Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 27. März 2002
Aktenzeichen: VI-Kart 7/02 (V)
(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 27.03.2002, Az.: VI-Kart 7/02 (V))
Tenor
Auf Antrag der Beschwerdeführerin wird die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde gegen den Beschluß des Bundeskartellamts, 9. Beschlußab-teilung, vom 18. Februar 2002 (Geschäftszeichen: B 9 - 144/01) insoweit wiederhergestellt, als die Anordnung der sofortigen Vollziehung des vorge-nannten Beschlusses zu Ziffer 1. über den Inhalt des nachfolgend aufge-führten Ausspruchs, für den die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch das Bundeskartellamt bestehen bleibt, hinausgeht:
Der D... L... AG, K..., (L...) wird gemäß § 32 GWB in Verbindung mit § 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 GWB untersagt, auf der Luftverkehrsstre-cke F...-B.../T... (beide Richtungen) einen Flugpreis (einschließlich Passagiergebühren) für die einfache Strecke (one way) pro Passa-gier zu verlangen, der nicht mindestens 30,50 Euro (in Worten: drei-ßig Euro und fünfzig Cent) über dem Flugpreis ihres Wettbewerbers G... Fluggesellschaft mbH, B..., (G...) auf dieser Strecke (one way, einschließlich Passagiergebühren) liegt. Soweit L... und/oder G... ein Ticket für Hin- und Rückflug (RT) anbieten, gilt der halbe RT-Preis als Preis für die einfache Strecke.
Falls G ihren Flugpreis über derzeit 99 Euro (one way, einschließlich Passagiergebühren) anhebt, muß L... dennoch keinen höheren Flugpreis als 129,50 Euro (one way, einschließlich Passagiergebüh-ren) verlangen. Die Verpflichtung der L..., auf der bezeichneten Stre-cke höhere Flugpreise als G... zu fordern, entfällt gänzlich, wenn und solange G... einen Flugpreis (one way, einschließlich Passagierge-bühren) von 129,50 Euro oder mehr verlangt.
Im übrigen wird der am 1. März 2002 gestellte Antrag auf Wiederherstel-lung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
A.
Die in B... ansässige G... Fluggesellschaft mbH (im folgenden: G...) nahm am 12. 11. 2001 Linienflüge zwischen F... (am M...) und B...-T... auf. Sie bot den Linienflug zunächst für 99 Euro (one way einschließlich Passagiergebühren, flexibles Economy-Ticket ohne wesentliche Restriktionen) und kurz darauf für 55 Euro an - dies mit Blick auf die Reaktion der L... AG (im folgenden: L...), die sofort zur Ergänzung ihrer voll flexiblen RT-Tarife (Round Trip, Hin- und Rückflug) in der Economy-Klasse für die Flugstrecke B...-F... von bisher 485 Euro einen neuen Billig-Tarif von 200 Euro (RT einschließlich Passagiergebühren, mittlerer Preis der einfachen Strecke also 100 Euro) einführte. Zum Jahresbeginn 2002 hob G... den Linienflugpreis (one way) wieder auf 99 Euro an. Am 1. 1. 2002 ersetzte L... den vorgenannten Billig-Tarif (durchschnittlich 100 Euro pro Strecke) durch den neuen Tarif "M-Fly-OW" (d.h. Economy-Flug One Way). Danach kostet der Flug B...-F... derzeit 105,11 Euro und der Flug F...-B... 105,31 Euro (mittlerer Preis der einfachen Strecke also 105,21 Euro, jeweils einschließlich Passagiergebühren). Zum selben Zeitpunkt hob L... den Tarif in der (normalen) Economy-Klasse (F...-B... RT) von 435 auf 439 Euro (ohne Passagiergebühren) an.
Das Bundeskartellamt leitete gegen L... wegen Verdachts des Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und der unbilligen Behinderung eines Wettbewerbers (im Sinne der §§ 19, 20 GWB) im November 2001 ein Verwaltungsverfahren ein. Dieses Verfahren hat es am 18. 2. 2002 mit einem Beschluß folgenden Inhalts abgeschlossen:
Der L... wird gemäß § 32 GWB i. V. m. § 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 GWB untersagt, auf der Luftverkehrsstrecke F...-B.../T... (beide Richtungen) einen Flugpreis (einschließlich Passagiergebühren) für die einfache Strecke pro Passagier zu verlangen, der nicht mindestens 35 Euro über dem Flugpreis (einschließlich Passagiergebühren) ihres Wettbewerbers G... auf dieser Strecke liegt. Im Falle eines Angebots für ein RT-Ticket gilt der halbe RT-Preis als Preis für die einfache Strecke.
Falls G... ihren Flugpreis über derzeit 99 Euro anhebt, muß L... dennoch keinen höheren Flugpreis als 134 Euro (jeweils one way, einschließlich Passagiergebühren) verlangen. Die Verpflichtung der L..., auf der bezeichneten Strecke höhere Flugpreise als G... zu fordern, entfällt gänzlich, wenn und solange G... einen Flugpreis (one way, einschließlich Passagiergebühren) von 134 Euro oder mehr verlangt.
Die Verpflichtung zu 1. gilt nicht für Flugpreise der L..., die mit den einschränkenden Konditionen einer fehlenden Umbuchungsmöglichkeit und/oder einer Mindestaufenthaltsdauer (mindestens 2 Tage oder Sunday rule) und/oder einer Beschränkung der Flüge auf das Wochenende verbunden sind. Diese Verfügung gilt für die Dauer von 2 Jahren seit ihrem Erlaß (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG). Der Widerruf dieser Verfügung bleibt vorbehalten (§ 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG). Die sofortige Vollziehung dieser Verfügung gemäß § 65 Abs. 1 und 2 GWB i. V. m. § 64 Abs. 1 Nr. 2 GWB wird angeordnet.
Gegen diesen Beschluß hat L... rechtzeitig Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom 1. 3. 2002 hat sie gemäß § 65 Abs. 3 GWB beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde wieder herzustellen, weil ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Untersagung bestünden, und weil außerdem die Anordnung der sofortigen Vollziehung, deren gesetzliche Voraussetzungen (§ 65 Abs. 1 GWB) nicht erfüllt seien, rechtswidrig sei.
B.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde hat gemäß § 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB nur zu einem geringen Teil Erfolg.
Antragsgrund "ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
der angefochtenen Verfügung"
Wie schon aus dem Gesetzeswortlaut ("ernstliche Zweifel") hervorgeht, dürfen an die Aufhebung der gemäß § 65 Abs. 1 GWB getroffenen kartellbehördlichen Anordnung, also an die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gemäß § 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB keine geringen Anforderungen gestellt werden. Die Zweifel tatsächlicher und/oder rechtlicher Art gegenüber der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung müssen im Rahmen der summarischen Prüfung in dem Verfahren nach § 65 GWB so erheblich sein, daß nach der Prognose des Gerichts die (gegebenenfalls teilweise) Aufhebung der angefochtenen Verfügung überwiegend wahrscheinlich, also wahrscheinlicher als ihre Bestätigung ist (vgl. Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 65, Rdnr. 13; vgl. auch Senatsbeschluß vom 11. 4. 2001 - Kart 22/01 (V) - WuW/E DE-R 665, 666 II. 2. a.E., "NetCologne I"). Ist dagegen die Rechtslage offen, werden die Voraussetzungen des § 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde im allgemeinen nicht als erfüllt angesehen werden können (vgl. Karsten Schmidt a.a.O., m. w. Nachw.).
1. Nach diesen Prüfungskriterien bestehen derzeit keine "ernstlichen Zweifel" an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses dem Grunde nach (§ 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 GWB i. V. m. § 32 GWB).
a) Marktbeherrschende Stellung der L...: Es sprechen nach dem jetzigen Erkenntnisstand die besseren Gründe dafür, daß das Bundeskartellamt den sachlich und räumlich relevanten Markt richtig abgegrenzt (aa) und eine beherrschende Stellung der L... auf dem relevanten Markt zutreffend festgestellt hat (bb).
aa) In räumlicher Hinsicht kommt es für die Abgrenzung der Märkte für Personenbeförderungsleistungen jedenfalls dann, wenn in diese Prüfung der Flugverkehr einzubeziehen ist, auf die einzelne Flugstrecke und nicht etwa - wie L... erwägt - auf das von der anbietenden Fluggesellschaft bediente Netz an. Die jeweilige Flugstrecke ist aus der maßgeblichen Sicht der Marktgegenseite - des die Beförderungsleistung nachfragenden Reisenden - für die Beurteilung der Wettbewerbslage und für die Prüfung, ob die jeweiligen Anbieter die wettbewerbs- und kartellrechtlichen Regeln beachten, der allein sachgerechte Anknüpfungspunkt. Der räumlich relevante Markt ist daher hier begrenzt auf die Strecke F...-B... in beiden Richtungen (vgl. BGH NJW 2000, 76, 77 - "Flugpreisspaltung").
In Übereinstimmung mit der vorstehend zitierten BGH-Entscheidung hat das Bundeskartellamt den sachlich relevanten Markt wegen der besonderen Eigenschaften der Flugzeugbeförderung (Schnelligkeitsvorsprung) auf den Flugverkehr begrenzt, zu dem landgebundene Verkehrsträger einschließlich des ICE-Bahnverkehrs keine funktionell gleichwertige Alternative bieten. Das gilt insbesondere für die größte Gruppe unter den Nachfragern nach Flugreiseleistungen, die Geschäftsreisenden (rund 74 % der Flugpassagiere). Was die "normalen" ICE-Züge (mit Zwischenhalten) anbelangt, sind die Verkehrszeiten auf der Strecke F...-B... seit dem Zeitpunkt der BGH-Entscheidung und auch seit dem davorliegenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (im Jahre 1997) - nach der unwidersprochen gebliebenen Feststellung des Bundeskartellamts - nicht kürzer geworden. Von daher erscheint es verfehlt, die Richtigkeit der Auffassung, daß der "normale" ICE-Bahnverkehr hier nicht zum sachlich relevanten Markt gehört, ernstlich zu bezweifeln (im Sinne des § 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB). Anders mag es sich mit den ICE-Sprinter-Zügen (Non-Stop-Verbindung zwischen F... und B...) verhalten, die von der Deutsche Bahn AG erst ab dem Jahr 2000 eingesetzt worden sind und die Fahrtzeit im Vergleich zum "normalen" ICE-Bahnverkehr nicht unerheblich verkürzen. Dem Bundeskartellamt ist zwar zuzugeben, daß die Einbeziehung des ICE-Sprinter-Verkehrs in den sachlich relevanten Markt insofern problematisch ist, als die Deutsche Bahn AG die ICE-Sprinter-Züge zwischen F... und B... mit je einem sich kreuzenden Zugpaar nur einmal morgens und einmal abends (und nur Montag bis Freitag und am Sonntagabend) einsetzt, so daß dieses Verkehrsangebot wegen der zumindest für viele Geschäftsreisende unzureichenden Frequenz nicht funktionell austauschbar mit dem Flugverkehrsangebot einer Fluggesellschaft wie der L... ist. Das braucht aber im jetzigen Verfahrensstadium nicht entschieden zu werden. Denn selbst wenn man den ICE-Sprinter-Verkehr in den relevanten Markt einbezieht, läßt es sich ernstlich nicht bezweifeln, daß der L... eine marktbeherrschende Stellung zukommt (s. die nachfolgende Berechnung unter bb)).
Entgegen der Ansicht der L... sind die touristischen Reisenden - genauer: die Personenbeförderungsleistungen, die von touristischen Reisenden nachgefragt werden - aus dem sachlich relevanten Markt nicht herauszurechnen. Denn die touristischen Reisenden gehören, wenn auch mit einer erheblich geringeren Quote, auf der für die Marktabgrenzung maßgeblichen Marktgegenseite ebenso zu den Nachfragern nach den Personenbeförderungsleistungen wie die Geschäftsreisenden. Es gibt auch keine Flugverkehrsleistungen und keine Tarife, die bestimmungsgemäß nur Geschäftsreisenden oder nur touristischen Reisenden vorbehalten sind, so daß es deshalb gerechtfertigt sein könnte, getrennte (Teil-) Märkte zu bilden. Unerheblich ist es für die Feststellung der marktbeherrschenden Stellung, ob bestimmte Tarife aus tatsächlichen Gründen eher für Geschäftsreisende oder für touristische Reisende in Betracht kommen (diese Unterscheidung kann allenfalls für die Frage bedeutsam werden, ob ein bestimmter vom Marktbeherrscher eingeführter Tarif einen anderen Wettbewerber unbillig behindert oder dessen Wettbewerbsmöglichkeiten ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtigt). Folglich bilden alle Personenbeförderungsleistungen, die im Flugverkehr sowie - eventuell - im ICE-Sprinter-Verkehr erbracht werden und von Reisenden, sei es von Geschäfts-, sei es von touristischen Reisenden, nachgefragt werden, einen einheitlichen sachlich relevanten Markt. Aus diesem sind auch - wiederum entgegen der Ansicht der L... - die Umsteigerpassagiere nicht herauszurechnen. Sie nehmen als Nachfrager auf der Strecke F...-B... ebenso die Flugbeförderungsleistungen in Anspruch wie die sogenannten Lokalpassagiere (Passagiere, deren jeweilige Flugreise sich auf die Strecke F...-B... und/oder zurück beschränkt). Daß sich die Flugreise der Umsteigerpassagiere noch aus weiteren Flugstrecken zusammensetzt, hat nichts mit der Frage zu tun, ob und wer auf der Flugstrecke F...-B... eine marktbeherrschende Stellung innehat.
bb) Auf dem vorstehend abgegrenzten sachlich und räumlich relevanten Markt hat L... nach den vom Bundeskartellamt vorgetragenen Daten derzeit einen Marktanteil von mindestens 73 %: Die Gesamtzahl der von L... vor dem Markteintritt der G... auf der Flugstrecke F...-B... beförderten Passagiere betrug 1,56 Millionen jährlich. G... befördert(e) in den vier Monaten von Januar bis April 2002 (hochgerechnet) maximal 43.000 Passagiere (vgl. Seite 12 des Schriftsatzes des Bundeskartellamts vom 14. 3. 2002), auf ein Jahr hochgerechnet also maximal 130.000 Passagiere. Wenn man zugunsten der L... annimmt, daß G... ihr diese Kunden "abgenommen" hat, verbleiben L... noch 1,43 Millionen Passagiere. Wenn man dem Marktvolumen - wiederum zugunsten der L... - die ICE-Sprinter-Reisenden der 1. Klasse (max. 100.000) und sogar noch der 2. Klasse (max. 300.000) hinzurechnet, erhöht es sich auf 1,96 Millionen Reisende. 1,43 Millionen machen rund 73 % von 1,96 Millionen aus.
Da der L... bisher keine Einsicht in die Auskunft der Deutsche Bahn AG gewährt worden ist, aus der das Bundeskartellamt die "Maximal"-Angaben über die Anzahl der ICE-Sprinter-Reisenden entnommen hat, mag ferner zugunsten L... die von ihr geschätzte Zahl an ICE-Sprinter-Reisenden (500.000; vgl. Seite 27 des Schriftsatzes vom 1. 3. 2002) bei der Marktanteilsberechnung berücksichtigt werden: Ihr Marktanteil ermäßigt sich dann - berechnet nach der im vorstehenden Absatz verwendeten Methode - auf rund 69,4 % (1,43 Millionen von 2,06 Millionen).
Bei einem so hohen Marktanteil, der mehr als doppelt so hoch ist wie der für die Marktbeherrschungsvermutung (§ 19 Abs. 3 Satz 1 GWB) ausreichende Marktanteil, und bei der den Wettbewerber G... weit überragenden Finanzkraft und den sonstigen Ressourcen der L... (u. a. der Frequenzdichte des Flugplans auf der hier relevanten Strecke) bestehen derzeit keine ernstlichen Zweifel daran, daß L... auf dem relevanten Markt eine marktbeherrschende Stellung zumindest in Form einer überragenden Marktstellung (§ 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB) hat. Das gilt auch mit Blick auf die Deutsche Bahn AG. Insoweit weist das Bundeskartellamt auf die Tatsache hin, daß L... ihr hohes Niveau der Flugpreise trotz des Auftretens der ICE-Sprinter-Züge auf dem Markt (Mitte 2000) unverändert gelassen hat und lassen konnte [die Einführung des Billig-Tarifs M-Fly-OW ist unstreitig nur durch das Auftreten des neuen Wettbewerbers G... verursacht worden]. Das Bundeskartellamt sieht in dieser Tatsache - einleuchtend - ein Anzeichen, daß die Deutsche Bahn AG den Verhaltensspielraum der L... auf dem relevanten Markt jedenfalls bei der jetzigen Frequenz der ICE-Sprinter-Züge nicht wirksam kontrollieren kann.
b) Mißbräuchliche Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung: Nach dem jetzigen Erkenntnisstand bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Würdigung des Bundeskartellamts, daß L... vermöge ihrer marktbeherrschenden Stellung mit dem Billig-Tarif M-Fly-OW in der jetzigen preislichen Ausgestaltung die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen - hier: des neu in den Markt eingetretenen Wettbewerbers G... - in einer für den Wettbewerb auf dem Markt erheblichen Weise ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtigt (§ 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB).
Das Bundeskartellamt ist davon überzeugt, daß die Reaktion der L... auf den Markteintritt der G... in einer Verdrängungsstrategie bestand (und besteht) und der neue M-Fly-OW-Billigtarif das strategische Mittel dafür darstellt, als sogenannter Kampfpreis die Wettbewerbsmöglichkeiten der G... zu beeinträchtigen und sie von der Flugroute F...-B... wieder zu verdrängen. Damit ordnet das Bundeskartellamt das Verhalten der L... der Fallgruppe der gegen einen bestimmten Wettbewerber gerichteten gezielten Preisunterbietung zu, mit der das marktbeherrschende Unternehmen unter Einsatz nicht leistungsgerechter, kaufmännische Kalkulationsgrundsätze mißachtender Niedrigpreise die Verdrängung des Mitbewerbers aus dem Markt bezweckt. Bei dieser Fallgruppe handelt es sich um einen in Rechtsprechung und Literatur anerkannten Anwendungsfall des sogenannten Behinderungsmißbrauchs im Sinne der §§ 19 Abs. 4 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB (und auch des § 1 UWG; vgl. BGH WuW/E BGH 2195, 2199 f. - "Abwehrblatt II"; Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 19, Rdnr. 122; Markert, ebenda, § 20, Rdnr. 194; jeweils m. w. Nachw.). Es bestehen in der Tat keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Würdigung, daß L... ihre marktbeherrschende Stellung zu einem Verdrängungswettbewerb gegen G... ausnutzt, der sachlich nicht gerechtfertigt ist. Dabei ist diese Würdigung - wie es für die Anwendung des § 19 Abs. 4 Nr. 1 (und auch des § 20 Abs. 1) GWB oft der Fall ist - auf Indizien sowie auf eine Zusammenschau subjektiver und objektivierender Kriterien angewiesen (vgl. Möschel a.a.O.).
aa) L... räumt in ihrer Antragsbegründung ein, die Einführung und die Praktizierung des neuen Tarifs M-Fly-OW sei nur eine Reaktion auf die Aufnahme des Flugbetriebs auf der Strecke F...-B... durch G... und verfolge das Ziel, Einnahmeverluste aufgrund des Flugangebots der G... möglichst zu minimieren, d. h. - mit anderen Worten - die wirtschaftlichen Verluste durch Abwanderungsbewegungen von Passagieren aufgrund des von G... angebotenen günstigen Tarifs möglichst gering zu halten (Schriftsatz vom 1. 3. 2002, S. 8, 31). Das bedeutet, daß der "günstige Tarif" der G... die L... nicht veranlaßt hat, ihre eigenen Flugpreiskalkulationen daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht im Preis-Leistungsverhältnis zu Lasten der Verbraucher zu hoch sein könnten und daher der Anpassung - auch unter dem Wettbewerbsdruck - bedürften. Vielmehr hat L... nach ihrem eigenen Eingeständnis den zusätzlichen Billig-Tarif als strategisches Mittel eingesetzt, um Umsatzverlagerungen von ihr zu G... hin so weit wie möglich - im Erfolgsfall mit Tendenz nach Null - zu minimieren. Das bedeutet aber in der Tendenz, daß L... mit dem Einsatz dieses strategischen Mittels bezweckte, der G... die Aufrechterhaltung des soeben aufgenommenen Flugverkehrs binnen relativ kurzer Zeit unmöglich zu machen oder - mit anderen Worten - sie vom hier relevanten Markt wieder zu verdrängen. Denn das Bundeskartellamt geht realistischerweise davon aus (S. 19 des angefochtenen Beschlusses, letztlich in Übereinstimmung mit L...), daß G... zur Erreichung eines wirtschaftlich tragfähigen Sitzladefaktors (einer wirtschaftlich genügenden Auslastung ihrer Flugzeuge) im wesentlichen Fluggäste gewinnen muß, die bisher mit L... geflogen sind. Gerade daran will L... durch den Einsatz jenes strategischen Mittel (Billig-Tarif M-Fly-OW) G... hindern.
Dieses Hindern reicht allerdings für sich genommen noch nicht für die Feststellung eines die marktbeherrschende Stellung mißbrauchenden Behinderns (im Sinne des § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB) aus. Denn das Bestreben eines marktbeherrschenden Unternehmens, durch seine Preisgestaltung einen Konkurrenten aus dem Markt zu verdrängen, ist allein noch nicht ohne weiteres mit einem Unwerturteil zu versehen, wenn sich das Unternehmen dabei der Mittel des Leistungswettbewerbs bedient (BGH WuW/E BGH 2195, 2199). Hierzu führt der Bundesgerichtshof (a.a.O.) als Beispiel an, daß das Unternehmen etwa als Folge der Kostendegression günstiger kalkulieren und niedrigere (wenngleich immer noch auskömmliche) Preise vorsehen kann als der - möglicherweise weniger erfolgreiche - Konkurrent. Vielmehr ist neben dem Zweck, den das marktbeherrschende Unternehmen mit seinem Verhalten verbindet, auch die Bewertung des von ihm hierfür eingesetzten Mittels in die zum Tatbestandsmerkmal "ohne sachlich gerechtfertigten Grund" immer notwendige Abwägung der Interessen des betroffenen (= behinderten) Wettbewerbers mit denen des marktbeherrschenden Unternehmens einzubeziehen, wobei die auf die Sicherung von Wettbewerbsstrukturen und Marktzutrittschancen ausgerichtete Zielsetzung des Gesetzes mit besonderem Gewicht zu berücksichtigen ist (vgl. Möschel a.a.O., § 19, Rdnr. 115; Schultz in Langen/Bunte, GWB, 9. Aufl., § 19, Rdnr. 138).
Die Notwendigkeit, auch das eingesetzte strategische Mittel selbst einer Bewertung zu unterziehen, erübrigt sich nicht schon deshalb, weil dieses Mittel in der Kausalität wirtschaftlicher Abläufe geeignet war und ist, die Einnahmeverluste, die der L... aufgrund des Marktzutritts der G... drohten, zu verringern ("zu minimieren"), und der Tarif M-Fly-OW daher - wie L... meint (Schriftsatz vom 21. 3. 2002, S. 11 f.) - auf einer betriebswirtschaftlich vernünftigen Kalkulation beruhe (mit dieser Argumentation knüpft L... methodisch an einen Rechtfertigungsgedanken des BGH für eine Preisunterbietung an, WuW/E BGH 2195, 2200 - "Abwehrblatt II"). Würde man dieser Erwägung der L... zustimmen, müßte man jede erfolgversprechende Verdrängungsstrategie eines marktbeherrschenden Unternehmens, da es sich mit ihr eines Wettbewerbers entledigen und damit die eigenen Einnahmechancen steigern könnte, aus seiner (des Marktbeherrschers) Sicht als "betriebswirtschaftlich vernünftig" ansehen.
bb) Hinsichtlich der Bewertung des von L... zu dem Zweck eingesetzten Mittels, G... daran zu hindern, bisher mit L... geflogene Passagiere zu gewinnen und damit den Wettbewerb mit L... erfolgreich aufzunehmen und zu bestehen (s. oben), meint L..., bei dem Tarif M-Fly-OW handele es sich (lediglich) um den Eintritt in die Preise des Wettbewerbers und eine solche Maßnahme stelle grundsätzlich eine sachlich gerechtfertigte Marktreaktion dar.
(1) Wäre diese Bewertung der L... richtig, so müßte die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses ernstlich bezweifelt werden. Denn zu den Grundlagen der vom Bundeskartellamt verfügten Untersagung gehört die Feststellung, daß L... mit ihrem Tarif M-Fly-OW G... im Hinblick auf das Preis-Leistungs-Verhältnis unterbietet. Ein bloßes Einsteigen von L... in die Preise der G... wollte das Bundeskartellamt nicht untersagen. Indessen bestehen dem Grunde nach keine ernstlichen Zweifel (im Sinne des § 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB) an der Richtigkeit der Würdigung des Bundeskartellamts, daß L..., obwohl sie mit ihrem M-Fly-OW-Tarif nominal einen geringfügig höheren Flugpreis als G... verlangt, bei angemessener Berücksichtigung des mit der Flugleistung verbundenen Leistungsbündels tatsächlich für die bloße Flugleistung, die der von G... erbrachten Gesamtleistung vergleichbar ist, einen geringeren Preis verlangt als G.... Mit diesen die G...-Leistung übersteigenden Mehrleistungen der L..., die (auch) im Tarif M-Fly-OW inbegriffen sind, sind insbesondere die für die Passagiere wichtigen Vorteile der weitaus größeren Frequenzdichte im Flugplan, die Gewährung der sogenannten Bonusmeilen im Programm "Miles &More" sowie das Catering nebst Zeitung gemeint.
Daß die im L...-Tarif inbegriffenen Mehrleistungen für die Bewertung des von L... gegenüber G... eingesetzten Mittels (neuer Tarif M-Fly-OW) am Maßstab des § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB relevant sind, ergibt sich aus folgendem: Wenn L... genau den gleichen Flugpreis (99 Euro) für ihr gesamtes Leistungsbündel berechnen würde wie G... für ihre (bloße) Flugleistung, wäre besonders augenfällig, daß das Angebot der G... aus der maßgeblichen Sicht der Marktgegenseite, der Nachfrager, im Vergleich zum Angebot der L... unattraktiv wäre und keine realistischen Chancen hätte, sich durchzusetzen, außer als Ersatzleistung in den seltenen Fällen, in denen eine Flugverbindung der L... ausgebucht ist. Tatsächlich steht G... von den Präferenz-Faktoren, die bei der Auswahl einer Fluggesellschaft durch die Nachfrager eine Rolle spielen, hauptsächlich nur der günstige Preis zur Verfügung, wie das Bundeskartellamt (auf S. 9 f. seines Beschlusses) überzeugend dargestellt hat. Wenn aber G... keinen Preisvorteil bieten könnte und statt dessen ihr Angebot gegenüber demjenigen der L... sogar Leistungsnachteile aufwiese, hätte G... im Wettbewerb um Passagiere, insbesondere um Geschäftskunden keine Chance. Wäre eine solche Wettbewerbssituation auf ein Verhalten der L... zurückzuführen, etwa auf eine Absenkung ihres Tarifpreises für das Leistungsbündel auf den nominalen G...-Preis von 99 Euro, so käme dies wegen des Leistungsgefälles zwischen den Wettbewerbern einer Preisunterbietung durch L... gleich. Das müßte so auch in die Bewertung am Maßstab des § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB einfließen. An dieser Wettbewerbssituation ändert sich grundsätzlich auch dann noch nichts (es handelt sich nur um einen graduellen Unterschied), wenn L... ihren Endpreis im Billig-Tarif gegenüber dem G...-Tarif (wie geschehen) geringfügig anhebt, soweit und solange die Attraktivität der erwähnten Mehrleistungen aus der maßgeblichen Sicht der Nachfrager die nominale Preisdifferenz übersteigt. Das ist ein Problem der Höhe, dem im Zusammenhang unten unter 2. nachgegangen wird. Hier sei nur vorweggenommen, daß keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Bewertung des Bundeskartellamts bestehen, daß der Wert der Mehrleistungen aus der Sicht des durchschnittlichen Passagiers jedenfalls deutlich über der bloßen Preisdifferenz von 6,21 Euro liegt.
Entgegen der Ansicht der L... kann die Berücksichtigung der Mehrleistungen bei der Bewertung des Tarifs M-Fly-OW nicht mit dem Einwand als verfehlt bezeichnet werden, sie laufe auf eine umfassende, durch § 19 GWB nicht mehr gedeckte Kontrolle der Unternehmenspolitik der L... hinaus. Richtig ist demgegenüber, daß nur die Preise von zwei Wettbewerbern miteinander verglichen werden, wobei zur Herstellung der Vergleichbarkeit die Leistungsunterschiede gewichtet und bewertet werden müssen. Daher scheidet auch der weitere Einwand der L... aus, unterschiedliche Qualitätsfaktoren dürften deshalb nicht bei der Bewertung des Preises gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB berücksichtigt werden, weil sonst auch mehrere Wege zur Abstellung eines etwaigen Mißbrauchs zugelassen werden müßten, entweder eine Anhebung des Preises oder eine Verringerung der Qualität oder eine Kombination beider Maßnahmen. Da der wichtigste Wettbewerbsparameter für den nachstoßenden Wettbewerb, dessen einziger Repräsentant derzeit G... ist (bei einer durchaus vertretbaren engen sachlichen Marktabgrenzung nur auf den Flugverkehr), im (günstigen) Preis besteht, ist der sachgerechte Anknüpfungspunkt für eine kartellbehördliche Untersagung eben der Preis und nicht die Qualitätsfaktoren. Zu einer Verminderung der Qualitätsfaktoren darf die Kartellbehörde ein Unternehmen gar nicht anhalten, wohl aber zu einer der Rechtslage entsprechenden Veränderung der Preisgestaltung. Im übrigen schafft L..., wenn sie aus dem Tarif M-Fly-OW bestimmte Mehr- oder Zusatzleistungen herausnehmen sollte, damit einen neuen Sachverhalt, der das Bundeskartellamt (worauf es schon hingewiesen hat, Schriftsatz vom 14. 3. 2002, S. 21) nach § 51 VwVfG verpflichtet, seine Entscheidung zu überprüfen, ggfs. abzuändern oder aufzuheben. Folglich wird der L... nichts an Flexibilität, wie sie auf den Mißbrauchsvorwurf reagieren will, genommen.
Festzuhalten ist daher, daß keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Würdigung des Bundeskartellamts bestehen, daß L... mit dem Tarif M-Fly-OW den G...-Flugpreis faktisch unterbietet und es damit G... praktisch so gut wie unmöglich macht, mit dem wichtigsten ihr zu Gebote stehenden Wettbewerbsparameter, dem Preis (wenn man von 99 Euro als "Fixpunkt" ausgeht, s. dazu sogleich), im Wettbewerb mit L... zu Erfolgen zu kommen sowie den Marktzutritt auf Dauer zu erreichen und zu festigen.
(2) Dem kann L... beim jetzigen Erkenntnisstand nicht mit Erfolg entgegenhalten, daß einerseits der Tarif M-Fly-OW nicht voll flexibel und daher für Geschäftsreisende nicht geeignet oder allenfalls nur sehr eingeschränkt geeignet sei, andererseits gerade der Wettbewerb der Anbieter um die Geschäftsreisenden (wegen ihres Anteils von rund 74 % der Flugpassagiere) für den Markterfolg im Flugverkehr entscheidend sei. Folglich sei der Tarif M-Fly-OW nicht geeignet, G... vom Markt zu verdrängen.
Demgegenüber weist das Bundeskartellamt darauf hin, daß L... den Tarif M-Fly-OW selbst als "vollflexiblen Tarif", also mit dem Fachausdruck für Tarife, die sich an Geschäftsreisende wenden, bezeichne (in ihren Eckpunkten für ein Settlement unter 2.4, Bl. 206 d. BA). Dem entspricht es, daß L... ihre Ankündigung der "Preisoffensive mit neuem One-Way-Tarif" vom 9. 11. 2001 (Bl. 8 d. BA) so formuliert hat, daß sich gerade Geschäftsreisende durch "diesen neuen supergünstigen One-Way-Tarif für die Economy-Class" angesprochen fühlen mußten. Es ist kaum anzunehmen, daß sich L... in der eigenen Einschätzung der Eignung dieses Tarifs für (auch zeitsensible) Geschäftsreisende geirrt haben sollte. Es bestehen jedenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Bewertung des Bundeskartellamts, daß der M-Fly-OW-Tarif im Regelfall für jeden Geschäftsreisenden flexibel genug ist, um ihn zu buchen. Denn im Vergleich zu der enormen Preisersparnis von rund 139 Euro (= rund 57 % des "normalen" Economy-Tarifs von rund 244 Euro, jeweils one way) sind die Restriktionen des Tarifs M-Fly-OW relativ gering: Hin- und Rückflug können nicht mit ein und derselben Handlung gebucht werden (das Bundeskartellamt spricht plastisch davon, daß zwischen den beiden formal getrennten Buchungen eine Wartezeit von "einigen Mausklicks" liegen muß). Eine Umbuchung, die immerhin möglich ist, kostet 22 Euro (= rund 16 % der Preisersparnis) und ist nur bis zum gebuchten Abflug möglich, sonst verfällt der Ticketpreis ersatzlos. Infolge der Kontingentierung der zum M-Fly-OW-Tarif buchbaren Plätze in den einzelnen Linienflugzeugen der L... scheinen (rechtzeitig beantragte) Umbuchungen - nach dem Vortrag der L... - nicht beliebig möglich zu sein (ob das ein ernstzunehmender Nachteil ist, ist bisher ungewiß; denn Zahlenmaterial darüber, wie oft und mit welcher Quote Umbuchungsanträge von Kunden aus diesem Grunde keinen Erfolg hatten, mit der Folge des Verfalls des Ticketpreises, ist von L... nicht unterbreitet worden). Schlimmstenfalls (höchstwahrscheinlich selten) muß der Kunde statt eines verfallenen Tickets ein neues für (im Durchschnitt) 105,21 Euro buchen, wodurch sich die - immer noch vorhandene - Preisersparnis auf rund 24 % reduziert. Nicht unerwähnt sollte bleiben, daß sich die vorgenannten Einschränkungen, außer der erstgenannten wirklich zu vernachlässigenden Einschränkung, Hin- und Rückflug getrennt buchen zu müssen (worin im übrigen der einzige Unterschied zum G...-Tarif liegt, der die anderen Restriktionen auch aufweist), nur bei einem Teil der Flugbuchungen tatsächlich auswirken (die Quote ist unbekannt) und das Risiko für den einzelnen Geschäftsreisenden oft kalkulierbar sein wird. Es erscheint daher realistisch und einleuchtend, daß sich G... mit ihrem direkt vergleichbaren Tarif - nach ihren eigenen Angaben - gezielt an Geschäftsreisende wendet (Bl. 308 d. BA). Wenn dem aber so ist, kann an der Eignung des Tarifs M-Fly-OW, mit Blick auf den Anbieterwettbewerb um Geschäftsreisende G... vom Markt zu verdrängen, nach dem jetzigen Sachstand nicht ernstlich gezweifelt werden.
(3) L... kann im vorliegenden summarischen Verfahren nach § 65 Abs. 3 GWB ferner nicht mit Erfolg geltend machen, ihr Tarif M-Fly-OW sei deshalb nicht geeignet, den neuen Wettbewerber G... vom Markt zu verdrängen, weil G... für einen kostendeckenden Flugbetrieb keine Einnahme von 99 Euro pro Fluggast (one way, einschließlich Passagiergebühren) benötige, sondern mit einem deutlich niedrigeren Flugpreis, nach eigenen öffentlichen Verlautbarungen sogar schon mit einem Ticketpreis von 55 Euro auskomme.
Das Bundeskartellamt hat dargelegt, daß es Ermittlungen zur Kosten- und Erlössituation der G... durchgeführt habe. Danach habe G... in der Zeit vom 12. 11. bis zum 31. 12. 2001 bei ihrem damals angewendeten Flugtarif von 55 Euro (one way, einschließlich Passagiergebühren) jede Woche einen Negativsaldo zu verzeichnen gehabt, obwohl die Auslastung bis 21. 12. 2001 auf über 70 % habe gesteigert werden können. Bei einem Flugpreis von 55 Euro benötige G... eine durchschnittliche Auslastung bei allen Flügen von fast 100 %, die aber praktisch nicht zu erreichen sei, was L... aus eigenen Erfahrungen (mit einem von ihr erzielten Sitzladefaktor von 72 %) wisse. Nach der Flugpreiserhöhung auf 99 Euro per 1. 1. 2002 sei die Auslastung der G...-Flugzeuge pro Woche über 51 % (1. Kalenderwoche) auf 33 % (Woche vom 4. - 10. 2. 2002) zurückgegangen. G... erreiche jedoch mit einem Flugpreis von 99 Euro eine Vollkostendeckung erst ab einem Sitzladefaktor von 61 % (Schriftsatz vom 14. 3. 2002, S. 4 u. 22). L... meint zwar unter Hinweis auf § 71 Abs. 1 Satz 2 GWB, daß diese Ermittlungen nicht verwertet werden dürften, weil ihr keine Einsicht in die als Geschäftsgeheimnis deklarierten Ergebnisrechnungen der G... gewährt worden sei. Das mag im Hauptverfahren geklärt werden. Im vorliegenden summarischen Eilverfahren kommt es darauf jedoch aus folgendem Grund nicht an:
L... weiß selbst aufgrund ihrer Streckenergebnisrechnung für das Jahr 2000, daß sie bei einem damaligen Sitzladefaktor von 64,5 % durchschnittliche Kosten pro zahlenden Fluggast (nach eigener Rechnung, ohne Passagiergebühren) von 184,92 DM (= 94,55 Euro) hatte (S. 12 f. des angefochtenen Beschlusses, m. w. Nachw.). Das Bundeskartellamt hat (ohne Widerspruch von L...) errechnet, daß eine Erhöhung dieses Sitzladefaktors um 1 % zu einem Sinken der durchschnittlichen Kosten pro Zahlgast um 1,64 Euro führt. Ein Absinken des Ladefaktors müßte dann zu einer entsprechenden Erhöhung der durchschnittlichen Kosten pro Zahlgast führen. Das würde bei einem Absinken des Sitzladefaktors auf 61 % eine Erhöhung der durchschnittlichen Kosten in der Größenordnung von (3,5 x 1,64 Euro =) 5,74 Euro verursachen, mit dem Ergebnis durchschnittlicher Kosten pro Zahlgast in Höhe von 100,29 Euro. Andererseits verbleibt von einem Bruttoticketpreis von 99 Euro nach Abzug der Passagiergebühren von durchschnittlich 24,71 Euro und der Mehrwertsteuer ein Erlös von nur noch 62,40 Euro, bei einem Bruttoticketpreis von 55 Euro sogar nur noch ein Erlös von 25,44 Euro. Bei diesem Vergleich der eigenen Kostenseite von L..., einem sicher sehr ökonomisch wirtschaftenden Unternehmen, mit den ohne weiteres errechenbaren Erlösen von G... bei Bruttoticketpreisen von 99 oder 55 Euro kann L... ohne weiteres abschätzen, daß G... mit einem Ticketpreis von 55 Euro - bei einem realistischen, von 100 % noch deutlich entfernten Sitzladefaktor - nur Verluste einfahren kann und mit einem Ticketpreis von 99 Euro selbst bei einem beachtlich hohen Sitzladefaktor (z. B. von 64,5 % wie L... im Jahre 2000) nur dann eine Vollkostendeckung (noch ohne Gewinn) erreichen kann, wenn ihr Betrieb eine deutlich günstigere Kostenstruktur hat als L... selbst. Das bedeutet aber, daß zumindest eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht und für L... auch erkennbar ist, daß der Tarif M-Fly-OW, der geeignet ist, die Buchungszahlen und damit den Sitzladefaktor bei G... im Falle deren Ticketpreises von 99 Euro erheblich herabzudrücken (s. o. (1)), damit auch geeignet ist, zu verhindern, daß G... mit ihrem Tarif von 99 Euro (und erst recht mit einem noch niedrigeren Tarif) in die Vollkostendeckungszone oder gar in die Gewinnzone gelangt.
(4) Die vorstehenden Berechnungen zeigen zugleich, daß L... selbst mit ihrem Tarif M-Fly-OW bei einer auf die Durchschnittskosten pro Passagier abgestellten Kostenrechnung stark defizitär arbeitet: Nach den letztgültigen Angaben der L... verbleibt ihr ein Erlös pro Flug/Person von 64,24 Euro (so die neue, nicht mehr beanstandete Berechnung des Bundeskartellamts auf S. 17 f. des Schriftsatzes vom 14. 3. 2002). Dem stehen Kosten - auf der Basis der Berechnung für das Jahr 2000 - in der Größenordnung von 94,55 Euro (= rund 147 % des Erlöses) gegenüber. Wenn man den Tarif M-Fly-OW isoliert als Einzelmaßnahme des marktbeherrschenden Unternehmens L... würdigt, so handelt es sich um eine Verlustpreisstrategie, wie sie für Kampfpreisunterbietungen charakteristisch ist.
Diese Würdigung kann L... nicht mit dem Argument entkräften, in Anbetracht des hohen Fixkostenanteils von nahezu 90 % seien die Mehr- oder Grenzkosten für zusätzliche Passagiere gering (nur 18,89 DM = 9,66 Euro), so daß die M-Fly-OW-Tarif-Passagiere durchaus noch einen Beitrag zur Deckung der Gesamtkosten leisteten. Das mag zwar rein rechnerisch - auf den einzelnen Passagier bezogen - richtig sein, ist aber eine zu verengte, den Gesamtzusammenhang außer Acht lassende Sichtweise. Da der M-Fly-OW-Tarif auch für Geschäftsreisende geeignet ist, die voll flexiblen Economy-Tarife zu ersetzen (s. o. (2)), muß realistischerweise angenommen werden, daß der überwiegende Teil der M-Fly-OW-Tickets nicht zusätzlich zu den bisher immer schon abgesetzten Economy-Tarif-Tickets verkauft werden, sondern anstatt der Economy-Tickets. Saldiert man die verlorene Einnahme, die ein solches Economy-Ticket gebracht hätte, mit der Einnahme aus dem ersatzweise abgesetzten M-Fly-OW-Ticket, so ist der Deckungsbeitrag dieses Tickets sogar negativ. Der positive Beitrag dieses Tickets besteht nur darin, daß es verhindert, daß der betreffende Fluggast nicht nur von der Economy-Klasse, sondern vom ganzen Linienflugverkehr der L... abspringt und zu G... übergeht. Daß dieser positive Beitrag gelingt und in der Gesamtergebnisrechnung nicht zu hohe (Teil-)Verluste verursacht, wird flankierend dadurch unterstützt, daß die Anwendung des M-Fly-OW-Tarifs flexibel von Flugzeug zu Flugzeug kontingentiert wird, damit zum einen das Ziel erreicht wird, die Abwanderung der Kunden von der L... zu G... zu minimieren, und zum anderen verhindert wird, daß diese Maßnahme L... teuer zu stehen kommt. Diese Gesamtwürdigung zeigt, daß es der L... nicht darum geht, durch einen neuen Tarif eine noch höhere Auslastung ihrer Flugzeuge als bisher zu erreichen, sondern den bisher monopolistisch beherrschten Markt (wenn man von dem Randwettwerb durch die ICE-Sprinter-Züge absieht) durch das Verhindern des Übertritts der Kunden zum neuen Wettbewerber möglichst weiterhin geschlossen zu halten.
(5) Schließlich ist es ein für die kartellrechtliche Würdigung auffallendes Kennzeichen, daß L... mit der Einführung des M-Fly-OW-Tarifs eine Preisspaltung einsetzt, sowohl innerhalb der Flugstrecke F...-B... (Spaltung in die weitgehend austauschbaren und leistungsidentischen Tarife M-Fly-OW und Economy) als auch zwischen vergleichbaren inländischen Flugstrecken (z. B. B-M... gegenüber B...-F..., wo allein der neue Billig-Tarif gilt). Daß von marktbeherrschenden Unternehmen eingesetzte Preisspaltungen, die weder vom Gegenstand des Preises her noch mit Blick auf die Abnehmerkreise triftige Gründe für sich haben, kartellrechtlich höchst bedenklich sind, zeigt die eine Preisspaltung anderer Art als in der Regel mißbräuchlich wertende Norm des § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB.
(6) Faßt man die vorstehend unter bb) (1) bis (5) dargestellten Gesichtspunkte zur Bewertung des eingesetzten Mittels zusammen, so erkennt man, daß sie die gleiche Tendenz aufweisen wie der von L... mit dem Einsatz des strategischen Mittels (M-Fly-OW-Tarif) verfolgte Zweck, der G... die Aufrechterhaltung des soeben aufgenommenen Flugverkehrs binnen relativ kurzer Zeit unmöglich zu machen (s. o. aa)). Dann aber bestehen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs und die Wahrung der Marktzutrittschancen ausgerichteten Zielsetzung des GWB keine ernstlichen Zweifel daran, daß bei der Interessenabwägung dem Interesse des neuen Wettbewerbers G..., mit einem Flugtarif von 99 Euro (one way) den Zutritt zum relevanten Markt zu versuchen und auf längere Zeit zu festigen, der Vorzug vor dem Interesse des marktbeherrschenden Unternehmens L... gegeben werden muß, von seiner grundsätzlich bestehenden Preisbildungsfreiheit zum Schutze seiner bisherigen Kundenbeziehungen und seines bisherigen Marktanteils Gebrauch zu machen.
2. Es ist oben unter 1. b) bb) (1) schon festgestellt worden, daß die im L...-Tarif inbegriffenen Mehrleistungen für die Bewertung des von L... gegenüber G... eingesetzten Mittels (neuer Billig-Tarif M-Fly-OW) - aus der maßgeblichen Sicht der Nachfrager - relevant sind. Das hat zur zwingenden Konsequenz, daß diese Mehrleistungen dann auch monetär bewertet werden müssen. Der Einwand der L..., die Bewertung von Qualitätsfaktoren aus der Sicht eines objektiven Reisenden durch Kartellbehörden und -gerichte sei praktisch unmöglich und führe damit zwingend zu willkürlichen Entscheidungen (Seite 3 f. , 42 des Schriftsatzes vom 1. 3. 2002), ist nichts als eine Kapitulation vor der Aufgabe, aber kein Sachargument. Dabei verkennt der Senat (wie auch das Bundeskartellamt) nicht, daß die Monetarisierung qualitativer Faktoren einer Flugleistung eine schwierige Aufgabe darstellt. Die Überprüfung wird weitgehend dem Hauptverfahren überlassen bleiben müssen. Für die vorliegende, nur summarisch mögliche Prüfung gilt folgendes:
a) Aufgrund der im angefochtenen Beschluß (S. 8, 9) wiedergegebenen Studien leuchtet es ein, daß die Frequenzdichte, die eine Linienfluggesellschaft für eine Flugstrecke anbietet, ein - insbesondere für Geschäftsreisende - sehr wichtiges Qualitätsmerkmal ist, für das der durchschnittliche Reisende bereit ist, mehr zu zahlen, weil er in diesem Qualitätsfaktor die Chance für eine erhebliche Zeitersparnis erblickt. Ob die Bewertung eines solchen mit dem Flugangebot zusammenhängenden Nutzens mit 25 Euro pro einfachen Flug sachgerecht oder zu hoch ausgefallen ist, vermag der Senat derzeit abschließend nicht zu beurteilen. Im Hinblick darauf, daß das Bundeskartellamt den Wert von 25 Euro durch ein (Kurz-)Gutachten des Professors Dr. H... B... (Institut für Verkehrswissenschaft an der Universität zu Köln) jedenfalls glaubhaft gemacht hat, andererseits L... nicht etwa ein (Partei-)Gegengutachten vorgelegt hat, kann derzeit nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, daß der Betrag von 25 Euro zu hoch ist. Von ihm muß vorerst ausgegangen werden.
b) Obwohl das Essen/Trinken an Bord sowie die kostenlose Zeitung nach den vorerwähnten Studien kein sehr bedeutsamer Präferenzfaktor ist, spricht - in Übereinstimmung mit dem Bundeskartellamt - viel dafür, diese Zusatzleistungen aus der Sicht der Flugkunden mit einem moderaten Betrag zu monetarisieren. Diese Zusatzleistungen erhöhen die Attraktivität der Fluglinie; ohne sie werden sich viele Reisende in einer "schlechteren Klasse" des Flugverkehrs fühlen. Daß die Bereitschaft besteht, hierfür auch einen (nicht hohen) Aufpreis zu zahlen, ist nicht von der Hand zu weisen. Auch hier kann nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, daß die durchschnittliche Bereitschaft zur Zahlung eines moderaten Aufschlags erheblich unter drei Euro anzusetzen ist.
c) Dagegen bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Schätzung, daß die Meilengutschriften für das Vielfliegerprogramm miles &more pro Flug und Fluggast 12 Euro wert sind. Die Berechnung des Bundeskartellamts auf S. 7 f. des angefochtenen Beschlusses legt ersichtlich eine maximale Ausbeute von Meilengutschriften durch jeden Flugpassagier zugrunde. Es muß aber eine Durchschnittsberechnung für alle Flugpassagiere vorgenommen werden, die als Kunden des Tarifs M-Fly-OW in Betracht kommen. Darunter wird es sicherlich Kunden geben, die nicht zu den "Vielfliegern" gehören und daher keine Chancen haben, binnen drei Jahren (mit 40 Flügen) genügend Bonusmeilen für einen Prämienflug zu sammeln. Für diese ist der Nutzen der Zugabe von Bonusmeilen gleich Null. Ferner hat L... eingehend (auf S. 42 ff. ihres Schriftsatzes vom 1. 3. 2002) dargelegt, daß das Bundeskartellamt den Wert des mit den Bonusmeilen erzielbaren Prämienflugs fehlerhaft ermittelt und zu hoch angesetzt hat. Hierzu findet sich in der Antragserwiderung vom 14. 3. 2002 keine Verteidigung für die Richtigkeit des Ansatzes von 12 Euro von Substanz. Bei dieser Sach- und Verfahrenslage hält es der Senat für sachgerecht, zur (notwendig einheitlichen) Monetarisierung dieser Zusatzleistung, an der die für den Billigtarif in Betracht kommenden Reisenden ein unterschiedliches Interesse haben, von dem Kostenbetrag auszugehen, der der L... für die Meilenansammlungen auf der Strecke F...-B... - bezogen auf jeden Passagier - durchschnittlich entsteht. Das sind nach den nicht widerlegten Angaben der L... (S. 43 f. ihres Schriftsatzes vom 1. 3. 2002) 2,50 Euro (daß es gerechtfertigt ist, diesen Betrag für den Tarif M-Fly-OW noch weiter auf 1,50 Euro herabzusetzen, ist von L... nicht substantiiert dargelegt worden). Die Monetarisierung auf einen so niedrigen Betrag (2,50 Euro) ist beim derzeitigen Sachstand auch deshalb gerechtfertigt, weil G... ihrerseits - wie L... unbestritten vorträgt - zu geringen Kosten am Miles &More-Programm teilnehmen könnte. Der Schriftsatz der L... vom 1. 3. 2002 (S. 44 f.) legt die Vermutung nahe, daß der (potentielle) Kostenbeitrag der G... für die Teilnahme am Miles &More-Programm nicht höher läge als der der L... tatsächlich im Durchschnitt pro Passagier entstandene Kostenbetrag, mithin 2,50 Euro. Das Hauptverfahren wird zu klären haben, welcher Euro-Betrag für die Zugabe der Bonusmeilen wirklich sachgerecht ist.
d) Die drei monetarisierten Zusatzleistungen zusammen (25 + 3 + 2,50 Euro) machen 30,50 Euro aus. Die weiteren (teilweise fraglichen) Vorteile des Flugangebots der L... (Seite 11 f. des angefochtenen Beschlusses) werden vom Senat im jetzigen Verfahrensstadium ebenso wenig mit Geldwert ausgedrückt wie vom Bundeskartellamt, zumal wegen der Schwierigkeiten und Ungewißheiten der Monetarisierung eine angemessene Sicherheitsmarge verbleiben muß. Demzufolge kann nur für einen verfügten Preisabstand von nominal 30,50 Euro zwischen dem G...-Tarif und dem Tarif M-Fly-OW derzeit bestätigt werden, daß keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses bestehen. Soweit ein höherer Preisabstand bis zu 35 Euro angeordnet worden ist, muß gemäß § 65 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GWB die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wiederhergestellt werden.
3. Indem der Senat die Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich des verfügten Preisabstands in nominaler Höhe von 30,50 Euro pro Passagier bestätigt, unterstützt er - entgegen der Ansicht von L... - keine aktive Marktstruktursteuerung seitens des Bundeskartellamts, die durch § 19 GWB nicht gedeckt wäre. Vielmehr schützt das Bundeskartellamt die neue wettbewerbliche Struktur, die durch den ihrerseits aktiven Marktzutritt der G... auf dem relevanten Markt im Entstehen begriffen ist, vor der sachlich nicht gerechtfertigten Behinderung durch das marktbeherrschende Unternehmen L.... Das ist eine genuine Aufgabe der Mißbrauchsaufsicht. Es trifft auch nicht zu, daß Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses daraus hergeleitet werden könnten, daß für G... ein "mehrjähriger Wettbewerbsschutz" geschaffen wird. G... wird vor rechtswidriger Behinderung durch den Marktbeherrscher, aber nicht vor jeglichem Wettbewerb geschützt. Daß die Abwehr der Behinderung durch den Marktbeherrscher zugleich dessen Wettbewerbs-"Druck" abmildert, liegt in der Logik des § 19 GWB begründet.
4. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses ergeben sich schließlich nicht aus der europäischen Flugpreisverordnung (VO 2409/92). Die Rüge der L..., der Beschluß verstoße gegen die verfahrens- und materiellrechtlichen Vorgaben dieser Verordnung, hat das Bundeskartellamt (auf Seite 23 - 25 seines Schriftsatzes vom 14. 3. 2002) in überzeugender Weise widerlegt. In ihrer Replik vom 21. 3. 2002 ist L... auf diese Rüge nicht mehr zurückgekommen. Daher nimmt der Senat im jetzigen Verfahrensstadium auf die Ausführungen des Bundeskartellamts Bezug.
Antragsgrund "Rechtswidrigkeit der Anordnung
der sofortigen Vollziehung"
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Beschlusses - im öffentlichen Interesse - gemäß § 65 Abs. 1 GWB sind erfüllt. Das hat das Bundeskartellamt in seinem Beschluß überzeugend begründet, wobei es zutreffend hervorgehoben hat, daß strenge Anforderungen an die Annahme eines die (Abwehr-)Interessen des Betroffenen überwiegenden öffentlichen Interesses gestellt werden. Daß die uneingeschränkte (also nicht durch einen deutlichen Preisabstand abgemilderte) Fortgeltung und Anwendung des Tarifs M-Fly-OW die konkrete Gefahr einer sogar baldigen Verdrängung der G... von dem hier relevanten Markt begründen würde, auf dem G... durch ihren kürzlich unternommenen Marktzutritt den Wettbewerb gegen den bisherigen Monopolisten (wenn man von dem seit zwei Jahren bestehenden Randwettbewerb durch die ICE-Sprinter-Züge der Deutsche Bahn AG absieht) aufzunehmen gedenkt, ist oben unter I. 1. b) eingehend dargestellt worden. Darauf wird Bezug genommen. Es ist nicht damit zu rechnen, daß G... ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung den Wettbewerb auf der Flugstrecke F...-B... gegenüber der zur Verdrängung geeigneten Behinderung der L... bis zum Eintritt der Rechtskraft des angefochtenen Beschlusses (in ein bis zwei Jahren€) aufrecht erhalten könnte. Daher ist zur Sicherung der soeben neu entstehenden, der Zielsetzung des GWB entsprechenden Wettbewerbsstruktur auf dem hier relevanten Markt die Anordnung der sofortigen Vollziehung geboten. Auf Weiteres kommt es nach Ansicht des beschließenden Senats nicht an.
Das Gegenargument der L..., die Anordnung der sofortigen Vollziehung führe zur "Vorwegnahme der Hauptsache", sticht nicht, weil die Regelung zu Ziffer 1. bis 4. des angefochtenen Beschlusses schon "die Hauptsache" darstellt. Dem Art. 19 Abs. 4 GG wird in einem solchen Fall dadurch genügt, daß der durch die kartellbehördliche Verfügung Betroffene gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 65 Abs. 3 GWB stellen kann, wie es hier geschehen ist.
OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 27.03.2002
Az: VI-Kart 7/02 (V)
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/7aa5da77a0d1/OLG-Duesseldorf_Beschluss_vom_27-Maerz-2002_Az_VI-Kart-7-02-V