Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg:
Beschluss vom 26. Juni 2012
Aktenzeichen: OVG 1 K 25.09
(OVG Berlin-Brandenburg: Beschluss v. 26.06.2012, Az.: OVG 1 K 25.09)
Tenor
Auf die Beschwerde der Erinnerungsführerin werden der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Februar 2009 und der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 13. Mai 2005 geändert.
Die der Erinnerungsführerin von dem Erinnerungsgegner zu erstattenden Kosten werden auf 269,48 Euro festgesetzt; der weitergehende Kostenfestsetzungsantrag der Erinnerungsführerin vom 26. April 2005 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.
Gründe
I.
Die Erinnerungsführerin begehrt die Erstattung von Rechtsanwaltskosten in folgender Verwaltungsstreitsache: Der Erinnerungsgegner und Kläger des Ausgangsverfahrens, der Mitglied der Erinnerungsführerin ist, beantragte bei dieser seine Einweisung in die Berufsunfähigkeitsrente. Nachdem die Erinnerungsführerin dies abgelehnt hatte, erhob der Erinnerungsgegner hiergegen, anwaltlich vertreten, am 13. Oktober 2003 Klage (V€) mit dem Bemerken, dass diese €vorsorglich und zur Fristwahrung€ eingereicht werde. Mit der Eingangsverfügung bat die Kammervorsitzende um ergänzende Klagebegründung und stellte die Klage mit der Bitte um schriftliche Äußerung unter Beifügung der Verwaltungsvorgänge €nach Eingang der ergänzenden Klagebegründung€ zu. Unter dem 22. Oktober 2003 beantragte der seinerzeitige Verfahrensbevollmächtigte des Erinnerungsgegners Akteneinsicht, weswegen die Kammervorsitzende die Erinnerungsführerin bat, die Verwaltungsvorgänge bereits vorab zu übersenden. Unter dem 14. November 2003 zeigte die Verfahrensbevollmächtigte der Erinnerungsführerin an, dass diese sie mit der Prozessvertretung beauftragt habe. Sie stellte Antrag, die Klage abzuweisen, und führte aus, die Begründung des Klageabweisungsantrages werde einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten; zugleich reichte sie die erbetenen Verwaltungsvorgänge her. Nach Einsichtnahme am 2. Dezember 2003 nahm der Erinnerungsgegner die Klage am 12. Dezember 2003 zurück. Nach Einstellung des Verfahrens durch das Verwaltungsgericht beantragte die Erinnerungsführerin Streitwertfestsetzung; der Erinnerungsgegner trat dem mit dem Hinweis entgegen, die Klage sei nur fristwahrend eingelegt worden, so dass die Einschaltung eines Rechtsanwalts nicht notwendig gewesen und eine Streitwertfestsetzung mangels Kostenerstattungsanspruchs von daher nicht erforderlich sei. Unbeschadet dessen setzte das Verwaltungsgericht den Streitwert durch Beschluss vom 17. Februar 2005 fest, und zwar auf 7.878,60 Euro. Die Erinnerungsführerin hat sodann unter dem 26. April 2005 beantragt, die ihr zu erstattenden Kosten auf 501,64 Euro (Prozessgebühr i.H.v. 412,- Euro zuzüglich Pauschale von 20,45 Euro nebst 16 % MWSt.) festzusetzen. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat den Antrag mit Beschluss vom 13. Mai 2005 mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Einschaltung einer Prozessbevollmächtigten nach Lage der Dinge nicht gerechtfertigt gewesen sei. Die daraufhin angerufene Kammer hat die Erinnerung mit Beschluss vom 17. Februar 2009 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Erstattungsverlangen sei treuwidrig, so dass § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig seien, vorliegend nicht greife. Nachdem die Klageerhebung lediglich vorsorglich und zur Fristwahrung erfolgt sei, habe kein Grund für die Erinnerungsführerin bestanden, bereits in diesem Verfahrensstadium anwaltlichen Beistand in Anspruch zu nehmen; außerdem habe das Gericht die Erinnerungsführerin mit der Eingangsverfügung gebeten, sich erst nach Eingang der ergänzenden Klagebegründung schriftlich zu äußern. Deswegen sei nicht nur der Klageabweisungsantrag verfrüht gewesen, sondern die kostenverursachende Hinzuziehung anwaltlichen Beistands überhaupt.
II.
Die hiergegen erhobene, gemäß §§ 146 Abs. 1 und 3, 147 VwGO zulässige Beschwerde ist - freilich nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang - begründet. Die Erinnerungsführerin hat im Ausgangsverfahren VG 14 A 77.03 einen Anspruch auf Erstattung der durch die anwaltliche Vertretung entstandenen Gebühren und Auslagen ihrer bevollmächtigten Rechtsanwältin erworben, allerdings nicht in Höhe der geltend gemachten 501,64 Euro, sondern nur in Höhe von 269,48 Euro. Dazu im Einzelnen:
1. Erstattungsfähig im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind gem. § 162 Abs. 1 VwGO u.a. die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten. Nach § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind im Gerichtsverfahren die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig, also kraft Gesetzes als notwendig anzusehen. Damit soll es den Beteiligten erleichtert werden, sich eines qualifizierten Rechtsvertreters ihrer Wahl zu bedienen (vgl. § 67 Abs. 2 VwGO), um den Verwaltungsrechtsschutz wirksamer zu gestalten. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch für beklagte juristische Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden, und zwar unabhängig davon, ob das Gesetz Vertretungszwang vorschreibt (vgl. § 67 Abs. 4 VwGO) oder die Behörde/juristische Person des öffentlichen Rechts über eigene juristisch qualifizierte Mitarbeiter oder gar eine eigene Rechtsabteilung verfügt (vgl. zum Ganzen Beschluss des Senats vom 1. Februar 2006 - 1 K 72.05 -, NVwZ 2006, 713 f.; ferner etwa Beschlüsse vom 10. September 2008 - 1 K 41.07 - und vom 20. Oktober 2008 € 1 K 95.07 -, jew. in Juris).
Mit Rücksicht auf die nach der gesetzlichen Regelung in § 162 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VwGO grundsätzlich bestehende Erstattungspflicht für die (gesetzlichen) Gebühren und Auslagen des prozessbevollmächtigten Rechtsanwalts sind in der Rechtsprechung Ausnahmen zutreffend nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, nämlich dann anerkannt worden, wenn das entsprechende Erstattungsverlangen des obsiegenden Prozessbeteiligten unter Berücksichtigung des gegenseitigen Prozessrechtsverhältnisses als treuwidrig angesehen werden musste. Der eine Ausnahme rechtfertigende Verstoß gegen Treu und Glauben ist nach einer Formulierung des OLG Hamm (NJW 1970, 2217) dann anzunehmen, wenn die anwaltliche Vertretung für die Partei offensichtlich nutzlos und objektiv nur dazu angetan ist, dem Gegner Kosten zu verursachen. Auf der Grundlage dieser Formel hat die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung eine Kostenerstattungspflicht ausnahmsweise verneint, wenn eine Behörde oder juristische Person des öffentlichen Rechts auf eine ersichtlich unzulässige oder aus sonstigen Gründen offensichtlich aussichtslose Klage mit anwaltlicher Hilfe reagiert hat (OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2004, 155 f.; OVG Berlin, NVwZ-RR 2001, 613 m.w.N. [Klage gegen ZVS-Bescheid]; VGH Mannheim, Beschluss vom 29. November 2004 - NC 9 S 411.04 - m.w.N. [Vertretungsanzeige nach unstreitiger Hauptsachenerledigung], juris) oder etwa bei der Beauftragung des Bevollmächtigten zu erkennen war, dass das Verfahren bereits beendet war und es deshalb keiner anwaltlichen Vertretung mehr bedurfte (vgl. Beschlüsse des Senats vom 12. Juni 2008 - OVG 1 K 94.07 -, S. 3 des Entscheidungsabdrucks, vom 17. März 2009 - 1 K 4.09 -, S. 3 f. des Entscheidungsabdrucks und vom 19. März 2010 € OVG 1 K 8.10 -, S. 4 f. des Entscheidungsabdrucks).
Ein solcher Fall liegt hier € anders als das Verwaltungsgericht angenommen hat - nicht vor. Insbesondere können die vorstehenden Grundsätze nicht schon deswegen bejaht werden, weil der Erinnerungsgegner erklärt hatte, die Klage werde (lediglich) €vorsorglich und zur Fristwahrung€ erhoben, und weil das Verwaltungsgericht der Erinnerungsführerin aufgegeben hatte, sich (erst) nach Vorliegen der ergänzenden Klagebegründung zu äußern. Eine Einschränkung von § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO dergestalt, dass Gebühren und Auslagen des prozessbevollmächtigten Rechtsanwalts nicht erstattungsfähig seien, wenn die Klage nur vorsorglich bzw. zur Fristwahrung erhoben wird, ist im Gesetz nicht vorgesehen; auch in einem solchen Fall bleibt es deswegen bei dem Grundsatz, dass die Gebühren und Auslagen des bevollmächtigten Rechtsanwalts (stets) erstattungsfähig sind (vgl. - zu § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO - BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 € X ZB 9/02 -, Juris, Rdn. 11 f.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. September 2009 € 2 OA 302/09 -, Juris, Rdn. 13; OVG Hamburg, Beschluss vom 12. Juni 2007 € 3 So 173/05 -, NVwZ-RR 2007, 825, 826; ferner etwa Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 162, Rdn. 58). Es kann nicht als treuwidrig bezeichnet werden, wenn sich ein Beteiligter, der sich mit einer € zumal durch Anwaltsschriftsatz erhobenen - Klage konfrontiert sieht und dem damit ein Prozessrisiko entsteht, schon frühzeitig anwaltlichen Beistands bedient; es ist ihm nicht zuzumuten, in einem solchen Falle (zunächst) untätig zu bleiben, nur um das Kosteninteresse des Klagenden zu wahren (vgl. auch OVG Lüneburg, a.a.O.). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Verwaltungsgericht der Erinnerungsführerin vorliegend mit der Eingangsverfügung aufgegeben hatte, sich (erst) nach Vorliegen der ergänzenden Klagebegründung zu äußern. Ein mit einer Klage angegangener Prozessbeteiligter ist dadurch nicht gehindert, sich schon vorher anwaltlichen Beistands zu versichern und sich in einem frühen Stadium ggf. auch schon prozessual zu äußern; die ihm daraus entstandenen Anwaltskosten bleiben nach § 162 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 VwGO grundsätzlich erstattungsfähig.
2. Davon - von der grundsätzlichen Anerkennung der Erstattungsfähigkeit der Gebühren und Auslagen des bevollmächtigten Rechtsanwalts - ist allerdings die Frage zu unterscheiden, welche Maßnahmen im Einzelnen der bestellte Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im Einzelnen für erforderlich halten darf (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002, a.a.O., Rdn. 15). Vorliegend war es nach Lage der Dinge vom Standpunkt einer verständigen Partei aus nämlich nicht im Sinne des § 162 Abs. 1 VwGO notwendig, schon einen Klageabweisungsantrag zu stellen; deswegen ist, wie sich aus der Wertung des § 32 Abs. 1 BRAGO ergibt, lediglich eine halbe Prozessgebühr erstattungsfähig (vgl. dazu bereits Beschluss des Senats vom 10. September 2008 € OVG 1 K 41.07 -, S. 6 des Entscheidungsabdrucks, Juris-Ausdruck, Rdn. 5; zur Anwendung von § 32 Abs. 1 BRAGO auch BGH, a.a.O.). Die Erstattung seiner aufgewandten Kosten kann ein Beteiligter - und zwar unbeschadet der in § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO getroffenen Regelung - nur insoweit erwarten, als er der ihm aus dem Prozessrechtsverhältnis obliegenden Pflicht nachgekommen ist, die Kosten möglichst niedrig zu halten (vgl. entsprechend - zu § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO einerseits und Abs. 1 Satz 1 dieser Bestimmung andererseits - BGH, Beschluss vom 3. Juli 2007 € VI ZB 21/06 -, Juris, Rdn. 7 des Ausdrucks; Beschluss vom 3. Juni 2003 € VIII ZB 19/03 -, Juris, Rdn. 7 des Ausdrucks; Beschluss vom 17. Dezember 2002 € X ZB 27/02 -, Juris, Rdn. 11 des Ausdrucks; zum Ganzen auch schon Beschluss des Senats vom 10. September 2008). Der die volle Prozessgebühr auslösende Klageabweisungsantrag war hier sachlich nicht gerechtfertigt, weil die Klage noch nicht begründet war (die €vorab€ erteilte €Mitteilung€ unter 3. in der Klageschrift war ersichtlich noch nicht als Klagebegründung konzipiert und ist in dem den Klageabweisungsantrag enthaltenden Schriftsatz der Erinnerungsführerin vom 14. November 2003 als solche auch nicht gewürdigt worden) und insbesondere eben mitgeteilt war, dass die Klage €vorsorglich und zur Fristwahrung€ erhoben und € wie der Schriftsatz des Erinnerungsgegners vom 22. Oktober 2003 deutlich gemacht hat € in ihrem weiteren Verlauf zunächst einmal davon abhängig war, was die Akteneinsicht ergeben würde. Erst bei Vorliegen einer Klagebegründung hätte sich die Erinnerungsführerin inhaltlich mit dem Antrag und der Begründung auseinander setzen können und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern können; es ist nicht ersichtlich, welche Prozessförderung von einem Antrag auf Zurückweisung einer Klage ausgehen könnte, solange mangels einer Klagebegründung eine sachgerechte Prüfung des Rechtsmittels überhaupt noch nicht möglich ist und noch nicht einmal feststeht, dass die Klage überhaupt weitergeführt wird (s. entspr. BGH, Beschluss vom 3. Juli 2007, a.a.O.). Entsprechend der in § 32 Abs. 1 BRAGO getroffenen Wertung muss sich die Erinnerungsführerin deswegen mit der Erstattung einer halben Prozessgebühr begnügen, nachdem sie vor der Beendigung des Verfahrens bzw. Auftrages zwar einen Sachantrag im Sinne dieser Bestimmung gestellt hat, dieser allerdings nicht geeignet war, das Verfahren in irgendeiner Weise zu fördern.
Die der Erinnerungsführerin zu erstattenden Kosten berechnen sich daher auf der Grundlage des im Übrigen unbeanstandet gebliebenen Kostenfestsetzungsantrages vom 26. April 2005 dahin, dass anstelle der angesetzten Prozessgebühr von 412,- Euro nur die hälftige Gebühr, d.h. 206,- Euro in Ansatz zu bringen sind. Zuzüglich der geltend gemachten Pauschale von 20,45 Euro sowie 16 % MWSt. (43,03 Euro) ergibt dies den zu erstattenden Betrag von 269,48 Euro.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Einer Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedurfte es nicht, weil für das Verfahren eine Festgebühr von 50,- Euro vorgesehen ist (Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes); eine Ermäßigung der Gebühr oder Bestimmung dahin, dass eine solche nicht zu erheben ist, war vorliegend nicht vorzunehmen (Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
OVG Berlin-Brandenburg:
Beschluss v. 26.06.2012
Az: OVG 1 K 25.09
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