, bei Pneumologe Dr. B. einen Arztbericht anzufordern. Im Übrigen verwies der Kläger auf die Einschätzung seines Hausarztes Dr. H., wonach für seine Lungen- bzw. Herzerkrankung ein GdB von mindestens 60 bis 70 gerechtfertigt sei. Diese Einschätzung werde sich durch den einzuholenden Arztbericht des Dr. B. bestätigen. Das Gericht vernahm Pneumologen Dr. B. sodann schriftlich als sachverständigen Zeugen. Dieser teilte mit (Auskunft vom 07.08.2009), dass der Kläger an einer bekannten koronaren Herzerkrankung mit Stent-Implantation bei ausreichend kardialer Insuffizienz sowie an einer chronischen Atemwegserkrankung mit erheblichen Obstruktionen leide. Die Einschätzung des versorgungsärztlichen Dienstes sei wie immer nicht verwertbar. Er könne deswegen zur Höhe des GdB keine Aussage machen. Auch die kardiale Seite könne er nicht beurteilen.

Mit Schriftsatz vom 13.11.2009 erkannte der Beklagte nach Würdigung sämtlicher aktenkundiger medizinischer Befunde an, dass beim Kläger ab dem 03.03.2008 ein GdB von 50 und ab Januar 2009 ein GdB von 60 besteht und verpflichtete sich, bei Erledigung des Rechtsstreits die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Mit Anwaltsschriftsatz vom 04.12.2009 nahm der Kläger das Anerkenntnis des Beklagten zur Erledigung des Rechtsstreits an.

Mit Kostenverfügung vom 08.01.2010 wies das Regierungspräsidium S. das Landratsamt B. an, dem Kläger zwecks Kostenerstattung einen Betrag von insgesamt 773,50 Euro auszuzahlen. Es legte dabei folgende Positionen zugrunde:

Kosten des Vorverfahrens: Geschäftsgebühr240,00 EURAuslagenpauschale20,00 EURUmsatzsteuer daraus49,40 EURZwischensumme Vorverfahren309,40 EURKosten des Klageverfahrens: Verfahrensgebühr170,00 EURTerminsgebühr200,00 EURAuslagenpauschale20,00 EURUmsatzsteuer daraus74,10 EURZwischensumme Klageverfahren464,10 EURzu zahlender Betrag773,50 EUR

Mit Antrag vom 14.01.2010 - bei Gericht unter dem 15.01.2011 eingegangen - machte die Prozessbevollmächtigte des Klägers folgende Kosten geltend:

für das Widerspruchsverfahren: Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten, § 3 RVG, Nr. 2400 VV RVG240,00 EURPauschale für Post und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG20,00 EURfür das Klageverfahren: Verfahrensgebühr, Nr. 3103 VV RVG170,00 EURTerminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG200,00 EURErledigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG190,00 EURPauschale für Post und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG20,00 EURZwischensumme netto840,00 EUR19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG159,60 EURSumme 999,60 EURabzgl. vom Beklagten anerkannter Kosten773,50 EURverbleibend226,10 EUR

Zugleich beantragte sie, den festzusetzenden Betrag ab Antragstellung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Der Beklagte habe es versäumt, die Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG zuzuerkennen. Diese sei vorliegend angefallen, weil sie aktuelle ärztliche Unterlagen übermittelt und beantragt habe, einen Arztbrief bei Pneumologe Dr. B. anzufordern. Dieser Arztbrief habe letztlich zum Anerkenntnis geführt.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.01.2010 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des hiesigen Gerichts die Kosten wie folgt festgesetzt,

Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG240,00 EURPauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG20,00 EUR Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG170,00 EURTerminsgebühr Nr. 3106 VV RVG200,00 EURPauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG20,00 EURUmsatzsteuer Nr. 7008 RVG123,50 EURinsgesamt773,50 EUR

und die Verzinsung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 15.01.2010 angeordnet. Die geltend gemachte Einigungsgebühr - gemeint Erledigungsgebühr - nach Nr. 1006 VV RVG könne nicht in Ansatz gebracht werden, da hier keine besondere Mitwirkung des Rechtsanwalts hinsichtlich der Erledigung des Rechtsstreits vorliege.

Hiergegen hat der Kläger unter dem 25.01.2010 unter Wiederholung seines Vorbringens im Kostenfestsetzungsverfahren Beschwerde eingelegt.

Der Beklagte hat dazu Stellung genommen (Schriftsatz vom 23.02.2010). Er vertritt die Ansicht, im - auch anwaltlich veranlassten - Beiziehen von Beweismitteln bzw. im Stellen von Anträgen liege kein besonderes Bemühen des Rechtsanwalts um die Erledigung des Rechtsstreits.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Kostenstreitbeiheft sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.II.

Der vom Kläger form- und fristgerecht erhobene, gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in Verbindung mit § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Erinnerung statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbehelf ist unbegründet.

Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des hiesigen Gerichts vom 18.01.2010, womit die Kosten des Verfahrens auf insgesamt 773,50 EUR festgesetzt worden sind, ist rechtsfehlerfrei. Höhere erstattungsfähige Kosten kann der Kläger nicht mit Erfolg geltend machen. Der Urkundsbeamte hat zu Recht - was vorliegend alleine im Streit steht - die Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 in Verbindung mit Nr. 1005 VV RVG außer Ansatz gelassen.

Nach § 3 Abs. 1 RVG entstehen Betragsrahmengebühren in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist. In sonstigen Verfahren werden die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet, wenn der Auftraggeber nicht zu den in § 183 des SGG genannten Personen gehört. Da der Kläger zu dem Kreis der Personen nach § 183 SGG zählt und das GKG somit nicht anwendbar ist, entstehen hier Betragsrahmengebühren.

Erledigt sich die Rechtssache ganz oder teilweise durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen bzw. durch Erlass des bisher abgelehnten Verwaltungsaktes (vgl. Anm. Nr. 1002 VV RVG), fällt gemäß Nr. 1005 VV RVG in sozialrechtlichen Betragsrahmengebührenverfahren eine Erledigungsgebühr an (vgl. Nr. 1002 VV RVG), wobei der Gebührenrahmen von 40,00 EUR bis 520,00 EUR reicht. Ist über den Gegenstand ein gerichtliches Verfahren anhängig, beträgt die Gebühr 30,00 EUR bis 350,00 EUR (Nr. 1006 VV RVG). Voraussetzung für den Gebührenanfall ist - wie auch bereits unter dem Regime der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) - ein besonderes Bemühen des Rechtsanwalts um eine (außergerichtliche) Erledigung im Sinne eines qualifizierten Mitwirkens,

vgl. nur BSG, Urt. v. 05.05.2009 - B 13 R 137/08 R, JurBüro 2009, 481; Urt. v. 07.11.2006 - B 1 KR 23/06 R, SozR 4-1300 § 63 Nr. 8, st. Rspr.; LSG NRW, Beschl. v. 30.11.2009 - L 20 B 36/09 SO, juris.

Hierfür reicht weder die Begründung der Klage oder des Rechtsmittels noch die bloße Erledigungserklärung aus,

vgl. BSG, Urt. v. 09.08.1995 - 9 RVs 7/94, SozR 3-1930 § 116 Nr. 7; Beschl. v. 22.02.1993 - 14b/4 REg 12/91, SozR 3-1930 § 116 Nr. 4 m. w. N.

Die Gebühr soll vielmehr nur dann anfallen, wenn der Rechtsanwalt an der Erledigung ursächlich,

siehe dazu nur LSG Rh.-Pf., Urt. v. 27.10.2008, L 2 R 49/08, AGS 2009, 179,

und qualifiziert mitgewirkt hat.

Danach ist die Erledigungsgebühr nicht nur deshalb gerechtfertigt, wenn sich der Rechtsstreit dadurch erledigt, dass der Beklagte ein (volles) Anerkenntnis abgibt oder einen die Beschwer des Klägers beseitigenden Bescheid erlässt (Klaglosstellung). Um die Gebühr beanspruchen zu können, muss der Rechtsanwalt vielmehr ein besonderes Bemühen um eine Einigung - sei es durch Einwirken auf seinen Mandanten, sei es auf die Behörde - an den Tag legen,

BSG, Urt. v. 07.11.2006 - B 1 KR 13/06 R, AGS 2007, 194; Bay. LSG, Beschl. v. 26.01.2011 - L 15 SF 169/10 B E, juris; Rehberg, in: Göttlich/Mümmler, RVG, 3. Aufl. 2010, Stichwort Erledigungsgebühr, Ziff. 4, S. 348; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, Nr. 1002 VV Rz. 38 ff., alle m. w. N.,

denn die nur allgemein auf die Verfahrensförderung ausgerichtete Tätigkeit ist bereits durch die Verfahrens- bzw. Terminsgebühr abgegolten.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann der Kläger vorliegend die Erledigungsgebühr nicht beanspruchen. Ursächlich für die Abgabe des Anerkenntnisses des Beklagten waren namentlich - was sich aus der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. B. vom 29.10.2009 (Blatt 131/132 der SG-Akte) ergibt - die vom Gericht veranlassten schriftlichen Einvernahmen der Dres. H. und B. bzw. die von ihnen übersandten Arztbriefe. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat nach vorläufigem Abschluss der Ermittlungen nicht einmal mehr zum Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme Stellung genommen. Vor diesem Hintergrund vermag das Gericht ein qualifiziertes, besonderes auf eine Erledigung gerichtetes Mitwirken nicht zu erkennen, zumal eine bloße Ermittlungsanregung - hier die Anregung, bei Pneumologe Dr. B. einen Arztbericht einzuholen - genauso wenig genügt wie das bloße Stellen eines Beweisantrags,

siehe nur Bay. VGH, Beschl. v. 11.01.2000 - 12 C 98.2300, juris; FG Münster, Beschl. v. 16.12.2009 - 8 Ko 3497/09 KFB, EFG 2010, 592, jeweils zum Stellen von Beweisanträgen.

Denn dies gehört zu den Pflichten eines gewissenhaften prozessführenden Rechtsanwalts (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1 Bundesrechtsanwaltsordnung [BRAO]) und ist mit den übrigen (Tätigkeits-) Gebühren bereits abgegolten.

Die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Klageerhebung bzw. mit Schriftsätzen vom 09.01.2009 und 19.03.2009 dem Gericht vorgelegten Arztbriefe waren teilweise bereits aktenkundig und im Übrigen auch nicht kausal für die spätere Abgabe des Anerkenntnisses, denn nach deren Vorlage sah sich der Beklagte gerade (noch) nicht veranlasst, die angefochtene Entscheidung zu korrigieren (siehe Beklagten-Schriftsatz vom 09.06.2009),

vgl. dazu auch BSG, Urt. v. 02.10.2008 - B 9/9a SB 5/07 R, NJW 2009, 3804, 3805.

Im Übrigen wird auf die zutreffende Begründung im angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss verwiesen (§ 136 Abs. 3 SGG analog).III.

Ob es im (gebührenfreien) Erinnerungsverfahren nach § 197 Abs. 2 SGG wegen §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 18 Abs. 1 Nr. 3 Var. 2 RVG (analog) in Verbindung mit Nr. 3501 VV RVG zwingend einer Kostenentscheidung bedarf,

so etwa SG Berlin, Beschl. v. 01.12.2010 - S 180 SF 2119/09 E, m. w. N., st. Rspr.; SG Fulda, Beschl. v. 10.02.2010 - S 3 SF 22/09 E; SG Cottbus, Beschl. v. 28.10.2009 - S 27 SF 87/09 E, alle abrufbar unter www.sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, § 18 RVG Rz. 13 und § 16 RVG Rz. 99; a. A. SG Hannover, Beschl. v. 05.07.2010 - S 34 SF 168/09 E, abrufbar unter www.sozialgerichts-barkeit.de/sgb/esgb; vgl. für die Verwaltungsgerichtsbarkeit: BVerwG, Beschl. v. 21.06.2007 - 4 KSt 1001/07, NVwZ-RR 2007, 717 f.,

kann vorliegend auf sich beruhen. Der Kläger hätte gemäß §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG analog als unterliegender Teil seine außergerichtlichen Kosten im gerichtsgebührenfreien Erinnerungsverfahren jedenfalls selbst zu tragen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 Halbsatz 2 SGG).






SG Stuttgart:
Beschluss v. 08.04.2011
Az: S 24 SF 574/10 E


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