Oberlandesgericht Hamburg:
Beschluss vom 7. März 2005
Aktenzeichen: 5 U 99/04

(OLG Hamburg: Beschluss v. 07.03.2005, Az.: 5 U 99/04)

1. Die Verkehrserwartung bezüglich der Vorrätigkeit einer Ware bestimmt sich nicht nur nach den in § 5 Abs. 1 S.1 UWG ausdrücklich genannten Kriterien - Art der Ware sowie Gestaltung und Verbreitung der Werbung -, sondern es können mit der bisherigen Rechtsprechung auch weitere Umstände berücksichtigt werden, z.B. Attraktivität des Angebots und Größe und Bedeutung des werbenden Unternehmens.

2. Auch wenn bei einem von mehreren Aktionsangeboten eines Lebensmittelfilialisten - hier: Weihnachts-Kerzenleuchter zu EUR 9,99 - der Hinweis angebracht ist "Bei diesem Artikel besteht die Möglichkeit, dass er trotz sorgfältiger Bevorratung kurzfristig ausverkauft ist", kann der Verkehr eine Verfügbarkeit dieses Artikels jedenfalls am ersten in der Werbung angegebenen Verkaufstag erwarten.

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg - Zivilkammer 15 - vom 24.3.2004 wird durch einstimmigen Beschluss des Senats gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens nach einem Streitwert von EUR 20.000.- zu tragen.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist eine Vereinigung zur Förderung gewerblicher Interessen. Die Antragsgegnerin betreibt in Deutschland eine der größten Supermarkt-Ketten für Lebensmittel.

Am 17.11.2003 warb die Antragsgegnerin mit einer Beilage im "Hamburger Abendblatt" für diverse Produkte außerhalb ihres Lebensmittelsortiments. In diesem Prospekt, der "ab Montag 17. Nov." gelten sollte, wurden u.a. eine digitale Personenwaage zum Preis von EUR 24,99 und ein Weihnachts-Kerzenleuchter zum Preis von EUR 9,99 angeboten. Dabei war der Weihnachts-Kerzenleuchter mit einem Sternchen versehen, welches in der Fußzeile des Prospekts mit dem klein geschriebenen Hinweis:

"Bei diesem Artikel besteht die Möglichkeit, dass er trotz sorgfältiger Bevorratung kurzfristig ausverkauft ist"

aufgelöst wurde.

Nach einer vom Antragsteller eingereichten eidesstattlichen Versicherung einer Zeugin waren am Morgen des 17.11.2003 diese beiden Produkte gegen 9 Uhr in einer um 8 Uhr geöffneten Filiale der Antragsgegnerin nicht mehr erhältlich. Dies beanstandet der Antragsteller als wettbewerbswidrig. Er erwirkte eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg, mit der der Antragsgegnerin verboten worden ist,

"in Zeitungsanzeigen oder einem Verkaufsprospekt einen Elektronik-Haushaltsartikel und/oder einen Elektronik-Weihnachtsartikel wie aus der diesem Beschluss in Kopie verbundenen Anlage ersichtlich zu bewerben, sofern dieser Artikel an dem insoweit vorgesehenen ersten Verkaufstag nicht zur sofortigen Mitnahme bereitgehalten wird."

Diese Verfügung hat das Landgericht durch das angegriffene Widerspruchsurteil mit der Maßgabe bestätigt, dass das Wort "Elektronik-Haushaltsartikel" durch "Elektronik-Haushaltskleingeräte" ersetzt worden ist. Hiergegen richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin.

II.

Die zulässige Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie konnte durch einstimmigen Beschluss des Senats nach § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückgewiesen werden, da die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert.

Der Senat folgt der überzeugenden Begründung des Landgerichts. Dem Antragsteller steht ein Unterlassungsanspruch wegen irreführender Werbung über den Warenvorrat im erkannten Umfang zu, und zwar nunmehr gemäß den §§ 3, 5 Abs. 5, 8 Abs. 1, 3 Nr. 2 UWG. Die Angriffe der Berufung bleiben ohne Erfolg:

1. Beide Artikel der konkreten Verletzungsform - Weihnachts-Kerzenleuchter zu EUR 9,99 und digitale Personenwaage zu EUR 24,99 - sind herausgehoben beworben und preislich ganz besonders attraktiv. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig, im Übrigen aber auch vom Antragsteller durch Preisvergleiche aus dem Internet glaubhaft gemacht worden. Die Angebote stammen von einem der größten deutschen Lebensmitteleinzelhändler mit dichtem Filialnetz, der regelmäßig - in Hamburg wöchentlich - sog. Aktionsware außerhalb des Lebensmittelsortiments anbietet. Schließlich handelt es sich um eine Beilagenwerbung, die erheblich teurer ist als eine Zeitungsanzeige.

Unter Berücksichtigung der Art der Ware, der Gestaltung der Werbung, der Attraktivität des Preises und der Größe und Bedeutung des werbenden Unternehmens greift hier die Vermutung des § 5 Abs. 5 UWG, wonach der Verkehr eine ausreichende Bevorratung jedenfalls für zwei Tage erwartet. Zwar nennt § 5 Abs. 5 UWG als Kriterien, wonach sich die Verkehrserwartung richtet, nur die Art der Ware und die Gestaltung und Verbreitung der Werbung. Nach zutreffender Auffassung, der sich der Senat anschließt, können für die Bestimmung der Verkehrserwartung mit der bisherigen Rechtsprechung auch alle sonstigen Umstände berücksichtigt werden, insbesondere - wie hier - die Attraktivität des Angebots und die Größe und Bedeutung des werbenden Unternehmens (Harte/Henning/Weidert, UWG, § 5 Rn. 846). Die Verkehrserwartung einer ausreichenden Vorratshaltung für zwei Tage wird bei einem Lebensmittelfilialisten auch nicht dadurch geschmälert, dass die Aktionsware nicht zu seinem üblichen Sortiment gehört (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2003, 87 "Branchenfremde Aktionsartikel").

Vorliegend hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass beide Artikel am ersten Aktionstag bereits eine gute Stunde nach Ladenöffnung in einer Filiale nicht mehr erhältlich waren. Das in der einstweiligen Verfügung vom 23.12.2003 erwirkte Verbot, die Bewerbung eines derartigen Artikels zu unterlassen, sofern er nur an dem vorgesehenen ersten Verkaufstag nicht zur sofortigen Mitnahme bereit gehalten wird, ist vor diesem Hintergrund zu Recht erfolgt.

2. Die Verkehrserwartung, die Aktionsware jedenfalls am ersten Verkaufstag zu erhalten, ist hinsichtlich des Weihnachts-Kerzenleuchters auch nicht dadurch eingeschränkt worden, dass sich an diesem Artikel ein Sternchenhinweis befindet, der am unteren Rand der Beilagenseite mit den Worten aufgelöst wird:

"Bei diesem Artikel besteht die Möglichkeit, dass er trotz sorgfältiger Bevorratung kurzfristig ausverkauft ist".

a) Zwar mag das Sternchen an dem Preis EUR 9,99 noch gut wahrnehmbar sein, doch erfolgt die Auflösung weit entfernt von diesem am unteren Rand der Beilagenseite in sehr kleiner Schrift. Der Grundsatz, dass die Einschränkung einer blickfangartigen Werbung am Blickfang teilhaben muss, wird mit dieser Gestaltung nicht eingehalten. Dabei ist vom Leitbild des situationsbedingt aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers auszugehen. Bei einem Dekorationsartikel für EUR 9,99 ist eine deutlich geringere Aufmerksamkeit für etwaige Einschränkungen zu erwarten als etwa bei Geräten der Unterhaltungselektronik oder Computern. Auch ist nicht nur auf den Verbraucher abzustellen, der gezielt nach Aktionsware sucht, sondern es ist auch an den Verbraucher zu denken, der ohnehin seinen wöchentlichen Lebensmitteleinkauf bei einem der großen Lebensmitteldiscounter tätigt und bei der Zeitungslektüre eher flüchtig zur Kenntnis nimmt, welche Aktionsware gerade bei der Antragsgegnerin angeboten wird.

b) Selbst wenn man zugunsten der Antragsgegnerin unterstellte, dass der Verkehr die Auflösung des Sternchenhinweises zur Kenntnis nehmen wird, reicht dieser inhaltlich nicht aus, um im vorliegenden Fall die Verkehrserwartung einer ausreichenden Bevorratung jedenfalls für den ersten Aktionstag zu zerstören. Auch insoweit folgt der Senat der Würdigung des Landgerichts. Gerade der Hinweis auf die "sorgfältige Bevorratung" bestärkt den Verkehr zunächst nochmals in seiner Erwartung, bei einem Unternehmen wie der Antragsgegnerin zumindest am ersten Verkaufstag in allen Filialen die besonders beworbenen Angebote auch vorzufinden. Wenn nun bei einem Artikel unter mehreren beworbenen ein nur für diesen geltender Hinweis erfolgt, dieser könne kurzfristig ausverkauft sein, wird man zwar möglicherweise nicht mehr von dem Regelfall einer Verfügbarkeit für zwei Tage ausgehen können, wie § 5 Abs. 5 UWG es vorsieht. Letztlich kann diese Frage aber dahingestellt bleiben. Denn eine Verfügbarkeit für den ersten Verkaufstag, wie es hier beantragt ist, wird der Verkehr auch bei diesem, nicht näher spezifizierten Hinweis erwarten. Wie das OLG Düsseldorf in seiner oben zitierten Entscheidung überzeugend ausgeführt hat, dürfen die angesprochenen Verkehrskreise nicht auf die sog. "Schnäppchenjäger" verengt werden, sondern der Normalverbraucher hat - wie ausgeführt - in einem Fall wie dem vorliegenden andere Erwartungen. Somit ist die Verurteilung im beantragten Umfang jedenfalls zu Recht erfolgt.

3. Der Tenor der einstweiligen Verfügung in der Fassung des landgerichtlichen Urteils ist auch nicht zu weit und unbestimmt. Die Begriffe "Elektronik-Haushaltskleingeräte" und "Elektronik-Weihnachtsartikel" stellen sich als zulässige Verallgemeinerungen der gleichfalls in den Tenor einbezogenen konkreten Verletzungsform dar. Etwaige Zweifelsfälle, ob eine bestimmte Ware noch in den durch die konkrete Verletzungsform abgesteckten Verbotsbereich fällt, müssen und können dem Vollstreckungsverfahren vorbehalten bleiben.

4. Ohne Erfolg bleibt der Einwand der Antragsgegnerin, ihr würde mit dem Verbot auch die Möglichkeit abgeschnitten, die Irreführung durch einen aufklärenden Hinweis auszuschließen. Aus dem Bezug auf die konkrete Verletzungsform und der hierzu gegebenen Begründung des Gerichts kann die Antragsgegnerin ersehen, welche Art der Werbung ihr verboten ist. Daran muss sie sich halten. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, der Antragsgegnerin Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie ihre Werbung zulässig gestalten kann. Derartige Möglichkeiten werden durch das Verbot einer bestimmten Gestaltung jedenfalls nicht ausgeschlossen.

5. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin liegen auch die Voraussetzungen vor, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zu behandeln. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass es auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls ankommt, welche Verkehrserwartung eine Werbung hinsichtlich des Warenvorrats auslöst. Insoweit handelt es sich hier lediglich um die Anwendung einer gesicherten Rechtsprechung in einem konkreten Einzelfall und nicht um einen Fall von grundsätzlicher Bedeutung. Auch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Einheitlichkeit der Rechtsprechung keine mündliche Verhandlung und den Erlass einer Entscheidung in Urteilsform. Der Antragsgegnerin entstehen durch eine unanfechtbare Beschlussentscheidung ohnehin keinerlei Nachteile, da eine Revision oder Revisionsbeschwerde im Verfügungsverfahren nicht eingelegt werden kann.

Dass in Vorratsmangel-Streitigkeiten stets die Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgeblich sind, belegt gerade die von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 24.2.2005 eingereichte Entscheidung des OLG Celle vom 9.12.2004 zum Aktz. 13 U 218/04 (Anlage Ag 3): Diese betraf einen 48-seitigen Werbeprospekt mit mehreren 100 Car-Hifi-Artikeln einer aus verschiedenen Händlern bestehenden Werbegemeinschaft, der für einen längeren Zeitraum gelten sollte (Sommer 2004). Beanstandet wurde, dass ein Navigationsgerät zum Preis von EUR 2.290 bei einem der Händler, der nur über ein 100 qm großes Ladenlokal verfügte, nicht zur sofortigen Mitnahme zur Verfügung stand. Das Bestehen einer Verkehrserwartung zur sofortigen Mitnahme hat das OLG Celle hier überzeugend verneint. Es bedarf keiner näheren Begründung, dass es sich im Fall des OLG Celle unter Berücksichtigung der Art der Werbung, ihrer Geltungsdauer, der beworbenen Ware und ihrs Werts und schließlich der werbenden Unternehmen - verschiedene Einzelhändler statt eines einheitlichen Unternehmens mit Filialnetz und entsprechender Logistik - um einen völlig anders gelagerten Sachverhalt handelte.

Auch für die Frage, mit welchen Hinweisen eine durch eine Werbung ausgelöste Verkehrserwartung eingeschränkt werden kann, kommt es auf den jeweiligen Einzelfall an. Dass dieses grundsätzlich möglich ist, hat der BGH in der Entscheidung "Playstation" bereits anerkannt (GRUR 2004,343). Gleiches gilt für die Frage, ob der jeweilige Hinweis groß und deutlich genug ist, was das OLG Celle in dem von Ihm entschiedenen Fall bejaht hat, hier aber - wie ausgeführt - zu verneinen ist.

Soweit die Antragsgegnerin noch darauf verweist, sie habe den Sternchen-Hinweis entsprechend einem Vergleichsvorschlag des OLG Stuttgart formuliert, rechtfertigt auch dies keine andere Beurteilung. Einzelheiten der dort streitgegenständlichen Werbung sind nicht mitgeteilt. Der hierzu eingereichten Anlage Ag 2 lässt sich allerdings entnehmen, dass es sich bei der nicht vorrätigen Ware um einen Tintenstrahl-Drucker gehandelt hat, mithin um ein wesentlich hochwertigeres Gerät als der hier in Rede stehende Weihnachts-Kerzenleuchter zu EUR 9,99, der eher als Mitnahme-Artikel einzuordnen ist. Somit lag auch dort eine nicht vergleichbare Fallgestaltung vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.






OLG Hamburg:
Beschluss v. 07.03.2005
Az: 5 U 99/04


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