Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. August 2001
Aktenzeichen: 9 W (pat) 11/00
(BPatG: Beschluss v. 27.08.2001, Az.: 9 W (pat) 11/00)
Tenor
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. Oktober 1999 aufgehoben und das Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:
- Patentanspruch 1, eingegangen am 2. März 1996,
- Patentansprüche 2 bis 5, eingegangen am Anmeldetag,
- Beschreibung Seiten 1, 2 und 4, eingegangen per Fax am 23. August 2001,
- Beschreibung Seiten 3 und 5, eingegangen am Anmeldetag,
- Zeichnung Figuren 1 bis 3, eingegangen am Anmeldetag.
Anmeldetag ist der 6. Juli 1995.
Die Bezeichnung lautet: "Zierverkleidungsteil für einen Innenraum eines Kraftfahrzeugs"
Gründe
I.
Die Patentanmeldung ist beim Deutschen Patent- und Markenamt am 6. Juli 1995 mit der Bezeichnung
"Zierverkleidungsteil für einen Innenraum eines Kraftfahrzeugs"
eingegangen. Mit Beschluß vom 20. Oktober 1999 hat die Prüfungsstelle für Klasse B 60 R des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, ein Merkmal des Zierverkleidungsteils nach Patentanspruch 1 sei nicht technisch, es stelle vielmehr eine ästhetische Formschöpfung gemäß PatG § 1 Abs 2 Nr. 2 dar. Es habe zu entfallen, da es dem Patentschutz nicht zugänglich sei. Die übrigen Merkmale des beanspruchten Zierverkleidungsteils seien aus der DE 44 38 461 A1 identisch bekannt, der Anspruch 1 daher mangels Neuheit seines Gegenstandes nicht gewährbar.
Gegen den Zurückweisungsbeschluß richtet sich die am 7. Dezember 1999 eingegangene Beschwerde der Anmelderin. Sie widerspricht der Zurückweisungsbegründung in allen Punkten und meint, das beanspruchte Zierverkleidungsteil sei patentfähig.
Die Anmelderin beantragt:
den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit den im Beschlußtenor angegebenen Unterlagen zu erteilen.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
"Zierverkleidungsteil für einen Innenraum eines Kraftfahrzeuges, das an einem Innenausstattungsteil angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, daß das Zierverkleidungsteil (5, 5a) eine zumindest teilweise aus transparentem Material bestehende Frontseite aufweist, wobei dem aus transparentem Material bestehenden Bereich eine hinter der Frontseite angeordnete Beleuchtung zugeordnet ist, und daß der Hintergrund und/oder die Frontseite des Zierverkleidungsteiles (5, 5a) im Bereich der Beleuchtung entsprechend der Innenausstattung des Kraftfahrzeugs gemustert oder eingefärbt sind."
An den Patentanspruch 1 schließen sich die abhängigen Unteransprüche 2 bis 5 an.
II.
Die statthafte Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt worden und auch im übrigen zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die geltenden Patentansprüche 1 bis 5 sind zulässig.
a) Ursprungsoffenbarung Der geltende Patentanspruch 1 enthält sämtliche Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 1 und zusätzlich das Merkmal, "daß der Hintergrund und/oder die Frontseite des Zierverkleidungsteils (5, 5a) im Bereich der Beleuchtung entsprechend der Innenausstattung des Kraftfahrzeugs gemustert oder eingefärbt sind." Dieses Merkmal geht aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hervor, vgl S 4 Abs 1 ab Z 11. Der Patentanspruch 1 ist damit zulässig.
Die geltenden Patentansprüche 2 bis 5 sind gegenüber ihrer ursprünglichen Fassung unverändert und damit ebenfalls zulässig.
b) ästhetische Formschöpfung Das letzte kennzeichnende Merkmal des geltenden Patentanspruchs 1, wonach der Hintergrund und/oder die Frontseite des Zierverkleidungsteils (5, 5a) im Bereich der Beleuchtung entsprechend der Innenausstattung des Kraftfahrzeugs gemustert oder eingefärbt sind, bezeichnet keine ästhetische Formschöpfung iSv § 1 Abs 2 Nr 2 PatG, sondern stellt ein zulässiges, funktionelles Merkmal dar (Schulte PatG 6. Aufl. § 34 Rdn 100-102).
Eine ästhetische Formschöpfung ist ein Werk, das dem Auge, dem Ohr oder dem Tastsinn eine räumliche, farbliche oder klangliche, das Schönheitsempfinden ansprechende Erkenntnis vermittelt (Benkard, 9. Aufl. § 1 Rdn 99). Insbesondere für eine räumliche Erkenntnis muß eine äußerlich wahrnehmbare Formgestaltung vorliegen, die willkürlich auf das Geschmacksempfinden zielt (Schulte PatG 6. Aufl. § 1 Rdn 80). Sinngemäß gilt dies gleichermaßen für eine farbliche Erkenntnis.
Unter diese Definition läßt sich die Einfärbung oder Musterung des Zierverkleidungsteils (im Bereich der Beleuchtung) entsprechend der Innenausstattung des Kraftfahrzeuges in keinem Fall subsumieren. Über eine äußerlich wahrnehmbare Formgestaltung des Zierverkleidungsteils, die darauf abzielt, den Formensinn anzuregen, sagt das Merkmal nichts aus. Die Form beschreibende Verben (zBsp.: aus- oder einwölben, vor- oder zurückspringen, erstrecken, einbuchten, erhöhen, beulen, einschnüren, verlaufen, etc.) kommen in dem Merkmal nämlich nicht vor. Die einzigen dort benutzten Verben "mustern" und "einfärben" haben demgegenüber eher Verfahrenscharakter, indem sie den Fachmann auf geläufige Oberflächengestaltungsverfahren hinweisen. Die Einfärbung oder Musterung des Zierverkleidungsteils entsprechend der Innenausstattung zielt auch nicht darauf ab, den Farbensinn anzuregen. Im Gegenteil, dadurch wird das Zierverkleidungsteil seiner Umgebung angeglichen, es wird der Optik der übrigen Innenausstattung angeglichen und eher "versteckt". Vielmehr ist die Musterung und Einfärbung im Zusammenhang mit der zusätzlichen Funktion des Zierverkleidungsteiles zu sehen.
Das in Rede stehende Merkmal gibt dem Durchschnittsfachmann, im vorliegenden Fall einem im KFZ- bzw Zulieferbereich tätigen Ingenieur mit mehrjähriger Berufserfahrung, eine hinreichende technische Lehre wie er die Oberfläche des Zierverkleidungsteils auszugestalten hat. Aufgrund seines Fachwissens wird er zBsp. einschlägig bekannte Farbanalysegeräte einsetzen, um die Innenausstattungsfarbe zu bestimmen. Alsdann wird er das Rohmaterial des Zierverkleidungsteils entsprechend einfärben oder einen Farbauftrag auf das entsprechend vorbereitete Zierverkleidungsteil aufbringen. Die Struktur der Musterung der übrigen Innenausstattung wird er abmessen oder abformen und sie anschließend beispielsweise in die Negativform einer Gieß-, Preß- oder Spritzmaschine einarbeiten. Wenn der Fachmann auf diese Weise durch den Einsatz technischer Mittel einen ästethischen Effekt erzielt, steht dies nach gefestigter Rechtsprechung einer Patentierung nicht entgegen (BGH Mitt 1972, 235 - Rauhreifkerze; BGH GRUR 1967, 590 - Garagentor; BGH GRUR 1988, 290 - Kehlrinne; Busse, 5. Aufl. § 1 Rdn 41; Benkard, 9. Aufl. § 1 Rdn 99 Abs 2; Schulte PatG 6. Aufl. § 1 Rdn 79 bis 82).
2. Das ohne Zweifel gewerblich anwendbare Zierverkleidungsteil nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist neu, denn keine der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen zeigt ein Zierverkleidungsteil mit sämtlichen beanspruchten Merkmalen.
Ein Verzierungs- und Schutz-Kunststoff-Formteil für den Innenraum eines Kraftfahrzeuges, das an einem Innenausstattungsteil angeordnet ist, geht aus der DE 36 29 031 C2 als bekannt hervor, vgl insb S 1 Z 16/17. An seiner Oberseite ist dieses Verzierungs- und Schutz-Kunststoff-Formteil mit einer besonders biegsamen, durchsichtigen Kunstharz-Schicht versehen, vgl insb Anspruch 1 iVm der Figur. Eine Beleuchtung ist ebenso wenig vorgesehen wie eine entsprechend der Innenausstattung des Kraftfahrzeugs gestaltete Musterung oder Einfärbung der Vor- und/oder Rückseite dieses Verzierungs- und Schutz-Kunststoff-Formteils.
Aus der DE 44 38 461 A1 ist als Innenausstattungssteil ein Verkleidungsteil oder Verkleidungspaneel 20 einer A-Säule bekannt, vgl insb Sp 2 Z 51 bis 55 iVm den Figuren 1 und 2. In eine Öffnung 27 dieses Innenausstattungsteils 20 ist als separates Bauteil zBsp ein elektrischer Kompaß 50 mit einer Anzeige 54 einsetzbar. Um der Anzeigefunktion jederzeit gerecht zu werden, ist die Anzeige ständig sichtbar, vgl insb Sp 3 Z 45 bis 57. Da der Kompaß mit Anzeige als separates Bauteil ausgebildet ist, stellt er kein Zierverkleidungsteil im Sinne der vorliegenden Anmeldung dar, wie es auf S 1 in Abs 2 der anmeldungsgemäßen Beschreibungseinleitung näher erläutert ist. Dies ist in keinem Fall eine Definitionsfrage, wie die Prüfungsstelle in dem angegriffenen Beschluß meint, sondern aus fachmännischer Sicht am Anmeldetag zwingend festzustellen. Was durch die technische Lehre der DE 44 38 461 A1, ein separates Bauteil in ein Verkleidungspaneel 20 einzusetzen, nahegelegt ist, muß im Rahmen der patentamtlichen Prüfung ohne Kenntnis des Anmeldungsgegenstandes beurteilt werden.
Demgegenüber läßt die von der Prüfungsstelle vorgenommene Gleichsetzung der Anzeige 54 mit dem anmeldungsgemäßen Zierverkleidungsteil erkennen, daß hier versucht wurde, in Kenntnis des Anmeldungsgegenstandes dessen Schutzumfang auszuloten, dh zu prüfen, was bei phantasievoller Auslegung des Anspruchswortlautes davon ggf. auch noch erfaßt sein könnte. Dies ist jedoch nicht Aufgabe des patentamtlichen Prüfungsverfahrens, sondern dem Verletzungsverfahren vorbehalten, vgl Prüfungsrichtlinien des DPMA Ziff. 3.3.2.1. Gegenstand der Prüfung.
Eine Ziertafel für Kraftfahrzeuge, vornehmlich anzubringen im Außenbereich zwischen den Hecklampenkombinationen, beschreibt die DE 41 23 002 A1. Diese Ziertafel soll ähnlich aussehen wie die Hecklampenkombination selbst, jedoch - im Gegensatz zum Anmeldungsgegenstand - nicht beleuchtet sein, vgl insb Sp 2 Z 13 bis 17 und Z 31 bis 35 iVm Fig 5 sowie Sp 3 Z 51 bis Sp 4 Z 5.
In der DE 41 31 425 A1 ist kein Zierverkleidungsteil, sondern eine Beleuchtungsanlage für den Innenraum eines Fahrzeugs erläutert, bei der verschiedene Leuchten den Einstiegs-, Innenfußraum- und Sitzbereich mit unterschiedlicher Lichtstärke erhellen und außenlichtabhängig steuerbar sind, vgl insb Anspruch 7.
Zur Ausgestaltung des beanspruchten Zierverkleidungsteils war am Anmeldetag eine erfinderische Tätigkeit erforderlich.
Die vorstehenden Ausführungen zur Neuheit haben aufgezeigt, daß es zum Anmeldezeitpunkt im Stand der Technik weder bekannt war bei Zierverkleidungsteilen eine Hintergrundbeleuchtung vorzusehen noch sie entsprechend der Innenausstattung des Kraftfahrzeuges zu mustern oder einzufärben. Insoweit würde eine wie auch immer geartete Zusammenschau einer oder mehrerer der vorgenannten Druckschriften in keinem Fall zum Beanspruchten führen. Da dieses sich nach Überzeugung des erkennenden Senats für einen Durchschnittsfachmann auch nicht ohne weiteres ergibt, bedurfte es einer erfinderischen Tätigkeit, um zum Anmeldungsgegenstand zu gelangen.
Der geltende Patentanspruch 1 ist somit patentfähig.
Mit ihm sind es die Unteransprüche 2 bis 5, die zweckmäßige Weiterbildungen des Zierverkleidungsteils nach Anspruch 1 betreffen.
Petzold Dr. Fuchs-Wissemann Bork Bülskämperprö
BPatG:
Beschluss v. 27.08.2001
Az: 9 W (pat) 11/00
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