Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Mai 2000
Aktenzeichen: 15 W (pat) 33/98
(BPatG: Beschluss v. 18.05.2000, Az.: 15 W (pat) 33/98)
Tenor
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Das Patent wird widerrufen.
Gründe
I Auf die am 27. März 1991 beim Deutschen Patentamt eingegangene Patentanmeldung P 37 44 995.8-44, die aus der am 14. Juli 1987 beim Deutschen Patentamt eingereichten Stammanmeldung P 37 23 264.9-44 ausgeschieden worden ist, hat das Deutsche Patentamt ein Patent mit der Bezeichnung:
"Polymere auf der Grundlage dimerisierter Fettsäuren"
erteilt.
Nach Prüfung des erhobenen Einspruchs wurde das Patent mit Beschluß der Patentabteilung 44 des Deutschen Patentamts vom 6. März 1998 in vollem Umfang aufrechterhalten.
Dem Beschluß lagen gemäß Hauptantrag die Patentansprüche 1 bis 7 gemäß DE 37 44 995 C2 mit folgendem Wortlaut zugrunde:
"1. Polymer, insbesondere Hochpolymer, das Rückstände an dimerisierter Fettsäure enthält, dadurch gekennzeichnet, daß die dimerisierten Fettsäurerückstände zu mindestens 97,5 Gew.-% aus Dicarbonsäurerückständen bestehen.
2. Hochpolymer nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Dicarbonsäurerückstände in ein Polyamid eingebaut sind.
3. Polyamid nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß das Polyamid Rückstände eines C2C9---Diamins enthält.
4. Hochpolymer nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Dicarbonsäurerückstände in einen Polyester eingebaut sind.
5. Hochpolymer nach einem der Ansprüche 1, 2 oder 4, dadurch gekennzeichnet, daß das Polymer außerdem Rückstände enthält, die von einer C4C12-Dicarbonsäure abgeleitet sind.
6. Hochpolymer nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, daß es in der Kette nicht nur Amidgruppen, sondern auch Ester- und/oder Ethergruppen enthält.
7. Verfahren zur Herstellung eines Polymers nach einem der Ansprüche 1 bis 6, wobei etwa äquimolare Mengen an Dicarbonsäuren und Diaminen und/oder Diolen unter Beseitigung von flüchtigen Reaktionsprodukten miteinander umgesetzt werden, bis das gewünschte Polymer erhalten worden ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Dicarbonsäure mindestens teilweise aus dimerisierten Fettsäuren mit einem Anteil von über 97,5 Gew.-% an Dicarbonsäure besteht."
Dem Beschluß lagen ferner gemäß Hilfsantrag der am 19. Januar 1994 eingegangene Patentanspruch 1 sowie die Ansprüche 2 bis 7 in der erteilten Fassung zugrunde. Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag hatte folgenden Wortlaut:
"1. Polymer, insbesondere Hochpolymer, das Rückstände an dimerisierter Fettsäure enthält, dadurch gekennzeichnet, daß die dimerisierten Fettsäurerückstände zu mindestens 98,5 Gew.-% aus Dicarbonsäurerückständen bestehen."
Die Aufrechterhaltung des Patents wurde hauptsächlich damit begründet, daß bereits der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik neu sei und auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Gegen diesen Beschluß hat die Einsprechende Beschwerde eingelegt und zu deren Begründung im wesentlichen geltend gemacht, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auch in Form des nunmehr allein weiterverfolgten Hilfsantrags gegenüber der DE-OS 15 20 937 (7) nicht mehr neu sei. Zumindest beruhe dieser Gegenstand unter zusätzlicher Berücksichtigung der Literaturstellen "H.G. Elias, Makromoleküle, Verlag Hüthig & Wepf Basel, Heidelberg 1. Aufl 1971 S 349/350" (1), "Tagungsband 11. Münchner Klebstoff- und Veredlungs-Seminar 1986, S 92 bis 97" (8) und "Handbook of Adhesives, 2. Ausgabe 1977, Kapitel 35, Polyamide Adhesives S 581 bis 591" (9) auf keiner erfinderischen Tätigkeit.
Die Einsprechende beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt, das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten auf der Grundlage des Patentanspruchs 1, eingegangen am 19. Januar 1994 und der Patentansprüche 2 bis 7 in der erteilten Fassung gemäß DE 37 44 995 C2.
Sie hat dem Vorbringen der Einsprechenden widersprochen und insbesondere die Ansicht vertreten, daß der Gegenstand des nunmehr geltenden Patentanspruchs 1 nicht nur neu sei, sondern auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Wie die Analyse der entgegengehaltenen Druckschriften ergebe, sei die Lehre, dimerisierte Fettsäuren mit einem möglichst hohen Gehalt an Dicarbonsäuren zur Herstellung Polymerer einzusetzen, aus dem Stand der Technik nicht herzuleiten. Vielmehr habe der Fachmann ein Vorurteil überwinden müssen, da er bei einer diesbezüglich höheren Reinheit keine wesentliche Verbesserung der Produkte erwarten konnte. Es sei deshalb auch überraschend, daß patentgemäß eine deutliche sprunghafte Verbesserung der Polymereigenschaften erzielt werde.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II Die Beschwerde der Einsprechenden ist zulässig (PatG § 73). Sie ist auch begründet.
Bezüglich ausreichender Offenbarung der geltenden Anspruchsfassung bestehen keine Bedenken, da deren Merkmale sowohl aus den Erstunterlagen (vgl Stammanmeldung P 37 23 264.9-44, die Ansprüche 2 und 6 bis 12) als auch aus der DE 37 44 995 C2 (vgl Ansprüche 1 bis 7 iVm S 2 Z 49 bis 51) herleitbar sind.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das im geltenden Patentanspruch 1 angegebene Merkmal, wonach "die dimerisierten Fettsäurerückstände zu mindestens 98,5 Gew.-% aus Dicarbonsäurerückständen bestehen", dazu geeignet ist, die Neuheit der beanspruchten Polymeren gegenüber den in der DE-OS 15 20 937 (7) beschriebenen Polyamiden zu begründen, die ihrerseits aus polymeren Fettsäuren mit einem Gehalt von 95 bis 100 % an dimerer Fettsäure erhalten werden. Denn der Patentgegenstand beruht auf keiner erfinderischen Tätigkeit.
Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe auszugehen, Polymere, insbesondere Hochpolymere auf der Basis dimerisierter Fettsäuren bereitzustellen, die sich durch eine besonders günstige Kombination von mechanischen Eigenschaften, wie gute Zugfestigkeit und Dehnbarkeit, gute Schlagfestigkeit bei niedrigen Temperaturen und gute Dimensionsstabilität durch geringe Wasseraufnahme auszeichnen.
Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 im wesentlichen durch Polymere insbesondere Hochpolymere, in denen dimerisierte Fettsäuren mit einem Dicarbonsäureprozentsatz von über 98,5 % enthalten sind.
Polyamide auf Basis dimerisierter Fettsäuren mit guter Zugscherfestigkeit und hoher Schälfestigkeit erhält man gemäß der DE-OS 15 20 937 (7) dann, wenn man zu deren Herstellung neben der Diaminkomponente, die aus Ethylendiamin mit einem Zusatz an -Caprolactam besteht, eine dimerisierte Fettsäure einsetzt, die einen Gehalt von 95 bis 100 % an dimerer Fettsäure aufweist. Der Fachmann, hier ein Polymerchemiker, der mit der Herstellung von Polykondensaten auch auf Basis dimerisierter Fettsäuren befaßt und vertraut ist, entnimmt dieser Druckschrift somit bereits die Lehre, für die Herstellung von Polymeren mit verbesserten mechanischen Eigenschaften Dimerfettsäuren einzusetzen, die mit 95 bis 100 % einen möglichst hohen Anteil an dimeren Fettsäuren und damit einen möglichst niedrigen Anteil an monomeren und trimeren Fettsäuren enthalten (vgl (7) Anspruch 1 iVm S 3 Abs 1 und 3).
Der Fachmann kann diese Angaben in (7) im Gesamtzusammenhang mangels anderer Textstellen auch nur so verstehen, daß mit dimeren Fettsäuren solche gemeint sind, die difunktionell sind und somit zwei Carboxylgruppen aufweisen. Selbst wenn man zugunsten der Patentinhaberin davon ausgeht, daß sich am Anmeldetag der Druckschrift (7), bedingt durch die damals zur Verfügung stehenden weniger genauen Analysenmethoden, die Bezeichnungen "monomer", "dimer" und "trimer" iVm den dimerisierten Fettsäuren mehr auf das Molekulargewicht als auf die Funktionalität, dh auf die Anzahl der Carboxylgruppen je Molekül bezogen hätten (vgl vorliegende Patentschrift S 2 Z 6 bis 20). So kann dieser Sachverhalt zu keiner anderen Beurteilung des Patentgegenstandes führen. Denn die bereits durch (7) vermittelte Lehre, findet sich in unzweideutiger Aussage auch in der Literaturstelle (8) "Tagungsband 11. Münchner Klebstoff- und Veredlungs-Seminar 1986, S 92 bis 97", die im Unterschied zur Druckschrift (7) kurz vor dem Prioritätstag des vorliegenden Patents veröffentlicht worden ist. Wörtlich heißt es dort (vgl S 92 liSp Abs 2):
"Die zum Aufbau der Polyamidharze eingesetzten dimerisierten Fettsäuren haben einen wesentlichen Einfluss auf Struktur und Morphologie der Polyamide. Sie werden durch Dimerisierung von aus natürlichen Rohstoffen gewonnenen ungesättigten, langkettigen Fettsäuren hergestellt. Sie enthalten zunächst noch eine Reihe von Nebenprodukten, von denen sich vor allem mono- und trifunktionelle Carbonsäuren qualitätsmindernd auf die Eigenschaften der daraus hergestellten Polyamide auswirken. Aus diesem Grund muss das Dimerisat noch durch Destillation gereinigt werden."
Auch aufgrund dieser Empfehlung liegt es für den Fachmann somit auf der Hand zur Verbesserung der Polymereigenschaften möglichst reine difunktionelle Dimerfettsäuren einzusetzen, die weitgehend von den genannten qualitätsmindernden Komponenten befreit sind. Diese Angaben müssen dem Fachmann auch deshalb sinnvoll erscheinen, weil es zum Fachwissen des hier tätigen Polymerchemikers gehört, daß Monocarbonsäuren zu Kettenabbrüchen und damit nicht zu den gewünschten hohen Molekulargewichten führen, die ihrerseits Voraussetzung für hervorragende mechanische Eigenschaften sind, und daß trifunktionelle Carbonsäuren zwar zu einer Molekulargewichtserhöhung zugleich aber auch zu einer Gelbildung und damit zu einer Qualitätsverschlechterung der Polymeren führen können.
Den hierfür optimalen Reinheitsgrad der Dicarbonsäure anhand einfacher Versuche im Rahmen des Bekannten zu ermitteln, erfordert lediglich routinemäßiges Vorgehen eines solchen Fachmanns, nicht aber Überlegungen von erfinderischer Qualität (vgl Schulte PatG 5. Aufl § 4 Rdn 62). Dabei ist es unstrittig, daß bereits vor dem Prioritätstag des vorliegenden Patents geeignete Analysen- und Trennungsmethoden zur Herstellung entsprechend aufgereinigter Dimersäuren mit dem geforderten hohen Dicarbonsäureanteil zur Verfügung standen.
Daß übliche Handelsprodukte für Dimersäuren einen niedrigeren Gehalt an Dicarbonsäure als die patentgemäß verwendeten aufweisen und solche Produkte auch in Beispielen von im Einspruchsverfahren darüber hinaus genannten Druckschriften eingesetzt worden sind, kann den Fachmann angesichts der eindeutigen Empfehlung in (7) und insbesondere in der zeitlich nächstliegenden Literaturstelle (8) nicht davon abhalten oder gar ein Vorurteil dagegen begründen, derartige Versuche überhaupt durchzuführen, um das Kosten-Nutzen-Verhältnis beim Einsatz hochgereinigter dimerisierter Fettsäuren zu ermitteln. Denn solche Versuche entsprechen dem üblichen Vorgehen des Polymerchemikers, der sich mit der Optimierung an sich bekannter Produkte, wie den Polymeren auf Dimerfettsäure-Basis, beschäftigt (vgl auch die Angaben in (9) "Handbook of Adhesives 2. Aufl, 1977, S 582 liSp Z 4 bis 10 v unten).
Hinsichtlich der Polymeren gemäß Patentanspruch 1, die lediglich durch den Dicarbonsäuregehalt der darin in beliebiger Menge enthaltenen Dimerfettsäure, nicht aber durch eine definierte Zusammensetzung charakterisiert werden, kann eine erfinderische Leistung auch nicht mit einer überraschenden überlegenen Wirkung begründet werden. Denn der nur für ein spezielles Polyamid gemäß Tabelle 3 und 4 der DE 37 44 995 C2 angegebene Vergleichsversuch zeigt lediglich das, was ein Fachmann erwarten konnte, nämlich daß das patentgemäße Produkt Nr 2, das entsprechend der angegebenen Viskosität ein deutlich höheres Molekulargewicht als das Vergleichsprodukt Nr 1 besitzt, auch deutlich bessere mechanische Eigenschaften aufweist (vgl zum diesbezüglichen Fachwissen das Lehrbuch (1) Elias "Makromoleküle" 1. Aufl, 1971, S 349 le Abs bis S 350 aber auch die Literaturstelle (9), Tab 10 und zugehöriger Text S 587, in der die mechanischen Eigenschaften von auf Dimersäuren basierenden Polyamid-Adhesiven in Abhängigkeit vom Molekulargewicht angegeben werden).
Da ein sinnvoller Vergleich der patentgemäßen Versuchsergebnisse mit Angaben des Standes der Technik (vgl (8) Abb 8 oder (9) Tab 10) mangels vergleichbarer chemischer Zusammensetzung und direkt vergleichbarer Molekulargewichte nicht möglich ist, kann auch aus einem solchen Vergleich nicht auf einen patentgemäß zu erzielenden überraschenden Effekt geschlossen werden. Hinzu kommt, daß Werte, wie sie patentgemäß für die Zugfestigkeit und Dehnung der untersuchten Polyamide geltend gemacht werden, offenbar auch bereits im Stand der Technik erzielt worden sind (vgl (9) Tab 10 rechte Spalte).
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht somit im Hinblick auf den erörterten Stand der Technik auf keiner erfinderischen Tätigkeit, so daß dieser Anspruch nicht gewährbar ist.
Die Ansprüche 2 bis 7 teilen das Schicksal des Anspruchs 1 (vgl BGH "Elektrisches Speicherheizgerät" GRUR 1997, 120).
Deiß
Niklas Jordan Schroeter Wf
BPatG:
Beschluss v. 18.05.2000
Az: 15 W (pat) 33/98
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