Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 11. November 2002
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. VII - 219/02

(OLG Hamm: Beschluss v. 11.11.2002, Az.: 2 (s) Sbd. VII - 219/02)

Tenor

Rechtsanwalt D. wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 340 DM eine Pauschvergütung in Höhe von 1.250 EURO (in Worten: eintausendzweihundertfünfzig EURO) bewilligt.

Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.

Gründe

I. Dem früheren Angeklagten wurde im vorliegenden Verfahren u.a. sexueller Missbrauch seiner Stieftochter vorgeworfen. Wegen dieses Vorwurfs ist er nach einer 31-tägigen Hauptverhandlung durch Urteil des Landgerichts Hagen vom 30. September 1999 zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Am 16. Dezember 1999 ist der Antragsteller dem ehemaligen Angeklagten nach Entpflichtung seines bisherigen Pflichtverteidigers als Pflichtverteidiger für das Revisionsverfahren beigeordnet worden. Der Antragsteller hat sodann Einsicht in die umfangreichen Akten, die aus rund 2.400 Blatt bestanden, genommen und für den ehemaligen Angeklagten die Revisionsbegründungsschrift erstellt. Dazu musste er sich mit vier Sachverständigengutachten auseinandersetzen, die teilweise mehr als 100 Seiten lang waren. Das Urteil des Landgerichts, das eine umfangreiche Beweiswürdigung enthielt, war 131 Seiten lang. Der Antragsteller hat für seine Arbeiten rund 1.200 Kopien gefertigt. Er hat schließlich die Revisionsbegründungsschrift erstellt, die einen Umfang von 261 Seiten aufwies, wovon allerdings ein großer Teil aus Kopien aus den Verfahrensakten bestand. Wegen des weiteren Umfangs des Verfahrens und der von dem Antragsteller für seinen Mandanten über die angeführten Tätigkeiten hinaus erbrachten Tätigkeiten wird auf die dem Antragsteller bekannt gemachte Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 vom 2. Oktober 2002 Bezug genommen.

II. Die gesetzliche Gebühr des Antragstellers beträgt 340 DM bzw. 173,84 EURO, die Wahlverteidigerhöchstgebühr 1.270 DM bzw. 649,34 EURO. Mit seinem Pauschvergütungsantrag hat der Antragsteller eine Pauschvergütung von 3.000 EURO beantragt. Der Vertreter der Staatskasse hat die Bewilligung einer angemessenen Pauschvergütung befürwortet.

III. Dem Antragsteller war gemäß § 99 BRAGO eine Pauschvergütung zu bewilligen.

1. Das Verfahren war "besonders schwierig". "Besonders schwierig" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO ist ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu Burhoff StraFo 1999, 261, 264). Das ist vorliegend der Fall. Insoweit schließt sich der Senat der übereinstimmenden Einschätzung des Vorsitzenden der Strafkammer und des Vertreters der Staatskasse an (zu grundsätzlicher Maßgeblichkeit der Einschätzung des Vorsitzenden des mit der Sache befassten Gerichts vgl. Senat in AnwBl. 1998, 416 = ZAP EN-Nr. 609/98 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl. 2000, 56). Die "besondere Schwierigkeit" folgt vorliegend insbesondere aus der schwierigen Beweiswürdigung, innerhalb der die Sachverständigengutachten zur Glaubwürdigkeit der Zeuginnen eingeholt werden mussten.

2. Das Verfahren war für den Antragsteller auch "besonders umfangreich" im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO. Insoweit schließt sich der Senat ebenfalls der Einschätzung des Vertreters der Staatskasse an. Die Erstellung der 261 Seiten langen Revisionsbegründungsschrift erforderte beträchtliche Vorarbeiten, für die der Antragsteller einen erheblich über dem Durchschnitt sonstiger Verfahren, in denen Verteidiger für ihre Mandanten Revisionen begründen, liegenden Zeitaufwand erbringen musste. Der Antragsteller musste nicht nur das 131 Seiten lange Urteil des Landgerichts auswerten und die umfangreichen Protokolle der 31-tägigen Hauptverhandlung auf mögliche Anknüpfungspunkte für die Revision untersuchen. Er musste sich zudem auch mit den von der Strafkammer eingeholten Sachverständigengutachten auseinandersetzen und diese darauf prüfen, ob sie dem vom Bundesgerichtshof aufgestellten Standard für Glaubwürdigkeitsgutachten entsprachen. Das Ergebnis dieser erfahrungsgemäß zeitaufwändigen Prüfungen hat dann Eingang gefunden in die 261 Seiten lange Revisionsbegründungsschrift. Insoweit übersieht der Senat nicht, dass der größte Teil dieser Schrift aus Kopien aus den Verfahrensakten besteht. Dies ist aber im Hinblick darauf, dass noch rund 20 Seiten eigener Text verbleiben ohne Belang, weil selbst dieser geringere Umfang noch erheblich über dem Durchschnitt von Revisionsbegründungen liegt, der dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist.

3. Bei der Bemessung der nach allem damit dem Antragsteller sowohl wegen der "besonderen Schwierigkeit" als auch wegen des "besonderen Umfangs" zu gewährenden Pauschvergütung ist der Senat von einer dem Antragsteller zustehenden gesetzlichen Gebühr von nur 340 DM bzw. 173,84 EURO und von einer Wahlverteidigerhöchstgebühr von 1.270 DM bzw. 649,34 EURO ausgegangen. Auf dieser Grundlage hat der Senat auf die ihm angemessen erscheinende Pauschvergütung von 1.250 EURO erkannt.

Dabei sind die bereits erwähnten Tätigkeiten, die der Antragsteller für den ehemaligen Angeklagten erbracht hat, berücksichtigt und gegeneinander abgewogen worden. Erhebliches Gewicht hatte neben der umfangreichen Revisionsbegründungsschrift die Auswertung der Sachverständigengutachten und des Hauptverhandlungsprotokolls.

Mit der zuerkannten Pauschvergütung von 1.250 EURO hat der Senat die Wahlverteidigerhöchstgebühr um fast das Doppelte überschritten. Dabei ist nicht übersehen worden, dass für das Überschreiten der Wahlverteidigerhöchstgebühr nach ständiger Rechtsprechung des Senats, an der festgehalten wird, an sich erforderlich ist, dass der Antragsteller durch die Verteidigung des ehemaligen Angeklagten über einen längeren Zeitraum vollständig oder fast ausschließlich in Anspruch genommen war (vgl. zum Überschreiten der Wahlverteidigerhöchstgebühr aus der ständigen Rechtsprechung des Senats u.a. insbesondere Beschluss des Senats vom 9. November 2001 in 2 (s) Sbd. 163/01 = ZAP EN-Nr. 99/2002 = AGS 2002, 34 m. Anm. Madert = Rpfleger 2002, 171 = JurBüro 2002, 141, sowie Beschluss des Senats vom 1. Oktober 2001, 2 (s) Sbd. 6-126/01 = JurBüro 2002, 142 und Beschluss des Senats vom 4. März 2002, 2 (s) Sbd. 6-197, 198 u. 199-201/01 = ZAP EN-Nr. 393/2002 = AnwBl. 2002, 664). Ob der Antragsteller vorliegend die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Rechtsprechung erfüllt, konnte dahinstehen. Der Senat hat bereits in anderem Zusammenhang wiederholt, nämlich sowohl bei einem Pflichtverteidiger wegen seiner Tätigkeit im Strafvollstreckungsverfahren gewährten Pauschvergütungen (vgl. zuletzt Senat in ZAP EN-Nr. 417/2001 = AGS 2001, 201 = JurBüro 2001, 641 mit weiteren Nachweisen) als auch bei der Pauschvergütung für die Prüfung eines Strafbefehls (vgl. den o.a. Beschluss des Senats vom 9. November 2001), darauf hingewiesen, dass in den Fällen, in denen die gesetzliche Gebühr völlig unzulänglich und unbillig niedrig ist, diesem Mangel zur Vermeidung eines - ansonsten verfassungswidrigen - Sonderopfers des Pflichtverteidigers (vgl. dazu zuletzt BVerfG StV 2001, 241) nur dadurch begegnet werden kann, dass dann ggf. die Wahlverteidigerhöchstgebühr deutlich überschritten werden muss (vgl. dazu auch noch den o.a. Beschluss des Senats vom 4. März 2002). Das dem Pflichtverteidiger ggf. von Verfassungs wegen auferlegte Sonderopfer darf nicht so groß werden, dass die finanziellen Einbußen des Rechtsanwalts unter Berücksichtigung der von ihm erbrachten Tätigkeiten unverhältnismäßig werden (vgl. dazu grundlegend Senat in AGS 1998, 142 = Rpfleger 1998, 487 = StV 1998, 616 = AnwBl. 1998, 613; siehe auch Senat in wistra 2000, 319 = BRAGO professionell 2000, 129 = ZAP EN-Nr. 686/2000). Das wäre vorliegend aber bei einer gesetzlichen Gebühr von nur 340 DM und einer Wahlverteidigerhöchstgebühr von (nur) 1.270 DM bzw. rund 649 EURO unter Berücksichtigung des vom Antragsteller erbrachten Aufwandes der Fall. Demgemäss hat der Senat die Pauschvergütung auf etwa das Doppelte der Wahlverteidigerhöchstgebühr angehoben.

Eine noch höhere als die bewilligte Pauschvergütung kam jedoch nicht in Betracht. Der weitergehende Antrag, mit dem eine Pauschvergütung von 3.000 EURO beantragt worden ist, war demgemäss abzulehnen. Eine Pauschvergütung in dieser Höhe hätte die Wahlverteidigerhöchstgebühr um mehr als das 4,5- Fache überschritten. Dem Vorbringen des Antragstellers lässt sich aber eine so hohe zeitliche Beanspruchung, dass demgemäss auch eine so hohe Pauschvergütung gerechtfertigt gewesen wäre, nicht entnehmen






OLG Hamm:
Beschluss v. 11.11.2002
Az: 2 (s) Sbd. VII - 219/02


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/7ceb1a80eeb5/OLG-Hamm_Beschluss_vom_11-November-2002_Az_2-s-Sbd-VII---219-02




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share