Brandenburgisches Oberlandesgericht:
Beschluss vom 7. Mai 2009
Aktenzeichen: 6 W 219/08
(Brandenburgisches OLG: Beschluss v. 07.05.2009, Az.: 6 W 219/08)
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Neuruppin vom 12. August 2008 nebst der berichtigten Fassung vom 20. Oktober 2008 € 1 O 552/03 € teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Auf Grund des Urteils des Landgerichts Neuruppin vom 30. April 2008 sind von der Klägerin an Kosten 3.356,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz (§ 247 BGB) seit dem 16. Mai 2008 an den Beklagten zu erstatten.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Klägerin 70 %, der Beklagte 30 %.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 2.500 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der verstorbene Kläger F. L. hat mit der am 28. Februar 2004 zugestellten Klage den Beklagten, wohnhaft in N., auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch genommen.
Mit Schriftsatz vom 13. April 2004 hat der Klägervertreter mitgeteilt, dass der Kläger F. L. verstorben ist.
Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2004 hatte die Beklagtenvertreterin, damals mit Kanzleisitz in P., mitgeteilt, dass sie den Beklagten im Rechtsstreit vertrete.
Auf Antrag des Klägervertreters hat das Landgericht Potsdam mit Beschluss vom 14. Juni 2004 die Aussetzung des Verfahrens angeordnet.
Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat mit Schriftsatz vom 6. September 2004 mitgeteilt, dass sie ihre Anwaltskanzlei nach I. verlegt habe.
Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2007 hat der Klägervertreter beantragt, dem Rechtsstreit Fortgang zu geben; die Alleinerbin des Klägers, Frau M. L., nehme den Rechtsstreit auf. Die Ehefrau des verstorbenen Klägers war mit Testament von 23. Oktober 1984 zur Alleinerbin nach F. L. eingesetzt worden.
In dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 30. April 2008 vor dem Landgericht Neuruppin ist für die Klägerin niemand, der Beklagte in Person nebst seiner Prozessbevollmächtigten erschienen.
Mit Versäumnisurteil vom 30. April 2008 sind der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden.
Der Beklagte hat um Festsetzung seiner außergerichtlichen Kosten mit Antrag vom 19. Juni 2008 nachgesucht.
Er begehrt die Festsetzung einer Prozessgebühr (10/10 Gebühr, § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO), einer Verfahrensgebühr (1,3 Gebühr nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3100 VV RVG) einer Terminsgebühr (0,5 Gebühr nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3105 VV RVG), einer Post- und Telekommunikationspauschale, sowie einer Dokumentenpauschale, Fahrtkosten, Tage- und Abwesenheitsgeld, Übernachtungskosten sowie Umsatzsteuer auf sämtliche Gebühren und Kosten in Höhe von 19 %. Insgesamt hat der Beklagte um Festsetzung von 4.205,58 € nachgesucht.
Das Landgericht Neuruppin hat mit Beschluss vom 12. August 2008 die von der Klägerin an den Beklagten zu erstattenden Kosten auf 1.412,10 € festgesetzt. Das Landgericht hat für erstattungsfähig erachtet eine 10/10 Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO € diese reduziert um 10 % nach Maßgabe Nr. 26a S. 2 des Einigungsvertrages € in Höhe von 941,40 €, sowie einer Auslagenpauschale nach § 26 BRAGO in Höhe von 20 €, ferner eine 5/10 Verhandlungsgebühr nach §§ 11, 33 Abs. 1 S. 1 BRAGO in Höhe von 470,70 €.
Gegen diesen ihm am 28. August 2008 zugestellten Beschluss richtet sich die am 10. September 2008 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde des Beklagten. Dieser begehrt die Festsetzung der Umsatzsteuer, sowie die Festsetzung der Gebühren nach RVG, wie von ihm angemeldet, ferner die Erstattung von Reisekosten.
Mit Beschluss vom 20. Oktober 2008 hat das Landgericht Neuruppin der Beschwerde teilweise abgeholfen und weitere erstattungsfähige Kosten in Höhe von 243,25 € (Umsatzsteuer) festgesetzt.
Im Übrigen hat das Landgericht Neuruppin der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist zulässig; sie hat in der Sache überwiegend Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Es sind weitere erstattungsfähige Kosten zu Lasten der Klägerin festzusetzen, nämlich eine Verfahrensgebühr und eine 0,5 Terminsgebühr, beide ausgelöst nach den Vorschriften des RVG.
Der Beklagte hat seine Prozessbevollmächtigte spätestens Anfang 2004 mit seiner anwaltlichen Vertretung in dem Rechtsstreit auf Schadensersatz aus einem Unfall vom 1. Februar 2002 beauftragt. Die Beklagtenvertreterin hat sich mit Schriftsatz vom 16. Februar 2004 bestellt und Widerklage mit Schriftsatz vom 4. März 2004 gefertigt. Zu diesem Zeitpunkt galten die Vorschriften der BRAGO. Durch die Tätigkeit der Beklagtenvertreterin ist eine Prozessgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO (10/10 Gebühr) ausgelöst worden.
Nach dem Tod des vormaligen Klägers F. L. dauerte die Aussetzung des Verfahrens vom 14. Juni 2004 vom 28. Dezember 2007. Unter letztgenanntem Datum ist der Schriftsatz des Klägervertreters vom 27. Oktober 2007 bei Gericht eingegangen, wonach der Rechtsstreit fortgesetzt werden solle, durch die Alleinerbin des Klägers, Frau M. L.. Das Verfahren war mithin mehr als 2 Jahre und 6 Monate ausgesetzt.
Durch die von der Beklagtenvertreterin entfaltete Tätigkeit nach Aufnahme des Verfahrens sind erneut Gebühren ausgelöst worden, und zwar eine Verfahrensgebühr (1,3 Gebühr nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3100 VV RVG) sowie eine Terminsgebühr (0,5 Gebühr nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3105 VV RVG) durch Wahrnehmung des Termines vom 13. April 2008.
Entgegen der Ansicht des Landgerichtes ist die Beklagtenvertreterin nach der Wiederaufnahme des Verfahrens nicht €in derselben Angelegenheit€ tätig geworden für den Beklagten; vielmehr gilt die Tätigkeit der Beklagtenvertreterin als neue Angelegenheit (§ 13 Abs. 5 S. 2 RVG entsprechend).
Es ist zwar richtig, dass das Verfahren nach der Aufnahme eines nach § 239 ff ZPO unterbrochenen bzw. ausgesetzten Rechtsstreites mit dem unterbrochenen Verfahren zusammen dieselbe Angelegenheit darstellt. Gleiches gilt bei Fortsetzung des Rechtsstreits für die Erben durch den Prozessbevollmächtigten des Erblassers, da durch den Tod des Auftraggebers des (vormaligen Klägers) weder der Auftrag noch die Vollmacht erlöschen (Gerold/Schmidt/Madert, BRAGO, 2002, § 13 Rn. 28 ff). Der in § 13 Abs. 5 S. 1 BRAGO und § 15 Abs. 5 S.1 RVG normierte Grundsatz, dass der weitere Auftrag für einen Anwalt in derselben Angelegenheit nicht zu gesonderten Gebühren im Vergleich zum Gesamtauftrag führt, erfährt allerdings in § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO bzw. in § 15 Abs. 5 S. 2 RVG eine Einschränkung. Liegen nämlich zwischen der Erledigung des ersten und der Erteilung des weiteren Auftrages zwei volle Kalenderjahre, so gilt die weitere Tätigkeit als neue Angelegenheit. Der Grund für diese Regelung ist die Erwägung, dass der Rechtsanwalt sich nach längerer Zeit wieder vollkommen neu in die Sache einarbeiten muss, sodass eine Arbeitsersparnis mit dem vorhergehenden Auftrag nicht verbunden ist. Es wird daher hinsichtlich des weiteren Auftrages das Vorliegen einer neuen Angelegenheit fingiert, womit der Anwalt sämtliche Gebühren gesondert in Rechnung stellen kann. Die Zweijahresfrist beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem der vorangegangene Auftrag erledigt worden ist, mithin hier mit Ablauf des Kalenderjahres 2004 (Göbel/Gottwaldt, Berliner Kommentar zum RVG, Auflage 2004, § 15 Rn. 43; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Mai 2002 € 8 W 640/01; OLG Nürnberg, Beschluss vom 26. Januar 2004 € 13 W 227/04).
Als €Erledigung€ im Sinne des § 13 Abs. 5 BRAGO bzw. 15 Abs. 5 RVG ist nicht der endgültige Abschluss einer rechtlichen Angelegenheit zu verstehen. Vielmehr soll die Fälligkeit der Vergütung nach § 16 BRAGO bzw. § 8 RVG maßgeblich sein. In beiden Vorschriften ist als die Fälligkeit der Vergütung auslösende Zeitpunkt u.a. ausdrücklich das Ruhen des Verfahrens über mehr als drei Monate genannt. Führt der Prozessbevollmächtigte eine €erledigte€ Angelegenheit mit einer zeitlichen Unterbrechung von mehr als zwei Kalenderjahren fort, so fingiert das Gesetz dieses als Auftrag zu einer neuen Angelegenheit (OLG Stuttgart, a.a.O.). Dies wird dem Umstand gerecht, dass ein Rechtsanwalt in der Regel vor Ablauf von zwei Kalenderjahren sich vollständig neu in ein Mandat einarbeiten muss und demzufolge eine weitere Tätigkeit ausgelöst wird (Gerold/Madert, RVG, 18. Auflage, § 15 Rn. 103).
So liegt der Fall auch hier.
Es sind keine Umstände ersichtlich, wonach während des Zeitraumes von drei Jahren und sechs Monaten die Beklagtenvertreterin ohnehin mit der Angelegenheit befasst gewesen wäre bzw. eine außergerichtliche Fortsetzung ihrer Tätigkeit erforderlich geworden wäre (so aber der vom Oberlandesgericht Nürnberg entschiedene Fall mit Beschluss vom 26. Januar 2004 € 13 W 227/04).
2. Ohne Erfolg bleibt die sofortige Beschwerde, soweit der Beklagte die Festsetzung von Reisekosten und Übernachtungskosten für die Wahrnehmung des Termines vor dem Landgericht Neuruppin durch seine Prozessbevollmächtigte begehrt.
Zwar galt nach Wiederaufnahme des Verfahrens im Jahre 2007 bereits die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wonach es einer Partei zur sachgemäßen Wahrnehmung ihrer Rechte im Rechtsstreit gestattet ist, einen an ihrem Wohnsitz ansässigen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen in einem Rechtsstreit zu beauftragen.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei Einleitung des Rechtsstreits der Beklagte seinen Wohnsitz in N. hatte und eine Rechtsanwältin mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hatte, die zu diesem Zeitpunkt ihre Kanzlei in P. unterhielt. Wäre der Rechtsstreit ohne Aussetzung fortgeführt worden, so hätte nach der hier maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes der Beklagte nicht die Erstattung der Reisekosten seiner Prozessbevollmächtigten von deren Kanzleisitz in P. zum Ort des Prozessgerichtes in Neuruppin erstattet verlangen können. Der Beklagte war nämlich in seinem eigenen Gerichtsstand verklagt worden und hatte mit seiner Vertretung eine auswärtige Anwältin beauftragt. Lediglich in Fällen einer Spezialmaterie kann es als notwendig erscheinen, dass eine Partei einen auswärtigen spezialisierten Anwalt beauftragt, wenn ein vergleichbarer ortsansässiger Anwalt nicht beauftragt werden kann (BGH, NJW 2003, 901). So liegt der Fall hier nicht. Der Umstand, dass die Beklagtenvertreterin erst nach Auftragserteilung ihren Kanzleisitz nach I. verlegt hat, ist daher rechtlich unbedeutend.
Da der Beklagte lediglich diejenigen Reisekosten hätte erstattet verlangen können, die einen an seinem Wohnort geschäftsansässigen Rechtsanwalt durch Reisen zum Ort des Prozessgerichtes ausgelöst hätte, ist es unerheblich, ob die Beklagtenvertreterin zum Zeitpunkt des Termines der mündlichen Verhandlung in P. oder in I. kanzleiansässig gewesen ist.
Es bleibt dem Beklagten selbstverständlich unbenommen, mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen eine Rechtsanwältin seines Vertrauens zu beauftragen. Der unterlegene Prozessgegner ist jedoch nur verpflichtet, die im Sinne des § 91 Abs. 2 ZPO ausgelösten notwendigen Kosten zu erstatten. Reisekosten eines an einem dritten Sitz kanzleiansässigen Rechtsanwaltes sind nicht zu erstatten.
3. Die erstattungsfähigen Kosten sind daher wie folgt festzusetzen:
1. 10/10 Prozessgebühr nach § 31 Abs. 1 Ziffer 1 BRAGO (90 %)941,40 €2. 1,3 Verfahrensgebühr nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3100 RVG1.359,80 €3. 0,5 Terminsgebühr nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3105 VV RVG523,00 €4. Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG 20,00 €5. Umsatzsteuer von 16 % aus 941,40 €150,62 €6. Umsatzsteuer von 19 % aus 1.9002,80 € 361,53 €gesamt:3.356,35 €Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Mit seiner Beschwerde hat der Beklagte eine Erhöhung der erstattungsfähigen Kosten um 2.412,06 € begehrt, jedoch letztlich nur eine Erhöhung von 1.701 € erzielt.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens war gemäß § 3 ZPO festzusetzen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
Brandenburgisches OLG:
Beschluss v. 07.05.2009
Az: 6 W 219/08
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