Bundespatentgericht:
Beschluss vom 10. Mai 2011
Aktenzeichen: 6 W (pat) 338/06

(BPatG: Beschluss v. 10.05.2011, Az.: 6 W (pat) 338/06)

Tenor

Das Patent 10 2004 032 153 wird in vollem Umfang aufrechterhalten.

Gründe

I.

Gegen das Patent 10 2004 032 153, dessen Erteilung am 2. Februar 2006 veröffentlicht wurde, ist am 2. Mai 2006 Einspruch erhoben worden.

Der Einspruch stützt sich auf den Widerrufsgrund der fehlenden Patentfähigkeit des Patentgegenstandes, wozu die Einsprechende die Druckschriften DE 297 17 131 U1 (A3) und DE 295 09 678 U1 (A4) anführt. Aus einer Zusammenschau dieser beiden Entgegenhaltungen ergebe sich der Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 in naheliegender Weise.

Ferner macht sie eine offenkundige Vorbenutzung geltend, deren Gegenstand den Patentgegenstand neuheitsschädlich vorwegnehme. Zu deren Beleg legt sie mit den Anlagen A5 bis A17 Kopien von Fotos, Zeichnungen und Lieferscheinen vor.

Nach Ablauf der Einspruchsfrist reicht die Einsprechende vier Eidesstattliche Versicherungen (Anlagen A18 bis A21) nach, in welchen vier namentlich benannte Zeugen gleichlautende Aussagen zum technischen Sachverhalt des angeblich vorbenutzten Gegenstandes machen.

Im Erteilungsverfahren waren neben den Druckschriften A3 und A4 noch die US 51 68 828 A, US 39 76 283 sowie die WO 99/60232 A1 in Betracht gezogen worden, welche jedoch im vorliegenden Einspruchsverfahren nicht aufgegriffen wurden.

Die ordnungsgemäß geladene und -wie vorab angekündigt -zur mündlichen Verhandlung nicht erschienene Einsprechende stellt schriftsätzlich den Antrag, das angegriffene Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Streitpatent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.

Sie führt aus, dass der Gegenstand des Patents gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik neu sei und auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Außerdem bezweifelt sie das Offenkundigwerden des angeblich vorbenutzten Gegenstandes.

Gegenstand des angegriffenen Patents ist nach dem Wortlaut des erteilten Patentanspruchs 1 ein Fahnenmast mit einer Hissvorrichtung, die eine im unteren Bereich des Fahnenmasts (1) in einer Mastnut (2) angeordnete Antriebseinrichtung (3) mit einer Antriebsrolle (4), eine im oberen Bereich des Fahnenmasts (1) in der Mastnut (2) angeordnete Umlenkrolle (5), ein um die Antriebsrolle (4) und die Umlenkrolle (5) geführtes Seil (6) und einen mit dem Seil (6) verbundenen und innerhalb der Mastnut (2) verschiebbar geführten Schlitten (7) enthält, der durch Drehung der Antriebsrolle (4) über das das Seil (6) zum Hissen oder Einholen einer Fahne anhebbzw. absenkbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Antriebseinrichtung (3) ein der Antriebsrolle (4) zugeordnetes Bremselement (29) enthält, das durch einen in der Mastnut (2) zwischen einer Betätigungsstellung zur Drehung der Antriebsrolle (4) und einer Bremsund Sicherungsstellung zur Blockierung der Antriebsrolle (4) verschiebbaren Riegel (26) betätigbar ist, wobei die Antriebsrolle (4) zwischen einer in die Mastnut (2) einsetzbaren Konsole (18) und einem mit dieser verbundenen Deckblech (19) drehbar angeordnet und das Bremselement (29) zwischen der Konsole (18) und dem Deckblech (19) verschiebbar geführt ist.

Nach Merkmalen gegliedert stellt sich der Patentanspruch 1 wie folgt dar:

Fahnenmast mit einer Hissvorrichtung 1.

Die Hissvorrichtung enthält eine Antriebseinrichtung (3).

1.1. Die Antriebseinrichtung (3) ist im unteren Bereich des Fahnenmasts (1) in einer Mastnut (2) angeordnet.

1.2. Die Antriebseinrichtung (3) umfasst eine Antriebsrolle (4).

2.

Die Hissvorrichtung enthält eine Umlenkrolle (5).

2.1. Die Umlenkrolle (5) ist im oberen Bereich des Fahnenmasts (1) in der Mastnut (2) angeordnet.

3.

Die Hissvorrichtung enthält ein Seil (6).

3.1. Das Seil (6) ist um die Antriebsrolle (4) und die Umlenkrolle (5) geführt.

4.

Die Hissvorrichtung enthält einen Schlitten (7).

4.1. Der Schlitten (7) ist mit dem Seil (6) verbunden.

4.2. Der Schlitten (7) ist innerhalb der Mastnut (2) verschiebbar geführt.

4.3. Der Schlitten (7) ist durch Drehung der Antriebsrolle (4) über das Seil (6) zum Hissen oder Einholen einer Fahne anhebbzw. absenkbar.

(soweit Oberbegriff)

1.3. Die Antriebseinrichtung (3) enthält ein Bremselement (29).

1.3.1. Das Bremselement (29) ist der Antriebsrolle (4) zugeordnet.

1.4. Die Antriebseinrichtung (3) umfasst einen Riegel (26).

1.4.1. Das Bremselement (29) ist durch den Riegel (26) betätigbar.

1.4.2. Der Riegel (26) ist zwischen einer Betätigungsstellung zur Drehung der Antriebsrolle (4) und einer Bremsund Sicherungsstellung zur Blockierung der Antriebsrolle (4) verschiebbar.

1.4.3 Der Riegel (26) ist in der Mastnut (2) verschiebbar.

1.5. [Der Fahnenmast oder die Hissvorrichtung oder] die Antriebseinrichtung (3) umfasst eine Konsole (18).

1.5.1. Die Konsole (18) ist in die Mastnut(2) einsetzbar.

1.6. [Der Fahnenmast oder die Hissvorrichtung oder] die Antriebseinrichtung (3) umfasst ein Deckblech (19).

1.6.1. Das Deckblech (19) ist mit der Konsole (18) verbunden.

1.6.2. Die Antriebsrolle (4) ist zwischen der Konsole (18) und dem Deckblech (19) drehbar angeordnet.

1.6.3. Das Bremselement (29) ist zwischen der Konsole

(18) und dem Deckblech (19) verschiebbar geführt.

(Kennzeichen).

Hieran schließen sich rückbezogene Unteransprüche 2 bis 11 an, zu deren Wortlaut sowie zu weiteren Einzelheiten des Einspruchsverfahrens auf den Akteninhalt verwiesen wird.

II.

1.

Der formund fristgerecht erhobene Einspruch ist substantiiert auf den Widerrufsgrund der fehlenden Patentfähigkeit gem. § 21 (1) Ziffer 1 PatG gegründet und daher zulässig. Er ist jedoch nicht erfolgreich, da der Gegenstand des angegriffenen Patents patentfähig ist.

2.

Als hier zuständigen Fachmann sieht der Senat einen Konstrukteur von Seilantrieben mit einschlägiger Erfahrung im Bereich von Fahnenoder ähnlicher Masten an.

3.

Der Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 ist patentfähig.

3.1 Die Neuheit des Patentgegenstandes gegenüber dem druckschriftlich aufgezeigten Stand der Technik wird von der Einsprechenden nicht bestritten. Sie ist insbesondere gegenüber dem jeweiligen Inhalt der DE 297 17 131 U1 (A3) und der DE 295 09 678 U1 (A4) schon dadurch gegeben, dass dort keine Konsole i. S. der Merkmale 1.5.1 und 1.6.3 offenbart ist.

Der von der Einsprechenden als gegenüber dem Patentgegenstand neuheitsschädlich behaupteten offenkundige Vorbenutzung konnte vom Senat schon deswegen nicht weiter nachgegangen werden, weil weder aus den hierzu eingereichten Fotos bzw. Zeichnungen (A5 bis A8) noch den vorgelegten Eidesstattlichen Versicherungen (A18 bis A21) der gesamte angeblich mit dem angegriffenen Patentanspruch 1 übereinstimmende Merkmalsumfang entnehmbar ist. So fehlt in sämtlichen Darstellungen der obere Mastbereich, so dass nicht erkennbar ist, wie dort die Umlenkung des Seils erfolgt, insbesondere ob hierzu im oberen Bereich der Mastnut eine Umlenkrolle angeordnet ist (Merkmale 2 und 2.1). Auch ob im Bereich der Antriebseinrichtung eine Konsole ausgebildet ist, die zwischen sich und einem Deckblech die Antriebsrolle und das Bremselement aufnimmt (Merkmale 1.5 bis 1.6.3), lassen diese Unterlagen nicht zweifelsfrei erkennen. Auch die vorgelegten -im Übrigen identisch gleichlautenden -vier Eidesstattlichen Versicherungen erwähnen gerade diese Merkmale gar nicht.

3.2 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die DE 297 17 131 U1 (A3) zeigt ausweislich der Beschreibungseinleitung der Streitpatentschrift einen Fahnenmast gemäß dem Oberbegriff des angegriffenen Patentanspruchs 1 (Merkmale 1 bis 4.3). Damit wird eine übliche Hissvorrichtung für einen Fahnenmast beschrieben, bei welcher das Seil mit einem Schlitten verbunden ist, der innerhalb einer Mastnut verschiebbar ist. An dem Schlitten ist dann die Fahne befestigt und wird bei Betätigung der Antriebsvorrichtung mit dem Schlitten aufund abbewegt. Von dieser Vorrichtung ausgehend liegt dem Streitpatent gem. Streitpatentschrift

(s. dort Abs. [0004]) eine Aufgabenstellung mit zwei Teilaspekten zugrunde, nämlich einmal eine einfach zu bedienende und leicht montierbare Hissvorrichtung zu schaffen, die zum zweiten eine Sicherungseinrichtung zur Verhinderung einer selbsttätigen Verstellung der Hissvorrichtung aufweist. Hierzu geben die wesentlichen kennzeichnenden Merkmale des Patentanspruchs 1 die erfindungsgemäße Lehre, die Antriebsvorrichtung mit einem durch einen Riegel betätigbaren Bremselement zu versehen, welches der Antriebsrolle zugeordnet ist, wobei das Bremselement und die Antriebsrolle zwischen einer Konsole und einem damit verbundenen Deckblech drehbar bzw. verschiebbar geführt sind (Merkmale 1.3 bis 1.6.3). Damit sind beide o. a. Teilaufgaben gelöst: Antriebsrolle und Bremselement sind in einer vormontierbaren Einheit (Konsole mit Deckblech) zusammengefasst, die ihrerseits durch Einschieben in die Mastnut leicht zu montieren ist, wobei das integral aufgenommene Bremselement das angestrebte Blockieren der Antriebsvorrichtung ermöglicht. Diese Merkmalskombination hat im druckschriftlich aufgezeigten Stand der Technik kein Vorbild. So zeigt die einzige neben der Ausgangsdruckschrift A3 angezogene Entgegenhaltung DE 295 09 678 U1 (A4) eine Hissvorrichtung, welche einen gänzlich unterschiedlichen Aufbau zum Gegenstand des Streitpatents aufweist. Im Gegensatz zu letzterem, wo das Seil als Endlosschleife über eine untere Antriebsrolle und eine obere Umlenkrolle geführt ist, wird bei der Hissvorrichtung nach der A4 das Seil von der als Seilwinde ausgebildeten Antriebsrolle aufbzw. abgewickelt, wobei das obere Seilende über eine nicht näher spezifizierte "Umlenkung 8" nach außen geführt wird. Auch sind dort der Seilzug und sämtliche Elemente des Antriebs nicht in einer Mastnut sondern im Hohlraum des als Rohr ausgeführten Mastes aufgenommen. Schließlich fehlt dort auch ein mit dem Seil verbundener Schlitten. Von den Merkmalen des Oberbegriffs des angegriffenen Patentanspruchs 1 fehlen somit beim Gegenstand der A4 zumindest die Merkmale 1.1, 2.1 und 4 bis 4.3.

Zwar weist die Vorrichtung nach der A4 ein Bremselement auf, welches, insoweit noch vergleichbar mit der streitpatentgegenständlichen Bremseinrichtung, der Antriebsrolle zugeordnet ist (s. Fallriegel 15, welcher beim Abziehen der Antriebskurbel 14 in eine Ausnehmung der Aufsteckwelle 12 eingreift bzw. diese übergreift). Dieses Bremselement ist jedoch weder durch einen (willkürlich) verschiebbaren Riegel betätigbar (sondern fällt beim Abziehen der Antriebskurbel 14, durch Schwerkraft oder federunterstützt, selbsttätig in die Blockierstellung), noch ist es zwischen einer Konsole und einem Abdeckblech verschiebbar geführt (sondern an einer neben der Lagerung der Antriebsrolle extra montierten Halterung angeordnet). Selbst wenn man das dortige Gehäuse 2 in weiter Auslegung mit der Anordnung aus Konsole und Deckblech beim Streitpatent gleichsetzte, ist jedenfalls das Bremselement dort nicht zwischen Konsole und Deckblech verschiebbar geführt. Damit fehlen beim Gegenstand der A4 gegenüber dem Kennzeichen des angegriffenen Patentanspruchs 1 zumindest die Merkmale 1. 4 bis 1.4.3, 1.5.1 und 1.6.3. Sofern der Fachmann überhaupt den Aufwickelmechanismus nach der A4 zur Lösung der zugrundeliegenden Aufgabe bei einem umlaufenden Seilantrieb wie bei A3 heranziehen sollte, so würde er auch in einer Kombination der Lehren aus A3 und A4 nicht zum Gegenstand des Streitpatents gelangen. Zum einen löst nämlich der in A4 offenbarte Fallriegelmechanismus allenfalls die Teilaufgabe einer Sicherung der Hissvorrichtung gegen selbsttätiges Verstellen -und dies insoweit auch nur unzulänglich, als der Fallriegel erst dann mit der Antriebswelle in formschlüssigen und damit verriegelnden Kontakt tritt, wenn eine bestimmte Stellung der Welle erreicht ist. Es kann daher nach dem Abziehen der Kurbel dort noch ein gewisses Weitdrehen der Welle erfolgen, bis der Riegel blockierend eingreift. Zum anderen tritt die Bremseinrichtung nach der A4 nur beim Abziehen der Antriebskurbel in Aktion und kann nicht, wie dem Gesamtzusammenhang der Streitpatentschrift als für die patentierte Lehre wesentlich entnehmbar, unabhängig vom Vorhandensein der Kurbel gezielt betätigt werden. Die zweite dem Streitpatent zugrunde liegende Teilaufgabe, nämlich Antriebsrolle und Bremselement zu einer leicht montierbaren Einheit zusammenzufassen, wird beim Gegenstand der A4 überhaupt nicht gelöst, da dort weder eine Konsole noch ein entsprechendes Deckblech vorhanden ist. Der Fachmann hätte sich daher in einem ersten Schritt von der Fallriegelmechanik der A4 lösen und die gänzlich unterschiedlich arbeitende Anordnung mit einem in einer Mastnut geführten, durch Verschieben betätigbaren Riegel schaffen müssen. Sodann hätte er in einer weiteren Abwandlung des aus A4 bekannten Prinzips Antriebsrolle und Bremselement zwischen einer Konsole und einem Deckblech so anordnen müssen, dass diese Einheit bei der Montage in die Mastnut einfach einschiebbar ist. Dazu gibt jedoch keine der Druckschriften A3 und A4 dem Fachmann eine Anregung. Die weiteren, lediglich im Erteilungsverfahren in Betracht gezogenen Druckschriften liegen noch weiter ab vom Gegenstand des Streitpatents und sind von der Einsprechenden auch nicht aufgegriffen worden.

Zu der geltend gemachten Vorbenutzung gilt hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit nichts anderes als oben zur Frage der Neuheit ausgeführt.

4.

Der Patentanspruch 1 ist somit bestandsfähig.

5.

Mit dem sie tragenden Hauptanspruch haben auch die auf zweckmäßige Ausgestaltungen dessen Gegenstandes gerichteten Unteransprüche 2 bis 11 Bestand.

Dr. Lischke Guth Schneider Hildebrandt Cl






BPatG:
Beschluss v. 10.05.2011
Az: 6 W (pat) 338/06


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