Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 17. Oktober 1997
Aktenzeichen: 6 U 2/97
(OLG Köln: Urteil v. 17.10.1997, Az.: 6 U 2/97)
1. Ist die Vollziehungszustellung einer einstweiligen Beschlußverfügung im Ausland (hier: Tschechische Republik) undurchführbar, weil sich im Zustellungsstaat die zuständige Behörde hieran durch ihren ordre public gehindert sieht, löst eine nach Ablauf der Vollziehungsfrist vorgenommene anderweitige Zustellung (hier: an die inländischen Prozeßbevollmächtigten des Unterlassungsschuldners, die die Aufhebung der einstweiligen Verfügung erstreben) im Hinblick auf die Besonderheiten der Vollziehungszustellung keine Rückwirkung der Zustellung auf den Zeitpunkt der Einreichung des Auslands-Zustellungsersuchens aus. (Abgrenzung zu RGZ 70, 291).
2. Zur Frage der Zustellungsbevollmächtigung eines Patentanwaltes in Wettbewerbsstreitigkeiten.
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 19. November 1996 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 313/96 - wie folgt abgeändert: Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 10. Mai 1996 - 31 O 313/96 - wird unter Zurückweisung des ihr zugrundeliegenden Antrags der Antragstellerin vom 9. Mai 1996 aufgehoben. Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens in beiden Instanzen hat die Antragstellerin zu tragen.
Gründe
Die in formeller Hinsicht bedenkenfrei Berufung der
Antragsgegnerin ist nicht nur zulässig, sondern auch in der Sache
erfolgreich.
Dabei kann es dahingestellt bleiben, inwiefern die für die
Zulässigkeitsvoraussetzung der Dringlichkeit sprechende Vermutung
des § 25 UWG im gegebenen Fall aufgrund der etwaigen frühen
Kenntnis der Antragstellerin vom Vertrieb der Anzeigenelemente
durch die Antragsgegnerin sowie eines sich daraus etwa ergebenden
zu langen Abwartens mit der Beantragung der einstweiligen Verfügung
als widerlegt anzusehen ist. Auch der Frage, ob im gegebenen Fall
die materiellen Voraussetzungen des von
der Antragstellerin geltend gemachten Unterlassungsbegehrens in
einer für den Erlaß und die Aufrechterhaltung der einstweiligen
Verfügung ausreichenden Weise bejaht werden können, kommt keine
entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das alles kann hier deshalb
offenbleiben, weil die zunächst im Beschlußweg erlassene und mit
dem angefochtenen Urteil sodann aufrechterhaltene einstweilige
Verfügung jedenfalls mangels rechtzeitiger Vollziehung i. S. der §§
929 Abs. 2, 936 ZPO aufzuheben ist.
Die einstweilige Beschlußverfügung bedurfte zu ihrer wirksamen
Vollziehung der Zustellung innerhalb eines Monats - beginnend mit
der am 14. Mai 1996 erfolgten Zustellung einer Ausfertigung an die
Antragstellerin - entweder an die Antragsgegnerin selbst oder einen
von ihr eingesetzten Zustellungs- oder Prozeßbevollmächtigten. Eine
solche Zustellung ist aber innerhalb der Monatsfrist des § 929 Abs.
2 ZPO nicht erfolgt.
Die von der Antragstellerin zunächst fristgerecht eingeleitete
Auslandszustellung konnte dabei von vorneherein die vorbezeichnete
Vollziehungsfrist nicht wahren. Denn diese Auslandszustellung
scheiterte infolge der Weigerung des um die Vermittlung der
Zustellung ersuchten Justizministeriums der Tschechischen Republik
(Bl. 251 - 255 d. A. ), das sich insoweit auf Art. 13 des am 26. 6.
1979 in Kraft getretenen Haager Óbereinkommens vom 15. 11. 1965
über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher
Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen (HZÓ; BGBl 77
II, 1453 und BGBl 79 II, 779) berufen hat.
Der Antragstellerin hilft in diesem Zusammenhang auch die am 26.
Juni 1996 - also deutlich nach Verstreichen der bereits am 14. Mai
1996 in Gang gesetzten einmonatigen Vollziehungsfrist - erfolgte
Zustellung der einstweiligen Beschlußverfügung an die sich für das
vorliegende Verfahren bestellenden Prozeßbevollmächtigten ( vgl.
Bl. 57 d. A. ) der Antragsgegnerin nicht weiter. Zwar sieht § 207
Abs. 1 ZPO im Interesse des Schutzes des Zustellenden vor seinem
Einflussbereich entzogenen Verzögerungen u. a. der Zustellung im
Ausland ( §§ 199, 200 ZPO ) vor, daß die rechtzeitige Einreichung
des Zustellungsgesuchs dann zur Wahrung u. a. der Vollziehungsfrist
des § 929 Abs. 2 ZPO geeignet ist, wenn die Zustellung demnächst
erfolgt ( vgl. Stein-Jonas-Roth, ZPO, 21. Aufl., Rdn. 4 zu § 207 ).
Die nach Ablauf der Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO erfolgte
Zustellung an die Prozeßbevollmächtigten der Antragsgegnerin kann
hier jedoch die genannte Rückwirkung nicht auslösen. Allerdings ist
es richtig, daß die Rückwirkungsfiktion des § 207 Abs. 1 ZPO nicht
notwendig und in jedem Fall die Zustellung in der Zustellungsart
voraussetzt, die durch das - fristgerecht angebrachte -
Zustellungsgesuch eingeleitet worden ist. Vielmehr ist anerkannt,
daß - entgegen dem Gesetzeswortlaut, der eine Zustellung " auf das
Gesuch " voraussetzt - die Wirkungen des § 207 Abs. 1 ZPO auch dann
eintreten können, wenn vor der Erledigung des Zustellungsgesuchs
irgend eine rechtsgültige Zustellung erfolgt ( RG Z 70, 291/294;
Stein-Jonas-Roth, a. a. O., Rdn. 8 zu § 207 ). Das vorliegende
Verfahren kennzeichnen jedoch Besonderheiten, die eine
abweichende
Beurteilung gebieten. Auch wenn dies in der Bestellungsanzeige
vom 13. Juni 1996 nicht ausdrücklich erwähnt ist, meldeten sich die
Prozeßbevollmächtigten der Antragsgegnerin im vorliegenden
Verfahren, um im Rahmen der Rechtsverteidigung alle Argumente gegen
die Berechtigung und Aufrechterhaltung der einstweiligen
Beschlußverfügung, deren Wirksamkeit an die Zustellung geknüpft
ist, geltend zu machen. Dies umfaßte auch den nur im Verfahren der
einstweiligen Verfügung denkbaren und von der Antragsgegnerin
sodann, als das Scheitern der Auslandszustellung feststand, auch
erhobenen Einwand, daß die Beschlußverfügung nicht innerhalb der
Frist der §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO vollzogen worden sei. Wollte man
in dieser Situation die Entgegennahme der Beschlußverfügung durch
die Prozeßbevollmächtigten der Antragsgegnerin als eine die
Rückwirkung des § 207 Abs. 1 ZPO auslösende Zustellung anerkennen,
würde der letzgenannte Einwand allein deshalb vereitelt, weil die
antragstellende Partei vorher, möglicherweise sogar in weitem
Zeitabstand, ein noch unerledigtes oder bereits gescheitertes
Gesuch um öffentliche Zustellung oder Zustellung im Ausland
angebracht hat. Für den Antragsgegner begründet dies zum einen aber
eine erhebliche Unklarheit, ob die Beschlußverfügung innerhalb der
Frist des § 929 Abs. 2 ZPO vollzogen ist. Dem steht es nicht
entgegen, daß die Rückwirkung des § 207 Abs. 1 ZPO eine " demnächst
" erfolgte Zustellung voraussetzt. Das genannte Erfordernis,
welches je nach den Umständen des Falls sogar Zeiträume von einem
Jahr abdecken kann ( vgl. Stein-Jonas-Roth, a. a. O., Rdn. 7 zu §
207 ) und das erhebliche Ermessenspielräume in sich birgt,
entkräftet die vorbezeichnete Unsicherheit und Unklarheit nicht.
Von maßgeblicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang zum andern
aber auch die bei der Beschlußverfügung gegebene Besonderheit, daß
deren Zustellung an den Schuldner nicht nur die Wahrung der
Vollziehungsfrist herbeiführen soll, sondern die Wirksamkeit des
Titels überhaupt erst herbeiführt ( § 922 Abs. 2 ZPO ). Im Hinblick
darauf geht es bei der hier in Rede stehenden Zustellung der
einstweiligen Verfügung daher nicht nur um die Frage der Wahrung
oder Unterbrechung einer Frist, sondern um den Wirkungsbeginn des
Titels, der in der gegebenen Fallkonstellation dann erst nach
Ablauf der Vollziehungsfrist feststünde. Die aufgezeigte
Problematik läßt daher bereits die - hier allerdings nicht zu
entscheidende - Frage aufkommen , ob § 207 Abs. 1 ZPO bei der
Zustellung der Beschlußverfügung überhaupt Anwendung finden kann.
Jedenfalls aber belegen die vorstehenden Erwägungen - ähnlich der
Problemstellung bei der Frage der Heilung von Zustellungsmängeln (
vgl Teplitzky, wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl., Kap. 55
Rdn. 45 ff ) - Unwägbarkeiten und Ermessenspielräume, die nicht nur
für den Schuldner eine beachtliche und nach Auffassung des Senats
nicht hinnehmbare Unsicherheit aufkommen lassen. Sie führen darüber
hinaus auch für den Gläubiger zu einer nicht unbeachtlichen
Unsicherheit: Denn in bezug auf seine Rechtsposition stellt sich
wiederum die Frage, inwiefern sich der Schuldner der
Unterlassungsverpflichtung - solange die Wirksamkeit und
rechtzeitige Vollziehung der Beschlußverfügung nicht feststeht -
auf ein mangelndes Verschulden bei etwaigen objektiven
Zuwiderhandlungen berufen kann, was letzlich die Verwertbarkeit der
Beschlußverfügung als Grundlage einer Zwangsvollstreckung
erheblichen Zweifeln begegnen läßt. Die vorstehenden Ausführungen
machen zugleich deutlich, daß der vom Reichsgericht in der
vorbezeichneten Entscheidung ( RG Z 70, 291 ff ) beurteilte
Sachverhalt von der hier zu entscheidenden Fallkonstellation ganz
maßgeblich abweicht. Denn während es sich bei dem der Entscheidung
des Reichsgerichts zugrundeliegenden Fall um die Frage der
Verjährung eines Anspruchs, mithin eine sich aussschließlich auf
die materielle Rechtslage auswirkende Frist handelte, geht es
vorliegend um die Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit eines im
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erstrittenen Titels, die
den Bestand des - ggf. im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens noch
geltend zu machenden - materiellrechtlichen Anspruchs unberührt
lassen. All diese Umstände in ihrer Gesamtheit würdigend, ist es
daher im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt, an die nach Ablauf
der Vollziehungsfrist gemäß §§ 176, 198 ZPO erfolgte Zustellung der
Beschlußverfügung die Rückwirkung nach Maßgabe von § 207 Abs. 1 ZPO
auf den Zeitpunkt des Anbringens des Gesuchs um Auslandszustellung
anzuknüpfen. Eine abweichende Beurteilung ist weiter auch nicht
etwa deshalb gerechtfertigt, weil - nachdem die
Prozeßbevollmächtigten der Antragsgegnerin sich mit Schrifsatz vom
13. Juni 1996 bestellt hatten ( Bl. 57 d. A. ) - die Zustellungen
gemäß § 176 ZPO an diese erfolgen mußten, der Antragstellerin
insofern daher keine Wahl der Zustellungsform mehr blieb. Die
hieraus von der Antragstellerin hergeleitete angebliche
Konfliktlage, daß selbst eine tatsächlich bewirkte
Auslandszustellung und die hieran gemäß § 207 Abs. 1 ZPO
anknüpfende Rückwirkung auf den Zeitpunkt ihrer - fristgerechten -
Beantragung, die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO nicht mehr
hätte wahren können, besteht nicht. Voraussetzung der in § 176 ZPO
formulierten Pflicht, Zustellungen ausschließlich an den
Prozeßbevollmächtigten zu richten und nicht mehr an die vertretene
Partei auszuführen, ist die Kenntnis der zustellenden Partei von
der Bestellung des Prozeßbevollmächtigten ( BGH NJW 1981,
1673/1674; Zöller-Stöber, a. a. O., Rdn. 9 zu § 176 ZPO ). Vor
Erlangung dieser Kenntnis eingeleitete Zustellungsverfahren werden
daher nicht allein deshalb wirkungslos und müssen auch nicht allein
deshalb eingestellt werden, weil sich später ein
Prozeßbevollmächtigter für den Zustellungsempfänger bestellt und
dem Zustellenden dies bekannt wird. Im vorliegenden Verfahren
bedeutet dies, daß der Antragstellerin vor der Kenntnis von der
Bestellung des Prozeßbevollmächtigten innerhalb der
Vollziehungsfrist die anderen Zustellungsformen einschließlich der
bei nicht erfolgversprechender Auslandszustellung u. U. in Betracht
zu ziehenden Zustellung nach Maßgabe von § 203 Abs. 2 ZPO zur
Verfügung standen. Diese, der Antragstellerin ungeachtet des
Umstands , daß sich später Prozeßbevollmächtigte für die
Antragsgegnerin bestellten, zur Verfügung stehenden
Zustellungsformen, stehen aber der von ihr befürchtenen
Konfliktlage entgegen.
Auch die am 4. Juni 1996 erfolgte Zustellung der
Beschlußverfügung an den Patentanwalt Dr. W. ( Bl. 284 f, 300 d. A.
)ist schließlich nicht zur Wahrung der Vollziehungsfrist geeignet.
Denn es kann nicht festgestellt werden, daß Patentanwalt Dr. W. bei
Entgegennahme der Beschlußverfügung als insoweit von der
Antragsgegnerin eingesetzter Zustellungsbevollmächtigter handelte.
Es bestehen bereits durchgreifende Bedenken, ob die dem
Patentanwalt Dr. W. erteilte Vollmacht objektiv die
Empfangvollmacht betreffend die Beschlußverfügung umfaßte: Denn der
sich mit Schreiben vom 28. Mai 1996 "in Sachen des gewerblichen
Rechtsschutzes" als Vertreter der Antragsgegnerin meldende und
allein auf die Abmahnung der Antragstellerin vom 24. Mai 1996 Bezug
nehmende Patentanwalt Dr. W. stützte sich zur Verteidigung der
Rechtsposition der Antragsgegnerin allein auf
geschmacksmusterrechtliche Aspekte. Daß die ihm erteilte Vollmacht
darüber hinaus generell auch die Vertretung in der Streitigkeit
unter sämtlichen wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten,
inbesondere aber die Ermächtigung zur Entgegennahme der allein auf
die Vorschriften des UWG gestützen Unterlassungsverfügung zum
Zwecke der Zustellung umfaßte, kann daher nicht ohne weiteres
angenommen werden. Hinzu kommt hier aber vor allem der Umstand, daß
der Antragsgegnerin im Zeitpunkt der Abfassung des erwähnten
Schreibens durch Patentanwalt Dr.
Wahl die zu diesem Zeitpunkt von der Antragstellerin bereits
erwirkte Beschlußverfügung vorlag oder doch zumindest bekannt war.
Dies geht zum einen aus dem vorletzten Absatz des Schreibens vom
28. Mai 1995, in dem Patentanwalt Dr. W. die einstweilige Verfügung
als solche erwähnt, sowie zum anderen daraus hervor, daß Dr. W. -
wie wiederum dem ersten Absatz des Schreibens entnommen werden kann
- erstmals von der Antragsgegnerin über den hier fraglichen
Sachverhalt in Kenntnis gesetzt wurde. Bei dieser Sachlage, in
welcher der Antragsgegnerin die Beschlußverfügung bereits bekannt
oder sogar( ohne förmliche Zustellung ) zugegangen war, spricht
aber alles dagegen, daß Patentanwalt Dr. W. bevollmächtigt war, die
Beschlußverfügung für die Antragsgegnerin überhaupt erst zum Zwecke
der Zustellung entgegenzunehmen.
Muß nach alledem davon ausgegangen werden, daß - was als Einwand
mit der gegen das die einstweilige Verfügung bestätigende Urteil
eingelegten Berufung geltend gemacht werden kann - die
Vollziehungsfrist der §§ 929 Abs. 2,936 ZPO nicht gewahrt, kann die
einstweilige Verfügung - keinen Bestand mehr haben und ist sie ohne
nähere Sachprüfung allein aus diesem Grund aufzuheben.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Das Urteil ist gemäß § 545 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung
rechtskräftig.
OLG Köln:
Urteil v. 17.10.1997
Az: 6 U 2/97
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