Verwaltungsgericht Aachen:
Beschluss vom 5. Februar 2003
Aktenzeichen: 8 L 1284/02
(VG Aachen: Beschluss v. 05.02.2003, Az.: 8 L 1284/02)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf EUR 2.000,- festgesetzt.
Gründe
Der Antrag, mit dem die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage ( Az: 8 K 1734/02 ) gegen die Sperrungsverfügung der Antragsgegnerin vom 6. Februar 2002 ( Az: 21.50.30 - 4/01 ) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Juli 2002 wiederherzustellen, hilfsweise die Anordnung der sofortigen Vollziehung vom 6. September 2002 und den diesbezüglichen Ablehnungsbescheid vom 10. Oktober 2002 aufzuheben,
hat keinen Erfolg.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist, soweit die Antragstellerin die in der angegriffenen Verfügung enthaltene Verpflichtung, den Zugang zur Nutzung der Internet-Seiten "http://www.stormfront.org" und "http://www.nazilaucknsdapao.com" zu sperren, angreift, der zulässige Rechtsbehelf, da der Antragsgegnerin insoweit mit gesondertem Bescheid vom 6. September 2002 den Sofortvollzug entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO angeordnet hat. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt zunächst den formellen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Sie ist schriftlich begründet und gibt zu erkennen, aus welchen Gründen die Antragsgegnerin eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hält. Sie hat hierzu im Wesentlichen dargelegt, dass die angesprochenen Internet-Seiten nach den Vorschriften des Staatsvertrages über Mediendienste ( Mediendienste-Staatsvertrag - MDStV 1997-) vom 27. Juni 1997 ( GV NRW, 158 ), zuletzt geändert durch Art. 3 des Sechsten Staatsvertrages zur Änderung des Rundfunkstaatsvertrages, des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrages und des Mediendienste-Staatsvertrages ( Sechster Rundfunkänderungsstaatsvertrag ) vom 7. Juni 2002 ( GV NRW, 178 ) - im Folgenden als MDStV 2002 bezeichnet - unzulässig seien, weil sie strafrechtliche Tatbestände erfüllten, u.a. diejenigen der Volksverhetzung ( § 130 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches -StGB -) und des Verbots des Verbreitens von Kennzeichen und Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen ( § 86a StGB ). Darüber hinaus verletzten die zu sperrenden Internet-Seiten die Menschenwürde und seien kriegsverherrlichend und jugendgefährdend. Es bestehe ein besonderes Vollzugsinteresse daran, die Wirksamkeit von rechtsextremistischen Volksverhetzungsstraftaten, die sich als Internetangebote zugleich als inländische Dauerstraftaten darstellten, möglichst rasch und konsequent zu unterbinden. Dabei sei auch in den Blick zu nehmen, dass mit einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung wegen der zu entscheidenden Grundsatzfragen vorläufig nicht zu rechnen sei. Diese Begründung zeigt, dass sich die Antragsgegnerin des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst gewesen ist. Dies ist im Hinblick auf die Begründungspflicht nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ausreichend. Ob diese Gründe darüber hinaus geeignet sind, ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung zu belegen, ist Gegenstand der von der Kammer im Folgenden vorzunehmenden eigenständigen Interessenabwägung.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfes wiederherstellen, wenn bei einer Abwägung aller für die Entscheidung maßgeblichen Umstände das private Interesse an einem Aufschub der Vollziehung das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt. Dabei überwiegt das private Aussetzungsinteresse in jedem Fall, wenn sich die angegriffene Verfügung als offensichtlich rechtswidrig erweist. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist, so hat regelmäßig das öffentliche Vollzugsinteresse Vorrang. Sind die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs offen, bedarf es einer umfassenden Abwägung aller privaten und öffentlichen Interessen aufgrund sonstiger Gesichtspunkte, die sich nicht nur an den Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens orientieren.
Vorliegend erweist sich die Verfügung des Antragsgegners nach der hier maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der letzten behördlichen Entscheidung, des Widerspruchsbescheides, bei im vorliegenden Verfahren nur möglicher summarischer Prüfung weder als offensichtlich rechtswidrig, noch als offensichtlich rechtmäßig.
a.) Soweit die Antragstellerin zunächst gerügt hat, dass vor Erlass des Bescheides vom 6. September 2002 über die Anordnung der sofortigen Vollziehung keine erneute Anhörung erfolgt sei, vermag sie damit nicht durchzudringen. Die Vollziehbarkeitsanordnung ist kein Verwaltungsakt, so dass § 28 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes NRW ( VwVfG NRW ) weder eine unmittelbare noch eine analoge Anwendung findet.
Vgl. hierzu: Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, Stand: Januar 2002, § 80, Rdnr. 181 ff.; Püttler in Sodan/Ziekow, Nomos-Kommentar zur VwGO, Stand: Dezember 2001, § 80, Rdnr. 83, jeweils mwN.
b.) Die Antragsgegnerin hat die Sperrungsverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides vorrangig auf § 22 Abs. 2 und 3 MDStV 2002 gestützt. Danach trifft die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde bei Feststellung eines Verstoßes gegen die Bestimmungen des Staatsvertrages mit Ausnahme der §§ 10 Abs. 3, 11 Abs. 2 und 3, 14 und 16 bis 20 die zur Beseitigung erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Diensteanbieter. Hierzu gehören insbesondere die Untersagung und Sperrung von Angeboten ( § 22 Abs. 2 Sätze 1 und 2 MDStV 2002 ). Sofern die vorgenannten Maßnahmen sich gegenüber dem Verantwortlichen nach § 6 Abs. 1 MDStV 2002, wonach Diensteanbieter für eigene Informationen, die sie zur Nutzung bereit halten, nach diesem Staatsvertrag oder den allgemeinen Gesetzen verantwortlich sind, als nicht durchführbar oder nicht erfolgversprechend erweisen, können auch gegen Diensteanbieter von fremden Inhalten, die nach den §§ 7 bis 9 haftungsprivilegiert sind ("Nichtverantwortliche" ), Anordnungen zur Sperrung von Angeboten ergehen, sofern eine Sperrung technisch möglich und zumutbar ist ( § 22 Abs. 3 MDStV 2002 sowie insoweit auch § 6 Abs. 2 Satz 2 MDStV 2002 ).
Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung geht die Kammer davon aus, dass die Antragsgegnerin ihre Verfügung auch zutreffenderweise auf den Mediendienste-Staatsvertrag gestützt hat und nicht - wie die Antragstellerin meint - das Gesetz über die Nutzung von Telediensten ( Teledienstegesetz - TDG ) vom 22. Juli 1997, BGBl. I, 1870, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 2001, BGBl.I 3721, einschlägig ist. Aus der Zusammenschau der Regelungen des § 2 Abs. 2 Nr. 4 MDStV 2002 mit denjenigen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und § 1 Abs. 4 Nr. 3 TDG ergibt sich, dass entscheidendes Differenzierungsmerkmal ist, ob bei einem Informationsangebot ( eines Verteil- oder Abrufdienstes ) die redaktionelle Gestaltung zur Meinungsbildung für die Allgemeinheit im Vordergrund steht oder das Informationsangebot für eine individuelle Nutzung bestimmt ist. Nur in letzterem Fall kommt das Teledienstegesetz zur Anwendung,
vgl. z.B.: Zimmermann, Polizeiliche Gefahrenabwehr und das Internet, NJW 1999, 3145 ff.; Spindler / Volkmann, Die öffentlichrechtliche Störerhaftung der Access-Provider, K & R 2002, 398 ff.
Bei den der Sperrverfügung unterliegenden Internetangeboten steht ihrer Aufmachung und Gestaltung nach die Meinungsbildung für die Allgemeinheit und nicht ein Informationsangebot für eine individuelle Nutzung im Vordergrund. Bei der indizierten Website "http://www.nazilaucknsdapao.com" zeigt sich dies beispielsweise am Zitat eines Interviews mit Osama bin Laden mit der Überschrift: "Sterben für Israel € Nein, danke !" oder das mit "Warnung ! Eine Rechtsbelehrung für Feinde der Menschenrechte" übertitelte Elaborat. Bei der indizierten Website "http://www.stormfront.org" sind beispielhaft die mit den Titeln "Schafft befreite Zonen" und "Zentrale Thesen des dritten Weges" versehenen Artikel zu nennen. Die auf den Internetseiten befindlichen "links" zu verschiedenen Kaufangeboten stehen in erkennbarem inhaltlichen Zusammenhang zu den sonstigen Aussagen und stärken von daher die Annahme, dass vorrangiges Ziel der beiden Internetseiten die für die Allgemeinheit bestimmte Meinungsbildung ist.
c.) Es liegt auch ein Verstoß gegen Bestimmungen des Medien-Staatsvertrages vor. Die in der Verfügung angeführten Internet - Angebote dürften bereits deshalb unzulässig sein, weil sie gegen Bestimmungen des Strafgesetzbuches verstoßen ( § 12 Abs. 1 Nr. 1 MDStV 2002 ). Bei der Seite "nazilaucknsdapao.com" wird der objektive Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB bereits durch die Ankündigung des Videos "Der ewige Jude" ( Zitat: Tierfreunde aus aller Welt protestierten aufs Schärfste gegen den Vergleich von (vierbeinigen) Ratten mit ihren unendlich schlimmeren zweibeinigen Artgenossen ) verwirklicht, derjenige des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB etwa durch das Anbieten von Schriften wie "Mein Kampf". Ohne Zweifel verwirklicht ist auch der Straftatbestand des § 86 a StGB, denn das gesamte Seitenangebot wird von Hakenkreuzdarstellungen, SS-Runen u.ä. durchzogen. Eindeutig erfüllt wird dieser strafrechtliche Tatbestand auch durch die Internet-Seite "Stormfront.org" (National Socialist Graphics = http:// www.stormfront.org/gns.html). Ungeachtet der strafrechtlichen Relevanz sind die angesprochenen Internetseiten aber jedenfalls deshalb unzulässig, weil sie offensichtlich geeignet sind, Kinder und Jugendliche sittlich schwer zu gefährden ( § 12 Abs. 1 Nr. 3 MDStV 2002 ) und in sonstiger Weise die Menschenwürde zu verletzen ( § 12 Abs. 1 Nr 5 MDStV 2002 ). Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob hinsichtlich der Straftatbestände der §§ 130 und 86a StGB ein strafrechtlich relevanter Erfolg in der Bundesrepublik Deutschland eingetreten ist ( § 9 Abs. 1 StGB ) oder, wie die Antragstellerin meint, nicht. Es spricht allerdings Vieles dafür, insoweit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu folgen,
vgl.: Urteil vom 12. Dezember 2000,- 1 StR 184/00 -, abgedruckt in: Neue Juristische Wochenschrift ( NJW ) 2001, 624 ff.
der bei der vorliegenden Fallkonstellation einen strafrechtlichen Erfolgseintritt im Inland bejaht.
d.) Somit war die zuständige Aufsichtsbehörde - hier die Antragsgegnerin ( § 1 der Verordnung über die Zuständigkeiten nach dem Mediendienste-Staatsvertrag - Zuständigkeitsverordnung für Mediendienste - vom 1. Juli 1997, GV NRW, 184 ) - berechtigt, die zur Beseitigung des Verstoßes erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Nach den sich aus den Verwaltungsakten ergebenden Informationen ist - vorbehaltlich einer möglichen weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren - im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren davon auszugehen, dass Maßnahmen gegen die nach § 6 Abs. 1 MDStV 2002 in erster Linie Verantwortlichen, die Content- Provider oder Service-Provider, nicht durchführbar sind, weil sie sich in den USA befinden. Die Antragsgegnerin konnte daher Maßnahmen gegenüber der Antragstellerin ergreifen, die als Access-Provider den nach § 7 Abs. 1 MDStV 2002 privilegierten Diensteanbietern unterfallen dürfte, da sie fremde Informationen in einem Kommunikationsnetz übermittelt bzw. den Zugang zur Nutzung fremder Informationen vermittelt.
e.) Bei dem im vorliegenden Verfahren anzulegenden summarischen Prüfungsrahmen hält die Kammer die Sperrungsverfügung auch für hinreichend bestimmt. Das Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG NRW verlangt, dass aus der Regelung, d.h. aus dem Entscheidungssatz im Zusammenhang mit den Gründen, die getroffene Anordnung für die Beteiligten so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, dass sie ihr Verhalten danach richten können und sie ohne zusätzliche Konkretisierung Grundlage für die Verwaltungsvollstreckung sein kann,
vgl.: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 37, Rdnr. 5.
Dem entspricht die Verfügung der Antragsgegnerin, und zwar sowohl, was die Bestimmtheit der Anordnung selbst angeht, als auch was die Bestimmtheit des Mittels angeht. Sie ist zunächst erkennbar auf das eindeutige Ziel gerichtet, die konkret benannten individualisierbaren Internet-Seiten zu sperren. Diese Konstellation ist in rechtlicher Hinsicht etwa derjenigen einer bauordnungsrechtlichen ( Ziel -) Verfügung vergleichbar, mit der aufgegeben wird eine illegale Aufstockung eines bestimmten Wochenendhauses vollständig abzubrechen, oder einer immissionsschutzrechtlichen Verfügung, mit der Geräuscheinwirkungen über eine bestimmte Lautstärke untersagt werden,
vgl. hierzu: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 37, Rdnr. 25 ( in beiden Fällen als hinreichend bestimmt benannt )
Dass es der Adressatin überlassen bleibt, unter den angebotenen Mitteln das aus ihrer Sicht taugliche auszuwählen, ist jedenfalls dann unter Bestimmtheitsgesichtspunkten nicht zu beanstanden, wenn - wie hier - eine zahlenmäßig begrenzte Auswahl konkreter Möglichkeiten angeboten wird, vgl. hierzu: Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O, § 37, Rdnr.. 26 ff.
f.) Die Antragsgegnerin hat schließlich - jedenfalls im Widerspruchsbescheid - in rechtlich tragfähiger Weise die Ausübung des ihr zustehenden Ermessens dargelegt. Sie hat deutlich gemacht, dass sie ausgehend davon, dass ein Entschließungsermessen nicht gegeben ist, nur noch ein Ermessen bei der Auswahl des Adressaten bestanden habe. Die danach getroffene Entscheidung, die Antragstellerin in Anspruch zu nehmen, kann angesichts der von der Antragsgegnerin aufgezeigten Schwierigkeiten, die vorrangig in Anspruch zu nehmenden Content- und Service-Provider unmittelbar oder mittelbar, d.h. durch Einschaltung amerikanischer Behörden, zu erreichen, nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden.
g.) Wenngleich von der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren umfassend und nachdrücklich auf die Möglichkeiten verwiesen worden ist, unter Umgehung einer vorgenommenen Sperrung doch auf die inkriminierten Internet-Seiten zu gelangen, dürfte bei hier nur gebotener summarischer Betrachtungsweise die Verfügung der Antragsgegnerin auch ( noch ) als geeignet zur Zweckerreichung anzusehen sein. Eine effektive Gefahrenabwehr, die den Einsatz ordnungsbehördlicher Mittel rechtfertigen kann, ist nicht (generell) erst dann anzunehmen, wenn eine vollständige Beseitigung der Gefahrenlage bewirkt wird bzw. bewirkt werden kann, sondern kann - je nach Fallkonstellation - auch bereits dann anzunehmen sein, wenn sie eine ( latent bestehende ) Gefahrenlage verringert. Davon kann hier ausgegangen werden, da zum einen ein zufälliges Gelangen auf die gesperrten Web-Sites verhindert wird, zum anderen der nur durchschnittlich kundige Nutzer nicht über die Kenntnis der Umgehungsmöglichkeiten verfügt oder möglicherweise den Zeitaufwand scheut.
h.) Die Verfügung der Antragsgegnerin erweist sich danach im Ergebnis weder als offensichtlich rechtswidrig, noch - wie bereits die Vielzahl der offenen Fragen, die einer abschließenden Beantwortung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen, zeigt - als offensichtlich rechtmäßig. Die daher erforderliche umfassende ( gerichtliche ) Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragstellerin aus. Ihr Interesse an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung während des Hauptsacheverfahrens ist geringer zu gewichten als das öffentliche Interesse an einer sofortigen Sperrung der fraglichen Seiten während des Klageverfahrens. Auf Seiten der Antragstellerin sind ihr Interesse an der Aufrechterhaltung des Suspensiveffektes als gesetzliche Regel bei Einlegen eines Rechtsmittels und ein etwaiges wirtschaftliches Interesse ( Wechsel von Kunden zu anderen Access- Providern, personeller und sachlicher Aufwand zur Sperrung der Seiten ) einzustellen. Diesen Interessen steht das öffentliche Interesse gegenüber, die permanente Verwirklichung von Straftatbeständen ( § 130 StGB -Volksverhetzung- und § 86a StGB - Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen -) zu verhindern und damit der Ineffektivität des Strafrechts entgegenzuwirken, sowie hierdurch die Rechtsgüter "Menschenwürde" und "Schutz nationaler, rassischer, religiöser oder durch ihr Volkstum bestimmter Gruppen"möglichst weitgehend vor Beeinträchtigungen zu bewahren. Dem Schutz des öffentlichen Friedens, dem die Vorschrift des § 130 StGB in erster Linie dient, ist sowohl unter historischem Blickwinkel als auch zur Gewährleistung eines zuträglichen Zusammenlebens verschiedener ( auch und gerade ausländischer ) Volksgruppen im heutigen Deutschland ein hoher Stellenwert einzuräumen. Das auf den zu sperrenden Internet-Seiten verbreitete rechtsradikale Gedankengut verherrlicht nicht nur ( in primitiver Weise ) die Ideologie des Nationalsozialismus, insbesondere den darin propagierten Hass auf Juden, sondern greift auch die Würde von anderen in der Bundesrepublik lebenden Volksgruppen an. Beispielhaft genannt seien hierzu von der Internet-Seite "garylaucknsdapao.com" das Musikangebot "Die Zillertaler Türkenjäger" oder der mit einem Hakenkreuz versehene Aufkleber "Ausländer raus". Der mit der Verbreitung solcher Anschauungen verbundenen Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas soll die Sperrung der Internet-Seiten in den Anfängen wehren. Demgegenüber sind die vorgenannten Interessen der Antragstellerin als gering einzustufen. Wie sie selbst einräumt - und was durch die freiwillige Sperrung der inkriminierten Internet-Seiten durch andere Access-Provider nachgewiesen ist -, ist die Sperrung technisch möglich und verursacht - allein bezogen auf die in der Verfügung genannten Seiten - keinen großen personellen oder sachlichen Aufwand. Weitergehende Maßnahmen als die - einmalige - Sperrung, wie etwa das Nachhalten einer solchen z.B. bei einem Wechsel des Domain-Namens oder der Zuordnung der IP-Adressen zu bestimmten Websites, sind der Antragstellerin nicht aufgegeben. Ebenfalls außer Betracht bleiben muss der von der Antragstellerin angeführte Gesichtspunkt, dass zukünftig mit weiteren Sperrverfügungen zu rechnen sei und daher der notwendige Aufwand zu erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen führen könnte. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein die Sperrungsverfügung vom 6. Februar 2002. Die anderweitigen von der Antragstellerin benannten möglichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, insbesondere der Wechsel von Kunden zu anderen Providern, sind zu wenig konkret, um entscheidenden Einfluss bei der Interessenabwägung haben zu können.
Danach ist der Antrag, sowohl was den Hauptantrag als auch den Hilfsantrag betrifft, abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte hat die Kammer im hier nur summarischen Verfahren die Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwertes zugrunde gelegt.
VG Aachen:
Beschluss v. 05.02.2003
Az: 8 L 1284/02
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