Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. November 2001
Aktenzeichen: 10 W (pat) 13/01
(BPatG: Beschluss v. 12.11.2001, Az.: 10 W (pat) 13/01)
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluß des Deutschen Patent- und Markenamts - Prüfungsstelle für Klasse 11.53 - vom 15. September 2000 aufgehoben.
Die Patentanmeldung ist durch die Erklärung des Rechtsvorgängers der Anmelderin vom 2. Januar 2000 nicht zurückgenommen worden.
Gründe
I Am 24. Mai 1999 ist von Dr. Ralf Steiner ein Patent mit der Bezeichnung "Neuronales Netz zum rechnergestützten Wissensmanagement" unter Inanspruchnahme ua der Priorität der DE 298 21 970.0 vom 31. August 1998 angemeldet worden.
Mit Bescheid vom 9. August 1999 hat das Patentamt dem Anmelder eine Bibliographie-Mitteilung mit dem Hinweis übersandt, daß die Veröffentlichung der Anmeldung voraussichtlich am 2. März 2000 erfolgen werde. Sie unterbleibe, wenn die Anmeldung früher als 8 Wochen vor dem vorgesehenen Veröffentlichungstag zurückgenommen oder zurückgewiesen werde oder als zurückgenommen gelte (§ 32 Abs 4 PatG).
Mit Fernschreiben vom 2. Januar 2000 hat der Anmelder dem Patentamt gegenüber erklärt: "Hiermit nehme ich nach § 32 Abs 4 PatG die Anmeldung DE 199 23 622.4 "Neuronales Netz zum rechnergestützten Wissensmanagement" zurück. Somit unterbleibt deren voraussichtliche Veröffentlichung vom 2. März 2000".
Mit Bescheid vom 11. Februar 2000 hat das Patentamt dem Anmelder mitgeteilt, daß die Veröffentlichung nicht mehr verhindert werden könne und ihm gleichzeitig eine Kopie seiner Rücknahmeerklärung übersandt, auf der von einem Sachbearbeiter des Patentamts handschriftlich vermerkt ist: "Vorlage am 9. Februar 2000. Die Rücknahme aus der Publikation ist nicht mehr möglich. Produktionsbedingt war eine Verhinderung der Veröffentlichung nur bis zum 28. Januar 2000 möglich".
Am 26. Februar 2000 hat der Anmelder die Erklärung der Rücknahme der Anmeldung angefochten und Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Sein Wille sei ausdrücklich darauf gerichtet gewesen, daß die Patentanmeldung nicht veröffentlicht werde. Er habe die Rücknahme der Anmeldung daher ordnungsgemäß 8 Wochen vor dem mitgeteilten Veröffentlichungstermin erklärt. Die verzögerte Bearbeitung seiner Rücknahmeerklärung im Patentamt, die eine Rücknahme der Anmeldung aus der Publikation verhindert habe, sei von ihm nicht zu vertreten.
Durch Beschluß vom 15. September 2000 hat das Patentamt den Antrag des Anmelders auf Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund der Anfechtungserklärung wegen Irrtums vom 26. Februar 2000 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, eine Anfechtung der Rücknahmeerklärung sei nicht zulässig, weil diese auf einem unbeachtlichen Motivirrtum beruhe.
Mit der Beschwerde beantragt der Anmelder, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Anmeldung weiterzubehandeln.
Zur Begründung macht er geltend, das Patentamt habe seine Rücknahmeerklärung falsch ausgelegt. Er habe die Rücknahme der Anmeldung nur unter der Bedingung erklärt, daß die Veröffentlichung unterbleibe. Rücknahmen seien aber nach herrschender Meinung bedingungsfeindlich. Hilfsweise, für den Fall, daß das Patentamt von der Wirksamkeit seiner Rücknahmeerklärung ausgehe, berufe er sich auf seine eine gegenüber dem Patentamt unverzüglich erfolgte Anfechtung der Rücknahmeerklärung. Er habe in Wahrheit eine Bedingung zum Ausdruck bringen wollen. Mit seiner unbedingten Rücknahme habe er daher nicht das erklärt, was er habe erklären wollen.
Im Laufe des Beschwerdeverfahrens ist die Anmeldung auf die I... AG umgeschrieben worden.
II Die Beschwerde ist begründet. Der Rechtsvorgänger der Anmelderin hat die Patentanmeldung P 199 23 622.4 nicht wirksam zurückgenommen.
1. Für die Prüfung, ob eine - grundsätzlich zulässige - Anfechtung der Rücknahme einer Patentanmeldung gemäß § 119 BGB in Betracht kommt (vgl BGH BlPMZ 1977, 171), besteht nur dann Anlaß, wenn feststeht, daß eine wirksame Rücknahmeerklärung vorliegt. Diese Voraussetzung ist hier entgegen der Ansicht der Prüfungsstelle nicht erfüllt; die abgegebene Rücknahmeerklärung war vielmehr auflösend bedingt (§ 158 Abs 2 BGB).
2. Die am 2. Januar 2000 eingegangene Erklärung des Rechtsvorgängers der Anmelderin
"Hiermit nehme ich die Anmeldung gemäß § 32 Abs 4 PatG zurück. Damit unterbleibt deren voraussichtliche Veröffentlichung vom 2. März 2000"
bedarf der Auslegung, denn sie stellt in ihrem Gesamtzusammenhang keine ausschließliche und eindeutige Rücknahme der Anmeldung dar. Nach den auch für Verfahrenshandlungen geltenden Auslegungsregeln des bürgerlichen Rechts gemäß § 123 BGB ist der in der Erklärung zum Ausdruck kommende wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen, wie ihn das Patentamt als Erklärungsempfänger nach den objektiv erkennbaren Umständen des Falles und der Interessenlage des Erklärenden vernünftigerweise verstehen mußte (vgl Schulte, PatG, 6. Aufl, vor § 34 Rdn 105; Thomas/Putzo, ZPO, 23. Aufl, Einl III Rdn 18; Zöller, ZPO, 22. Aufl, vor § 128 Rdn 25).
a.) Der Rechtsvorgänger der Anmelderin hat in seiner Erklärung zum Ausdruck gebracht, daß er mit der Rücknahme der Anmeldung die Veröffentlichung der Offenlegungsschrift gemäß § 32 Abs 4 PatG verhindern will, ohne daß er diesen Zweck allerdings wörtlich zur Bedingung der Rücknahmeerklärung gemacht hat. Ein an dem reinen Wortlaut der Erklärung haftendes Verständnis als vorbehaltlose unbedingte Rücknahme der Anmeldung, unabhängig davon, ob die Offenlegung unterbleibt oder nicht, entspricht jedoch erkennbar nicht dem wirklichen Willen und dem Interesse des Rechtsvorgängers der Anmelderin. Bei der Auslegung seiner Erklärung muß insbesondere auch die verfahrensrechtliche Situation berücksichtigt werden, in der er sich bei der Rücknahme der Anmeldung befunden hat.
b.) Die Rücknahme der Anmeldung ist am 2. Januar 2000 und damit vor Ablauf von 18 Monaten seit dem Prioritätstag (31. August 1998) erfolgt. Sie unterliegt daher gemäß § 31 Abs 2 Nr 2 PatG nicht der Akteneinsicht und darf grundsätzlich auch nicht offengelegt werden. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß für die Offenlegung zurückgenommener Anmeldungen an sich kein Rechtsgrund besteht (vgl Busse, PatG, 5. Aufl, § 32 Rdn 40) bildet allerdings § 32 Abs 4 PatG. Nach dieser Vorschrift erfolgt die Veröffentlichung der Offenlegungsschrift unter den Voraussetzungen des § 31 Abs 2 PatG auch dann, wenn die Anmeldung zurückgenommen wird, nachdem die technischen Vorbereitungen für die Veröffentlichung der Offenlegungsschrift abgeschlossen waren. Der Gesetzgeber hat diese Ausnahme vorgesehen, weil es für das Patentamt einen unverhältnismäßigen Zeit- und Kostenaufwand verursacht, die Offenlegungsschrift von den zur elektronischen Veröffentlichung bestimmten Datenträgern auszunehmen. Wann die technischen Vorbereitungen für die Veröffentlichung abgeschlossen sind, ist in § 32 Abs 4 PatG nicht geregelt. Nach der MittPräsDPA Nr 6/81 vom 12. März 1981 (BlPMZ 1981, 141) iVm der MittPräsDPA Nr 12/81 vom 22. Juli 1981 erfolgt der Abschluß in der achten Woche vor dem in der amtlichen Bibliographie-Mitteilung als voraussichtlich angegebenen Veröffentlichungstermin. Eine Veröffentlichung unterbleibt nach dieser Mitteilung, wenn die Anmeldung früher als acht Wochen vor dem genannten Veröffentlichungstermin zurückgenommen wird.
c.) Das bedeutet allerdings nicht, daß der Anmelder mit Sicherheit auf die Nichtveröffentlichung der Offenlegungsschrift vertrauen kann. Auch bei rechtzeitiger Rücknahme der Anmeldung kann es aufgrund amtsinterner Vorgänge, etwa eines Übersehens der Rücknahmeerklärung oder - wie vorliegend - einer verzögerten Weiterleitung der Rücknahmeerklärung an den für die technischen Vorbereitungen zuständigen Sachbearbeiter, zu der Veröffentlichung kommen. Dementsprechend empfiehlt das Patentamt beispielsweise den Anmeldern, die mit der Rücknahme der Anmeldung beabsichtigte Vermeidung der Offenlegung durch farbliche Hervorhebung besonders kenntlich zu machen (vgl MittPräsDPA Nr 4/80 vom 21. Januar 1980 (BlPMZ 1980, 46). Eine weitere Unsicherheit ergibt sich aus der Formulierung, die Rücknahmeerklärung müsse "früher als acht Wochen vor dem vorgesehenen Veröffentlichungstermin" erfolgen (vgl MittPräsDPA Nr 6/81 vom 12. März 1981, BlPMZ aaO), weil damit keine feste zeitliche Grenze gesetzt ist, die einen Anmelder mit Sicherheit Aufschluß darüber gibt, ab wann die Offenlegung noch verhindert werden kann. Zu berücksichtigen ist ferner, daß die acht Wochen den frühesten Zeitpunkt des Abschlusses der technischen Vorbereitungen für den in der Bibliographie-Mitteilung genannten Veröffentlichungstermin bilden. Findet der Abschluß im Einzelfall tatsächlich erst zu einem späteren Zeitpunkt statt, wie es nicht selten der Fall ist - vorliegend laut Aktenvermerk beispielsweise erst am 28. Januar 2000, also fast 4 Wochen nach dem in der Bibliographie-Mitteilung genannten Zeitpunkt (2. Januar 2000) - darf eine Rücknahmeerklärung auch dann nicht veröffentlicht werden, wenn sie zwar später als acht Wochen vor dem Veröffentlichungstermin, jedoch noch vor dem tatsächlichen Abschluß der technischen Vorbereitungen erfolgt ist (vgl BPatGE Mitt 1984, 32).
d.) Unter diesen Umständen ist die am 2. Januar 2000 und damit genau acht Wochen vor dem in der Bibliographie-Mitteilung als voraussichtlich angegebenen Veröffentlichungstermin (2. März 2000) eingegangene Erklärung des Rechtsvorgängers der Anmelderin nicht anders zu verstehen ist als im Sinne einer Rücknahme unter dem Vorbehalt, daß sie ihre Wirkung verlieren soll, wenn die Veröffentlichung der Offenlegungsschrift erfolgt. Eine bedingungslose Rücknahme der Anmeldung widerspricht in Anbetracht der ausdrücklich erklärten Absicht, die Offenlegung zu verhindern, eindeutig dem Willen des Rechtsvorgängers der Anmelderin. Er hätte damit den doppelten Nachteil des Verlusts seiner Anmeldung bei gleichzeitiger Offenlegung, die es Dritten ermöglicht, aus dem Gegenstand der Erfindung Nutzen ziehen, und die darüberhinaus dazu führen kann, daß ihm bei einer etwaigen späteren Anmeldung seine eigene Offenlegungsschrift gemäß § 3 Abs 1 PatG als Stand der Technik patenthindernd entgegensteht (vgl Schulte, PatG, 6. Aufl, § 3 Rdn 36).
3. Der unter der - auflösenden - Bedingung der Veröffentlichung der Offenlegungsschrift erklärten Rücknahme der Anmeldung steht nicht entgegen, daß Verfahrenshandlungen grundsätzlich unbedingt erfolgen müssen (offengelassen in BPatGE 15, 160, 164), denn dieser Grundsatz gilt nicht ausnahmslos. Nach anerkannter Rechtsprechung dürfen auch ProzeßÑbzw Verfahrenshandlungen von einer Bedingung abhängig gemacht werden, sofern ihr Eintritt nicht auf dem Willen eines Verfahrensbeteiligten oder sonstigen außerhalb des Verfahrens liegenden Umständen beruht, wie etwa im Zivilprozeß bei der sog. innerprozessualen, an den Erfolg oder Mißerfolg einer eigenen oder einer gegnerischen Verfahrenshandlung geknüpften Bedingung (vgl Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl, 1993, 356 f; Zöller, ZPO, 22. Aufl, vor § 128 Rdn 20). Die Voraussetzung eines rein verfahrensinternen Ereignisses ist bei der Veröffentlichung der Offenlegungsschrift erfüllt, denn die Frage, ob die Veröffentlichung gemäß § 32 Abs 4 PatG erfolgt oder (noch) verhindert werden kann, hängt von der sich dem Einfluß des Anmelders entziehenden Verfahrenslage in dem jeweiligen Einzelfall ab. Nimmt der Anmelder die Anmeldung gemäß § 32 Abs 4 PatG vor dem (faktischen) Abschluß der Vorbereitungen für die Veröffentlichung unter der Bedingung zurück, daß die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung mit der Veröffentlichung der Offenlegungsschrift enden soll, entsteht dadurch weder eine für das Patentamt unzumutbare verfahrensrechtliche Unsicherheit noch werden Rechte Dritter oder die Interessen der Öffentlichkeit berührt. Sobald amtsintern feststeht, daß die Anmeldung nicht veröffentlicht wird, kann die Rücknahme der Anmeldung in die Rolle eingetragen und das Verfahren abgeschlossen werden. Läßt sich die Veröffentlichung nicht (mehr) verhindern, verliert die Rücknahmeerklärung ihre Wirksamkeit und das Erteilungsverfahren ist fortzusetzen.
Der angefochtene Beschluß war nach alledem mit der Feststellung aufzuheben, daß die Anmeldung nicht wirksam zurückgenommen worden ist. Das Patentamt wird das Erteilungsverfahren nunmehr fortzusetzen haben.
Schülke Dr. Schermer Schuster Pr
BPatG:
Beschluss v. 12.11.2001
Az: 10 W (pat) 13/01
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