Kammergericht:
Urteil vom 15. Oktober 2004
Aktenzeichen: 2 W 25/03 Kart

(KG: Urteil v. 15.10.2004, Az.: 2 W 25/03 Kart)

Betreiber von Mobilfunknetzen müssen es nicht aus kartellrechtlichen Gründen hinnehmen, dass Partner von Endkundenverträgen die ihnen in diesem Zusammenhang überlassenen SIM-Karten vertragswidrig in so genannte GSM-Gateways einsetzen, um auf diese Weise die Zustellung von Telefongesprächen aus Festnetzen in das jeweilige Mobilfunknetz gewerblich anzubieten und die auf diese Weise vermittelten Gespräche gegenüber dem Mobilfunk-Netzbetreiber als netzinternes Gespräche zwischen Endkunden zu dem dazu vereinbarten Tarif abrechnen.

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin vom 29. September 2003 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Gründe

A.

Gegenstand des vorliegenden Verfügungsverfahrens ist, ob die Antragstellerin berechtigterweise eine gewerbliche Telekommunikationsdienstleistung, und zwar die Zustellung (Terminierung) von Telefonaten aus einem Festnetz in ein Mobilfunknetz, im konkreten Fall in das E.-Netz der Antragsgegnerin unter Verwendung der ihr im Rahmen von Endkundenverträgen von der Antragsgegnerin überlassenen SIM-Karten erbringen kann.

Gesprächszustellungen aus einem Festnetz in ein Mobilfunknetz erfolgen herkömmlicherweise auf der Grundlage von vereinbarten Netzzusammenschaltungen von Netzbetreibern in unterschiedlichen vertraglich-technischen Modalitäten. Eine Zusammenschaltung ist etwa in der Weise möglich, dass das Netz der DTAG als Transitnetz zwischen das Netz des anderen Festnetzbetreibers und des Mobilfunknetzes eines Mobilfunk-Netzbetreibers geschaltet wird. Da alle vier GSM-Mobilfunk-Netzbetreiber an das Telekom-Netz angeschlossen sind, muss sich der andere Festnetzbetreiber in einem solchen Fall lediglich ebenfalls an das Netz der DTAG anschließen lassen. Eine indirekte Verbindung über das Netz der DTAG als Transitnetz zum Mobilfunk-Endkunden bietet die DTAG anderen Festnetzbetreibern (Wiederverkäufern) als Zusammenschaltungsleistung DTAG-0.3 an. Dafür durfte die DTAG auf Grund des Beschlusses der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) vom 7. November 2002 (Anlage ASt 2) in der Zeit vom 1. Dezember 2002 bis zum 30. November 2003 den mit ihrem Netz zusammengeschalteten Netzbetreibern ein Entgelt in Höhe von (mindestens) 0,1848 €/min. für Verbindungen ohne Rufnummernportierung in das Netz von E. berechnen, deren Serviceproviderin die Antragsgegnerin als Konzernunternehmen ist. Das Entgelt für die Leistung DTAG-0.3 beinhaltet einen geringen Transitkostenanteil für den Transit (der Verbindung) durch das Netz der DTAG und einen hohen Terminierungskostenanteil, der vom jeweiligen GSM-Mobilfunk-Netzbetreiber abhängt. Reguliert ist dabei nur das - der genauen Höhe nach nicht bekannte - Entgelt für den Transitkostenanteil. Dem Mobilfunk-Netzbetreiber ist es nicht verwehrt, seinen Preis für die Terminierung zu erhöhen. Diese Erhöhung darf die DTAG ohne Verstoß gegen den Beschluss der RegTP an die die Leistung DTAG-0.3 nachfragenden Festnetzbetreiber weitergeben. Nach den unwidersprochenen Berechnungen der Antragstellerin beläuft sich der Transitkostenanteil - abhängig vom Ort der Zusammenschaltung und der Tageszeit auf höchstens 0,024 €/min, so dass E. für die Terminierung eines aus einem Festnetz in ihr eigenes Mobilfunknetz über das Netz der DTAG zuzustellendes Gespräch 0,1608 €/min berechnet. Der der Antragstellerin gewährte Endkundentarif für netzinterne Gespräche beläuft sich demgegenüber auf 0,0862 €/min netto (bis September 2003 unter Berücksichtigung von Rabatten: 0,06897 €/min).

Wegen der Einzelheiten der genehmigten Tarife, auch der für Verbindungen mit Rufnummerportierung, wird auf die Anlage ASt 2 Bezug genommen.

E. bietet Zusammenschaltungen Festnetzbetreibern auch selbst über das Konzernunternehmen E. Mobilfunk GmbH & Co KG zu einem speziellen Interconnect-Tarif an, der, nach dem unwidersprochenen Vortrag der Antragstellerin, nur geringfügig niedriger als der DTAG-0.3-Tarif ist.

Die Antragstellerin ist selbst keine Netzbetreiberin; sie hat Festnetzbetreibern vielmehr die Terminierung von Gesprächen in Mobilfunknetze unter Verwendung so genannter GSM-Gateways (auch: SIM-Boxen) angeboten und möchte dies weiterhin tun. GSM-Gateways sind computergleiche Module, die unter Einsatz von für den Betrieb von Mobiltelefonen vorgesehenen SIM-Karten arbeiten. Die Call-by-Call-Gespräche oder anderen Telekommunikationsverbindungen werden beim Einsatz dieser Technik nicht an einem Netzübergabepunkt der Antragsgegnerin im Wege der Zusammenschaltung (Interconnection) übergeben. Die Festnetzbetreiber leiten die bei ihnen eingehenden "Call-by-Call"- oder sonstigen Gespräche vielmehr - über eine Mietleitung - an die Antragstellerin weiter. Mit Hilfe der GSM-Gateways werden die aus anderen Netzen eingehenden Anrufe an die nächstgelegene Basisstation des jeweiligen Mobilfunknetzes weitergeleitet. Im Rahmen dieses Netzes werden diese Gespräche alsdann wie neu aufgebaute Gespräche über die Luftschnittstelle (zwischen Modul und Mobilfunkbasisstation) an den angerufenen Mobilfunkteilnehmer des Mobilfunk-Netzbetreibers weitergeleitet. Da es sich bei diesen Anrufen scheinbar um "normale" abgehende Mobilfunkgespräche innerhalb des Mobilfunknetzes handelt, werden nicht die - höheren - Terminierungsentgelte (Interconnection-Gebühren) in Rechnung gestellt.

Die Antragstellerin schloss mit der Antragsgegnerin mehrere Endkundenverträge ab und erhielt die dazu gehörigen SIM-Karten. Nach den für die Vertragsverhältnisse geltenden allgemeinen Geschäftsbedingungen ist es dem Kunden u. a. nicht gestattet, mit seiner Mobilfunkkarte Verbindungen eines Dritten, der die Rufnummer eines anderen Dritten gewählt hat, über Vermittlungs- oder Übertragungssysteme oder auf sonstige Weise weiterzuleiten. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung berechtigt die Antragsgegnerin nach den AGB dazu, die Inanspruchnahme der Mobilfunkdienstleistungen ohne weiteres zu sperren und das Vertragsverhältnis fristlos zu kündigen.

Die Antragstellerin setzte die zu diesen Verträgen zugehörigen SIM-Karten in GSM-Gateways ein und führte auf diese Weise Terminierungsdienstleistungen durch. In der Folge deaktivierte die Antragsgegnerin die Karten.

Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat die Antragstellerin beantragt, der Antragsgegnerin unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen, die im Einzelnen bezeichneten SIM-Karten deshalb zu sperren (d. h. zu deaktivieren) und die Herstellung von Mobilfunkverbindungen zu anderen Mobiltelefonkunden der Antragsgegnerin deshalb zu verweigern, weil die Antragstellerin die SIM-Karten im Zusammenhang mit einem GSM-Gateway dazu nutzt, anderen Unternehmen die Terminierung von Telekommunikationsverbindungen im Mobilfunknetz (d.h. bei einem Mobiltelefonendkunden) der Antragsgegnerin zu ermöglichen.

Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den im Einzelnen Bezug genommen wird, hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen. Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Verfügungsantrag weiter.

B.

Der Senat hat über die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde auf Grund anberaumter mündlicher Verhandlung und deshalb durch Endurteil entschieden (vgl. Zöller/Vollkommer, 24. Aufl., § 922 Rn. 14 mwN). Das Rechtsmittel ist nicht begründet.

I. Unerheblich ist allerdings der Einwand der Antragsgegnerin, sie selbst betreibe gar kein Mobilfunknetz, sondern biete als Service-Providerin lediglich Endkundenleistungen im E.-Netz an, welches von der E. Mobilfunk GmbH & Co KG betrieben werde. Nur dieses biete Netzzusammenschaltungen an. Dieser Einwand geht am Verfügungsbegehren vorbei. Die Antragstellerin begehrt keine Netzzusammenschaltungen i. S. v. § 36 TKG, sondern weitere Vertragserfüllung, nachdem die Antragsgegnerin diese auf der Grundlage ihrer AGB durch Sperrung der SIM-Karten verweigert hat.

Unerheblich wäre im Übrigen auch, ob eine individuelle SIM-Karte technisch nach einer solchen Sperrung überhaupt reaktiviert werden kann, denn der Antragstellerin kommt es offenkundig nicht darauf an, dass gerade die von ihr erworbenen Karten wieder aktiviert werden, sondern dass sie die dadurch verkörperten Leistungen weiter in Anspruch nehmen kann. Die Nummern der Karten sind in den Verfügungsantrag ersichtlich nur deshalb aufgenommen worden, um die einzelnen Vertragsverhältnisse zu konkretisieren.

II. Das Landgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin auf der Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen berechtigt war, die SIM-Karten - wegen missbräuchlichen Gebrauchs - zu deaktivieren (BA S. 5). Die in die Gestalt eines Unterlassungsanspruchs gekleidete Leistungsverfügung hätte danach in der Sache - abgesehen vom Vorliegen eines Verfügungsgrundes - nur ergehen können, wenn es der Antragsgegnerin aus Rechtsgründen, insbesondere kartellrechtlich verwehrt wäre, sich auf die vertraglich ausbedungene Berechtigung zur Deaktivierung zu berufen. Eine entsprechende kartellrechtliche Handhabe besteht nach Ansicht des Senats indes nicht.

III. Auf § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB i. V. m. § 33 GWB kann das Verfügungsbegehren nicht mit Erfolg gestützt werden.

1. Vom Regelungsgegenstand her ist § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB zwar für das Begehren der Antragstellerin einschlägig. Sie begehrt bei der gebotenen wertenden Betrachtung die Nutzung einer Telekommunikations-Infrastruktureinrichtung der Antragsgegnerin, nämlich die Nutzung deren Mobilfunknetzes, zum Zwecke der Zustellung (Terminierung) von Telefongesprächen aus Festnetzen in das E.-Netz an E.-Endkunden.

2. Zu Gunsten der Antragstellerin unterstellt werden kann entgegen vorherrschender Meinung, dass § 33 TKG für eine Netznutzung, wie sie hier in Rede steht,keineabschließende - und insoweit Individualrechtsschutz ausschließende (vgl. etwa Beck'scher TKG-Kommentar/Büchner, 2. Aufl., § 40 Rn. 6; Markert in : Immenga/Mestmäcker GWB, 3. Aufl., § 20 Fn. 693) - Regelung darstellt, die der Anwendung von § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB entgegensteht (so Möschel in Immenga/Mestmäcker GWB, 3. Aufl., § 19 Rn. 222 mwN; anders Markert ebd. § 20 Rn. 247 mwN zum Streitstand in Fn. 693). Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB sind nämlich unabhängig davon in einem wesentlichen Punkt nicht erfüllt.

3. Allerdings ist mit der im Verfügungsverfahren hinreichenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin marktbeherrschendes Unternehmen i. S. der Vorschrift ist.

a) Betroffen ist in sachlicher und räumlicher Hinsicht - insoweit folgt der Senat jedenfalls im Verfügungsverfahren der vom Bundeskartellamt in seiner vom Senat erbetenen Stellungnahme sowie von der Monopolkommission und der europäischen Kommission befürworteten Marktabgrenzung - der Markt für die Zustellung von Gesprächen aus Festnetzen in ein Mobilfunknetz, hier in dasjenige der Antragsgegnerin. Für einen Festnetzbetreiber, der - ausgelöst durch einen von seinen Kunden getätigten Anruf - die Zustellung in das Netz der Antragsgegnerin nachfragt, besteht naturgemäß keine Substitutionsmöglichkeit durch Terminierung in ein anderes Mobilfunknetz, weil sein Endkunde anderenfalls den von ihm gewünschten Gesprächspartner im Mobilfunknetz der Antragsgegnerin nicht erreicht. Die Mitwirkung des jeweiligen Mobilfunk-Netzbetreibers für die Terminierung ist technisch unabdingbar. Bei regulären Netzzusammenschaltungen auf der Grundlage von § 36 TKG ist dies von vornherein der Fall; die Gesprächszustellung über GSM-Gateways bleibt dem Mobilnetzbetreiber, wenn sie, wie hier, nicht offen gelegt wird, zwar zunächst verborgen; jedoch kann der jeweilig betroffene Mobilnetzbetreiber seine Sachherrschaft über sein Netz - wie hier - durch Deaktivierung einer SIM-Karte - sofort ausüben, sobald sich ihm die vertragsfremden Aktivitäten des Vertragspartners erschließen, die etwa durch ein außergewöhnlich hohes Gesprächsaufkommen indiziert werden.

Das Landgericht hat es für fraglich erachtet, dass der Verhaltensspielraum der Antragsgegnerin bei der Festsetzung der Terminierungsentgelte nicht mehr vom Wettbewerb hinreichend kontrolliert sein könnte, weil die Verbraucher bei der Auswahl des Mobilfunk-Anbieters die Höhe der Entgelte für Terminierungen ins Kalkül zögen. Dafür besteht nach dem Stand der Glaubhaftmachungen der Parteien und nach der Lebenserfahrung indes keine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Die Mobilfunk-Netzbetreiber legen in ihren Tarifübersichten, worauf das Bundeskartellamt zutreffend hingewiesen hat, über diese Tarife gar keine Rechenschaft ab. Das ist ein gewichtiges Indiz dafür, dass dieser Gesichtspunkt für die Verbraucher bei der Wahl des Mobilfunkanbieters nur von nachgeordneter Bedeutung ist. Auf ihre Sicht als die eigentlichen Verbrauchsdisponenten kommt es insoweit an, auch wenn die direkte Marktgegenseite die Festnetzbetreiber bilden (BGH WuW/E 1445, 1447 - Valium; KG WuW E/OLG 5549, 5556 - Fresenius/Schiwa). Dieser Aspekt könnte im Übrigen nur dann über kurz oder lang hinreichende wirtschaftliche Relevanz erlangen und damit die Marktmacht des einzelnen Mobilnetzbetreiber relativieren, wenn sich überhaupt tarifbedingte Wanderungsbewegungen der Kunden der verschiedenen Mobilfunk-Netzbetreiber feststellen ließen. Dafür bestehen indes jedenfalls im vorliegenden Verfügungsverfahren keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Nach der Lebenserfahrung wenig wahrscheinlich erscheint auch, dass die Mobilfunk-Netzbetreiber in ihrem wettbewerblichen Verhaltensspielraum durch die Besorgnis wirkungsvoll eingeengt werden könnten, die Endkunden könnten mit preisbewusster Verkürzung der Gesprächsdauer auf überhöhte Terminierungsentgelte reagieren. Wie auch das Bundeskartellamt in seiner Stellungnahme zutreffend bemerkt, lässt sich die Dauer von Telefonaten nicht generell, zumindest nicht vorrangig über die Kosten determinieren. Das dürfte insbesondere für die wirtschaftlich gewichtige Nutzung von Mobiltelefonen durch gewerblich oder freiberuflich tätige Kunden gelten.

Den vom Bundeskartellamt des Weiteren eingeführten Gesichtspunkt der Einschränkung des Verhaltensspielraums der Mobilfunk-Netzbetreiber durch Reziprozität - ihr Angewiesensein auf die Festnetzbetreiber bei der Zustellung von Gesprächen aus dem Mobilfunknetz in ein Festnetz - hat die Antragsgegnerin, der dieser Umstand potenziell günstig ist, nicht mit erheblichen Ausführungen aufgegriffen. Ihre Überlegungen zum denkbaren Alternativverhalten der Kunden (Schriftsatz vom 22. Dezember 2003 S. 9) betreffen nicht die vom Bundeskartellamt problematisierte Reziprozität, sind aber auch in der Sache nicht überzeugend.

Entgegen dem Bundeskartellamt nicht zweifelhaft erscheint dem Senat die Zurechnung der Leistung der Antragstellerin zum Terminierungsmarkt. Das Amt verweist differenzierend darauf, die Antragstellerin terminiere Gespräche nicht selbst, zumal sie dazu selbst nicht in der Lage sei; ihre Leistung bestehe deshalb in der Transitleistung bis zu einer Luftschnittstelle, die effektiv als Inter-Connect-Punkt genutzt werde, auch wenn die Mobilfunk-Netzbetreiber dies nicht so genutzt sehen möchten. Die eigentliche Terminierung, also die Herstellung der Verbindung zum Mobilfunk-Endkunden, erwerbe sie technisch betrachtet (unwissentlich) vom Mobilfunk-Netzbetreiber und reiche sie als Bestandteil ihrer Gesamtleistung an ihre eigenen Kunden weiter.

Der Umstand, dass die von der Antragstellerin angebotene Leistung sich aus einer Transit- und einer Terminierungskomponente zusammensetzt, ändert indes nichts daran, dass die Antragstellerin der Marktgegenseite - den Festnetzbetreibern - diejenige Leistung anbietet und sie erbringt, die diese (allein) nachfragen und die für sie auch nur in ihrer Gesamtheit mit der Gesprächszustellung über Netzzusammenschaltung funktional austauschbar ist, nämlich die Herstellung einer Gesprächsverbindung zwischen dem Festnetz- und dem Mobilfunknetz-Endkunden.

b) § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB erfasst aber nur den Missbrauch, der darin liegt, dass das marktbeherrschende Unternehmen dem anderen Unternehmen den für dessen Wettbewerb auf dem vor- oder nachgelagerten Markt benötigten Netzzugang verwehrt. Darum geht es im vorliegenden Fall nicht. Die Antragstellerin begehrt die Nutzung des Netzes der Antragsgegnerin - die ihr zur Nutzung in der vertragsgemäßen Eigenschaft als Endkunde selbstredend nicht verwehrt würde - nicht, um auf einem vor- oder nachgelagerten Markt tätig zu werden. Sie will vielmehr auf demselben Endmarkt tätig werden, wie die Antragsgegnerin, nämlich auf dem Markt der Zustellung von Telefonaten aus Festnetzen in das E.-Netz. Die Nutzung des Mobilfunknetzes bei der Terminierung von Gesprächen aus dem Festnetz in ein Mobilfunknetz ist kein eigenständiges vom Terminierungsmarkt abgrenzbares Marktgeschehen im Sinne eines diesem Markt vor- oder nachgelagerten und vom Netzbetreiber beherrschten Marktes (vgl. zum Begriff des Netzes und der Infrastruktureinrichtung i. S. v. § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB Schwintowski, WuW 1999, 842, 851 f.). Vielmehr ist die Nutzung des Mobilfunknetzes zur Terminierung selbst integraler Bestandteil der Terminierung selbst; die Netznutzung erfolgt jeweils zweckgebunden, sei es zur netzinternen telefonischen Kommunikation zwischen zwei Mobilfunknetz-Endkunden, sei es, wie hier, zur Terminierung von Festnetzgesprächen. Es gibt also keine Nutzung des Mobilfunknetzes "als solche" die einen eigenständigen, der Gesprächszustellung vor- oder nachgelagerten Markt darstellte. Deshalb steht § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB der Antragstellerin als Anspruchsgrundlage i. V. m. § 33 GWB nicht zur Verfügung.

c) Nichts anderes gälte, wenn die Leistung der Antragstellerin in Anlehnung an die vom Bundeskartellamt entwickelte Sicht (vgl. vorstehend unter a) in eine Transitkomponente und eine Terminierungskomponente aufgespalten würde. Die Transitkomponente stellt kein eigenständiges Marktgeschehen dar. Wäre sie ein solches, griffe § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB allerdings nicht ein, weil die Antragsgegnerin auf diesem gedachten Markt nicht als Wettbewerber der Antragstellerin aufträte.

Im Übrigen wäre zu bedenken, dass die Vorschrift dem Nutzungspetenten Zugang nur gegen ein angemessenes Entgelt eröffnen will. Das Begehren der Antragstellerin läuft im Ergebnis darauf hinaus, ihr Zugang zur Nutzung des Netzes der Antragsgegnerin für den Zweck der Gesprächszustellung zu denselben Konditionen zu gewähren, die für die Nutzung dieses Netzes als Telefon-Endkunde gelten. Es erscheint dem Senat indes nicht ohne weiteren eingehenden Tatsachen- und Datenvortrag hinreichend wahrscheinlich, dass die Antragsgegnerin die begehrte Nutzung gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB zu den identischen Konditionen gewähren müsste, wie für die Nutzung im Rahmen eines Endkundenvertrages. Darauf aber läuft das Verfügungsbegehren hinaus und nur das ist bei wertender Betrachtung Streitgegenstand.

IV. Auf einen Behinderungsmissbrauch (§ 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 GWB) kann die Antragstellerin sich nach dem Sach- und Streitstand, so wie er sich dem Senat im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung darstellt, ebenso wenig berufen, wie auf das Behinderungs- und Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB, das als konkretisierender Unterfall des allgemeinen Missbrauchstatbestands nach § 19 GWB aufzufassen ist (vgl. Möschel in: Immenga/Mestmäcker GWB, 3. Aufl., § 19 Rn. 255).

Der Sache nach geht es vorliegend nicht um eine Diskriminierung einzelner Unternehmen auf der Marktgegenseite; vielmehr weigert sich die Antragsgegnerin bzw. die E. Mobilfunk GmbH & Co KG schlechthin, das E-Pus-Mobilfunknetz anderen Unternehmen für die Terminierung von Gesprächen aus Festnetzen mittels GSM-Gateways zur Verfügung zu stellen, um zur E. Mobilfunk GmbH & Co KG beim Angebot von Terminierungsleistungen - mittels GSM-Gateways - in Wettbewerb zu treten. Ein solcher Geschäftsverkehr soll also gleichsam gar nicht erst eröffnet werden. Ein solches Verhalten ist dem Behinderungs- und nicht dem Diskriminierungstatbestand zuzuordnen, auch wenn die Grenzen beider Verhaltensweisen generell nicht eindeutig konturiert sind (vgl. Markert aaO § 20 Rn. 115).

Dass die Antragsgegnerin im Übrigen die Verwendung so genannter Corporate GSM-Gateways durch Großunternehmen als Endkunden duldet, steht nicht in Widerspruch zu der Feststellung, dass die Nutzung des E.-Netzes für Gesprächsterminierungen mittels GSM-Gateways gar nicht geöffnet werden soll. Nach den Ausführungen der RegTP ist davon auszugehen, dass es sich beim Einsatz solcher Coporate GSM Gateways im E.-Netz durch die Lizenznehmerin um eine Form der unmittelbaren Verkehrsführung bei Mobilfunkverkehr von Unternehmen als Kunden handelt, die z.B. Mitarbeiter im Außendienst haben. Diese Form der Verkehrsführung - von einer Telekommunikationsanlage des Kunden zu seinen mobilen Mitarbeitern - stellt keine Zusammenschaltung von Telekommunikationsnetzen dar und ist daher mit dem Einsatz von SIM-Boxen zum Zwecke der Zusammenschaltung nicht vergleichbar. Der Einsatz so verstandener Corporate GSM Gateways erfolgt durch den Netzbetreiber zum Zwecke ökonomischerer Verkehrsführung im Mobilfunknetz selbst und dient nicht - wie bei einer Zusammenschaltung - der Übergabe von Verkehr zwischen verschiedenen Netzen.

Bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung dieses Verhalten ist davon auszugehen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 128, 18, 36 ff. - Gasdurchleitung) jedem Unternehmen, auch einem marktbeherrschenden, ein unternehmerischer Freiraum zusteht. Es ist ihm selbst grundsätzlich und bis zur Grenze der unbilligen Behinderung überlassen, die Art seiner wirtschaftlichen Betätigung zu bestimmen und zu entscheiden, mit welchen Wären oder Leistungen es am Markt teilnehmen will. Bei der danach vorzunehmenden Interessenabwägung darf die grundsätzliche Betätigungsfreiheit des in Anspruch genommenen Unternehmens schon mit Rücksicht auf das Grundrecht aus Art. 12 GG nicht von vornherein ausgeklammert werden. In die Abwägung ist auch einzubeziehen, dass etwa eine Durchleitungspflicht - die Gegenstand der Entscheidung "Gasdurchleitung" war - zur Folge hat, dass das betroffene Unternehmen sein Leitungsnetz für fremde Zwecke einsetzen muss und deshalb auch in seinem durch Art. 14 GG geschützten Eigentum berührt ist. Bei der Beurteilung, welches Gewicht diesen Interessen beigemessen werden kann, ist aber auch zu beachten, dass ein Unternehmen mit besonderer Marktmacht im Vergleich zu anderen Unternehmen engeren Schranken in seiner Betätigungsfreiheit und im Gebrauch seines Eigentums unterliegt. Dies schließt gegebenenfalls auch Pflichten zum Tätigwerden für andere Unternehmen ein. So ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass marktstarke und marktbeherrschende Unternehmen im Interesse der Freiheit des Wettbewerbs nach § 20 GWB verpflichtet sein können, ihre Unternehmensmittel einzusetzen, um andere mit ihren Produkten zu beliefern oder Produkte anderer zur Weiternutzung abzunehmen (vgl. BGH aaO mwN). Dieser Gedanke gilt zwar auch im Rahmen der Mißbrauchsaufsicht nach § 19 GWB. Ein Tätigwerden im Interesse eines Wettbewerbers kann aber auch einem marktmächtigen Unternehmen nicht ohne weiteres auferlegt werden. Vielmehr ist auch der allgemeine Grundsatz zu beachten, dass niemand verpflichtet ist, einen (potenziellen) Wettbewerber zum eigenen Schaden zu fördern (vgl. BGH, Urt, v. 12.11.1991 - KZR 2/90, WuW/E 2755, 2759; WuW 1992, 515, 519 - Aktionsbeträge).

Der vorliegende Fall ist nicht mit den Fällen vergleichbar, für die Pflichten zum Tätigwerden des Marktbeherrschers anerkannt sind, wie der Einsatz ihrer Unternehmensmittel, um andere mit ihren Produkten zu beliefern oder, Produkte anderer zur Weiternutzung abzunehmen. Im vorliegenden Fall geht es um eine dem Kundentausch vergleichbare Konstellation, für die im Schrifttum in Anlehnung an die Entscheidung des BGH im Fall "Gasdurchleitung" ein Weigerungsrecht des Netzbetreibers bejaht wird (vgl. Möschel aaO § 19 Rn. 217). Das Angebot der Antragstellerin läuft nämlich darauf hinaus, dass der Festnetzbetreiber mit ihr kontrahiert anstatt einen Verbindungsweg zu wählen, an dem die Antragsgegnerin bei der Terminierung beteiligt ist und sie demzufolge auch kein Terminierungsentgelt erhält, sondern nur eine netzinterne Verbindung nach Maßgabe des mit der Antragstellerin geschlossenen Endkundenvertrages abrechnen kann.

Der Senat verkennt nicht, dass die (natürliche) Monopolstellung der Mobilfunk-Netzbetreiber auf dem Markt für die hier in Rede stehende Gesprächszustellung Spielraum für überhöhte Preise bietet und nach den Ausführungen des Bundeskartellamts und der Einschätzung der Monopol- sowie der Europäischen Kommission gewichtige Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass die Mobilfunk-Netzbetreiber ihre Monopolstellung zu missbräuchlich überhöhten Entgeltforderungen bzw. zu wettbewerbsrechtlich zu missbilligenden Quersubventionen der Entgelttarife im Endkundengeschäft ausnutzen. Es erscheint dem Senat jedoch auch unter Berücksichtigung des allgemeinen Interesses an einem zumindest ansatzweise funktionstüchtigen Wettbewerb auf diesem Marktgeschehen und der kommerziellen Interessen von Unternehmen wie der Antragstellerin wettbewerbsrechtlich nicht möglich, die Mobilfunk-Netzbetreiber einem gewissen Wettbewerbsdruck mittelbar dadurch auszusetzen, dass ihnen auferlegt wird, die Nutzung ihrer Netze für die Gesprächsterminierung im Rahmen von Endkundenverträgen zur Verfügung zu stellen. Hier wäre es vielmehr in erster Linie Sache der zuständigen Regulierungsbehörde, den auf einen Preis- bzw. Preisstrukturmissbrauch hindeutenden Anhaltspunkten nachzugehen und ggfs. dagegen einzuschreiten.

V. Aus den vorstehend dargelegten Gründen sieht der Senat auch nicht die Voraussetzungen von Art. 82 EG, insb. nicht die von Art. 82 Abs. 2 lit. b) EG als erfüllt an. Die wertenden Gesichtspunkte, die zur Verneinung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach nationalem Kartellrecht führen, gelten auch für die entsprechende Norm im EG-Kartellrecht. Ohne Erfolg versucht die Antragstellerin insoweit Parallelen zwischen dem Streitfall und der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache "British Telecommunications" (EuGH Slg. 1985, 873, 887) zu ziehen. Dort war es, soweit hier von Interesse, um die durch technischen Fortschritt ermöglichte Ausnutzung der Tarifstruktur von "British Telecom" für telegrafische Dienstleistungen in der Weise gegangen, dass Telegramme gleichsam gebündelt und komprimiert aufgegeben werden konnten, so dass zum Preis für ein Telegramm eine Vielzahl solcher Sendungen zum Einzeltarif verschickt werden konnten. Der - erhebliche - Unterschied zum Streitfall liegt darin, dass es im Falle British Telecommunications um die identische Nutzungsart ging, nämlich die Übermittlung von Telegrammen mittels des dafür bereitgehaltenen Dienstleistungsangebots. Wie vorstehend ausgeführt geht es im vorliegenden Fall dagegen darum, dass ein Dienstleistungsangebot der Antragsgegnerin (Telefonieren im Mobilnetz als Endkunde) für einen anderen Zweck, nämlich die gewerbliche Zustellung von Gesprächen aus einem Festnetz in ein Mobilnetz genutzt wird. Für die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung dieses Verhaltens bietet die Entscheidung "British Telecommunications" kein Präjudiz.

VI. Soweit es den auch vom Bundeskartellamt in seiner Stellungnahme erörterten Preisstrukturmissbrauch (§ 19 Abs. 4 Nrn. 2, 3 GWB) betrifft, ist zu bedenken, dass das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach Verfügungsbegehren und Streitgegenstand nicht (unmittelbar) auf die Beseitigung eines solchen Missbrauchs abzielt, sondern, wie bereits ausgeführt, auf Netznutzung zur Terminierung zu Bedingungen wie im Endkundengeschäft. Die Eröffnung eines entsprechenden Geschäftsverkehrs kann zwar mittelbar geeignet sein, das marktbeherrschende Unternehmen zu Preiszugeständnissen im Terminierungsgeschäft zu bewegen; die §§ 19 Abs. 4 Nrn. 2 und 3 GWB sind gleichwohl nicht einschlägig.

V. Der Antragstellerin steht ein Verfügungsanspruch auch nicht aus § 1 GWB zu.

Zwar kann § 1 GWB durchaus neben § 20 GWB anwendbar sein (vgl. Markert in Immenga/Mestmäcker aaO § 20 Rn. 235). Die Vorschrift ist aber nach Lage des Sachverhalts auch unter Berücksichtigung der von der Berufung besonders hervorgehobenen Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wie sie in der Entscheidung "Verbundnetz II" zum Ausdruck gekommen sind (WuW/E DE-R 1119 ff.), nicht einschlägig. Bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung kann das sich aus den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Antragsgegnerin herzuleitende, an den Partner der Endkundenverträge gerichtete Verbot, Verbindungen weiterzuleiten, insbesondere faktische Zusammenschaltungsleistungen über die SIM-Karte zu erbringen, nicht als wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung i. S. v. § 1 GWB bewertet werden. Das gilt in Bezug auf die mit der Antragstellerin geschlossenen Verträge umso mehr, als diese ohnehin nie vorhatte, dieses Verbot zu beachten, sondern nur zum Schein auf die gestellten Vertragsbedingungen eingegangen ist und demgemäß auch den eigentlich verfolgten Zweck des Erwerbs der SIM-Karten bei Vertragsschluss nicht offen gelegt hat. Unabhängig davon kann die Antragsgegnerin, da es sich um typische Austauschverträge handelt, auch unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB jedenfalls nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Senats im Verfügungsverfahren ein wettbewerbsrechtlich zu duldendes Interesse an diesem Verwendungsvorbehalt geltend machen. Auch wenn die Monopolpreise der Mobilfunk-Netzbetreiber im Terminierungsgeschäft wohl - wie das Bundeskartellamt mutmaßt, das wettbewerbsrechtliche Kernproblem - sind, kann die eigenmächtige Nutzung der für Endkundenverträge vorgesehenen SIM-Karten für die Terminierung von Festnetzgesprächen in das Mobilfunknetz mittels GSM-Gateways keinen kartellrechtlichen Schutz beanspruchen.

Die sofortige Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.






KG:
Urteil v. 15.10.2004
Az: 2 W 25/03 Kart


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