Bundespatentgericht:
Beschluss vom 1. Dezember 2003
Aktenzeichen: 20 W (pat) 309/03

(BPatG: Beschluss v. 01.12.2003, Az.: 20 W (pat) 309/03)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Gegen das Patent 101 10 258, dessen Erteilung am 29. August 2002 veröffentlicht wurde, haben die Patentanwälte B... & R... am 29. November 2002 im Namen von vier Einsprechenden einen Einspruchsschriftsatz eingereicht mit der Begründung, der Gegenstand des Patents sei nicht patentfähig. Als Einspruchsgebühr wurde ein Betrag in Höhe von 200,00 € entrichtet.

Die Einsprechenden stellen gemeinsam den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten, hilfsweise mit Patentanspruch 1 und Patentanspruch 9, überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Die Einsprechenden führen aus, die Zahlung einer einzigen Einspruchsgebühr sei ausreichend.

Zur Frage der Zulässigkeit der Einsprüche äußert sich die Patentinhaberin nicht.

Der Anspruch 1 erteilter Fassung (Hauptantrag) lautet:

"1. Verfahren zum Betrieb eines Hörhilfegerätes oder Hörgerätesystems (11, 11') mit wenigstens einem ersten Mikrofon (1; 12) zum Erzeugen eines ersten Mikrofonsignals und einem davon beabstandeten zweiten Mikrofon (4; 12') zum Erzeugen eines zweiten Mikrofonsignals, dadurch gekennzeichnet, dass durch Vergleich der Mikrofonsignale oder daraus abgeleiteter Signale rückkopplungsbedingte Oszillationen erkannt werden und bei erkannten rückkopplungsbedingten Oszillationen Maßnahmen zur Reduzierung der rückkopplungsbedingten Oszillationen durchgeführt werden."

Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag lautet bei gleichem Oberbegriff im kennzeichnenden Teil:

"dass durch Vergleich der Mikrofonsignale oder daraus abgeleiteter Signale rückkopplungsbedingte Oszillationen erkannt und von eventuell in dem Nutzsignal enthaltenen Oszillationen unterschieden werden, wobei lediglich die erkannten rückkopplungsbedingten Oszillationen, nicht jedoch die in dem Nutzsignal enthaltenen Oszillationen unterdrückt werden."

In der mündlichen Verhandlung haben ua folgende Entgegenhaltungen eine Rolle gespielt:

(1) DE 199 22 133 A1,

(5) DE 39 08 673 A1,

(6) EP 0 364 037 A1.

II.

1. Die Einsprüche sind ordnungsgemäß erhoben.

Für den gemeinsamen Einspruch der vier Einsprechenden, der auf eine einheitliche Einspruchsbegründung gestützt ist und in einem gemeinsamen Schriftsatz und durch einen gemeinsamen Bevollmächtigten erhoben wurde, reicht die Entrichtung einer einzigen Einspruchsgebühr in Höhe von 200 € aus (entgegen BPatG Beschluß vom 28. April 2003, 19 W (pat) 317/02, Veröffentlichung vorgesehen - Mehrzahl von Einsprechenden; wohl auch entgegen BPatG Beschluß vom 14. Juli 2003 [11 W (pat) 305/02, Veröffentlichung vorgesehen - Aktivkohlefilter], wonach bei einem gemeinsamen Einspruch zweier Einsprechender eine einzige Einspruchsgebühr - nur deswegen - fällig war, weil die Einsprechenden bereits in ihrem Einspruchsschriftsatz eine durch enge Zusammenarbeit begründete Rechtsgemeinschaft darlegten).

Eine Pflicht zur Zahlung mehrerer Gebühren entsprechend der Anzahl der mit einem gemeinsamen Einspruchsschriftsatz Einsprechenden ergibt sich nicht aus dem Gesetz.

Die Gebühren des Deutschen Patent- und Markenamts und des Bundespatentgerichts werden nach dem PatKostG erhoben, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, § 1 Abs. 1 Satz 1 PatKostG. Die Vorschriften über das Einspruchsverfahren der §§ 59 ff PatG, die im vorliegenden Fall über die Verweisungsnorm des § 147 Abs. 3 PatG im wesentlichen für das erstinstanzliche Einspruchsverfahren vor dem Senat gelten, enthalten keine Bestimmungen über die Anzahl der zu entrichtenden Einspruchsgebühren bei mehreren Einsprechenden. Nach § 62 Abs. 1 Satz 3 PatG kann die Patentabteilung anordnen, dass "die Einspruchsgebühr nach dem Patentkostengesetz" ganz oder teilweise zurückgezahlt wird, wenn es der Billigkeit entspricht.

Solche Vorschriften finden sich aber auch nicht im PatKostG. Lediglich das "Einspruchsverfahren (§ 59 Abs. 1 PatG)" - und nicht etwa der Einspruch - ist als Gebührentatbestand mit einer zu entrichtenden Gebühr in Höhe von 200 € im Gebührenverzeichnis unter der Nr. 313 600 aufgeführt. Nach § 3 Abs. 1 PatKostG wird die Gebühr mit "der Einlegung eines Einspruchs" fällig. Soweit § 4 Abs. 2 Pat-KostG vorschreibt, daß mehrere Kostenschuldner als Gesamtschuldner haften, anerkennt das Gesetz lediglich, dass es Konstellationen mit mehreren Verfahrensbeteiligten auf derselben Seite gibt. Wie diese bei der Gebührenzahlung zu behandeln sind, insbesondere, ob lediglich eine Gebühr anfällt oder Gebühren entsprechend der Anzahl der am Verfahren Beteiligten fällig werden, regelt das Gesetz nicht.

Aus der amtlichen Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums, Bl.f.PMZ. 2002, 36 ff, 46, zu Nr. 313 600, ergibt sich nichts anderes. Im Rahmen der Rechtfertigung für die Einführung einer Einspruchsgebühr wird darauf hingewiesen, daß pro Jahr "in rund 1000 Fällen" Einspruch erhoben werde, und dass es sich um ein "aufwendiges Verfahren" handele. Aus dieser Wortwahl lässt sich eher schließen, dass die Anzahl der Einspruchsverfahren im Blickfeld stand, und nicht die Anzahl der Einsprechenden.

Die Bestimmung in § 27 GKG, wonach bei einem einheitlichen Gegenstand des Verfahrens in jeder Instanz die Gebühr hinsichtlich des Streitgegenstands nur einmal erhoben wird und sie sich somit nicht nach der Anzahl der Antragsteller richtet, kann im vorliegenden Fall nicht ohne weiteres herangezogen werden. Denn das GKG gilt nach der ausdrücklichen Regelung in seinem § 1 nicht für die Verfahren vor dem DPMA oder dem BPatG. In Übereinstimmung damit läßt das PatKostG ausdrücklich nur für die Auslagen in Verfahren vor dem BPatG die Anwendung des GKG zu (§ 1 Abs. 1 Satz 2 PatKostG). Nach Ansicht des BGH (GRUR 1987, 348 - Bodenbearbeitungsmaschine) kommt u.a. in § 27 GKG der allgemeine Grundsatz des Kostenrechts zum Ausdruck, wonach auch bei Beteiligung mehrerer nicht in Rechtsgemeinschaft stehender Kläger oder Antragssteller die Zahlung einer Gebühr bei einem einheitlichen Gegenstand des Rechtsstreits genügt. Ob diese in einem Nichtigkeits-Berufungsverfahren geäußerte Rechtsansicht des BGH (zustimmend allerdings auch für das erstinstanzliche Nichtigkeitsverfahren vor dem BPatG, vergl. Entscheidungsgründe unter I) auf das erstinstanzliche Einspruchsverfahren ohne weiteres zu übertragen ist, erscheint vor diesem gesetzlichen Hintergrund weiterhin zweifelhaft. Der BGH hat in diesem Urteil die Überprüfung der abweichenden Handhabung, wie sie in den früheren Entscheidungen des Gerichts "Einsteckschloß" (BGH GRUR 1982, 414) und "Transportfahrzeug" (BGH GRUR 1984, 36) zum Ausdruck kommt, für das Einspruchs-Beschwerdeverfahren zwar angekündigt. Eine solche Überprüfung hat aber aus welchen Gründen auch immer bisher nicht stattgefunden. Jedoch hat der Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat des BPatG (Beschluß vom 23.2.2000, 5 W (pat) 428/99, BPatGE 42, 233 - Bausatz für Fachwerkbauten) die Entscheidung "Bodenbearbeitungsmaschine" aufgegriffen und festgestellt, dass für den von mehreren Antragstellern durch einen gemeinsamen Verfahrensbevollmächtigten in ein und demselben Schriftsatz eingereichten Löschungsantrag nur eine Gebühr nach dem Tarif zu zahlen sei, wenn alle Antragsteller denselben Löschungsgrund geltend machten.

Fehlt es danach aber an einer eindeutigen gesetzlichen Regelung über die Anzahl der zu entrichtenden Gebühren bei mehreren Verfahrensbeteiligten, so kann dies nicht zu deren Lasten gehen. Schon aus Gründen des Vorbehalts des Gesetzes müßte sich die Fälligkeit mehrerer Gebühren für mehrere gemeinsam Einsprechende klar und deutlich aus dem PatKostG ergeben. Da die Belastung mit Gebühren einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage bedarf, haben sich die Zweifel des 10. Senat des BPatG in seiner Entscheidung vom 5.12.2002 (BPatGE 46, 163 - Beschwerdegebühr bei Beschwerde gegen Kostenfestsetzungsbeschluß) darüber, ob für die Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß des Patentamtes eine Beschwerdegebühr anfällt, zugunsten des Antragsstellers ausgewirkt.

Dies führt im Ergebnis auch bei mehreren gemeinsam Einsprechenden dazu, dass nur eine Einspruchsgebühr anfällt.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass im Verfahren vor dem Europäischen Patentamt ein Einspruch, der von mehreren Personen gemeinsam eingelegt wird und ansonsten den Erfordernissen des Art. 99 EPÜ sowie den Regeln 1 und 55 AusfO EPÜ genügt, zulässig ist, wenn nur eine Einspruchsgebühr entrichtet wird (Entscheidung der Großen Beschwerdekammer v. 18. Februar 2002, G 3/99, ABl. 2002, 347 - Zulässigkeit eines gemeinsamen Einspruchs bzw einer gemeinsamen Beschwerde/HOWARD FLOREY).

Gegen die Zulässigkeit des gemeinsamen Einspruchs im übrigen bestehen keine Bedenken.

2. Das Patent ist nicht rechtsbeständig, sein Gegenstand nach den §§ 1 und 4 PatG nicht patentfähig.

a) Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag ist einem Elektroingenieur mit Fachhochschulabschluß, der Hörgeräte entwickelt, durch (1) in Verbindung mit seinem Fachwissen, wie es durch (5) und (6) belegt ist, nahegelegt.

Aus der Druckschrift (1) entnimmt er ein Verfahren zum Betrieb eines Hörhilfegerätes mit einem Mikrofon 1, einer Signalverarbeitungseinheit 2 und einem Hörer 3, bei dem durch Analyse der Mikrofonsignale mittels eines Oszillationsdetektors 4 rückkopplungsbedingte Oszillationen erkannt und die festgestellten Oszillationen unterbunden werden (Anspruch 1, Sp 3 Z 56 bis 63, Fig 1 und 2).

Durch die Detektion dieser Oszillationen, die bekanntlich zum "Pfeifen" des Hörgerätes führen, wird berücksichtigt, daß sie meist in Form von sinusförmigen Eingangssignalen auftreten und die digitalisierten Abtastwerte dieser Signale in aufeinanderfolgenden Perioden übereinstimmende Lang- und Kurzzeitmittelwerte aufweisen (Sp 1 Z 49 bis 62, Anspruch 1).

Der im Anspruch 1 vorgeschlagene zusätzliche Verfahrensschritt, derartige rückkopplungsbedingte Oszillationen von möglicherweise im Nutzsignal enthaltenen Oszillationen zu unterscheiden, ergibt sich für den Fachmann aus der Praxis.

Wie es der Hörgeräteträger als lästig empfindet, beim Tragen seines Hörgerätes "Rückkopplungspfeifen" wahrzunehmen, so schmälert es gleichfalls seinen Hörgenuß, namentlich beim Anhören von Musik, wenn er dabei verhältnismäßig langandauernde Sinustöne nicht wahrnimmt, weil sie vom Hörgerät unterdrückt werden: Wenn man auch beim bekannten Verfahren erreichen kann, daß das Hörgerät nur stark monofrequente Eingangssignale als rückkopplungsbedingte Oszillationen auffaßt und eliminiert (Sp 3 Z 64 bis Sp 4 Z 10), so stellt dies doch für den Benutzer noch keine befriedigende Lösung dar. Der Fachmann tut dem Verlangen nach möglichst ungetrübtem Hörvergnügen dadurch Genüge, daß das Hörgerät keinesfalls tonale Eingangssignale (anspruchsgemäß: im Nutzsignal enthaltene Oszillationen) als Rückkopplungspfeifen detektiert und unterdrückt. Hierzu muß es zwischen beiden Signalarten grundsätzlich unterscheiden können.

Die Lösung dieser Aufgabe leistet, wie (5) und (6) belegen, ein zweites Mikrofon, das der Fachmann zB mit einer besonderen Charakteristik ausstattet oder räumlich dergestalt vom ersten Mikrofon beabstandet anbringt, daß beide Mikrofone des Hörgerätes auf Nutzschall und Rückkopplungsschall jeweils unterschiedlich reagieren ((5) Sp 3 Z 42 bis 56, (6) S 2 Z 45 bis 52). Durch Analyse und Vergleich der beiden Mikrofonsignale ist dann eine Unterscheidung zwischen rückkopplungsbedingten Oszillationen und im Nutzsignal enthaltenen Oszillationen möglich.

b) Auf den Hauptantrag braucht nicht gesondert eingegangen zu werden, weil sein allgemeinerer Anspruch 1 den Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag mitumfaßt. Gegenüber dem erteilten Anspruch 1 ist der Anspruch 1 nach Hilfsantrag beschränkt.

3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus § 147 Abs. 3 Satz 4 iVm § 100 Abs. 2 Nr. 2 PatG.

Dr. Anders Obermayer Dr. Hartung Martens Na






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