Bundespatentgericht:
Beschluss vom 21. Juni 2010
Aktenzeichen: 19 W (pat) 45/06
(BPatG: Beschluss v. 21.06.2010, Az.: 19 W (pat) 45/06)
Tenor
1.
Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der Patentabteilung 1.32 des Deutschen Patentund Markenamtes vom 30. Juni 2006 aufgehoben und das Patent 196 14 128 widerrufen.
2.
Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.
Gründe
I.
Für die am 10. April 1996 im Deutschen Patentund Markenamt eingegangene Patentanmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents 196 14 128 am 1. März 2001 veröffentlicht worden. Es betrifftein Verfahren und eine Vorrichtung zur Steuerung einer Werkzeugmaschine, insbesondere einer Funkenerosionsmaschine.
Gegen das Patent hat die V... GmbH in B..., mit Eingabe vom 31. Mai 2001, eingegangen am selben Tag, beim Deutschen Patentund Markenamt Einspruch erhoben mit der Begründung, die Gegenstände der beiden unabhängigen Patentansprüche 1 sowie 10 seien nicht neu.
Die Einsprechende hat ihre Behauptung zum Einen auf den im Prüfungsverfahren berücksichtigten Stand der Technik gestützt, insbesondere auf die Entgegenhaltung E15:
Eversheim; Lenhart: "Objektorientiert programmieren", Industrie-Anzeiger 82/1991, S. 38-42, zum Anderen hat sie geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei durch zwei von ihr hergestellte und je an einen Kunden vor dem Anmeldetag des Streitpatents gelieferte Funkenerosionsmaschinen des Typs QM 71 P vorweggenommen. Zum Beleg dieser Behauptung hat sie folgenden Unterlagen eingereicht:
Innerbetrieblicher Auftrag Nr. 110810, datiert mit: 22.08.95 Internationaler Frachtbrief, datiert mit: 08.12.95 Lieferschein Nr. 97263, datiert mit: 20.12.95 Betriebsanleitung QM 71 P, Ausgabe 07/95 (Auszug) Betriebsanleitung QWD 70 P, Ausgabe 10/96, Seiten 10-5, 10-6 (Auszug).
Zur inhaltlichen Übereinstimmung eines Teils der nachveröffentlichten Betriebsanleitung QWD 70 P mit den vorbenutzten Maschinen des Typs QM 71 P hat die Einsprechende Zeugenbeweis angeboten.
Die Einsprechende hat im Verfahren vor dem DPMA beantragt, das Streitpatent in vollem Umfang zu widerrufen, hilfsweise, eine mündliche Anhörung durchzuführen.
Die Patentinhaberin hat in ihrer Entgegnung auf den Einspruchsschriftsatz bestritten, dass die von der Einsprechenden geltend gemachten Vorbenutzungen offenkundig geworden seien, im Übrigen sei ihre Erfindung gegenüber den vorbenutzten Gegenständen ohnehin neu und beruhe auf erfinderischer Tätigkeit.
Die Patentinhaberin hat im Verfahren vor dem DPMA beantragt, das Patent unverändert aufrechtzuerhalten, hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Ohne einen Hinweis auf eine mögliche Unzulässigkeit des Einspruchs und ohne Durchführung einer mündlichen Anhörung hat die Patentabteilung 1.32 des Deutschen Patentund Markenamts mit Beschluss vom 30. Juni 2006 den Einspruch als unzulässig verworfen. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die Patentinhaberin habe in ihrem Schreiben vom 5. Dezember 2001 die Offenkundigkeit der von der Einsprechenden behaupteten Vorbenutzung bestritten, was eine Frage der Substantiierung und damit der Zulässigkeit des Einspruchs sei. Die Einsprechende habe die behaupteten Widerrufsgründe innerhalb der Einspruchsfrist nicht hinreichend substantiiert dargelegt (§ 59 Abs. 1 PatG). Insbesondere fehle die Angabe von konkreten Tatsachen, welche die öffentliche Zugänglichkeit der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung nach Art, Ort und Zeit erkennen ließen. Mangels Zuordnung der Betriebsanleitung (QM 71 P) zu den gelieferten Maschinen sei auch nicht erkennbar, welcher Gegenstand, also was offenkundig vorbenutzt worden sei. Soweit sich die Einsprechende auf Druckschriften aus dem Prüfungsverfahren berufe, habe sie hierauf nicht substantiiert Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden. Sie bringt vor, sie sei von dem Beschluss der Patentabteilung, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen, überrascht worden. Ihr sei keine Gelegenheit gegeben worden, sich zu hierzu zu äußern, da die Patentabteilung weder einen Zwischenbescheid erlassen noch eine mündliche Anhörung anberaumt habe. Somit sei ihr das rechtliche Gehör nicht gewährt worden.
Im Übrigen habe sie die Gründe, die aus ihrer Sicht den Widerruf des Patents rechtfertigen, hinreichend substantiiert. Zum Einen habe sie durch die von ihr mit dem Einspruchsschriftsatz eingereichten Dokumente belegt, was von wem, wann vorbenutzt worden sei. Auch habe sie im Einzelnen einen Bezug zwischen den von ihr vorbenutzten Maschinen und den in den Patentansprüchen genannten Merkmalen hergestellt sowie dargelegt, warum diese ihrer Auffassung nach keine Erfindung darstellten.
Weiter betont die Einsprechende, die Tatsache, dass die vorbenutzten Maschinen offenkundig geworden seien, ergebe sich schon aus deren Lieferung an die beiden Firmen, da es selbstverständlich sei, dass derartige Maschinen von einem Mitarbeiter des Herstellers am Aufstellungsort in Betrieb genommen und das zukünftige Bedienpersonal in deren Handhabung eingewiesen werde. Ebenso sei es selbstverständlich, dass sich die Fachleute der Kundenfirma für die Funktionsweise einer neuartigen Maschine interessierten. Dies bedürfe keiner expliziten Erwähnung, sondern ergebe sich schon aus der allgemeinen Lebenserfahrung.
Im Übrigen sei der Wortlaut der unabhängigen Patentansprüche derart allgemein gehalten, dass die von ihr vorbenutzten Gegenstände alle darin genannten Merkmale aufwiesen, und für das Bedienpersonal erkennbar seien.
In gleicher Weise ergebe sich die angebliche Erfindung in naheliegender Weise schon aus dem Artikel Eversheim; Lenhart: "Objektorientiert programmieren", Industrie-Anzeiger 82/1991, S. 38-42.
Die Einsprechende beantragt, den Beschluss der Patentabteilung 1.32 des Deutschen Patentund Markenamts vom 30. Juni 2006 aufzuheben und das Patent 196 14 128 in vollem Umfang zu widerrufen, hilfsweise, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache an das Deutsche Patentund Markenamt zurückzuverweisen.
Sie regte weiterhin an, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.
Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und das angegriffene Patent in der erteilten Fassung, hilfsweise beschränkt mit folgenden Unterlagen aufrecht zu erhalten: Patentansprüche 1 bis 12, gemäß Hilfsantrag 1, Patentansprüche 1 bis 10, gemäß Hilfsantrag 2, Hilfsantrag 1 und 2 überreicht in der mündlichen Verhandlung, angepasste Beschreibung, Spalten 3 und 4, zu Hilfsantrag 2, ebenfalls überreicht in der mündlichen Verhandlung, übrige Unterlagen, jeweils gemäß Patentschrift.
Bezüglich der Vorbenutzungshandlungen ist die Patentinhaberin der Auffassung, es sei bei einer behaupteten Vorbenutzungshandlung unerlässlich, im Einzelnen die Umstände anzugeben, wie die Sache der Öffentlichkeit bekannt geworden sei, damit ein darauf gestützter Einspruch als zulässig angesehen werden könne.
Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, da die Einsprechende überhaupt keine nachprüfbaren Angaben gemacht habe, wie die beiden angeblich vorbenutzten Maschinen der Öffentlichkeit bekannt geworden seien.
Abgesehen davon würden weder die Merkmale der beiden vorbenutzten Maschinen noch der Artikel aus dem Industrie-Anzeiger die Erfindung vorwegnehmen, da beide dem Programmierer keine auf ein bestimmtes Bearbeitungsobjekt bezogene Liste von Ereignisdaten anböten, aus denen er auswählen könne, um wiederum eine Liste mit in diesem Kontext sinnvollen Aktionsdaten zur Verfügung gestellt zu bekommen, um so zuverlässig und rationell ein Steuerungsprogramm für Werkzeugmaschinen, das insbesondere Sonderfälle berücksichtigt, erstellen zu können. Der ihr entgegengehaltene Stand der Technik gehe nämlich nicht, wie die Erfindung, von Bearbeitungsobjekten, sondern von Bearbeitungsarten aus. Insofern handele es sich bei der Erfindung um die Vorstufe zu dem, was im Industrie-Anzeiger oder in der Benutzungsanleitung QM 71 P beschrieben sei.
Der Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag lautet unter Einfügung einer Gliederung:
"1.0 Verfahren zur Steuerung von Werkzeugmaschinen durch eine Steuerungsvorrichtung, wobei 2.0 die Steuerungsvorrichtung (40) über 2.1 eine Liste von Ereignisdaten (20)
2.2 zur Charakterisierung von Betriebszuständen (Ereignisse), 2.3 die vor, während und/oder am Ende der Werkstückbearbeitung eintreten, und 3.0 eine Liste von Aktionsdaten (30) zur Steuerung von Sonderabläufen (Aktionen) verfügt;
4.0 wobei die Ereignisund/oder Aktionsdaten jeweils 4.1 einem Bearbeitungsobjekt und/oder 4.2 einer Betriebsart der Werkzeugmaschine zugeordnet sind; und 5.0 für ein bestimmtes Bearbeitungsobjekt und/oder 5.1 eine bestimmte Betriebsart 5.2 Ereignisdaten ausgewählt und 6.0 so mit Aktionsdaten verknüpft werden, 7.0 dass bei Eintritt eines oder mehrerer Ereignisse 7.1 eine oder mehrere Aktionen in vorgegebener Reihenfolge durchgeführt wird/werden."
Der Patentanspruch 10 in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag lautet unter Einfügung einer Gliederung:
"1.0 Vorrichtung zur Steuerung von Werkzeugmaschinen mit: je 2.0 -einem Speicher (20, 30) zum Speichern 2.1 einer Liste von Ereignisdaten (20)
2.2 zur Charakterisierung von Betriebszuständen (Ereignissen), 2.3 die vor, während und/oder am Ende der Werkstückbearbeitung eintreten, und 3.0 einer Liste von Aktionsdaten (30) zur Steuerung von Sonderabläufen (Aktionen), 4.0 wobei die Ereignisund/oder Aktionsdaten jeweils 4.1 einem Bearbeitungsobjekt und/oder 4.2 einer Betriebsart der Werkzeugmaschine zugeordnet sind; und 8.0 -einer Benutzschnittstelle zur Auswahl von Ereignisdaten 5.0 für ein bestimmtes Bearbeitungsobjekt und/oder 5.1 eine bestimmte Betriebsart und 6.0 zur Verknüpfung mit Aktionsdaten, derart, dass 7.0 bei Eintritt eines oder mehrer Ereignisse 7.1 eine oder mehrere Aktionen durchgeführt wird/werden."
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:
"Verfahren zur Steuerung von Werkzeugmaschinen durch eine Steuerungsvorrichtung, wobei -die Steuerungsvorrichtung (40) über eine Liste von Ereignisdaten (20) zur Charakterisierung von Betriebszuständen (Ereignisse), die vor, während und/oder am Ende der Werkstückbearbeitung eintreten, und eine Liste von Aktionsdaten (30) zur Steuerung von Sonderabläufen (Aktionen) verfügt;
-wobei die Ereignisund/oder Aktionsdaten jeweils nach Bearbeitungsobjekten und und Betriebsart der Werkzeugmaschine sortiert und jeweils einem Bearbeitungsobjekt und einer Betriebsart der Werkzeugmaschine zugeordnet sind; und -für ein bestimmtes Bearbeitungsobjekt und/oder eine bestimmte Betriebsart Ereignisdaten aus der Liste ausgewählt und so mit Aktionsdaten aus der Liste verknüpft werden, dass bei Eintritt eines oder mehrerer Ereignisse eine oder mehrere Aktionen in vorgegebener Reihenfolge durchgeführt wird/werden."
Der Patentanspruch 10 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:
"Vorrichtung zur Steuerung von Werkzeugmaschinen mit:
-je einem Speicher (20, 30) zum Speichern einer Liste von Ereignisdaten (20) zur Charakterisierung von Betriebszuständen (Ereignissen), die vor, während und/oder am Ende der Werkstückbearbeitung eintreten, und einer Liste von Aktionsdaten (30) zur Steuerung von Sonderabläufen (Aktionen), wobei die Ereignisund/oder Aktionsdaten jeweils nach Bearbeitungsobjekten und Betriebsart der Werkzeugmaschine sortiert und jeweils einem Bearbeitungsobjekt und/oder einer Betriebsart der Werkzeugmaschine zugeordnet sind; und -einer Benutzerschnittstelle zur Auswahl von Ereignisdaten aus der Liste für ein bestimmtes Bearbeitungsobjekt und/oder eine bestimmte Betriebsart aus der Liste und zur Verknüpfung mit Aktionsdaten, derart, dass bei Eintritt eines oder mehrerer Ereignisse eine oder mehrere Aktionen durchgeführt wird/werden."
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 lautet:
"Verfahren zur Steuerung von Werkzeugmaschinen durch eine Steuerungsvorrichtung, wobei -die Steuerungsvorrichtung (40) über eine Liste von Ereignisdaten (20) zur Charakterisierung von Betriebszuständen (Ereignisse) der Werkzeugmaschine, die vor, während und/oder am Ende der Werkstückbearbeitung eintreten, und eine Liste von Aktionsdaten (30) zur Steuerung von Sonderabläufen (Aktionen) der Werkstückbearbeitung verfügt;
-wobei die Ereignisund/oder Aktionsdaten jeweils einem Bearbeitungsobjekt und/oder einer Betriebsart der Werkzeugmaschine zugeordnet sind; und -für ein bestimmtes Bearbeitungsobjekt und/oder eine bestimmte Betriebsart Ereignisdaten ausgewählt und so mit Aktionsdaten verknüpft werden, dass bei Eintritt eines oder mehrerer Ereignisse eine oder mehrere Aktionen in vorgegebener Reihenfolge durchgeführt wird/werden, wobei -durch Vorgabe eines bestimmten Bearbeitungsobjektes und einer bestimmten Betriebsart der Werkzeugmaschine eine Vorauswahl in der Ereignisliste getroffen und auf einer Anzeigevorrichtung dargestellt wird, und -durch Wahl eines oder mehrerer Ereignisse aus der Ereignisliste einer Vorauswahl in der Aktionsliste getroffen und auf der Anzeigeeinrichtung (50) dargestellt wird, und den Aktionsund/oder Ereignisdaten weitere individualisierende Merkmale zur Charakterisierung individueller Betriebsparameter zugeordnet werden."
Der Patentanspruch 8 gemäß Hilfsantrag 2 lautet:
"Vorrichtung zur Steuerung von Werkzeugmaschinen mit:
-je einem Speicher (20, 30) zum Speichern einer Liste von Ereignisdaten (20) zur Charakterisierung von Betriebszuständen (Ereignissen) der Werkzeugmaschine, die vor, während und/oder am Ende der Werkstückbearbeitung eintreten, und einer Liste von Aktionsdaten (30) zur Steuerung von Sonderabläufen (Aktionen) der Werkzeugbearbeitung, wobei die Ereignisund/oder Aktionsdaten jeweils einem Bearbeitungsobjekt und/oder einer Betriebsart der Werkzeugmaschine zugeordnet sind; und -einer Benutzerschnittstelle zur Auswahl von Ereignisdaten für ein bestimmtes Bearbeitungsobjekt und/oder eine bestimmte Betriebsart und zur Verknüpfung mit Aktionsdaten, derart, dass bei Eintritt eines oder mehrerer Ereignisse eine oder mehrere Aktionen durchgeführt wird/werden, wobei -durch Vorgabe eines bestimmten Bearbeitungsobjektes und einer bestimmten Betriebsart der Werkzeugmaschine eine Vorauswahl in der Ereignisliste getroffen und auf einer Anzeigevorrichtung dargestellt wird, und -durch Wahl eines oder mehrerer Ereignisse aus der Ereignisliste einer Vorauswahl in der Aktionsliste getroffen und auf der Anzeigeeinrichtung (50) dargestellt wird, und den Aktionsund/oder Ereignisdaten weitere individualisierende Merkmale zur Charakterisierung individueller Betriebsparameter zugeordnet werden."
In der Streitpatentschrift (Spalte 2, Zeile 68 bis Spalte 3, Zeile 1) ist als Aufgabe angeben, die Steuerung von Sonderabläufen auf Werkzeugmaschinen zu verbessern.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.
II.
1. Der Einspruch ist formund fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig nach § 59 Abs. 1 PatG. Insbesondere sind -entgegen der Auffassung der Patentabteilung -in der innerhalb der Einspruchsfrist eingegangenen Einspruchsschrift die nach Meinung der Einsprechenden den Einspruch rechtfertigenden Tatsachen hinreichend substantiiert dargetan.
Eine Einspruchsbegründung genügt den formalen gesetzlichen Anforderungen der genannten Vorschrift, wenn darin die für die Beurteilung der behaupteten Widerrufsgründe maßgeblichen Umstände im Einzelnen so darlegt sind, dass die Patentinhaberin und das Patentamt daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen können. Der Vortrag muss erkennen lassen, dass ein bestimmter Tatbestand behauptet werden soll, der auf seine Richtigkeit nachgeprüft werden kann. Da der Einspruch nur auf die Behauptung gestützt werden kann, dass einer der in § 21 PatG genannten Widerrufsgründe vorliege (§ 59 Abs. 1 Satz 3 PatG), müssen sich die Tatsachenangaben außerdem auf die geltend gemachten Widerrufsgründe beziehen (vgl. BGH GRUR 1987, 513, 514 -Streichgarn; GRUR 1997, 740 -Tabakdose). Beruft sich die Einsprechende wie hier darauf, dass der Gegenstand des erteilten Patents nicht neu sei, weil die dem Patent zugrunde liegende Erfindung auf Kenntnissen beruhe, die vor dem Anmeldetag der Öffentlichkeit durch Benutzung zugänglich gemacht worden seien (§ 3 Abs. 1 Satz 2 PatG), müssen die dazu im Einzelnen vorzutragenden Tatsachen die konkreten Umstände erkennen lassen, aus denen sich die behauptete Benutzung nach Art, Zeit sowie hinsichtlich ihres Zugänglichwerdens für die Öffentlichkeit ergeben soll (vgl. BGH a. a. O. - Streichgarn;
a. a. O. -Tabakdose). Diesen Anforderungen ist in noch ausreichendem Maß genüge getan.
Als Gegenstand der Vorbenutzung ist in dem Einspruchsschriftsatz eine Funkenerosionsmaschine QM 71 P der Einsprechenden genannt, deren Beschaffenheit und Funktionsweise im Vergleich mit den Merkmalen der Ansprüche des Streitpatents im Einzelnen anhand der miteingereichten Betriebsanleitung QM 71 P, Ausgabe 7/95, sowie zum Teil anhand der Betriebsanleitung QWD 70 P, Ausgabe 10/96, Abschnitt 10.3.2e, Seiten 10-5 und 10-6, erläutert ist, wobei zum Nachweis dafür, dass die vorbenutzte Maschine des Typs QM 71 P insoweit der nachveröffentlichten Betriebsanleitung QWD 70 P entspricht, eine Zeuge benannt worden ist. Zur Verdeutlichung der Merkmale der Funkenerosionsmaschine sind außerdem zwei -offensichtlich nachträglich angefertigte -Übersichten beigefügt worden. Damit hat die Einsprechende hinreichend konkrete Angaben zum "Was", d. h. zu Art und Beschaffenheit des Gegenstandes der offenkundigen Vorbenutzung gemacht. Ob die dazu herangezogenen Unterlagen belegen können, dass die fragliche Funkenerosionsmaschine tatsächlich die behaupteten Merkmale aufweist, ist eine Frage der Begründetheit des Einspruchs.
Weiterhin genügen die Angaben zum Zeitpunkt der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung den formalen Zulässigkeitserfordernissen. Die Einsprechende hat die Bestellung der betreffenden Maschine QM 71 P durch zwei Firmen, zum Einen durch die U... S. N. C. in U..., I..., am 22. August 1995, zum Anderen durch die J... GmbH & Co., in O..., am 7. Februar 1995, sowie die Auslieferung der jeweiligen Maschine nach I... am 8. Dezember 2005 und an die Firma in O... am 20. Dezember 1995 behauptet. Demzufolge enthält die Einspruchsschrift auch konkrete Angaben zu zwei vor dem Anmeldetag 10. April 1996 liegenden Benutzungshandlungen, wobei es wiederum eine Frage der Begründetheit ist, ob sich diese Behauptung belegen lässt und ob es sich insoweit um eine rechtserhebliche Vorbenutzung handelt.
Schließlich enthält die Beschwerdeschrift noch ausreichende Angaben dazu, wie der Gegenstand der Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sein soll. Dabei erachtet es der Senat für unschädlich, dass nicht dargetan ist, ob die mit der Lieferung nach I... angeblich mitgeschickte i... Betriebsanleitung mit der vorgelegten d... Betriebsanleitung der Maschine QM 71 P inhaltlich übereinstimmt und ob die d... Betriebsanleitung an den Kunden in O... mitgeliefert worden ist sowie ferner, ob Dritte bei den beiden Abnehmern Zugang zu den gelieferten Maschinen hatten. Denn nach ständiger Rechtsprechung genügt zur Behauptung der öffentlichen Zugänglichkeit des vorbenutzten Gegenstandes grundsätzlich, dass -wie vorliegend -eine Maschine oder dgl. an gewerbliche Abnehmer vorbehaltlos geliefert worden ist, die den Gegenstand selbst bestimmungsgemäß benutzen oder weiterveräußern. Nur wenn Lieferer und Abnehmer beiderseits an der Nichtweitergabe der Information über die betreffende Maschine oder dgl. interessiert sind, z. B. weil beide Beteiligte gemeinsam zu einer technischen Entwicklung beitragen, kommt es darauf an, ob außer dem bei den Abnehmern beschäftigtes Fachpersonal auch Dritte Gelegenheit zur Besichtigung der Maschine gehabt haben (vgl. BPatGE 5, 135; 31, 176; 31, 174, 175; Schulte, PatG, 8. Aufl., § 59 Rdn. 124). Dafür dass die behaupteten Lieferungen der Funkenerosionsmaschine QM 71 P im Rahmen eines Entwicklungsobjektes unter Geheimhaltungsvorbehalt erfolgt sind, gibt es keine Anhaltspunkte. Vielmehr spricht die Lieferung an zwei unterschiedliche Kunden im Inund Ausland gegen eine Geheimhaltungsvereinbarung, so dass implizit von vorbehaltslosen Lieferungen ausgegangen werden kann.
Des Weiteren ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass es sich bei programmgesteuerten Werkzeugmaschinen der in Rede stehenden Art um kostspielige Investitionsgüter handelt, bei denen sich ein potentieller Kunde regelmäßig schon vor der Bestellung mit deren Funktionsweise, insbesondere auch mit der Benutzeroberfläche beschäftigt. Sollte er selbst nicht über den dazu notwendigen Sachverstand verfügen, wird er einen Sachverständigen hinzuziehen, beispielsweise durch Beauftragung eines externen Ingenieurbüros. Auch die nach der Inbetriebsetzung der Maschine übliche förmliche Abnahme bedingt die Anwesenheit eines sachverständigen Fachmanns auf Seiten des Abnehmers. Bei derartigen Maschinen ist es nach der Lebenserfahrung unerlässlich, dass diese am Aufstellungsort von einem Mitarbeiter der Herstellerfirma in Betrieb genommen und das zukünftige Bedienpersonal wie auch das Fachpersonal des Abnehmers in die Bedienung bzw. in die (Um-) Programmierung der Maschinen eingewiesen und geschult wird. Daher impliziert die Behauptung der Einsprechenden, die beiden Maschinen seien ausgeliefert worden, gleichzeitig die Behauptung, die Art der Steuerung dieser Maschinen sei durch ihre Inbetriebnahme und die damit notwendig verbundene Einweisung bzw. Schulung des Personals, mithin durch ihre bestimmungsgemäße Benutzung öffentlich geworden. Dies ist hier vor allem auch deshalb anzunehmen, weil der erteilte Patentanspruch 1 sehr breit gefasst ist und in seinem kennzeichnenden Teil keine programmspezifischen Merkmale enthält, die bei der vorbenutzten Maschine nicht ohne Weiteres der Benutzerschnittstelle entnommen werden könnten.
2. Die Einspruch hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 21, Abs. 1 Nr. 1 PatG zum Widerruf des Patents.
2.1. Wie von der Patentinhaberin vorgetragen, ist nach Überzeugung des Senats der hier zuständige Fachmann als Maschinenbauingenieur mit Hochschulbildung zu sehen, da nur ein solcher in der Lage ist, angesichts der allgemein gehaltenen, unspezifischen Angaben in der Streitpatentschrift die Erfindung nachzuarbeiten.
2.2. Der Beschlussfassung liegt folgendes Verständnis der Patentansprüche zugrunde:
Die Bezeichnungen "Bearbeitungsobjekt" sowie "Bearbeitungsart" sind nicht aus sich selbst heraus verständlich. Laut Beschreibung (Spalte 4, Zeilen 17 bis 23), kann es sich bei einem Bearbeitungsobjekt um die ganze Maschine, ein Werkstück oder einen Bearbeitungsschritt handeln. Der Senat entnimmt dieser Aufzählung weder die Forderung, dass alle diese Bearbeitungsobjekte vorkommen müssen, noch dass nicht auch noch Anderes der unter subsumiert sein könnte, das nicht explizit erwähnt ist. Jedenfalls handelt es sich somit bei den Bearbeitungsverfahren Fräsen, Drehen und Bohren um Bearbeitungsobjekte im Sinne des Streitpatents, da diese Verfahren bei einer Werkzeugmaschine regelmäßig auftreten.
Als "Betriebsarten" sind in der Beschreibung "Einrichtmodus", "Simulationsmodus" sowie "Arbeitsmodus" angegeben (Spalte 3, Zeilen 42 bis 45). Insofern sieht der Senat die Vorbehalte der Patentinhaberin, in dem Artikel im Industrieanzeiger sei im Sinne des Streitpatents nicht von Bearbeitungsobjekten, sondern lediglich von Bearbeitungsarten die Rede, nicht in Einklang mit den genannten Erläuterung aus dem Beschreibungsteil der Streitpatentschrift.
Eine Sortierung der Betriebszustände bzw. Ereignisse nach den genannten Betriebsmodi ist ohnehin nicht nachvollziehbar, ebenso wenig die Verwendung des Begriffes Betriebsarten statt Betriebsmodi. Die Patentinhaberin hat dazu auch nichts vorgetragen. Außerdem steht der Begriff "Betriebsart" in den Patentansprüchen ausschließlich optional zu dem Begriff "Bearbeitungsobjekt". Daher kann sich die Beurteilung der Patentfähigkeit der erteilten Patentansprüche 1 und 10 auf die Variante "Bearbeitsobjekt" in den Merkmalen 4 und 5 unter dem Verständnis von Bearbeitungsobjekt als Bearbeitungsverfahren, wie beispielsweise Fräsen, Drehen oder Bohren beschränken.
Unter Ereignisdaten sind laut Beschreibung alle Betriebszustände zu verstehen, die vor, während und/oder am Ende einer Werkstückbearbeitung eintreten (Spalte 3, Zeilen 24 bis 26). Eine Einschränkung auf Störoder Sonderfälle ist demnach für den Fachmann weder ursprünglich offenbart noch sinnvoll.
Daher vermag der Senat dem Begriff "Sonderabläufe" nicht mehr Bedeutung zumessen, als dass die Steuerung auf die Eingabe eines Steuerbefehls, sei er durch einen Bediener eingegeben oder durch das Steuerprogramm selbst generiert, in geeigneter Form reagiert.
2.3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in seiner erteilten Fassung ist bei Zugrundelegung des vorstehenden Auslegung nicht neu und damit nach § 1 Abs. 1 PatG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 PatG nicht patentfähig.
Der einschlägige Fachmann entnimmt dem Zeitschriftenartikel Eversheim; Lenhart: "Objektorientiert programmieren", Industrie-Anzeiger 82/1991, S. 38-42, ein Verfahren, wie es durch den Wortlaut des erteilten Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag definiert ist; nämlich ein 1.0 Verfahren zur Steuerung von Werkzeugmaschinen durch eine Steuerungsvorrichtung (dies ist schon durch den Untertitel des Artikels deutlich, wonach es um NC-Programme geht, also um den Ablauf von Programmen in der Steuerung von Werkzeugmaschinen), wobei 2.0 die Steuerungsvorrichtung (der Ablauf eines Programms setzt immer eine Vorrichtung voraus, die das Programm liest und in Maschinenbefehle umsetzt) über 2.1 eine Liste von Ereignisdaten 2.2 zur Charakterisierung von Betriebszuständen (Ereignisse), 2.3 die vor, während und/oder am Ende der Werkstückbearbeitung eintreten (Beispielhaft wird dort ein Bearbeitungsobjekt "Bohren" mit dem Ereignis "Durchmesser verändern" genannt [Seite 42, Spalte 2, Satz 3 ff.]. Für das Bearbeitungsprojekt "Bohren" sind auch noch die Ereignisse "Bohren auf", Senken spitz 90¡", "Gewindebohren", "Zentrieren" sowie "Bohren ins Volle" genannt. In der grafischen Darstellung, Seite 42, links unten ist dies zwar als Karteikasten dargestellt, es ist jedoch offensichtlich, dass dies bei der programmtechnischen Realisierung in Listenform angelegt ist. Es handelt sich somit im Wortlaut des Patentanspruchs 1 um eine Liste von Ereignisdaten.) und 3.0 eine Liste von Aktionsdaten zur Steuerung von Sonderabläufen (Aktionen) verfügt; (Für das Ereignis "Durchmesser verändern" innerhalb des Bearbeitungsobjekts "Bohren" wird a. a. O. erläutert, dass dies unter anderem Einfluss auf die Position, die Vorbereitung, das Werkzeug und auf die Schnittwerte hat und berücksichtigt werden muss. Das heißt nach Überzeugung des Senats, dass aufgrund des Ereignisses "Durchmesser verändern" entsprechende Aktionen ausgelöst werden, die den Einfluss dieses Ereignisses auf andere Programmbzw. Maschinenteile berücksichtigen. Es ist selbstverständlich, dass auch diese Aktionen in der Steuerung als Liste hinterlegt sind.)
4.0 wobei die Ereignisund/oder Aktionsdaten jeweils 4.1 einem Bearbeitungsobjekt zugeordnet sind (Siehe die Darstellung Seite 42, links unten, wonach die Ereignisse jeweils den Bearbeitungsobjekten "Fräsen", "Drehen" sowie "Bohren" zugeordnet sind. Der Fachmann liest selbstverständlich mit, dass jedes dieser Ereignisse wiederum Einfluss auf andere Programmbzw. Maschinenteile hat, was durch entsprechende Aktionen berücksichtigt werden muss.)
5.0 für ein bestimmtes Bearbeitungsobjekt 5.2 Ereignisdaten ausgewählt und 6.0 so mit Aktionsdaten verknüpft werden, 7.0 dass bei Eintritt eines oder mehrerer Ereignisse 7.1 eine oder mehrere Aktionen in vorgegebener Reihenfolge durchgeführt wird/werden. (Um diese erwünschte Funktionalität der Steuerung zu erzielen, werden alle erdenklichen Betriebszustände der Werkzeugmaschine, nach Überzeugung des Senats einschließlich aller Störund Sonderfälle, durch eine weitgehende Strukturierung der Prozessbeschreibung mit mehreren Hierarchieebenen erfasst [Seite 42, Absatz 2], derart, dass ein "Werkzeugbeziehungsweise Bearbeitungszyklus" [Seite 42, letzter Absatz] generiert wird, also in Abhängigkeit vom Eintritt eines oder mehreren Ereignisse die dazugehörigen Aktionen von dem generierten Programm veranlasst und von der Werkzeugmaschine ausgeführt werden.)
2.4. Auch der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 10 nach Hauptantrag ist aus den gleichen Gründen nicht neu und damit nach § 1 Abs. 1 PatG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 PatG nicht patentfähig.
Die in dem nebengeordneten erteilten Patentanspruch 10 gemäß Hauptantrag über den erteilten Patentanspruch 1 hinaus genannten Speicher sind bei einer Steuerungsvorrichtung selbstverständlich und werden daher vom Fachmann auch bei dem oben genannten Artikel stillschweigend mitgelesen.
Schließlich ist in dem Artikel aus dem Industrie-Anzeiger [Seite 42, Brückensatz von der linken zur mittleren Spalte] auch bereits die Benutzerschnittstelle gemäß Merkmal 8.0 erwähnt, mit der ein Benutzer einem Bearbeitungsobjekt über einen Maskendialog beschreibende Attribute zuweisen kann.
2.5. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit und ist daher nach § 1 Abs. 1 PatG in Verbindung mit § 4 PatG nicht patentfähig.
Im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist gegenüber dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag hinaus angegeben, dass die Ereignisund/oder Aktionsdaten jeweils nach Bearbeitungsobjekten und Betriebsart der Werkzeugmaschine sortiert sind, und dass die Auswahl der Ereignisdaten und die Verknüpfung mit den Aktionsdaten jeweils mittels einer Liste erfolgt.
In der elektronischen Datenverarbeitung ist eine Sortierung von Daten gang und gäbe, da es andernfalls nicht möglich wäre, die eingelesenen Daten gezielt verarbeiten und wieder ausgeben zu können.
Dem entsprechend ist auch aus den beiden graphischen Darstellungen auf Seite 42 des Artikels aus dem Industrie-Anzeiger eine Sortierung ersichtlich, links unten eine Sortierung nach Bearbeitungsobjekten, wobei die möglichen Aktionen in Listenform dargestellt sind; rechts oben, innerhalb der einzelnen Bearbeitungsobjekte, nach Bearbeitungsarten, ebenfalls mit einer Listendarstellung in verschiedenen Hierarchiestufen.
Es mag dahin gestellt bleiben, ob der Inhalt dieser Listen, die im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag gemeinten Listen vollständig vorwegnimmt. Es ist für den Fachmann jedenfalls selbstverständlich, dass er umfangreiches Datenmaterial in Form von Listen aufbereitet und einem Benutzer oder einem Verarbeitungsprogramm derart aufbereitet zur Verfügung stellt. Hierzu bedarf es keiner erfinderischen Tätigkeit.
Da der Patentanspruch 10 nach Hilfsantrag 1 gegenüber dem Hauptantrag analog zum Patentanspruch 1 geändert ist, gilt hierzu das vorstehend Ausgeführte.
2.6. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 beruht ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit und ist daher nach § 1 Abs. 1 PatG in Verbindung mit § 4 PatG nicht patentfähig.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 fügt gegenüber dem Hauptantrag lediglich die Angaben hinzu, "dass durch Vorgabe eines bestimmten Bearbeitungsobjektes und einer bestimmten Betriebsart der Werkzeugmaschine eine Vorauswahl in der Ereignisliste getroffen und auf einer Anzeigeeinrichtung dargestellt wird, und dass durch Wahl eines oder mehrerer Ereignisse aus der Ereignisliste eine Vorauswahl in der Aktionsliste getroffen und auf der Anzeigeeinrichtung dargestellt wird, und dass den Aktionsund/oder Ereignisdaten weitere individualisierende Merkmale zur Charakterisierung individueller Betriebsparameter zugeordnet werden."
Die Sortierung nach Bearbeitungsobjekten und Betriebsarten ist ohnehin explizit in dem Artikel im Industrieanzeiger dargestellt (Seite 42, links unten). Ebenso sind von der Darstellung rechts oben individualisierende Merkmale, wie Länge, Breite, Tiefe, Durchmesser, Konturbezeichnung umfasst.
Somit verbleibt als einziger Unterschied des Verfahrens gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 gegenüber dem Stand der Technik, der durch den Artikel in der Zeitschrift Industrie-Anzeiger dokumentiert ist, dass jeweils eine Vorauswahl in der Ereignisliste sowie in der Aktionsliste getroffen und auf der Anzeigeeinrichtung dargestellt wird.
Spätestens mit dem intensiv beworbenen Betriebssystem Windows 95, also vor dem Anmeldetag des Streitpatents sind dem Fachmann sogenannte Kontextoder Pop-Up-Menues bekannt, bei denen dem Benutzer abhängig von dem aktuellen Anwendungsfall gezielt ausgewählte Aktionen angeboten werden. Somit liegt es im Zuge des üblichen technischen Fortschritts, diese Option auch dem Benutzer einer Programmiervorrichtung für eine Werkzeugmaschine zur Verfügung zu stellen.
Da der Patentanspruch 8 nach Hilfsantrag 2 gegenüber dem Patentanspruch 10 nach Hauptantrag analog zum Patentanspruch 1 geändert ist, gilt hierzu das vorstehend Ausgeführte.
Somit war das Patent -wie geschehen -zu widerrufen.
3. Die Beschwerdegebühr war, wie von der Einsprechenden angeregt, aus Gründen der Billigkeit nach § 73 Abs. 3 Satz 2 PatG zurückzuzahlen, da das Verfahren vor der Patentabteilung an dem schwerwiegenden Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) der Einsprechenden leidet und nicht auszuschließen ist, dass dieser Verfahrensfehler für die Einlegung der Beschwerde der Einsprechenden ursächlich war.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör eines Verfahrensbeteiligten beinhaltet insbesondere das Gebot, dass sich eine Entscheidung des Patentamts nur auf Umstände stützen darf, zu denen sich der betroffene Beteiligte vorher äußern konnte (vgl. Schulte, a. a. O., Einleitung Rdn. 238 m. N. w.). Zu den tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen der Patentabteilung hinsichtlich der Unzulässigkeit des Einspruchs mangels einer hinreichend substantiierten Einspruchsbegründung nach § 59 Abs. 1 PatG, mit denen die Entscheidung über die Verwerfung des Einspruchs begründet worden ist, hatte die Einsprechende jedoch nicht hinreichend Gelegenheit zur Äußerung erhalten.
Ein dahingehender Hinweis der Patentabteilung vor Erlass des Verwerfungsbeschluss in Form eines Zwischenbescheids ist nicht erfolgt. Ebenfalls ist die von der Einsprechenden hilfsweise beantragte mündlichen Anhörung nicht durchgeführt worden. Die Begründung der Patentabteilung für die Nichtdurchführung einer Anhörung, dass nämlich den Beteiligten alle der Entscheidung zugrunde gelegten Umstände bekannt gewesen seien und sie ausreichend Gelegenheit zur schriftlichen Äußerung gehabt hätten, ist unzutreffend.
Seitens der Patentabteilung wurde, wie gesagt, nicht auf die nach ihrer Ansicht mögliche Unzulässigkeit des Einspruchs hingewiesen. Ebenso wenig hat die Patentinhaberin explizit die Unzulässigkeit des Einspruchs gerügt. Soweit die Patentabteilung in diesem Zusammenhang, wenngleich an anderer Stelle in ihrem Beschluss, ausführt, die Patentinhaberin habe in ihrem Schreiben vom 5. Dezember 2001 die Offenkundigkeit der Vorbenutzung bestritten, was eine Frage der Substantiierung und damit der Zulässigkeit des Einspruchs sei, kann ihr nicht gefolgt werden. Ob eine Vorbenutzung offenkundig ist oder nicht, ist in erster Linie eine Frage der Begründetheit, d. h. ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 2. Alternative PatG erfüllt sind oder nicht. Dies zumal dann, wenn die Patentinhaberin wie hier die Tatsache der Offenkundigkeit vorsorglich bestreitet, mit anderen Worten also geltend macht, dass die behauptete Offenkundigkeit tatsächlich nicht vorliegt bzw. nicht bewiesen ist. Eine Zulässigkeitsfrage wäre nur dann klar und eindeutig angesprochen worden, wenn die Patentinhaberin etwa gerügt hätte, dass die Einsprechende keine Angaben zu dem Erfordernis der Offenkundigkeit der behaupteten Vorbenutzung gemacht habe. Allein dem in einem Nebensatz erfolgten vorsorglichen Bestreiten der Offenkundigkeit der Vorbenutzung konnte die Einsprechende aber keinesfalls eindeutig und zweifelsfrei eine Zulässigkeitsrüge entnehmen. Die Patentabteilung wäre daher auch unter diesem Aspekt gehalten gewesen, vor Erlass ihrer Entscheidung eine aufklärenden Hinweis entsprechend § 139 ZPO auf die aus ihrer Sicht fehlende Zulässigkeit des Einspruchs zu geben oder im Hinblick auf den Hilfsantrag der Einsprechenden eine Anhörung durchzuführen, um insbesondere der Einsprechenden die Möglichkeit zu Äußerung zu geben.
Es ist nicht auszuschließen, dass bei Gewährung des erforderliche rechtlichen Gehörs durch die Patentabteilung und der dann von den Beteiligten auch erörterten Frage der Zulässigkeit des Einspruchs die Entscheidung der Patentabteilung anders ausgefallen wäre und sich die Beschwerde der Einsprechende erübrigt hätte. Es entspricht daher der Billigkeit, der Einsprechenden die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten.
Bertl Kirschneck Dr. Scholz J. Müller Pü
BPatG:
Beschluss v. 21.06.2010
Az: 19 W (pat) 45/06
Link zum Urteil:
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