Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. September 2007
Aktenzeichen: 32 W (pat) 76/05
(BPatG: Beschluss v. 19.09.2007, Az.: 32 W (pat) 76/05)
Tenor
Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Wortmarke LINIE VITAL ist am 26. September 1998 angemeldet und am 4. Dezember 1998 unter der Nummer 398 55 344 für folgende Waren in das Register eingetragen worden:
"29: Fleischextrakte; konserviertes, getrocknetes und gekochtes Fleisch, Obst und Gemüse sowie fertig zubereitete Speisen; Gallerten (Gelees), Konfitüren, Fruchtsaucen; Kaffeeweißer auf Eiweiß- oder Pflanzenbasis; Milch, Kondensmilch und Milchpulver für Nahrungszwecke; Milchprodukte; Milchcremespeisen und Dessertspeisen aus Milchprodukten; Milchgetränke; Molke, Molkepräparate und Molkeprodukte; 30: Kaffee, Kaffee-Ersatzmittel, Tee und Kräutertee; Kakao; Schokolade, Schokoladewaren, Süßwaren und Zuckerwaren; Kaffeegetränke, Getränke aus Kaffee-Ersatzmitteln, Teegetränke, Kakaogetränke, koffeinhaltige, teehaltige und kakaohaltige Getränke; kakaohaltige und schokoladehaltige Getränkepulver; Trinkschokolade; Nuß-Nougat-Creme, Kakao- und Nußpasten; Vitamine und Spurenelemente als Nahrungsergänzungsmittel in Form von Brausepulver, Brausetabletten und Kaubonbons (soweit in Klasse 30 enthalten); Getreidepräparate (ausgenommen Futtermittel), Nudeln, Makkaroni und andere Teigwaren, Brot, feine Backwaren und Konditorwaren; Hefe, Backpulver, Speisesalz, Essig, Fruchtsaucen, Saucen (Würzmittel), Gewürze; Zucker, Fruchtzucker, Invertzucker, Traubenzucker und Honig; Mehl, Grieß, Leinsamen und Stärke für Nahrungszwecke, Trockenfrüchte; Speiseeis, Speiseeispulver; fertige Backmischungen;
32: alkoholfrei Getränke; alkoholfreie Fruchtgetränke, Fruchtteegetränke, Fruchtsaftgetränke, Obstsäfte und Gemüsesäfte; Fruchtsirupe, Schokoladensirupe und andere alkoholfreie Präparate für die Zubereitung von Getränken; isotonische Getränke; zuckerhaltige Getränkepulver zur Herstellung von alkoholfreien und isotonischen Getränken; Molkegetränke, Getränke auf Molkebasis; - sämtliche vorgenannten Waren, soweit möglich, auch in Instantform und für diätetische, nichtmedizinische Zwecke".
Die Veröffentlichung erfolgte am 14. Januar 1999.
Hiergegen ist Widerspruch erhoben worden von der Inhaberin des deutschen Anteils der seit 20. Juni 1991 unter der Nummer 573 111 international registrierten Wortmarke LINIE deren Warenverzeichnis lautet:
"33: Boissons alcooliques (à l'exception des bières), y compris melanges de boissons alcooliques".
Diese Marke war ihrerseits widerspruchsbefangen. Die Mitteilung der Schutzbewilligung ist dem Internationalen Büro am 7. November 1995 zugegangen.
Die Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch mit einem ersten Beschluss vom 10. Oktober 2002 wegen fehlender Verwechslungsgefahr zurückgewiesen. Der Gesamteindruck der angegriffenen Marke werde nicht durch den mit der Widerspruchsmarke identischen Bestandteil "LINIE" geprägt. Bei der angegriffenen Marke handle es sich vielmehr um eine Gesamtaussage im Sinne von "Produktreihe mit vitalisierender Wirkung", die vom Verkehr auch als Gesamtbegriff aufgefasst werde. Zudem hätten beide Bestandteile der angegriffenen Marke aufgrund ihres warenbeschreibenden Aussagegehalts nur eine schwache Kennzeichnungskraft. Der Gesamteindruck der angegriffenen Marke werde somit durch gleichgewichtige Elemente bestimmt, weshalb keiner der beiden Bestandteile geeignet sei, den Gesamteindruck der Marke allein zu prägen. In ihrer Gesamtheit seien die Vergleichsmarken weder in klanglicher noch in schriftbildlicher oder in begrifflicher Hinsicht zu verwechseln.
Gegen diesen Beschluss hat die Widersprechende Erinnerung eingelegt und eine erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke geltend gemacht. Im Gegenzug hat die Markeninhaberin die Benutzung der Widerspruchsmarke - zunächst mit Ausnahme für die Ware "Aquavit" - bestritten. Später hat sie ihre Einrede auch auf die Ware "Aquavit" ausgedehnt.
Mit Beschluss vom 1. Juni 2005 hat die Markenstelle für Klasse 30 die Erinnerung der Widersprechenden zurückgewiesen. Auf die Frage der rechtserhaltenden Benutzung komme es nicht an. Selbst wenn man zugunsten der Widersprechenden eine rechtserhaltende Benutzung unterstelle, sei der Widerspruch zurückzuweisen, da es mangels Ähnlichkeit der Vergleichsmarken an einer Verwechslungsgefahr fehle. Entgegen der Auffassung der Widersprechenden komme der Widerspruchsmarke keine gesteigerte Kennzeichnungskraft zu. Dem Markenwort "LI-NIE" hafte auch im Lebensmittel- und Getränkesektor als Hinweis auf eine Produktreihe eine Kennzeichnungsschwäche an. Aufgrund der Verwendung in Alleinstellung könne zugunsten der Widersprechenden allenfalls noch eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft zuerkannt werden. Ausreichende Belege für eine gesteigerte Verkehrsbekanntheit der Widerspruchsmarke habe die Widersprechende nicht vorgelegt. Die jüngere Marke stelle einen Gesamtbegriff dar. Ihr Gesamteindruck werde nicht ausschließlich durch den mit der Widerspruchsmarke übereinstimmenden Bestandteil "LINIE" geprägt, so dass die Gefahr einer unmittelbaren Verwechslung ausgeschlossen sei. Auch bestehe keine Gefahr, dass die Vergleichsmarken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht würden. Es fehle schon an einer entsprechend gebildeten Zeichenserie der Widersprechenden. Außerdem wirke der Begriff "LINIE" in der angegriffenen Marke nicht wie ein Stammbestandteil, sondern in Verbindung mit dem weiteren Bestandteil "VITAL" lediglich als Hinweis auf irgendeine Produktlinie.
Gegen diese Beurteilung richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie macht geltend, dass die beiden Bestandteile der jüngeren Marke entgegen der Auffassung der Markenstelle nicht als gleichwertig für den Gesamteindruck angesehen werden könnten. Der Bestandteil "VITAL" sei im Lebensmittel- und Getränkebereich rein beschreibender Natur und damit nicht unterscheidungskräftig mit der Folge, dass er hinter dem weiteren Bestandteil "LINIE" zurücktrete. Vor dem Hintergrund, dass die jüngere Marke sonst als schutzunfähig angesehen werden müsste, könne der Begriff "LINIE" nicht als Hinweis auf eine Produktlinie ausgelegt und die Marke insgesamt daher auch nicht - wie von der Markenstelle angenommen - als Hinweis auf eine "Produktlinie mit vitalisierender Wirkung" interpretiert werden. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der Verkehr den Begriff "LINIE" im natürlichen Wortsinn, nämlich im Sinne von "Strich" verstehe. In dieser Bedeutung stelle der Begriff "LINIE" bei der angegriffenen Marke einen kennzeichnungskräftigen und unterscheidungskräftigen Herkunftshinweis dar. Die Unterscheidungskraft des Bestandteils "LINIE" werde noch durch seine Mehrdeutigkeit gesteigert. Denn der Begriff "LINIE" werde auf dem Lebensmittelsektor auch im Sinne von "Figur" verwendet. Der Gesamteindruck der angegriffenen Marke werde damit ausschließlich durch den Bestandteil "LINIE" geprägt. Davon abgesehen sei nach der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zumindest davon auszugehen, dass der Begriff "LINIE" in der jüngeren Marke eine selbstständig kennzeichnende Stellung behalten habe.
Entgegen der Auffassung der Markenstelle habe die Widerspruchsmarke aufgrund jahrzehntelanger umfangreicher und flächendeckender Nutzung in Deutschland gesteigerte Kennzeichnungskraft für die Ware "Aquavit" erworben. Insoweit sei zumindest eine mittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt des Serienzeichens anzunehmen. Aufgrund der Bekanntheit der Widerspruchsmarke werde der Verbraucher, wenn er auf die Marke "LINIE VITAL" für dem Aquavit ähnliche Waren stoße, an den Aquavit "LINIE" denken und "LINIE VITAL" für ein neues Produkt der Widersprechenden halten.
Zur Glaubhaftmachung der rechtserhaltenden Benutzung hat die Widersprechende eidesstattliche Versicherungen des Herrn H... vom 22. April 2003 und 14. September 2006 sowie weiteres Material, wie Flaschenetiketten und Werbeanzeigen, vorgelegt.
Die Widersprechende beantragt, die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle vom 10. Oktober 2002 sowie vom 1. Juni 2005 aufzuheben und die Löschung der Marke 398 55 344 anzuordnen.
Die Markeninhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
In der mündlichen Verhandlung hat die Markeninhaberin erklärt, dass sie die Nichtbenutzungseinrede in Bezug auf die Ware "Aquavit" nicht aufrechterhalte. In der Sache macht sie geltend, dass es bereits an einer Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Waren fehle. Die von der Widersprechenden in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidungen seien über 40 Jahre alt und angesichts des in der Rechtsprechung aktualisierten Verbraucherleitbildes überholt. Folgerichtig habe die Beschwerdekammer des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt in ihrer Entscheidung R 611/2001-1 vom 10. Juli 2001 festgestellt, dass alkoholische Getränke nicht ähnlich mit Mineralwässern und anderen alkoholfreien Getränken, Fruchtgetränken, Fruchtnektaren und Fruchtsäften sowie Sirupen und Präparaten für die Zubereitung nicht alkoholischer Getränke seien.
Entgegen der Auffassung der Widersprechenden belegten die vorgelegten Unterlagen auch keine gesteigerte Kennzeichnungskraft und Bekanntheit der Widerspruchsmarke. Es sei vielmehr eher von einer Kennzeichnungsschwäche auszugehen, da "LINIE" das norwegische Wort für "Äquator" sei und damit als eine Art Rezeptangabe den Charakter einer beschreibenden Angabe habe, weil es ausweislich der Werbung der Widersprechenden ein wesentliches Merkmal für deren Aquavit sei, dass er in Sherry-Fässern zweimal über den Äquator verschifft werde.
Schließlich halte die jüngere Marke auch einen ausreichenden Abstand von der Widerspruchsmarke ein. Der Bestandteil "LINIE" nehme in der jüngeren Marke keine selbstständig kennzeichnende Stellung ein, denn das Publikum fasse das Zeichen "LINIE VITAL" als Gesamtbegriff auf. Die Gefahr unmittelbarer Verwechslungen sei damit zu verneinen. Eine mittelbare Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt des Serienzeichens komme ebenfalls nicht in Betracht, da die Widersprechende die Widerspruchsmarke offensichtlich nicht als Stammbestandteil einer Zeichenserie verwende.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache keinen Erfolg. Zwischen den Marken besteht keine Verwechslungsgefahr im Sinn von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG. Die Markenstelle hat den Widerspruch aus der international registrierten Marke 573 111 zu Recht zurückgewiesen (§ 107 i. V. m. § 43 Abs. 2 Satz 2 MarkenG).
Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist nach der Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs als auch des Bundesgerichtshofs unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit die Identität oder Ähnlichkeit der zum Vergleich stehenden Marken sowie der von diesen erfassten Waren. Darüber hinaus ist die Kennzeichnungskraft der älteren Marke und - davon abhängig - der dieser im Einzelfall zukommende Schutzumfang in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dabei impliziert der Begriff der Verwechslungsgefahr eine gewisse Wechselwirkung zwischen den genannten Faktoren (vgl. EuGH GRUR 1998, 387, 389 (Nr. 22) - Sabèl/Puma; GRUR Int. 2000, 899, 901 (Nr. 40) - Marca/Adidas; GRUR 2006, 237, 238 (Nr. 18 f.) - PICASSO; BGH GRUR 2001, 507, 508 - EVIAN/REVIAN; GRUR 2006, 859, 860 - Malteserkreuz; GRUR 2007, 321, 322 - COHIBA). Nach diesen Grundsätzen besteht im vorliegenden Fall keine Verwechslungsgefahr.
Auf Seiten der Widerspruchsmarke ist von der Ware "Aquavit" auszugehen. Die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für die Ware "Aquavit" steht nicht mehr im Streit, nachdem die Markeninhaberin insoweit die nach §§ 116 Abs. 1, 115 Abs. 2 i. V. m. § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG zulässig erhobene Einrede der Nichtbenutzung nicht mehr aufrechterhält. Für die weiteren von dem im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke eingetragenen Oberbegriff "boissons alcooliques (à l'exception des bières), y compris melanges de boissons alcooliques" erfassten Waren hat die Widersprechende eine rechtserhaltende Benutzung nicht glaubhaft gemacht, da sich das vorgelegte Material ausschließlich auf Aquavit bezog.
Zwischen den Waren der jüngeren Marke und der auf Seiten der Widerspruchsmarke zu berücksichtigenden Ware "Aquavit" besteht ganz überwiegend schon keine Ähnlichkeit, so dass die Annahme einer Verwechslungsgefahr bereits aus diesem Grund scheitert. Teilweise kann eine Ähnlichkeit aber nicht verneint werden; dies betrifft vor allem die von der angegriffenen Marke erfassten Waren "alkoholfreie Getränke; alkoholfreie Fruchtgetränke, Fruchtteegetränke, Fruchtsaftgetränke, Obstsäfte und Gemüsesäfte; isotonische Getränke".
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs (Nachweise bei Hacker in: Ströbele/Hacker, Markengesetz, 8. Aufl., § 9 Rdn. 44) ist von Warenähnlichkeit auszugehen, wenn der beteiligte Verkehr unter Berücksichtigung aller erheblichen Gesichtspunkte, die das Verhältnis der Produkte zueinander bestimmen, zu der Auffassung gelangen kann, diese stammten aus denselben oder aus wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, sofern sie mit - unterstellt - identischen Marken gekennzeichnet sind. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei im vorliegenden Fall der Beschaffenheit der Erzeugnisse, dem Verwendungszweck und der Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren zu (vgl. BGH GRUR 2001, 507, 508 - EVIAN/REVIAN). So ist hier zu berücksichtigen, dass auf dem vorliegenden Warensektor ein starker Trend zu Mischgetränken festzustellen ist, die unter Verwendung von nichtalkoholischen und alkoholischen Getränken hergestellt werden. Diese Mischungen sind auf dem Markt z. B. in Form von sog. Alcopops, bei denen Fruchtsäfte oder Fruchtsaftgetränke mit in der Regel hochprozentigen alkoholischen Getränken gemischt werden, als bereits fertige Mischgetränke erhältlich. Vor diesem Hintergrund kann eine mittlere Ähnlichkeit zwischen Aquavit und den genannten, für die jüngere Marke eingetragenen Getränken nicht verneint werden (vgl. hierzu auch Senatsbeschl. v. 31.1.2007, 32 W (pat) 263/03 - QUELLGOLD/Goldquell). Der insoweit abweichenden Meinung des Harmonisierungsamtes im Verfahren R 611/01-1, wonach Spirituosen und alkoholfreie Getränke einander nicht ähnlich seien, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Trotz der teilweisen Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Waren besteht im vorliegenden Fall indessen keine Verwechslungsgefahr in unmittelbarer oder mittelbarer Hinsicht, weil die Markenzeichen selbst einen hinreichenden Abstand aufweisen.
Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Marken ist maßgeblich auf den Gesamteindruck abzustellen, den sie im Verkehr hervorrufen (vgl. u. a. EuGH GRUR Int. 2004, 843, 845 [Nr. 29] - MATRATZEN; GRUR 2005, 1042, 1044 [Nr. 28] - THOMSON LIFE; BGH GRUR 2004, 865, 866 - Mustang; GRUR 2005 326, 327 - il Padrone/Il Portone). Stellt man die Marken in ihrer Gesamtheit gegenüber, verhindert der in der jüngeren Marke über den mit der Widerspruchsmarke übereinstimmenden Begriff "LINIE" hinaus enthaltene weitere Bestandteil "VITAL" unmittelbare Verwechslungen in klanglicher, schriftbildlicher oder begrifflicher Hinsicht. Allerdings kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine (unmittelbare) Verwechslungsgefahr auch bejaht werden, wenn der Gesamteindruck der mehrbestandteiligen Marke gerade durch den mit der Gegenmarke übereinstimmenden Bestandteil geprägt wird und deren übrige Bestandteile demgegenüber weitgehend in den Hintergrund treten und für den Gesamteindruck des Zeichens vernachlässigt werden können (vgl. zu dieser sog. "Prägetheorie" Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rn. 233 ff. sowie u. a. BGH GRUR 2004, 598, 599 - Kleiner Feigling; GRUR 2004, 865, 866 - Mustang). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich zwar grundsätzlich allein anhand der betreffenden Marke selbst, d. h. ohne Rücksicht auf die Vergleichsmarke (BGH GRUR 1996, 198, 199 - Springende Raubkatze; GRUR 2000, 895, 896 - EWING; GRUR 2002, 342, 343 - ASTRA/ESTRA-PUREN). Nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfährt dieser Grundsatz jedoch eine Einschränkung, wenn der übereinstimmende Bestandteil als isoliertes Zeichen aufgrund seiner tatsächlichen Benutzung im Verkehr für einen Dritten eine erhöhte Kennzeichnungskraft erlangt hat. Eine solche Stärkung wirkt sich nicht nur auf die Kennzeichnungskraft der älteren einbestandteiligen Marke aus, sondern bewirkt gleichzeitig, dass dem Zeichen vom Verkehr auch dann ein Hinweis auf den Inhaber der älteren Marke entnommen wird, wenn es ihm nicht isoliert, sondern als Bestandteil eines anderen, jüngeren Zeichens begegnet (grdl. BGH GRUR 2003, 880, 881 - City Plus; s. ferner BGH GRUR 2005, 513, 514 - MEY/Ella May; GRUR 2006, 60, 61 - Nr. 14 - coccodrillo; GRUR 2006, 859, 862 - Nr. 31 - Malteserkreuz).
Die Gefahr, dass der Verkehr in einem Bestandteil einer jüngeren Marke einen Herkunftshinweis auf den Inhaber der älteren Marke sieht und es zu Verwechslungen kommt, ist allerdings geringer, wenn sich das jüngere Zeichen als geschlossener Gesamtbegriff darstellt (s. Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rn. 247).
Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr hängt somit in Fällen der vorliegenden Art von mehreren - gegenläufigen - Faktoren ab. Je stärker die Kennzeichnungskraft des isolierten älteren Zeichens infolge seiner tatsächlichen Benutzung im Verkehr ist, umso eher ist die Annahme gerechtfertigt, dass es auch in der jüngeren Zeichenkombination als Hinweis auf den älteren Markeninhaber aufgefasst wird, also eine kollisionsbegründendprägende Stellung im jüngeren Gesamtzeichen einnimmt. Umgekehrt ist die Verwechslungsgefahr umso geringer einzustufen, je mehr sich der übereinstimmende Bestandteil in die jüngere Gesamtkombination integriert.
Nach diesen Kriterien scheidet im vorliegenden Fall die Annahme einer Verwechslungsgefahr aus. Zwar hat die Widersprechende eine erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke geltend gemacht. Jedoch sind die von der Widersprechenden in diesem Zusammenhang vorgelegten Unterlagen nicht geeignet, eine solche erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke für den zunächst maßgeblichen Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke (hier also für den 26. September 1998) darzutun (vgl. Hacker, in: Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rdn. 35). Die Angaben zu den Umsatz- und Absatzzahlen beziehen sich lediglich auf den Zeitraum von Januar 2000 bis einschließlich Juni 2006. Damit fehlen insoweit entsprechende Angaben für den Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke. Auch die Angaben zur sog. "Gestützten Markenbekanntheit" vermögen den Vortrag der Widersprechenden nicht zu stützen. Sie reichen zwar bis in das Jahr 1998 und damit bis zum Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke zurück. Jedoch sind sie nicht aussagekräftig, weil sich der für 1998 angegebene Wert von 30 % nur auf Verwender klarer Spirituosen bezieht, was den maßgeblichen Verkehrskreis zu stark einschränkt. Hinzu kommt, dass nicht ersichtlich ist, auf welcher Grundlage, insbesondere anhand welcher Fragen der genannte Wert ermittelt wurde. Die Annahme einer gesteigerten Kennzeichnungskraft scheidet daher aus.
Umgekehrt kann entgegen der Auffassung der Erinnerungsprüferin allerdings auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Widerspruchsmarke von Haus aus eine Kennzeichnungsschwäche anhaftet. Das Markenwort wird zwar häufig - auch auf dem vorliegend betroffenen Warensektor - als Hinweis auf eine Produktlinie verwendet. Diese Bedeutung kann dem Markenwort indessen nicht ohne weiteres entnommen werden, wenn es wie hier in Alleinstellung ohne weiteren konkretisierenden Zusatz verwendet wird. Ebenso wenig kann eine Kennzeichnungsschwäche der Widerspruchsmarke mit der Argumentation der Markeninhaberin begründet werden, dass der Begriff "LINIE" das norwegische Wort für "Äquator" sei und damit nur eine Art Rezeptangabe darstelle. "LINIE" ist kein Wort der norwegischen Sprache. Der dem Ausdruck "LINIE" am nächsten kommende norwegische Begriff "linje" hat nicht die Bedeutung von "Äquator". Die korrekte norwegische Übersetzung für "Äquator" lautet "ekvator" (Heinzelnisse, Deutsch-Norwegisches Wörterbuch; http://www.heinzelnisse.info).
Die Widerspruchsmarke weist nach alledem von Hause aus eine normale Kennzeichnungskraft auf. Von einer Anhebung dieser Kennzeichnungskraft oder gar von einer überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft kann dagegen mangels tragfähiger Nachweise nicht ausgegangen werden.
Auf der anderen Seite hat die Markenstelle zu Recht angenommen, dass die angegriffene Marke "LINIE VITAL" eine gesamtbegriffliche Einheit bildet. Zwar ist der Widersprechenden zuzugeben, dass der Begriff "VITAL" für sich gesehen im Zusammenhang mit Lebensmitteln als Hinweis auf die Vermittlung von Lebens- und Leistungskraft durch das jeweilige Produkt beschreibenden Charakter besitzt und auch häufig als bloßer beschreibender Zusatz verwendet wird. Im vorliegenden Fall liegt es indessen anders. Denn im Zusammenwirken mit dem vorangestellten Markenwort "LINIE" ergibt sich ohne weiteres, dass es - wie die Markenstelle ausgeführt hat - um eine Produktlinie von Waren mit vitalisierender Wirkung geht, eine Aussage, die im Zusammenhang mit den vorliegend relevanten Waren (im wesentlichen alkoholfreie Getränke) ohne weiteres verständlich und sinntragend ist.
Hinzu kommt, dass die von den Vergleichsmarken erfassten Waren - wie dargelegt - zwar nicht völlig unähnlich sind, aber auch keine enge Ähnlichkeit aufweisen. Begegnet nun der Verkehr auf einem alkoholfreien Getränk der Bezeichnung "LINIE VITAL", so erscheint die Annahme fernliegend, dass er darin nicht etwa einen Hinweis auf eine "Produktlinie «Vital«", sondern vielmehr einen Hinweis auf den "LINIE"-Aquavit der Widersprechenden sieht. Eine andere Beurteilung käme nur in Betracht, wenn die Aquavit-Marke "LINIE" in ihrer Kennzeichnungskraft so stark erhöht wäre, dass sie in dem Zeichen "LINIE VITAL" trotz dessen gesamtbegrifflichen Charakters und über den gegebenen Warenabstand hinweg für den Verkehr erkennbar bliebe. Eine derart gesteigerte Kennzeichnungskraft ist indessen, wie dargelegt, nicht nachgewiesen.
Aus denselben Gründen kann auch nicht angenommen werden, dass der mit der Widerspruchsmarke übereinstimmende Markenbestandteil "LINIE" in der jüngeren Zeichenkombination - ungeachtet fehlender Prägung - eine selbständig kennzeichnende Stellung einnimmt (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042, 1044 [Nr. 30 f.] - THOMSON LIFE; BGH GRUR 2006, 859, 861 [Nr. 18] - Malteserkreuz). Der aufgezeigte gesamtbegriffliche Charakter steht der Annahme einer selbständig kennzeichnenden Stellung bereits begrifflich entgegen. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Bejahung einer Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt einer selbständig kennzeichnenden Stellung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes grundsätzlich Warenidentität voraussetzt (vgl. EuGH GRUR 2005, 1042, 1044 [Nr. 37] - THOMSON LIFE), woran es hier ebenfalls fehlt.
Auch die Gefahr, dass die jüngere Marke wegen der Übereinstimmung des darin enthaltenden Wortbestandteils "LINIE" mit der Widerspruchsmarke gedanklich als ein davon abgeleitetes Serienzeichen in Verbindung gebracht werden könnte, ist zu verneinen. Voraussetzung hierfür wäre, dass die Verkehrskreise zwar die Unterschiede zwischen den Vergleichsmarken erkennen, gleichwohl einen in beiden Marken übereinstimmend enthaltenen Bestandteil als Stammzeichen des Inhabers der älteren Marke werten, diesem Stammbestandteil also für sich schon die maßgebliche Herkunftsfunktion beimessen und deshalb die übrigen (abweichenden) Markenteile nur noch als Hinweis auf bestimmte Waren (oder Dienstleistungen) aus dem Geschäftsbetrieb des Inhabers der älteren Marke ansehen (vgl. BGH GRUR 1996, 200, 202 "Innovadiclophlont"; GRUR 2000, 886, 887 "Bayer/BeiChem"). Daran fehlt es. Der Zeichenteil "LINIE" erscheint in dem Zeichen "LINIE VITAL" nicht als - mit der älteren Marke identischer - Stammbestandteil, dem zur näheren Kenntlichmachung bestimmter Produkte die beschreibende Angabe "VITAL" hinzugesetzt ist. Vielmehr verbinden sich beide Zeichenteile zu einer - wie mehrfach ausgeführt - gesamtbegrifflichen Einheit, die von einem eigenständigen Herkunftshinweis durch den Bestandteil "LINIE" wegführt (vgl. Ströbele/Hacker, a. a. O., § 9 Rdn. 334).
Es bestand kein Anlass, einer der Beteiligten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen (§ 71 Abs. 1 MarkenG).
Hacker Kruppa Kober-Dehm Hu
BPatG:
Beschluss v. 19.09.2007
Az: 32 W (pat) 76/05
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