Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 16. Mai 2011
Aktenzeichen: 17 E 1418/10

(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 16.05.2011, Az.: 17 E 1418/10)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Das beklagte W. trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Der Senat entscheidet über die Beschwerde in der Besetzung mit drei Richtern.

Eine Zuständigkeit des Einzelrichters liegt nicht vor. Die Vorschriften, die bei Kosten- und Streitwertbeschwerden eine Beschwerdeentscheidung des Rechtsmittelgerichts durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter vorsehen, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde (vgl. § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG, § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 2, § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG), sind im Rahmen der nach § 146 Abs. 1 VwGO erhobenen Beschwerde, die einen die Erinnerung nach den §§ 151, 165 VwGO zurückweisenden Beschluss des Verwaltungsgerichts betrifft, nicht einschlägig.

Eingehend hierzu BayVGH, Beschluss vom 19. Januar 2007 - 24 C 06.2426 -, NVwZ-RR 2007, 497 ff. = juris Rdnr. 15 ff.; vgl. auch OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Oktober 2009 - 13 E 1111/09 -, juris Rdnr. 2 f. m.w.N., vom 8. Juli 2009 - 18 E 1013/08 -, juris Rdnr. 1 f. m.w.N., vom 26. Januar 2009 - 19 E 130/08 -, vom 28. Oktober 2009 - 17 E 1702/08 - und vom 28. März 2011 - 17 E 4/11 -.

Vorliegend handelt es sich um eine solche Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO. Für die vom beklagten W. eingelegte Erinnerung ist § 165 VwGO und nicht § 56 RVG maßgeblich. § 56 RVG betrifft Erinnerungen des Rechtsanwalts und der Staatskasse gegen die Festsetzung nach § 55 RVG (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG). Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG werden auf Antrag des Rechtsanwalts von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszugs die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung und der Vorschuss hierauf festgesetzt. Durch den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29. September 2010 wurde aber nicht eine aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung festgesetzt, sondern die vom Kläger dem beklagten W. zu erstattenden Kosten. Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss nach § 164 VwGO legte das beklagte W. eine Kostenerinnerung nach § 165 VwGO ein. Die Beschwerde gegen die Zurückweisung dieser Erinnerung richtet sich nach § 146 Abs. 1 VwGO.

Eine Zuständigkeit des Berichterstatters etwa nach § 87a Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 VwGO, der auch im Beschwerdeverfahren gilt, ist ebenfalls nicht gegeben. Der Beschluss über die Beschwerde ergeht nicht im vorbereitenden Verfahren. Er stellt vielmehr eine das Erinnerungsverfahren als solches abschließende Sachentscheidung dar.

Vgl. Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage 2010, § 165 Rdnr. 34.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung des beklagten Versorgungswerks gegen die Ablehnung der zusätzlichen Kostenfestsetzung für das Verfahren auf Zulassung der Berufung zu Recht zurückgewiesen.

Für die zeitgleich vom Kläger betriebenen Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren in der Rechtsmittelinstanz ist neben der Gebühr nach Nr. 3200 VV RVG die weitere von den Prozessbevollmächtigten des beklagten W1. angesetzte Gebühr, die diese auf Nr. 3504 VV RVG stützen, nicht erstattungsfähig. Zu den Verfahrenskosten, welche hier der Kläger zu tragen hat, gehören gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch die Gebühren der Prozessbevollmächtigten des beklagten W1. und damit auch die Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG. Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. In gerichtlichen Verfahren kann er die Gebühren in jedem Rechtszug fordern (§ 15 Abs. 2 Satz 2 RVG). Was unter derselben Angelegenheit zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber für bestimmte Fallgruppen in § 16 RVG geregelt. Gemäß § 16 Nr. 11 Halbsatz 1 RVG sind das Rechtsmittelverfahren und das Verfahren über die Zulassung des Rechtsmittels dieselbe Angelegenheit. Diese Vorschrift erfasst damit die Fälle, in denen das Verfahren auf Zulassung eines Rechtsmittels Erfolg hat und sich daran das Verfahren des zugelassenen Rechtsmittels anschließt.

Vgl. dazu ausführlich: OVG NRW, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 E 1677/08 -.

Darüber hinaus ist § 16 Nr. 11 RVG dahingehend zu verstehen, dass es sich auch in Fällen, in denen - wie hier - zunächst (versehentlich) die Berufung eingelegt und anschließend zusätzlich der Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt wird, um dieselbe Angelegenheit handelt, für die der Rechtsanwalt die Gebühren nur einmal fordern kann. Der Wortlaut des § 16 Nr. 11 RVG schließt eine solche Auslegung nicht aus, denn eine Differenzierung nach der Reihenfolge der genannten Verfahren enthält diese Bestimmung nicht.

Diese Auslegung wird zudem dadurch bestätigt, dass unter derselben Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Die Beurteilung richtet sich nach den jeweiligen Lebensverhältnissen im Einzelfall.

Vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2006 - VII ZB 32/06 -, NJW-RR 2007, 1000 f. = juris Rdnr. 10 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2000 - 11 C 1.99 -, NJW 2000, 2289 ff. = juris Rdnr. 20 - zum bis 30. Juni 2004 geltenden § 7 Abs. 2 BRAGO.

So hängt die Frage, ob mehrere Gegenstände dieselbe Angelegenheit darstellen, davon ab, ob sie von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2000 - 11 C 1.99 -, NJW 2000, 2289 ff. = juris Rdnr. 20; OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Oktober 2009 - 18 E 114/09 -, vom 9. September 2009 - 18 E 111/09 -, juris Rdnr. 11 und vom 12. Juli 2005 - 15 E 424/05 -, NVwZ-RR 2006, 437 f. = juris Rdnr. 6 - zu dem mit § 15 Abs. 2 RVG wortgleichen außer Kraft getretenen § 13 Abs. 2 BRAGO.

Nach diesen Maßstäben liegt hier hinsichtlich des vom Kläger zunächst angestrengten Berufungsverfahrens und des anschließend vor Abschluss dieses Verfahrens gestellten Antrags auf Zulassung der Berufung eine Angelegenheit vor. Die Prozessbevollmächtigten des beklagten W1. sind im Zusammenhang mit dem Rechtsmittel tätig geworden, das der Kläger auf das Urteil des Verwaltungsgerichts im Verfahren 20 K 419/09 eingelegt hat. Dies lässt darauf schließen, dass der ihrem Tätigwerden zugrunde liegende Auftrag die Vertretung in der auf das erstinstanzliche Verfahren folgenden Rechtsmittelinstanz insgesamt umfasste. Ein innerer Zusammenhang zwischen dem Berufungsverfahren und dem Berufungszulassungsverfahren sowie ein für die Prozessbevollmächtigten des beklagten W1. einheitlicher Tätigkeitsrahmen bestanden angesichts des Umstands, dass es in beiden Verfahren in der Rechtsmittelinstanz nur um ein Urteil im erstinstanzlichen Verfahren 20 K 419/09 ging. Die Einheitlichkeit der Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des beklagten W1. wird auch durch ihre Schriftsätze vom 25. März 2010 und 16. April 2010 dokumentiert, die sich sowohl zum Berufungsverfahren als auch zum Berufungszulassungsverfahren verhalten, sowie durch den Schriftsatz vom 14. Juni 2010 im Berufungszulassungsverfahren, in dem auf die Schriftsätze vom 25. März 2010, 16. April 2010 und 21. Mai 2010 verwiesen wird.

Für die Einordnung als dieselbe Angelegenheit spielt es vor diesem Hintergrund keine Rolle, dass das Berufungsverfahren und das Berufungszulassungsverfahren unter verschiedenen Aktenzeichen (17 A 457/10 und 17 A 1192/10) geführt, durch jeweils einen Beschluss vom 16. Juni 2010 entschieden wurden und jeweils Gerichtsgebühren angefallen sind. Zwar ist eine Angelegenheit im Regelfall mit dem gerichtlichen Verfahren identisch ist.

Vgl. Hartmann, Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 15 RVG Rdnr. 16.

Sind aber - wie hier - die oben genannten Kriterien erfüllt, können sogar mehrere selbständige Verfahren dieselbe Angelegenheit sein.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Oktober 2009 - 18 E 114/09 -, vom 9. September 2009 - 18 E 111/09 -, juris Rdnr. 11 und vom 12. Juli 2005 - 15 E 424/05 -, NVwR-RR 2006, 437 f. = juris Rdnr. 6 - zu dem mit § 15 Abs. 2 RVG wortgleichen außer Kraft getretenen § 13 Abs. 2 BRAGO.

Die vom beklagten W. vorgenommene rein formale - an der Vergabe von Aktenzeichen orientierte - Betrachtungsweise trägt des Weiteren nicht hinreichend dem Umstand Rechnung, dass es bei der Frage, ob es sich um eine einheitliche Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG handelt, auch um die Kostengerechtigkeit vor dem Hintergrund des Arbeitsaufwands des Rechtsanwalts geht. Soweit auf den einheitlichen Tätigkeitsrahmen des Rechtsanwalts abzustellen ist, liegt dem der Gedanke zugrunde, dass der Rechtsanwalt mehrere Gegenstände durch eine gleichgerichtete Vorgehensweise bearbeitet, die - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - wegen des verringerten Arbeitsaufwands auch gebührenrechtliche Konsequenzen rechtfertigt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2000 - 11 C 1.99 -, NJW 2000, 2289 ff. = juris Rdnr. 22 - zum bis 30. Juni 2004 geltenden § 7 Abs. 2 BRAGO.

Durch die Einlegung einer nicht statthaften Berufung und die Stellung eines Antrags auf Zulassung der Berufung durch den Kläger noch vor der Entscheidung über die Berufung ist es für die Prozessbevollmächtigten des beklagten W1. im Vergleich zu dem Fall, dass zunächst der Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt und anschließend ein Berufungsverfahren durchgeführt wird, aber nicht zu einem deutlich erhöhten Arbeitsaufwand gekommen.

Der Einwand, der Kläger habe für jedes Verfahren in der Rechtsmittelinstanz Gerichtskosten zahlen müssen, verfängt wegen des Fehlens einer dem § 15 Abs. 2 RVG entsprechenden Vorschrift im GKG nicht.

Auch die weiter geltend gemachte Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG ist für das Berufungszulassungsverfahren nicht zusätzlich zu dem Berufungsverfahren erstattungsfähig. Nach der amtlichen Anmerkung zu Nr. 7002 VV RVG kann die Pauschale in jeder Angelegenheit anstelle der tatsächlichen Auslagen nach Nr. 7001 VV RVG gefordert werden. Daraus ist zu schließen, dass der Rechtsanwalt diese Pauschale in der gebührenrechtlich selben Angelegenheit - und so auch hier - nur einmal fordern kann.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 E 1677/08 -.

Damit entfällt auch die Grundlage für die für das Zulassungsverfahren veranschlagte Umsatzsteuer.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren, in dem eine Festgebühr nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz anfällt, folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).






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Az: 17 E 1418/10


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