Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 8. Juli 1994
Aktenzeichen: 6 U 68/93
(OLG Köln: Urteil v. 08.07.1994, Az.: 6 U 68/93)
Kartellrechtliche Vorfrage; zuständiges Berufungsgericht 1. Hängt der Ausgang eines Rechtsstreits, in dem der geltend gemachte (Haupt-)Anspruch nicht kartellrechtlicher Natur ist (hier: Wettbewerbsrechtsstreit), von der Entscheidung über eine kartellrechtliche Vorfrage ab, darf das nach den §§ 87, 89, 92, 93, 94 GWB zuständige Kartellgericht über Hauptanspruch und kartellrechtliche Vorfrage einheitlich entscheiden; es ist nicht gehalten, den Streit über die Hauptsache auszusetzen (§ 96 GWB) und über die kartellrechtliche Vorfrage gesondert in einem selbständigen (Feststellungs)Verfahren zu befinden. 2. Wird gegen ein Urteil, in dem das Landgericht, das für Kartellrechtsentscheidungen zuständig ist, über einen nicht kartellrechtlichen Hauptanspruch und inzidenter über die entscheidungserhebliche Vorfrage befunden hat, Berufung eingelegt, ist für die Entscheidung über das Rechtsmittel ausschließlich das nach den §§ 92, 93, 94 GWB zu bestimmende Kartell-OLG (Kartellsenat) zuständig, auch wenn das Landgericht - formal oder der Sache nach - nicht "als Kartellkammer" tätig geworden ist. Wird in einem solchen Falle die Berufung bei dem allgemein zuständigen OLG eingelegt, das nicht Kartellgericht i.S. von §§ 92, 93, 94 GWB ist, erfolgt - auf Antrag - Verweisung gem. § 281 ZPO.
Gründe
Dem Antrag der Klägerin war gemäß § 281 ZPO zu entsprechen,
nachdem das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung
zulässigerweise zu einer kartellrechtlichen Vorfrage Stellung
bezogen hat, von deren Beantwortung auch nach Auffassung des
Senates die Entscheidung über die geltendgemachten
(wettbewerbsrechtlichen) Ansprüche abhängt.
Da das Landgericht seinerseits Kartellgericht im Sinne von § 87
GWB ist (vgl. § 89 GWB i.V.m. § 2 der Verordnung über die Bildung
gemeinsamer Kartellgerichte vom 02.10.1990 - Gesetz- und
Verordnungsblatt NW Nr. 61 vom 14.11.1990, Seite 579), war das
Landgericht nicht gehalten, seine Entscheidung über die
kartellrechtliche (Vor-) Frage separat von der
wettbewerbsrechtlichen (und unter Aussetzung des bei ihm
rechtshängigen Verfahrens) zu treffen (vgl. hierzu Karsten Schmidt
in Immenga/Mestmäcker § 96 Rdnr. 8; WuW/E BGH 354, 355 f -
Gärungsgetränke). Ein Verfahrensmangel, der eine Zurückverweisung
gemäß § 539 ZPO rechtfertigen könnte, liegt daher nicht vor.
Nach Ansicht des Senats zutreffend hat das Landgericht erkannt,
daß der Beklagten ein Wettbewerbsverstoß im Sinne von § 1 UWG mit
daraus resultierenden Unterlassungs- und weitergehenden
Folgeansprüchen nur angelastet werden kann, wenn diese durch ihre
Remailing-Aktivitäten gegen den in § 2 PostG festgeschriebenen
Beförderungsvorbehalt zu Gunsten der Klägerin verstoßen hätte.
Stellte sich jedoch die Berufung der Klägerin auf § 2 PostG unter
gemeinschaftsrechtlichem Blickwinkel (Art. 90 Abs. 1 i.V.m. Art. 86
Abs. 1 EWG-Vertrag) als rechtsmißbräuchliche Ausnutzung einer
beherrschenden Stellung auf dem gemeinsamen Markt oder auf einem
wesentlichen Teil desselben dar und könnte sich die Klägerin aus
diesem Grunde gegenüber der Beklagten und ihrer Remailing-Tätigkeit
nicht auf § 2 PostG stützen, entfielen zwangsläufig alle aus § 1
UWG hergeleiteten Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte auf
Unterlassung dieser Tätigkeit, der Werbung hierfür, auf
Schadensersatz und auf Erteilung von Auskünften. Streitet hingegen
§ 2 PostG auch unter gemeinschaftsrechtlichem Blickwinkel zu
Gunsten der Klägerin, läge in einem Verstoß hiergegen zugleich ein
wettbewerbswidriges Verhalten im Sinne von § 1 UWG, wie bereits das
Landgericht zutreffend erkannt hat.
Die Entscheidung über diese kartellrechtlichen Vorfragen ist für
den vorliegenden Fall ausschließlich dem Landgericht Köln (1.
Instanz) und dem Oberlandesgericht Düsseldorf (2. Instanz)
zugewiesen (§§ 97, 89, 87, 92, 93, 94 i.V.m. der VerordnungNW 1990
a.a.O.).
Die Entscheidung des zuständigen Spezialsenates ist nach
Auffassung des erkennenden Senates auch nicht deshalb entbehrlich,
weil etwa bereits aus nicht kartellrechtlichen Gründen der Klage
der Erfolg zu versagen ist.
Eine solche Annahme wäre allerdings gerechtfertigt, wenn die
Klägerin gegenüber der Beklagten vertraglich - gerade auch - für
die hier streitigen Remailing-Aktivitäten auf ihr
Beförderungsmonopol verzichtet hätte (§ 2 Abs. 4 PostG). Entgegen
der von der Beklagten hierzu vertretenen Rechtsauffassung läßt sich
aber ein derartiger Verzicht, der die Tätigkeit der Beklagten
rechtfertigen könnte, nach Ansicht des Senates nicht
feststellen.
Zwar hat der Bundesminister für Post- und Fernmeldewesen mit dem
Bundesverband der internationalen Kurierdienste im Jahre 1984 eine
Óbereinkunft erzielt, in der die ... hinsichtlich
der Kurierdienste auf ihren Beförderungsvorbehalt verzichtet hat;
dieser Verzicht bezog sich jedoch nicht auf das hier
streitgegenständliche Remailing. Das ergibt sich schon ohne jeden
Zweifel aus dem Briefwechsel zwischen den Parteien vom 30.11.1984
und vom 18.12.1984 (Anlagen KE 1 und KE 2). Danach bezog sich die
Ausnahmeregelung nur auf besonders schnelle und zuverlässige
Beförderung von Tür zu Tür, wobei die Kuriere die einzel
nachgewiesene Sendung ständig zu begleiten hatten. Für alle anderen
Arten der Beförderung hat sich der Bundesminister ausdrücklich
vorbehalten, sich auf den Beförderungsvorbehalt zu berufen. Schon
nach dem klaren Wortlaut ist somit das Remailing der hier
streitigen Art von der Óbereinkunft nicht erfaßt.
Auch eine ergänzende Vertragsauslegung verhilft der Beklagten
hier nicht zu Erfolg. Aus dem eindeutigen Wortlaut läßt sich auf
die hierbei erforderliche Vertragslücke nicht schließen. Zwar ist
richtig, daß sich - ausnahmsweise - eine solche "Lücke" auch erst
nachträglich als Folge spezifischer Fortentwicklungen der Dinge
ergeben kann. Indessen verbietet sich eine Schließung einer
derartigen späteren Lücke im vorliegenden Falle bereits deshalb,
weil im Jahre 1984 Ausnahmen von § 2 PostG nur in ganz engen
Grenzen zugelassen und die Beförderung gerade von Massensendungen,
also von Sendungen, die beim Remailing die entscheidende Rolle
spielen, ausdrücklich verboten worden sind.
Schließlich sind auch keine konkreten und verwertbaren
Anhaltspunkte für einen Verzicht auf den Beförderungsvorbehalt
durch Individualzusage des damaligen Bundes-Postministers oder für
ein duldendes Zuwarten seitens der Klägerin geliefert worden, so
daß auch hieraus - sei es unmittelbar, sei es mittelbar über § 242
BGB - eine Freistellung der Tätigkeit der Beklagten nicht
abgeleitet werden kann.
Da sich nach alledem, auch wenn man das übrige - pauschale -
Vorbringen der Beklagten mit einbezieht, aufgrund des
innerstaatlichen Normensystems unter wettbewerbsrechtlichen
Aspekten das von der Beklagten betriebene Remailing nicht
rechtfertigen läßt, kann ihre Rechtsverteidigung nur Erfolg haben,
wenn aufgrund des supranationalen Kartellrechts der Europäischen
Union den deutschen Behörden und Gerichten eine Anwendung des § 2
PostG (Beförderungsvorbehalt für die Klägerin) versagt ist. Die
Entscheidung hierüber ist aber ausschließlich den Kartellgerichten
und - im Falle der Vorlage nach Artikel 177 EWG-Vertrag durch diese
- dem Europäischen Gerichtshof vorbehalten.
Ob im Einzelfall auch ein Nichtkartellgericht berufen sein kann,
kartellrechtliche Fragen zu bescheiden, kann im vorliegenden
Rechtsstreit dahinstehen, da die hierfür erforderlichen
Voraussetzungen nicht vorliegen. Die entscheidungserhebliche
Vorfrage zu § 2 PostG ist weder höchstrichterlich entschieden noch
läßt sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und/oder
des Europäischen Gerichtshofes die aufgeworfene kartellrechtliche
Frage ohne weiteres und zweifelsfrei beantworten ("acte clair"
-Doktrin, vgl. Berthold, GWB, § 96 Rdnr. 3; Karsten Schmidt a.a.O.
§ 96 Rdnr. 22).
Der Senat verkennt nicht, daß das Landgericht nicht - formal -
als Kartellgericht entschieden hat und daß der vorliegende
Rechtsstreit - objektiv - nicht insgesamt als "Kartellsache" im
Sinne der §§ 87, 92 GWB qualifiziert werden kann, da der
Hauptanspruch aus dem UWG hergeleitet wird (a.A. allerdings Karsten
Schmidt a.a.O. § 92 Rdnr. 13). Zur Vermeidung "widersinniger
Ergebnisse" (BGHZ 31, 162, 166) sieht sich der Senat aber
gleichwohl gehalten, dem Verweisungsantrag der Klägerin zu
entsprechen. Ließe er nämlich eine Verweisung nicht zu, müßte er
gemäß § 96 Abs. 2 GWB das vorliegende Verfahren aussetzen und die
Entscheidung der für Kartellsachen zuständigen Gerichte abwarten,
obwohl in erster Instanz das zuständige Gericht (Landgericht Köln)
bereits entschieden hat (und nunmehr neuerlich im Wege des
Feststellungsverfahrens mit der Sache befaßt werden müßte). Eine
solche Konsequenz entspricht nicht der Intention des Gesetzes;
vielmehr gebührt in der Rechtsmittelinstanz bei einer derartigen
Konstellation dem Kartellrechtsspruchkörper der
Entscheidungsvorrang (BGHZ a.a.O.; siehe ferner BGHZ 49, 33, 37;
71, 367 ff, 377; Karsten Schmidt, Betriebs-Berater 1976, 1285 f;
ders Betriebs-Berater 1976, 1051 ff; ders NJW 1977, 10 ff; Karsten
Schmidt in Immenga/Mestmäcker, § 87 Rdnr. 11; § 92 Rdnr. 13; § 96
Rdnr. 8, 9).
OLG Köln:
Urteil v. 08.07.1994
Az: 6 U 68/93
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