Kammergericht:
Urteil vom 16. November 2006
Aktenzeichen: 23 U 55/03

(KG: Urteil v. 16.11.2006, Az.: 23 U 55/03)

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das am 9. Januar 2003 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 90 O 129/02 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin und die Nebenintervenientinnen als Gesamtschuldner zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 115 % des nach dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt mit seiner sog. €Doppelanfechtungsklage€ gemäß §§ 241 ff., 244 AktG die Nichtigkeitserklärung des Beschlusses der Beklagten in der Hauptversammlung zu TOP 8, mit dem der Beschluss der Hauptversammlung vom 30.12.1998 über eine Kapitalerhöhung (genehmigtes Kapital II) bestätigt worden ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Anfechtung des Beschlusses vom 20.12.1998 ist Gegenstand der Klage zu 90 O 17/99, die vor dem Senat zum Geschäftszeichen 23 U 6712/99 geführt wurde. Mit Urteil vom 22.08.2001 gab der Senat unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils der Klage statt mit der Begründung, der Beschluss sei gemäß § 255 Absatz 2 AktG anfechtbar, da durch die Ermächtigung des Vorstands, über die Bedingungen der Aktienausgabe mit Zustimmung des Aufsichtsrats (allein) zu entscheiden, in unzulässigerweise der innere Wert der vorhandenen Aktien wegen Ausgabe der Aktien zu einem unangemessen niedrigen Ausgabepreis verwässert werde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe des Urteils (Band I Blatt 32 ff.) Bezug genommen.

Der BGH hat das Revisionsverfahren gegen das Urteil des Senats zum Aktenzeichen II ZR 322/01 durch Beschluss vom 20.01.2003 wegen Vorgreiflichkeit des hiesigen Rechtsstreits ausgesetzt.

Mit seiner Berufung rügt der Kläger, dass das Landgericht das Recht unzutreffend angewendet habe. So habe das Landgericht zu Unrecht nicht den Tatbestand der Verwirkung angenommen. Ferner sei der Bestätigungsbeschluss auch rechtsmissbräuchlich, da er dazu führe, dass die Entscheidung über die Rechtsbeständigkeit oder Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Beschlusses unzumutbar hinausgezögert werde, obwohl es sich um die identischen Rechtsfragen handele.

Sowohl der alte als auch der neue Bericht über den Ausschluss des Bezugsrechts würden nicht den Anforderungen gemäß §§ 203 Absatz 2 Satz 2, 186 Absatz 4 AktG (Band I Bl. 142) genügen. Der Bericht entspreche auch nicht den Maßstäben der Rechtsprechung des BGH in ZIP 1997, 1499; auch sei der neue Bericht gegenüber dem ursprünglichen Bericht nicht aktualisiert worden.

Durch den Bezugsrechtsausschluss sei allen Aktionären ein Schaden von bis zu 32 Mio. DM - (120 € - 38 €) x 195.000 Aktien - zugefügt worden (Band I Blatt 148) und seien diese in unzulässigerweise Weise benachteiligt worden. Ferner seien die Großaktionäre ihren Meldepflichten nicht (rechtzeitig) nachgekommen

Auch habe das Landgericht zu Unrecht die Rechtswidrigkeit der rückwirkenden Gewinnberechtigung verneint.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des am 09.01.2003 verkündeten Urteils des Landgerichts Berlin - Aktenzeichen 90 O 129/02 - den in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 04.06.2002 unter TOP 8 gefassten Beschluss über die Bestätigung des Beschlusses der Hauptversammlung vom 30.12.1998 zum einzigen Punkt der Tagesordnung (Aufhebung des Beschlusses über die Schaffung eines genehmigten Kapitals II der Hauptversammlung vom 09.10.1998, Beschlussfassung über die Schaffung eines genehmigten Kalitals II) mit nachfolgendem Inhalt für nichtig zu erklären:

€Die Hauptversammlung hat am 30.Dezember 1998 zu b) und c) des einzigen Tagesordnungspunktes beschlossen:

€b) In § 3 der Satzung wird folgende neue Ziffer 3 eingefügt:

3. der Vorstand wird zur Erfüllung der dem Bankenkonsortium im Rahmen des Börsengangs der Gesellschaft eingeräumten bzw. einzuräumenden Mehrzuteilungsoption ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrates das Grundkapital um bis zu DM 975.000,00 durch Ausgabe von bis zu 195.000 neuen auf den Inhaber lautenden Stammaktien ohne Nennwert (Stückaktien) gegen Bareinlage bis zum 30. September 1999 einmalig oder mehrmals zu erhöhen (genehmigtes Kapital II). Das Bezugsrecht der Aktionäre ist ausgeschlossen. Über die Ausgabe der neuen Aktien, den Inhalt der Aktienrechte und die Bedingungen der Aktienausgabe entscheidet der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrates.

c) Der Aufsichtsrat wird ermächtigt, die Fassung des § 3 Ziffer 1 der Satzung nach vollständiger oder teilweiser Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals entsprechend der jeweiligen Ausnutzung des genehmigten Kapital bis zum 30. September 1999 nicht oder nicht vollständig ausgenutzt sein sollte, nach Ablauf der Ermächtigungsfrist anzupassen.€

Dieser Beschluss wurde angefochten. In der gerichtlichen Auseinandersetzung hat die S. E. AG in der ersten Instanz obsiegt, in der zweiten Instanz ist die Gesellschaft unterlegen. Die S. E. AG hat gegen die nicht rechtskräftige zweitinstanzliche Entscheidung Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt.

Vorsorglich schlagen Vorstand und Aufsichtsrat vor, folgenden Beschluss zu fassen:

Der Beschluss der Hauptversammlung vom 30. Dezember 1998 zu b) und c) des einzigen Tagesordnungspunktes wird gem. § 244 AktG bestätigt und damit als verbindliche Regelung der Schaffung eines genehmigten Kapitals II in § 3 Ziffer 3 der am 30. Dezember 1998 beschlossenen Fassung der Satzung anerkannt.€

hilfsweise

den vorgenannten Beschluss für unwirksam zu erklären,

hilfsweise

festzustellen, dass die Ausübung des aufgrund dieses Beschlusses der Beklagten vom 30.12.1998 beschlossenen genehmigten Kapitals II durch Vorstandsbeschluss vom 09.02.1999 nichtig (hilfsweise: unwirksam) war und die Kapitalerhöhung durch Ausgabe von 195.000 neuen, auf den Inhaber lautenden Stammaktien nichtig ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Vertiefung der von ihr bereits in I. Instanz vorgebrachten Rechtsansichten.

II.

Die zulässige Berufung, die insbesondere die gesetzlichen Formen und Fristen gemäß §§ 517, 519, 520 ZPO wahrt, hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht die Klage im Hauptantrag mangels Vorliegens von Anfechtungsgründen als unbegründet und die Hilfsklage als unzulässig abgewiesen hat.

Hauptantrag

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Anfechtungsklage gemäß § 246 Absatz 1-3 AktG sind vorliegend gegeben. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen.

1. Verwirkung

Entgegen der Ansicht des Klägers liegt der Tatbestand der Verwirkung nicht vor. Denn die Möglichkeit, nach § 244 AktG einen Bestätigungsbeschluss zu fassen, ist bereits kein Recht der Hauptversammlung, dessen Geltendmachung verwirkt sein könnte (OLG Dresden AG 2001, 489 ff.). Vielmehr beruft sich der Kläger allein auf die €Unsinnigkeit€, zwei identische Prozesse durchlaufen zu müssen. Dies ist jedoch durch die Regelung in § 244 AktG unabweisbare Folge. Eine einengende Auslegung von § 244 AktG, wonach die Beschlussbestätigung nur bei bestimmten Arten von Verfahrensfehlern in Betracht kommen soll, findet weder im Wortlaut der Vorschrift noch in der Kommentierung eine Stütze, selbst wenn das Verfahren nach § 244 AktG nur dann sinnvoll erscheint, wenn die Beschlussanfechtung allein auf Verfahrensfehlern beruht (OLG Dresden AG 2001, 489 ff.; Hüffer AktG, 7. Aufl., § 244 Rz. 2). Hinzu kommt, dass sich der Kläger auch auf eine Verletzung seines Fragerechts berufen hat. Dies ist jedoch gerade ein typischer Verfahrensfehler, der durch § 244 AktG geheilt werden kann.

Weiterhin ergibt sich auch aus der Diskussion um die Notwendigkeit der sog. €Doppelanfechtung€ (vgl. dazu Hüffer in Münchener Kommentar, AktG, § 244 Rz. 10), dass eine Bestätigung trotz identischem Mangel offensichtlich möglich und damit zulässig ist.

Im Übrigen liegen schließlich auch die allgemeinen Voraussetzungen der Verwirkung nicht vor: Der Kläger verweist selbst unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung auf die Notwendigkeit, dass sich der Verpflichtete darauf habe einrichten dürfen, dass der Berechtigte sein Recht in Zukunft nicht geltend machen werde. Der bloße Zeitablauf ist dafür jedoch nicht ausreichend. Im Übrigen ist im Gesellschaftsrecht sogar das Verstreichen von sieben Jahren zwischen Ausgangsbeschluss und Bestätigungsbeschluss als nicht unangemessen lang angesehen worden (OLG München ZIP 1997, 1743). Besondere Umstände im Verhalten der Beklagten, welche das Vertrauen des Klägers auf das Unterlassen eines Bestätigungsbeschlusses hätten wecken können, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.

2. formelle Rechtmäßigkeit

a) Rechtmäßigkeit des Beschlusses von 1998

Die Einhaltung der formellen Anforderungen gemäß §§ 202, 203 Absatz 1 Satz 1, 186 AktG begegnet keinen Bedenken:

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH in neuerer Zeit bedarf es für einen Bezugsrechtsausschluss keines bereits konkretisierten Vorhabens der Gesellschaft, zu dessen Verwirklichung das genehmigte Kapital eingesetzt werden soll. Denn das Institut des genehmigten Kapitals gemäß §§ 202 ff. AktG soll einer Gesellschaft die Flexibilität geben, die sie braucht, um auf dem nationalen und internationalen Markt rasch und erfolgreich auf vorteilhafte Angebote reagieren zu können (BGH Beschluss vom 21.11.2005 € II ZR 79/94 -; BGH Z 136, 133 ff., 136 = ZIP 1997, 1499 ff. € Siemens/Nold). Dementsprechend genügt es, dass die Zwecke der Ermächtigung allgemein umschrieben und in dieser Form der Hauptversammlung bekannt gegeben werden.

Vorliegend sind diese Anforderungen durch den unter Beachtung von § 124 Absatz 1-3 AktG ordnungsgemäß bekannt gemachten Bericht des Vorstands erfüllt, da die Mehrzuteilungsoption mit der Notwendigkeit eines Platzierungs- und Stabilisierungsinstruments begründet wurde. Soweit in dem von den Klägern zitierten Urteil des OLG München (DB 2002, 1765 ff. € Berufungsinstanz von LG München DB 2001, 691) ein unzureichender Vorstandsbericht gerügt wurde, betraf dieser Bericht die geplante €strategische Neuausrichtung€ der Gesellschaft durch Kapitalerhöhung des Grundkapitals um fast 50 %, ohne dass auch nur ansatzweise die Neuausrichtung der Unternehmenspolitik erläutert worden war. Dieser Sachverhalt ist jedoch mit dem vorliegenden nicht vergleichbar, da das Wesen der Mehrzuteilungsoption zutreffend abstrakt umschrieben wurde und auch im Interesse der Gesellschaft lag (dazu sogleich unter 4 a).

Soweit die Kläger rügen, auch der Inhalt des zumindest beabsichtigten Mehrzuteilungsvertrages mit der Bayerischen Landesbank hätte im schriftlichen Bericht des Vorstands enthalten sein müssen, verkennen sie die Anforderungen des nur sinngemäß geltenden § 186 Absatz 4 Satz 2 AktG, da die Modalitäten der Mehrzuteilungsoption für eine sachgerechte Entscheidung eines Aktionärs über den Bezugsrechtsausschluss nicht von Bedeutung sind, zumal der Börsenpreis zum Zeitpunkt der Emission noch gar nicht absehbar war.

b) Rechtmäßigkeit des Beschlusses von 2002

Zunächst kann, da es sich um die identischen Fragen handelt, auf die obigen Ausführungen unter a) Bezug genommen werden.

Da es bei dem Verfahren gemäß § 244 AktG lediglich um eine Geltungserklärung geht, ist entgegen der Ansicht des Klägers eine Aktualisierung des für den Erstbeschluss vorgeschriebenen Berichts entbehrlich (OLG Karlsruhe AG 1999, 490 re.Spalte; Hüffer, AktG, 7. Aufl., § 244 Rz. 2), zumal es auf seither eingetretene Entwicklungen nicht ankommt (BGH NJW 2004, 1165 f.). Denn gerade die Sondervorschrift des § 244 Satz 2 AktG, nach welcher der Aktionär unter besonderen Umständen ausnahmsweise für den Zwischenzeitraum zwischen Erst- und Bestätigungsbeschluß sein Anfechtungsrecht behält, zeigt, dass für die inhaltliche Prüfung des Beschlossenen allein die Rechtslage im Zeitpunkt des Erstbeschlusses maßgeblich ist.

4. materielle Rechtmäßigkeit

42Eine Anfechtung gemäß § 255 Absatz 2 AktG ist vorliegend nicht gegeben. Zwar hat der Senat in seinem Urteil vom 22.08.2001 ausgeführt, dass der Beschluss von 1998 nach dieser Vorschrift anfechtbar sei. Grundsätzlich scheide zwar ein Anfechtungsrecht aus, wenn die Hauptversammlung den Vorstand ermächtige, den Ausgabebetrag neuer Aktien selbst festzusetzen. Ein Anfechtungsrecht müsse aber dann bestehen, wenn die Ermächtigung im konkreten Fall dazu führe, dass eine Ausgabe der Neuaktien zu angemessenen Preisen von Anfang an ausgeschlossen sei. Denn die Entscheidung sei nicht vom Ermessen des Vorstands abhängig gewesen, sondern der K.-Bank, der zuvor die Mehrzuteilungsoption eingeräumt worden sei. Zumindest dann, wenn nicht Altaktionäre eigene Aktien zu einem weit unter dem Börsenkurs liegenden Preis abgeben, sondern neue Aktien im Wege des sog. €Greenshoe€ zu unangemessen niedrigen Preisen abgegeben werden sollen, verstoße dies gegen § 255 Absatz 2 AktG.

43An dieser Entscheidung hält der Senat nach erneuter Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht mehr fest. Zunächst sind die Besonderheiten der Greenshoe-Option im Rahmen des Bookbuilding-Verfahrens zu berücksichtigen, bei der es sich um eine Wertpapierreserve des Emittenten bei einem Börsengang handelt. Durch die Greenshoe-Optinon werden die emissionsbegleitenden Banken in die Lage versetzt, mehr Wertpapiere an Anleger zuzuteilen, als eigentlich platziert werden sollen, sowie im Umfang dieser Mehrzuteilung weitere Aktien zu erwerben. (vgl. Meyer WM 2002, 1106 ff.; Busch, AG 2002, 230 ff., 231). Üblicherweise beträgt der Umfang dieser Mehrzuteilungsoption bis zu 15 % des Emissionsvolumens der Basistranche. Auch vorliegend war bereits in der Hauptversammlung der Beklagten am 09. Oktober 1998 eine Kapitalerhöhung um 4 Mio. auf 24 Mio. DM beschlossen worden, und zwar in Form von 1,4 Mio. Stückaktien. Die 195.000 Aktien des Greenshoe entsprachen damit 13,9 % des Primärvolumens (so die Kläger selbst auf Seite 10 der Berufungsbegründung, Band I Bl. 146).

44Die Konsortialbank lässt sich zunächst vor Durchführung der Platzierung über die im Rahmen der Haupttranche zu platzierenden Aktien hinaus weitere Aktien vorübergehend zur Verfügung stellen. Dies erfolgt im Wege eines Aktiendarlehens (sog. "Aktienleihe"), das für die Stabilisierungsphase von circa einem Monat gewährt wird. Die Leihaktien nutzt die Bank, um Mehrzuteilungen vorzunehmen und damit einen Nachfrageüberschuss zu Beginn der Emission zu dämpfen, indem über das Volumen der Haupttranche hinaus weitere Aktien in den Markt gegeben werden. Sollte nach der Durchführung der Emission der Kurs fallen, kann er stabilisiert werden, indem die Abwärtsbewegung durch den Rückkauf von Aktien gemildert wird. Sollte die Emissionsbank am Ende der Stabilisierungsphase im Umfang der Leihe zurückgekaufte Aktien im Bestand haben, so kann sie damit ihre Rückerstattungsverpflichtung aus der Aktienleihe erfüllen. Steigt der Kurs jedoch, kommt es nicht zu diesen Stabilisierungskäufen. Folglich fehlt es der Emissionsbank an den sonst dabei erworbenen Aktien, um die Aktienleihe zurückzuführen. Die Bank müsste sich also bei Ablauf der Leihe eigentlich Aktien durch Deckungskäufe am Markt beschaffen, um ihrer Rückerstattungsverpflichtung nachkommen zu können. Bei gestiegenem Kurs bedeutete dies ein erhebliches finanzielles Risiko für die Emissionsbank, da sie dann die Differenz zwischen Emissionspreis und dem dann höheren Rückkaufkurs tragen müsste. Dieses Problem löst die so genannte Greenshoe-Option., indem der sonst der Bank möglicherweise entstehende Verlust vermieden wird. Vielmehr ist der beim Greenshoe vorgesehene Erwerb zum Emissionspreis für die Konsortialbank im Ergebnis neutral, da sie Aktien genau zu dem Preis erwirbt, den sie zuvor bei der Platzierung der €Leihaktien" vereinnahmt hatte. Bestünde diese Möglichkeit nicht, so hätte dies wegen der vorstehend angesprochenen Risiken zur Folge, dass Emissionsbanken zur Durchführung von Kursstabilisierung entweder gar nicht oder nur in geringerem Umfang bereit wären.

45Bereits dieser Hintergrund verdeutlicht, dass es grundsätzlich nicht darum geht, der Bank - hier der Bayerischen Landesbank, die gleichzeitig Aktionär der Beklagten war, - einen unzulässigen Vorteil zuzuführen, sondern ihr die Möglichkeit zu gewähren, ohne eigenes Risiko in Kursschwankungen einzugreifen, was dem Interesse der Gesellschaft und damit letztlich auch dem Aktionär dient.

Deshalb ist weiterhin bereits die Vermutung wie aus § 186 Absatz 3 Satz 4 AktG ableitbar widerlegt (vgl. dazu Hüffer, AktG, 7. Aufl., § 255 Rz. 5), dass ein unangemessen niedriger Ausgabebetrag im Sinne von § 255 Absatz 2 Satz 1 AktG beschlossen wurde, da der Börsenpreis bekanntermaßen im Zusammenhang mit einer Neuemission starken Kursschwankungen unterliegt und deshalb der Börsenwert nicht dem sog. inneren oder wahren Wert des Unternehmens (vgl. dazu BGH Z 71, 40 ff., 51) entspricht, sondern wohl eher dem im Bookbuilding-Verfahren ermittelten Emissionspreis (vgl. auch Groß, ZIP 2002, 160 ff., 165).

Soweit die Kläger behaupten, die Bank habe die Aktien aus der Mehrzuteilungsoption gar nicht zu 38,00 € verkauft, sondern erst im Anschluss an die Platzierung zu den dann höheren Börsenkursen verkauft, kann dies offen bleiben. Denn grundsätzlich unterliegen die Banken wertpapier- und börsenrechtlichen Spezialvorschriften (so z.B. §§ 4, 9, 31 ff. WertpHG), so dass nicht von vorn herein unterstellt werden kann, eine Konsortialbank würde nicht ausschließlich die Aktien zur Kursdämpfung im Rahmen der Börseneinführung verwenden.

Eine entsprechende Anwendung von § 255 Absatz 2 AktG, wonach ausdrücklich eine Anfechtungsmöglichkeit nur für den Fall vorgesehen ist, dass in dem Beschluss selbst über die Ausgabemodalitäten entschieden worden ist, kommt mangels Vorliegens der für eine Analogie erforderlichen Voraussetzungen nicht in Betracht. Eine planwidrige Regelungslücke, die für eine Analogie erforderlich wäre (vgl. dazu BGH NJW 2005, 2142 ff.; 2003, 1932 ff.), ist im Fall, dass der Vorstand im Beschluss der Hauptversammlung ermächtigt wird, die Ausgabemodalitäten selbst festzusetzen, nicht gegeben (ebenso OLG Karlsruhe AG 2003, 444 ff., 447; Hüffer, AktG, 7. Aufl. § 255 Rz. 8; Groß ZIP 2002, 164; Schilling in AktG-Großkommentar, § 255 Rz. 6). Denn ein Schutz nicht nur der Gesellschaft über § 93 Absatz 2 AktG, sondern auch des einzelnen Aktionärs ist dennoch möglich, da diesem Aktionär € für den Fall, dass die Festsetzung unangemessen war - die Möglichkeit bleibt, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, und zwar gemäß § 823 Absatz 2 BGB iVm § 266 StGB oder § 826 BGB (vgl. Hüffer, AktG, 7. Aufl., § 93 Rz. 19; ebenso auch Bayer ZHR 163, 505 ff., 522 unter 3 b). Dem Argument, eine Schadensersatzklage würde wenig Aussicht auf Erfolg haben, wenn sich der Vorstand an den Ermächtigungsbeschluss gehalten habe, ist entgegen zu halten, dass der Beschluss gerade keine Angaben über den Ausgabebetrag enthielt und mithin die Angemessenheit vom Vorstand selbst beurteilt werden muss. Letztlich hat auch der BGH die in § 255 Absatz 2 AktG vorgegebenen Grenzen als ausreichenden Schutz der Aktionäre angesehen (BGH Z 136, 133 ff, 141 f.).

Weiterhin verweist das Landgericht zutreffend darauf hin, dass der durch den Vorstand erst später, am 09.02.1999, festgesetzte Ausgabebetrag nicht rückwirkend zu einer Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses vom 30.12.1998 führen könne.

Schließlich kann auch nicht als Argument herangezogen werden, in Wahrheit habe die Entscheidung über den Ausgabepreis im Ermessen der Konsortialbank gestanden und der eigentliche Inhalt des Beschlusses liege in der Bewilligung der Mehrzuteilungsoption, die aber nur dann unbedenklich sei, wenn Altaktionäre dafür ihre Aktien zur Verfügung stellen würden. Denn dann wäre zum einen erforderlich, dass der bereits vorab vorgesehene Ausgabepreis in dem Übernahmevertrag € hinsichtlich dessen im Übrigen streitig war, ob er vor oder nach dem Beschluss vom 30.12.1998 zustande gekommen war € bereits zu diesem Zeitpunkt unangemessen war (vgl. dazu auch Meyer WM 2002, 1113 rechte Sp.). Dies ist jedoch weder ansatzweise vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass ein Unterschied in der Beurteilung zwischen der Gewährung eines Greenshoe durch Altaktionäre und der Einräumung einer Option durch die Gesellschaft erforderlich ist. Es handelt sich insoweit bei beiden Verfahren um gängige Methoden (vgl. Paefgen WuB II A. § 255 AktG 1.02, S. 686). Im Übrigen würde bei der ersten Alternative den Altaktionären der Emissionspreis zufließen, im zweiten Fall dagegen wie vorliegend der Gesellschaft, so dass dieser dadurch sogar noch ein Vorteil zukommt (vgl. Meyer WM 2002, 1109).

Die Kläger können sich auch nicht erfolgreich auf Anfechtungsgründe gemäß § 243 Absatz 1 AktG berufen. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts in dem angefochten Urteil auf Seite 11 ff. verwiesen werden. Insbesondere der Bezugsrechtsausschluss ist auch materiell nicht gemäß § 186 Absatz 3 und 4 AktG zu beanstanden, wie sich aus dem bereits erläuterten Sinn und Zweck des Greenshoe ergibt, der gerade im wohlverstandenen Interesse € das nicht überragend sein muss, vgl. BGH Z 71, 40 ff., 50 - der Gesellschaft liegt und erforderlich und geeignet war, die Kursstabilität zu gewährleisten.

Auch die Regelung in § 186 Absatz 3 Satz 4 AktG steht dem nicht entgegen. Die Erhöhung des Grundkapitals erfolgte um weniger als 10 %. Allerdings lag zwar zum Zeitpunkt der Ausnutzung der Option der Ausgabebetrag nicht mehr nur unwesentlich unter dem notierten Börsenkurs. Jedoch ist entscheidend für die Beurteilung der Unwesentlichkeit der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. Busch AG 2002, 233 m.w.N. in Fn. 33). Ein Börsenwert zu diesem Zeitpunkt war jedoch nach dem eigenen Vortrag der Kläger auf Seite 13 der Berufungsbegründung (Band I Blatt 149) noch gar nicht notiert, da sämtliche Aktien erstmalig am 29.01.1999 an der Börse eingeführt wurden. Den Börsenwert des bisherigen Grundkapitals, der sich im Übrigen nach nicht nur einem, sondern ca. fünf Börsenhandelstagen bemisst, um einen Durchschnittsbetrag wiederzugeben (vgl. Lutter, AG 1994, 429 ff., 442), haben die Kläger nicht vorgetragen.

Unabhängig davon ist der Umkehrschluss aus § 186 Absatz 3 Satz 4 AktG, dass bei einer wesentlichen Unterschreitung des Börsenkurses der Bezugsrechtsausschluss unzulässig wäre, jedenfalls bei einem genehmigten Kapital nicht zwingend, zumal die Vorschriften über Kapitalerhöhungen gemäß § 203 Absatz 1 AktG nicht strikt, sondern nur sinngemäß anzuwenden sind (so ausdrücklich auch BGH Z 136, 133 ff., 142).

Außerdem hätte bei einem Greenshoe das bisher zutreffend als rechtmäßig angesehene sog. €Zwei-Tranchen-Modell€ angewandt werden können, nach dem eine Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts um €bis zu 115 %€, und zwar durch Zeichnung der Aktien in zwei Tranchen, nämlich einer Haupttranche von 100 % und einer €Greenshoe-Tranche von bis zu 15 % (vgl. Groß ZIP 2002, 162) bewilligt wird. In diesem Fall wäre für beide Tranchen der Zeitpunkt des Beschlusses über die einmalige Ausnutzung des genehmigten Kapitals maßgeblich gewesen € also ein Zeitpunkt, in dem eine starke Kurssteigerung und die Notwendigkeit der Ausgabe der zweiten Tranche noch gar nicht vorhersehbar sind. Dann aber ist es nicht gerechtfertigt, bei dem vorliegenden Verfahren, in dem die Hauptversammlung erst kurze Zeit später die Durchführung des Greenshoe beschlossen hat, den Bezugsrechtsausschluss für unwirksam zu halten, zumal eine Börsennotierung der neuen Aktien noch gar nicht erfolgt war.

Ferner ist auch das den Neuaktionären eingeräumte rückwirkende Gewinnbezugsrecht nicht zu beanstanden. Es handelte sich dabei um einen Teil der Ausgabemodalitäten, der durch den angefochtenen Beschluss gerade nicht geregelt wurde. Nur ergänzend wird auf die Ausführungen des Landgerichts zu der Kompensation der Verbreiterung des dividendenberechtigten Kapitals durch die Emissionserlöse verwiesen, auch wenn sich diese erst im Geschäftsjahr 1999 ausgewirkt haben mögen. Im Übrigen war die rückwirkende Gewinnbezugsberechtigung gerade notwendig, um eine Gleichstellung der Aktien mit den im Rahmen des Bookbuilding-Verfahren zunächst ausgegebenen Aktien zu erreichen.

Schließlich ist auch keine Verletzung des Auskunftsrechts der Kläger ersichtlich, die zu einer Anfechtbarkeit des Beschlusses gemäß §§ 243 Absatz 4 Satz 1, 131 AktG führen könnte. Denn maßgeblich ist, ob ein objektiv denkender Aktionär die begehrte Auskunft für seine Urteilsbildung benötigte. Es ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die Einzelheiten des Mehrzuteilungsvertrages für einen solchen Aktionär überhaupt von Interesse waren, da die Bayerischen Landesbank als Konsortialbank tätig werden sollte, die wie ausgeführt den börsen- und wertpapierrechtlichen Bestimmungen unterworfen war, und da die Ausübung der Option noch völlig ungewiss war.

Letztlich ist auch eine Verletzung des § 20 Absatz 1 AktG im Hinblick auf die Angaben in dem Emissionsprospekt (Anlage B 9 der Berufungserwiderung vom 24.03.2000, Anlage B 9 zur hiesigen Berufungserwiderung) nicht nachvollziehbar. Ein Verstoß gegen § 20 Absatz 6 AktG mangels Veröffentlichung in den Gesellschaftsblättern hat keine Ausübungssperre gemäß § 20 Absatz 7 AktG zur Folge (Hüffer AktG 7. Aufl., § 20 Rz. 9; LG Mannheim AG 1998, 248 ff., 252).

Auch eine Anfechtung gemäß § 243 Absatz 2 AktG scheidet vorliegend aus. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der aufgrund der Anfechtungsmöglichkeit gemäß § 243 Absatz 1 AktG weithin entbehrlich ist und nur dann zum Tragen kommt, wenn die materielle Beschlusskontrolle nicht eingreift, aber das Verhalten eines Aktionärs aus Gründen des Einzelfalls missbrauchsbehaftet ist (Hüffer, AktG, 7. Aufl., § 243 Rz. 32).

Vorliegend ist ein solcher Ausnahmefall nicht ersichtlich; insbesondere ist aufgrund der dargelegten Besonderheiten der Greenshoe-Option weder ein Schaden der Beklagten von dem darlegungs- und beweisbelasteten Kläger (vgl. BGH NJW 1988, 1579) nachvollziehbar vorgetragen noch die Absicht der B. L., einen ungerechtfertigten Sondervorteil zu erlangen.

Hilfsklage

Das Landgericht hat zutreffend den Hilfsantrag als unzulässig mangels Feststellungsinteresse abgewiesen. Denn vorliegend handelt es sich um eine Nichtigkeitsklage gemäß § 249 Absatz 1 AktG, die sich auf denselben Sachverhalt stützt und deshalb nach h.M. unzulässig ist (Hüffer in Münchener Kommentar, 2. aufl., § 248 Rz. 36 und und AktG, 7. Aufl., § 248 Rz. 15). Denn Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage verfolgen dasselbe Ziel, nämlich die richterliche Klärung der Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses mit Wirkung für und gegen jedermann (BGH NJW 1997, 1510; NJW 1999, 1638).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 101 Absatz 2, 100 Absatz 1, 69 ZPO, da es sich bei den Streithelfern der Kläger um eine streitgenössische Nebenintervention handelt, § 248 AktG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.

Die Revision war gemäß § 543 Absatz 2 Ziffer 1 ZPO zuzulassen, da der Frage, ob die Vorschrift des § 255 Absatz 2 AktG analog anzuwenden ist auf Beschlüsse, die den Vorstand einer Aktiengesellschaft im Fall der Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen ermächtigen, selbst über die Ausgabemodalitäten zu entscheiden, grundsätzliche Bedeutung zukommt. Angesichts der Verbreitung des Bookbuilding-Verfahrens mit der entsprechenden Greenshoe-Option ist das Auftreten dieser Frage in einer Vielzahl von Verfahren zu erwarten.






KG:
Urteil v. 16.11.2006
Az: 23 U 55/03


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