Verwaltungsgericht Gelsenkirchen:
Urteil vom 9. Juli 2008
Aktenzeichen: 10 K 3447/03
(VG Gelsenkirchen: Urteil v. 09.07.2008, Az.: 10 K 3447/03)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist hinsichtlich Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung für eine Mobilfunkstation am Standort L.-----straße 88 in E. . Die Beigeladene ist die baurechtliche Nachfolgerin der T-Mobil Deutschland GmbH. Letztere zeigte mit Schreiben vom 20. März 2002 beim Beklagten die vorgesehene Inbetriebnahme der genannten Mobilfunkstation zum 1. Juli 2002 an und legte die Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Regulierungsbehörde) - Außenstelle N. - vom 9. Mai 2001 vor. Darin wird gemäß § 59 TKG i.V.m. § 6 TKZulV die Einhaltung der derzeit gültigen Personenschutzgrenzwerte für die Sendefunkanlage an dem genannten Standort für Bereiche, in denen ein zeitlich unbegrenzter Aufenthalt von Personen angenommen werden kann, bescheinigt. Für den Sektor 1 wird ein Sicherheitsabstand von 6,46 m ohne Winkeldämpfung und 0,65 m mit Winkeldämpfung und für den Sektor 2 ein Sicherheitsabstand von 7,03 m ohne Winkeldämpfung und 2,22 m mit Winkeldämpfung festgelegt. Das vorhandene Funksystem in Richtung Sektor 1 arbeitet im D1-Netz, das beantragte Funksystem in Richtung Sektor 2 arbeitet im UMTS DeTeM-Netz. In der Standortbescheinigung heißt es, dass nach den derzeitigen wissenschaftlich anerkannten Grenzwerten, die den heutigen Stand von Forschung und Technik darstellen, von keiner Gesundheitsgefährdung ausgegangen werden könne. Weiter heißt es, dass die Bescheinigung erlischt, wenn sich entweder die technischen Daten (Antrag) oder die Grenzwertanforderungen ändern.
Nachdem der Beklagte die T-Mobile Deutschland GmbH mit Schreiben vom 27. März 2002 aufgefordert hatte, die zur Prüfung der Anlage erforderlichen Bauvorlagen einzureichen, beantragte diese beim Beklagten mit Eingang vom 22. Oktober 2002 die Erteilung der Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren für die bereits bestehende Funk-Basisstation, die Antennenanlagen über der Dachfläche sowie für den Umbau eines Raumes im Erdgeschoss, wobei eine Nutzungsänderung des bisherigen Wohn- und Geschäftshauses in ein Wohn- und Geschäftshaus mit Funk-Basisstation vorliege. Gegenstand des Bauantrages sei die Errichtung einer Funk- Basisstation für das D1-Mobilfunknetz. Der Antennenträger 1 (ATK 1) rage in seiner Gesamtlänge 9,99 m über die Dachfläche hinaus, der Antennenträger 2 (ATK 2) rage 7,60 m über die Dachfläche hinaus. Im Erdgeschoss werde ein Technikraum eingerichtet.
Das Vorhabengrundstück liegt im Geltungsbereich des Durchführungsplanes Nr. Blatt (Fluchtlinien und Bauzonen).
Nachdem das Staatliche Umweltamt I. im Dezember 2002 Bedenken gegen die Erteilung einer Baugenehmigung nicht angemeldet hatte, erteilte der Beklagte unter dem 7. Januar 2003 die beantragte Baugenehmigung, wobei er in einem internen Vermerk davon ausging, dass das Vorhaben bauplanungsrechtlich nach § 34 BauGB zu beurteilen sei und in einem faktischen Mischgebiet liege.
Mit Schreiben vom 31. Januar 2003 sowie nochmals mit Schreiben vom 4. März 2003 zeigte die Beigeladene den Wechsel der Bauherreneigenschaft beim Beklagten an.
Mit Schreiben vom 24. Februar 2003, Eingang beim Beklagten am 27. Februar 2003, meldete sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers beim Beklagten und trug vor, dass sein Mandant seit Inbetriebnahme von Mobilfunkanlagen in seiner Nachbarschaft unter erheblichen Gesundheitsschädigungen, insbesondere massiven Schlafstörungen, Depressionen, rapider Leistungsabnahme etc. leide, die fast zum Zusammenbruch seines Mandaten und zu seiner Arbeitsunfähigkeit als Beamter geführt hätten, wenn er nicht kurz zuvor noch eine Ersatzwohnung angemietet hätte, um weiteren Gesundheitsschädigungen durch den benachbarten Mobilfunkanlagenbetrieb zu entgehen. Der Kläger sei Wohnungseigentümer und blicke unmittelbar auf die benachbarten Mobilfunkanlagen. Für den Fall, dass Baugenehmigungen erteilt worden seien, werde vorsorglich Widerspruch eingelegt. Im Übrigen werde um weitere Informationen gebeten.
In einem internen Aktenvermerk des Beklagten vom 6. März 2003 heißt es im Wesentlichen, dass der Kläger in ca. 60 m Entfernung von der Mobilfunkbasisstation L.-----straße 88 wohne. Unter Zugrundelegung einer Standard Basisstation" ergebe sich an der Wohnung des Klägers eine zu erwartende Feldstärke bei unterstellter ungestörter Ausbreitung für die augenblicklich betriebenen GSM-Antennen von ca. 3,16 V/m außerhalb der Wohnung. Für das D1-Netz gelte ein Grenzwert von 42 V/m, der zu ca. 7 % ausgeschöpft werde. Würden die an der Station vorgesehenen UMTS-Antennen ihren Betrieb aufnehmen, sei mit einer Feldstärke von ca. 4,5 V/m zu rechnen.
Mit Eingang beim Beklagten am 10. März 2003 zeigte die Beigeladene die abschließende Fertigstellung der Anlage am 18. Oktober 2002 an.
Mit Schreiben vom 3. April 2003, Eingang beim Beklagten am 4. April 2003, legte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten ausdrücklich Widerspruch gegen die Baugenehmigung vom 7. Januar 2003 ein und begründete diesen im Wesentlichen wie folgt:
Die vorliegende Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde enthalte keine umfassende immissionsschutzrechtliche Überprüfung, sondern setze lediglich Sicherheitsabstände in funktechnischer Hinsicht fest; eine umfassende immissionsschutzrechtliche Überprüfung obliege der Baugenehmigungsbehörde; eine solche sei hier nicht erfolgt.
Die Standortbescheinigung sei überdies rechtswidrig, wenn nicht sogar nichtig, weil sie sich auf nicht mehr geltende Rechtsgrundlagen gestützt habe.
Es sei im Übrigen unklar, auf welcher Grundlage die Feldstärkenberechnung des Beklagten erfolgt sei.
Die erteilte Baugenehmigung sei auch deshalb rechtswidrig, weil die Grenzwerte der 26. BImSchV lediglich akute Schädigungen ausschließen sollen und Langzeitschädigungen nicht erfassten; athermische Wirkungen auf den menschlichen Organismus würden nicht berücksichtigt; der wissenschaftliche Erkenntnisstand sei veraltet.
Zahlreiche renommierte Wissenschaftler im In- und Ausland hätten inzwischen darauf hingewiesen, dass durch die Einhaltung der Grenzwerte der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICNIRP) bzw. der vergleichbaren Werte, wie sie in der 26. BImSchV geregelt seien, Gesundheitsgefährdungen beim Betrieb derartiger Funkstationen in der Nachbarschaft keineswegs ausgeschlossen seien. Der Kläger weist in diesem Zusammenhang im Einzelnen auf diverse wissenschaftliche Studien und Veröffentlichungen hin, die seine Auffassung stützten.
Gerade hinsichtlich der Einwirkung athermischer Strahlung auf den menschlichen Organismus bestünde noch erheblicher Forschungsbedarf; eine abschließende Gefahreneinschätzung sei unstreitig nicht möglich; gleichwohl lägen hinreichende wissenschaftliche Belege dafür vor, dass die derzeitigen Grenzwerte bei weitem nicht ausreichend seien, um Gesundheitsgefährdungen auszuschließen.
Der allen Berechnungen zugrundeliegende SAR-Wert (spezifische Absorptionsrate), welcher bis heute allen Grenzwertberechnungen zugrunde liege, sei lediglich gemittelt und nicht wissenschaftlich fundiert; neuere wissenschaftliche Untersuchungen belegten, dass damit erhebliche Fehlbewertungen der tatsächlich vorliegenden Gefährdungssituation einher gingen; Kritiker der derzeitigen Grenzwerte wiesen darauf hin, dass das derzeitige Wissenschaftsmodell nicht ausreiche, um die vorliegende Problematik zu erfassen, so dass vollkommen neue wissenschaftliche Ansätze notwendig bzw. zu erwarten seien; auch die bislang mit der Problematik befassten Gerichte gingen fälschlicherweise davon aus, dass Langzeitschädigungen von den gesetzlichen Grenzwerten erfasst seien.
Sämtliche Expositionsrichtlinien bzw. Grenzwerte, die von der WHO oder auch der Strahlenschutzkommission empfohlen würden, entsprächen nicht den gesetzgeberischen Anforderungen aus §§ 22 ff. BImSchG, Art. 2 Abs. 2 GG sowie Art. 8 Abs. 1 EMRK, wonach Gesundheitsschädigungen, einschließlich langfristiger, beim Anlagebetrieb unstreitig ausgeschlossen sein müssen.
Abschließend weist der Kläger darauf hin, dass seine Krankheitssymptome in der von ihm angemieteten weiteren Wohnung nicht aufträten.
Die Bezirksregierung B. wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2003 als unbegründet zurück. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne sich auf nachbarschützende Vorschriften des Baurechts nicht berufen. Das Bauvorhaben liege im Bereich des Durchführungsplanes Nr. , der einen einfachen Bebauungsplan darstelle. Ansonsten sei das Vorhaben nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB zu beurteilen. Es liege in einem faktischen Mischgebiet nach der Baunutzungsverordnung; darin seien Mobilfunkanlagen, die eine gewerbliche Nutzung darstellten, allgemein zulässig. Das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt, weil die maßgeblichen Grenzwerte, die nach § 22 Abs. 1 BImSchG i.V.m. der 26. BImSchV und der Anlage zu § 2 einzuhalten seien, nach Maßgabe der Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde, über die hinaus andere Parameter oder Grenzwerte nicht zu beachten seien, eingehalten würden.
Mit der am 11. Juli 2003 erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiterhin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen das bereits im Vorverfahren Vorgetragene und verweist darüber hinaus auf weitere Untersuchungen und wissenschaftliche Veröffentlichungen, die seine Auffassung stützten. Selbstverständlich seien sämtliche Schädigungswirkungen durch elektromagnetische Strahlenfelder, wie sie vorliegend emmitiert würden, nicht erforscht bzw. erforschbar, da es sich um extrem komplexe Abläufe handele, die sowohl in physikalischer als auch in medizinischer Hinsicht sehr hohe Fachkompetenz erforderten. Belegbar und nachweisbar seien aber Einzelphänomene, welche eine Vielzahl von Betroffenen potenziell belaste. Dieser Tatbestand reiche allerdings aus, die Aussagekraft der gesetzlichen Grenzwerte zu verneinen. Allerdings sei zuzugeben, dass auch Auftragsforschung vorliege, welche die entsprechenden Schädigungswirkungen verneint habe. Dies könne aber nicht zu der Annahme führen, dass Schädigungswirkungen wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt seien.
Schließlich sei, auch wenn die Eigentumswohnung des Klägers in einem faktischen Mischgebiet liege, bei einer Veräußerung eine erhebliche Wertminderung seines Wohnungseigentums aufgrund konkreter Gesundheitsbeeinträchtigungen zu befürchten. Der Kaufpreis seiner Wohnung habe bei 75.000,00 EUR gelegen, durch die ökologisch orientierte Komplettrenovierung der Eigentumswohnung liege der Wert heute bei ca. 120.000,00 EUR. Diese Investitionen seien für den Kläger aber weitgehend wertlos, da er seine Wohnung nicht bzw. nicht ansatzweise normal nutzen könne. Insofern sei die fehlende Nutzbarkeit der Wohnung für den Kläger auch ein hoher finanzieller Verlust, da im Verkaufsfall die von ihm getätigten Investitionen nicht wieder hereingeholt werden könnten.
Der Kläger beantragt,
hinsichtlich der bei ihm eingetretenen und weiter eintretenden Gesundheitsschädigungen durch den benachbarten Mobilfunkanlagenbetrieb Beweis zu erheben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.
In der Sache beantragt der Kläger,
die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten vom 7. Januar 2003 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung B. vom 12. Juni 2003 aufzuheben,
hilfsweise (sinngemäß),
den Beklagten zum bau- bzw. immissionsschutzrechtlichen Einschreiten dahingehend zu verpflichten, dass die beim Kläger eintretenden Gesundheitsschädigungen durch den benachbarten Mobilfunkanlagenbetrieb vermieden werden.
Der Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe des Widerspruchsbescheides,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend verweist er darauf, dass nach einer Gesetzesänderung Mobilfunkanlagen nunmehr genehmigungsfrei errichtet werden könnten.
Die Beigeladenen beantragt,
die Klage abzuweisen.
Kläger und Beklagter haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten einschließlich vorgelegter Pläne und Planbegründungen sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Bezirksregierung B. ergänzend verwiesen.
Gründe
Die Kammer entscheidet gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung .
Die Anfechtungsklage ist jedenfalls unbegründet.
Die Baugenehmigung des Beklagten vom 7. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung B. vom 12. Juni 2003 verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten. Ein Nachbar kann nur dann erfolgreich gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung vorgehen, wenn sie gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Rechts verstößt. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Die Beteiligten streiten allein darum, ob der Kläger in bauplanungsrechtlicher Hinsicht in subjektiv öffentlichen Rechten verletzt ist. Nach der hier mangels eines qualifizierten Bebauungsplanes maßgeblichen Bestimmung des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. den Vorschriften der Baunutzungsverordnung steht dem Nachbarn hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung, die hier allein im Streit ist, ein Gebietswahrungsanspruch zu, der unabhängig von einer im Einzelfall bestehenden tatsächlich spürbaren Beeinträchtigung durch das angefochtene Vorhaben gewährt wird. Diese auf Schutz vor Einleitung einer Gebietsverfremdung zielende Anspruch setzt voraus, dass der Nachbar und das angefochtene Vorhaben nach der Eigenart der maßgeblichen näheren Umgebung im selben faktischen Baugebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. der Baunutzungsverordnung liegen und das Vorhaben mit dieser Gebietsart unvereinbar ist.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 - BRS 55 Nr. 110.
Eine Verletzung dieses Anspruchs kann hier beim Kläger nicht angenommen werden.
Die Kammer geht - wie auch die Beteiligten - von dem Vorliegen eines faktischen Mischgebietes nach § 6 BauNVO aus. Danach dienen Mischgebiete dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Allgemein zulässig sind u.a. sonstige Gewerbebetriebe (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO). Sieht man die Nutzung durch die hier streitige Mobilfunkanlage als nicht wesentlich störende gewerbliche Nutzung an, weil es sich um Bestandteile eines gewerblich betriebenen Mobilfunknetzes handelt, so ist das Vorhaben der Beigeladenen seiner Art nach in dem hier vorliegenden örtlichen Zusammenhang allgemein zulässig. Sieht man hingegen die hier streitige Mobilfunkanlage ausschließlich als fernmeldetechnische Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 2 BauNVO an, so wäre diese in allen Baugebieten nur ausnahmsweise zulässig.
Vgl. im ersteren Sinne VGH Kassel, Beschluss vom 29. Juli 1999 - 4 TG 2118/99 -, NVwZ 2000, 694; im letzteren Sinne OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2005 - 10 B 2622/04 -, JURIS ; vgl. zum Meinungsstand VGH München, Urteil vom 2. August 2007 - 1 Bv 05.2105 -, JURIS.
Die ausnahmsweise Zulässigkeit richtet sich nach § 34 Abs. 2 2. HS BauGB i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB in entsprechender Anwendung. Eine Verletzung nachbarlicher Rechte durch Zulassung einer Ausnahme - und erst Recht bei versteckter Ausnahme, d.h. ohne Kennzeichnung als solche - kommt in Betracht, wenn der vorliegende Gebietscharakter durch die Zulassung der Mobilfunkanlage in eine gebietsunverträgliche Richtung verschoben wird, hier insbesondere wenn Belange des Gesundheitsschutzes aufgrund fehlender Wahrung der erforderlichen Sicherheitsabstände zur benachbarten Wohnnutzung beeinträchtigt werden.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2005, a.a.O..
Es kann hier dahinstehen, ob das streitige Vorhaben als in einem Mischgebiet allgemein zulässiger Gewerbebetrieb oder als nach § 14 Abs. 2 BauNVO nur ausnahmsweise zulässige fernmeldetechnische Nebenanlage zu werten ist. Denn in beiden Fällen kommt es letztlich darauf an, ob die streitgegenständliche Mobilfunkanlage die erforderlichen Sicherheitsabstände zur Vermeidung gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Wohnnachbarschaft einhält. Im ersteren Fall vermittelt § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO in entsprechender Anwendung den Schutz im Einzelfall, wenn von dem Vorhaben Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebietes in diesem selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Im letzteren Fall gewährt die Ausnahmeregelung des § 14 Abs. 2 BauNVO analog den entsprechenden nachbarlichen Schutz unabhängig von individuellen Störungen,
vgl. OVG NRW, a.a.O..
Hier macht der Kläger insbesondere Belange des Gesundheitsschutzes geltend. Die Kammer hat jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger - unabhängig davon, dass dieser keinerlei ärztliche Bescheinigungen über seinen individuellen Gesundheitszustand vorgelegt hat - durch die hier strittige Mobilfunkanlage in seiner Gesundheit beeinträchtigt sein könnte bzw. dass eine von individuellen Störungen unabhängige gesundheitliche Beeinträchtigung der Nachbarschaft zu erwarten wäre. Da die von der Anlage ausgehende Strahlenbelastung nach der der Beigeladenen erteilten Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post die Grenzwerte nach § 2 der 26. BImSchV (Anhang 1) einhält, ist nicht anzunehmen, dass die Gesundheit des Klägers, der ca. 60 m von der Mobilfunkbasisstation entfernt wohnt, bzw. die Gesundheit der Nachbarschaft durch den Betrieb der Anlage gefährdet werden. Dabei berücksichtigen die in der 26. BImSchV festgelegten Grenzwerte sowohl thermische als auch sog. athermische Auswirkungen elektromagnetischer Felder (auf letztere stellt insbesondere der Klägervortrag ab).
Vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 13. Februar 2004 - VZR 218/03 -, JURIS.
Mit der Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde hat es hier - was mögliche Gesundheitsgefährdungen angeht - sein Bewenden. Eine eigene Prüfungskompetenz hinsichtlich der Einhaltung der Grenzwerte der 26. BImSchV kommt dem Beklagten nicht zu.
Vgl. VG Münster, Beschluss vom 1. September 2004 - 2 L 1149/04 -, JURIS; OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2005 - 10 B 2622/04 -, BauR 2005, 1284; OVG NRW, Beschluss vom 5. November 2007 - 7 B 1182/07 -, JURIS; VGH München, Urteil vom 2. August 2007 - 1 Bv 05.2105 -, JURIS; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - 9 A 73/02 -, DVBl. 2004, 633.
Die Kammer hat auch keinen Anlass, dem Beweisantrag des Klägers nachzugehen. Liegen keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse über komplexe Gefährdungslagen - wie hier die schädlichen Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder - vor, verlangt die staatliche Schutzpflicht von den Gerichten nicht, ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Hilfe des Prozessrechts durch Beweisaufnahme zur Durchsetzung zu verhelfen. Es ist vielmehr Sache des Verordnungsgebers, den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft mit geeigneten Mitteln nach allen Seiten zu beobachten und zu bewerten, um ggf. weitergehende Schutzmaßnahmen durch die Anpassung der einzuhaltenden Grenzwerte treffen zu können.
Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Januar 2007 - 1 BvR 382/05 -, JURIS ; BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 2002 - 1 BvR 1676/01 -, NJW 2002, 1638; EGMR, Entscheidung vom 3. Juli 2007 - 32015/02 -, JURIS; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - 9 A 73/02 -; VGH München, Urteil vom 2. August 2007 - 1 Bv 05.2105 -.
Soweit der Kläger auf die Wertminderung seines Wohnungseigentums abstellt, ist der diesbezügliche Vortrag mangels ausreichender Konkretisierung bereits unsubstantiiert, jedenfalls führt er aus obigen Gründen auch nicht zu einem Erfolg der Anfechtungsklage.
Vgl. zu diesem Aspekt auch BVerwG, a.a.O..
Der Erfolg des Hilfsantrages scheitert bereits an dessen Unzulässigkeit. Der Verpflichtungsklage hätte ein Vorverfahren beim Beklagten vorangestellt werden müssen, was hier nicht geschehen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil sie als notwendig Beigeladene am Verfahren beteiligt ist und mit der Stellung eines eigenen Antrages auch das Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO getragen hat.
VG Gelsenkirchen:
Urteil v. 09.07.2008
Az: 10 K 3447/03
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