Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 9. Dezember 2003
Aktenzeichen: 4 U 117/03

(OLG Hamm: Urteil v. 09.12.2003, Az.: 4 U 117/03)

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 03. September 2003

verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen

abgeändert:

Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Berufung ist begründet. Die Antragstellerin hat gegen die Antragsgegnerin keinen Anspruch aus § 1 UWG aus dem Gesichtspunkt des übertriebenen Anlockens von Kunden in Zusammenhang mit der öffentlichen Ausstellung und der direkten Übergabe von Werbeprämien wie Bohrmaschinen des Herstellers B mit einer Leistung von 500 Watt für den Abschluss eines Abonnementsvertrages in Bezug auf die Zeitung WAZ.

1) Im Gegensatz zu dem durch Urteil vom 11. September 2003 entschiedenen Rechtsstreit 4 U 87 / 03 OLG Hamm gleichen Rubrums, in dem ein Unterlassungsanspruch wegen übertriebenen Anlockens in einem Fall bejaht wurde, in dem bei einer Eigenbestellung einer Neukundin ein schnurloses Siemens-Telefon als Prämie aus dem Werbeangebot "Leser werben Leser" der Antragsgegnerin im Wert von 75 EUR angeboten und gewährt wurde, wobei in den Verkaufsverhandlungen ausschließlich über die Möglichkeit gesprochen wurde, wie diese spezielle Prämie erlangt werden könnte, liegt hier kein Fall eines übertriebenen Anlockens im Sinne des § 1 UWG vor.

2) Auszugehen ist allgemein bei allen Kopplungsfällen, zu denen auch das Angebot einer Ware oder Dienstleistung zusammen mit einer Zugabe oder Prämie gehört, nach dem gewandelten Verbraucherleitbild und der Aufhebung der Zugabeverordnung, dass der verständige Verbraucher mit den Marktgegebenheiten vertraut ist und sich auch durch das Angebot einer besonderen Vergütung in der Regel nicht vorschnell zum Vertragsabschluss verleiten lässt (vgl. BGH WRP 2002, 1256, 1259 -Kopplungsangebot I). Ausnahmsweise kann aber durch das angebotene Geschenk, welches außer Verhältnis zu dem Wert der damit zusammen angebotenen Hauptleistung steht, eine so große Anlockwirkung erzielt werden, dass der Umworbene zugreift, ohne auf den Preis und die Qualität des zugleich mit angebotenen Printmediums zu achten. Das gilt vor allem, wenn dem Verbraucher auch noch unzureichende Informationen über das Gesamtangebot gegeben werden und dadurch die Gefahr seiner Überrumpelung vergrößert wird (BGH WRP 2002, 1259, 1262 -Kopplungsangebot II).

3) Nach diesen Grundsätzen scheidet im vorliegenden Fall eine besonders große Anlockwirkung selbst dann aus, wenn man nach dem Vorbringen der Antragstellerin im Hinblick auf den Wert der Bohrmaschine von einem Betrag von mehr als 13,80 Euro ausgeht, der damit den monatlichen Bezugspreis der X überschreitet, obwohl es höchst zweifelhaft erscheint, ob die Antragstellerin einen solchen Wert glaubhaft gemacht hat.

a) Bei der Einschätzung der Anlockwirkung ist dabei aber nicht starr auf die Wertgrenze des monatlichen Bezugspreises der beworbenen Zeitung im Abonnement abzustellen, die sich aus Nr. 8 der Wettbewerbsregeln für den Vertrieb von abonnierbaren Zeitungen des Bundesverbandes deutscher Zeitungsverleger ergibt. Der Generalklausel des § 1 UWG kann keine absolute Grenze entnommen werden, bei deren Überschreitung gleichsam automatisch ein übertriebenes Anlocken und damit die Wettbewerbswidrigkeit zu bejahen ist. Das ergibt sich daraus, dass selbst wertvolle Zugaben ein Angebot für den verständigen Verbraucher nicht intransparent machen und damit nicht zu einer irrationalen Nachfrageentscheidung führen müssen (BGH -Kopplungsangebot I, a.a.O., S. 1258). Es sind vielmehr immer die Gesamtumstände zu würdigen. Diese sprechen hier in der Gesamtheit dagegen, dass der von der Werbung angesprochene Verbraucher geradezu "magisch" angezogen wird und die Zeitung abonniert, nur um das Geschenk zu erhalten.

b) Die Wertgrenze ist in der Regel dem Verbraucher nicht bekannt. Er hält deshalb auch nicht gerade wegen einer solchen Kenntnis alle über diese Grenze hinausgehenden Geschenke für ungewöhnlich und damit für besonders interessant. Das wäre möglicherweise nur dann anders, wenn sich alle Zeitungsverleger konsequent an die Wettbewerbsregeln halten würden. Denn das hätte eine Vereinheitlichung der Geschenke zur Folge und könnte bewirken, dass als werthaltiger erscheinende Prämien aus Sicht der Verbraucher sofort auffielen. Die Zeitungsverleger halten sich aber jedenfalls im hier maßgeblichen, stark umkämpften Bereich nicht strikt an diese Wertgrenze, wie dem Senat aus mehreren Rechtsstreiten bekannt ist. Sie bieten gelegentlich sogar auch Erstkunden Geschenke an, wie sie üblicherweise für Leser als Prämie für die Werbung anderer Abonnenten angeboten werden. Diese haben in den dem Senat bekannten Fällen einen Wert von 75 EUR, der mehr als fünfmal so groß ist wie die vereinbarte Wertgrenze.

c) Unter diesen Voraussetzungen ist die allenfalls geringfügige Überschreitung der Wertgrenze und ein denkbarer Wert der Bohrmaschine von etwa 20 Euro für den Verbraucher nichts besonderes mehr. Der Wert des Geschenks steht damit erkennbar auch nicht außer Verhältnis zu dem Wert der Hauptleistung, nämlich des zweijährigen Abonnements der WAZ.

d) Die Verbraucher konnten sich hier auch hinreichend über die Umstände des Geschäfts informieren. Der umworbene Interessent sollte die WAZ, von der er ein Freiexemplar bekommen hatte, zu einem festliegenden Preis für zwei Jahre abonnieren und dafür bei Vertragsschluss die am Stand bereit stehende Zugabe erhalten, hier in Form der Bohrmaschine. Ein übertriebenes Anlocken ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Interessenten die Bohrmaschine sofort bei Vertragsschluss übergeben wird. Indem die Bohrmaschine sogleich präsentiert wird, wird das Gesamtangebot sogar noch transparenter gemacht. Der Verbraucher kann sich vom geschenkten Gerät eine bessere Vorstellung machen. Die ohnehin nicht große Anlockwirkung wird allenfalls geringfügig erhöht, weil es der Verbraucher vorziehen mag, über das Geschenk sofort verfügen zu können. Er vertraut aber auch bei einer Bestellung des Werbegeschenks aus einem Werbekatalog darauf, das ausgesuchte Geschenk zeitnah und zuverlässig zu erhalten. Er weiß, dass es in anderen Zusammenhängen nicht unüblich ist, dass ein angeworbener Vertragspartner im Fall eines Vertragsabschlusses eine dafür versprochene Vergünstigung sofort nach Unterzeichnung erhält.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711, 713 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 09.12.2003
Az: 4 U 117/03


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