Bundesfinanzhof:
Urteil vom 24. Juli 2013
Aktenzeichen: I R 40/12

(BFH: Urteil v. 24.07.2013, Az.: I R 40/12)

1. Der Organträger einer ertragsteuerlichen Organschaft muss nicht bereits zu Beginn des Wirtschaftsjahrs der Organgesellschaft gewerblich tätig sein (entgegen BMF-Schreiben vom 10. November 2005, BStBl I 2005, 1038, Rz 21).

2. Eine Personengesellschaft, die Besitzunternehmen im Rahmen einer Betriebsaufspaltung (hier: sog. unechte Betriebsaufspaltung) und ansonsten nur vermögensverwaltend tätig ist, kann Organträgerin sein.

3. Die Bestimmung des § 34 Abs. 10b Satz 2 KStG 2002 i.d.F. desUntSt/RKVereinfG ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen die rückwirkende steuerliche Anerkennung von (Alt-)Gewinnabführungsverträgen, die keinen den Anforderungen des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 in der bis dahin geltenden Fassung entsprechenden Verweis auf § 302 AktG (Verlustübernahme) enthalten hatten. Sie ist anwendbar, wenn der Gewinnabführungsvertrag unvollständig auf § 302 AktG verwiesen, einen unzureichenden eigenständigen Text oder überhaupt keine Regelung zur Verlustübernahme enthalten hatte.

Tatbestand

I. Streitpunkt ist, ob zwischen der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einem Herstellungsbetrieb in der Rechtsform einer GmbH, als Organgesellschaft und einer KG als Organträgerin für das Streitjahr 2006 eine ertragsteuerliche Organschaft bestanden hat.

Im November 2005 erwarb die S-KG den (einzigen) an der Klägerin bestehenden Geschäftsanteil. Mit Vertrag vom 5. Dezember 2005 schlossen die Klägerin und die S-KG einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, dem zufolge die Klägerin die Leitung ihrer Gesellschaft der S-KG unterstellte und sich verpflichtete, ihren ganzen Gewinn an diese abzuführen. Zur Verlustübernahme enthielt der Vertrag in § 3 u.a. folgende Regelung:

"Die (S-KG) ist entsprechend den Vorschriften des § 302 Absatz 1 und 3 des Aktiengesetzes verpflichtet, jeden während der Vertragsdauer sonst entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen, soweit er nicht dadurch ausgeglichen wird, dass den anderen Gewinnrücklagen Beträge entnommen werden, die während der Vertragsdauer in sie eingestellt worden sind."

Der Vertrag wurde am 22. Dezember 2005 ins Handelsregister eingetragen.

Zum 1. März 2006 verkaufte die Klägerin ihren gesamten Geschäftsbetrieb an die S-KG, mietete diesen jedoch sogleich wieder von der S-KG "zurück".

In ihrer Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr erklärte die Klägerin Einkünfte von 960.878 EUR, die der S-KG als Organträgerin zuzurechnen seien. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) war demgegenüber der Auffassung, es habe im Streitjahr kein wirksames Organschaftsverhältnis bestanden, weil die S-KG zu Beginn des Wirtschaftsjahrs der Klägerin noch nicht gewerblich tätig gewesen sei; sie habe zum 1. Januar 2006 lediglich die Beteiligung an der Klägerin gehalten und sei damit zu diesem Zeitpunkt ausschließlich vermögensverwaltend tätig gewesen. Das FA erließ einen entsprechenden Änderungsbescheid, in dem es die zuvor auf 0 EUR festgesetzte Körperschaftsteuer für das Streitjahr auf 195.076 EUR festsetzte. Außerdem setzte es (erstmalig) den Gewerbesteuermessbetrag auf 38.505 EUR fest.

Die deswegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg; das Finanzgericht (FG) Münster hat sie als unbegründet abgewiesen. Sein Urteil vom 23. Februar 2012 9 K 3556/10 K,G ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 1589 abgedruckt.

Gegen das FG-Urteil richtet sich die Revision, mit der die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts geltend macht.

Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil und die angefochtenen Bescheide aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

II. Die Revision ist begründet und führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des FG-Urteils und der angefochtenen Bescheide. Die Begründung des vorinstanzlichen Urteils hält rechtlicher Prüfung nicht stand; der Organträger muss nicht bereits zu Beginn des Wirtschaftsjahrs der Organgesellschaft gewerblich tätig sein. Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht gemäß § 126 Abs. 4 FGO aus anderen Gründen als richtig. Für das Streitjahr ist ein ertragsteuerliches Organschaftsverhältnis zwischen der Klägerin und der S-KG anzuerkennen.

1. Verpflichtet sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag i.S. des § 291 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG), ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist das Einkommen der Organgesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes i.d.F. des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen [Steuervergünstigungsabbaugesetz] vom 16. Mai 2003, BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003, 321 --KStG 2002--). Verpflichtet eine andere als die in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 bezeichnete Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland --und damit auch eine inländische GmbH-- sich wirksam, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen i.S. des § 14 KStG 2002 abzuführen, so gelten nach § 17 Satz 1 KStG 2002 die §§ 14 bis 16 KStG 2002 entsprechend. Ist eine Kapitalgesellschaft Organgesellschaft i.S. der §§ 14, 17 oder 18 KStG 2002, so gilt sie gewerbesteuerrechtlich als Betriebsstätte des Organträgers (§ 2 Abs. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes --GewStG 2002--).

2. Organträger kann gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG 2002 auch eine Personengesellschaft i.S. des § 15 Abs. 1 (Satz 1) Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) sein, wenn sie eine Tätigkeit i.S. des § 15 Abs. 1 (Satz 1) Nr. 1 EStG 2002 ausübt.

a) Diese Voraussetzung hat das FG im Streitfall verneint, weil sie dessen Auffassung nach voraussetzt, der Organträger müsse die gewerbliche Tätigkeit i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 bereits zu Beginn des Wirtschaftsjahrs der Organgesellschaft ausgeübt haben (so auch Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 10. November 2005, BStBl I 2005, 1038, Tz. 21; Gosch/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 14 Rz 79; Müller in Mössner/Seeger, Körperschaftsteuergesetz, § 14 Rz 133; J. Lohmar in Lademann, Körperschaftsteuergesetz, § 14 Rz 90; Blumers/Goerg, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2005, 397, 402; Haase, Der Betrieb --DB-- 2004, 1580, 1583; Füger, Betriebs-Berater --BB-- 2003, 1755, 1758), und dies bei der S-KG nicht der Fall gewesen sei.

b) Dem ist nicht beizupflichten. Eine Personengesellschaft als Organträger muss nicht bereits zu Beginn des Wirtschaftsjahrs der Organgesellschaft gewerblich tätig sein (ebenso Walter in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz 235; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz 135 und 85; Gosch in P. Kirchhof/K. Schmidt/W. Schön/K. Vogel, Steuer- und Gesellschaftsrecht zwischen Unternehmerfreiheit und Gemeinwohl, Festschrift für Arndt Raupach, 2006, S. 461, 464; Sterner in Herrmann/Heuer/Raupach, § 14 KStG Rz 164; Dötsch in Dötsch/ Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rz 71 und 99; Brink in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 14 Rz 130; Erle/ Heurung in Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl., § 14 KStG Rz 65).

Der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG 2002 gibt für eine solche zeitliche Anforderung nichts her. Dort heißt es nur, die als Organträger fungierende Personengesellschaft müsse eine Tätigkeit i.S. des § 15 Abs. 1 (Satz 1) Nr. 1 EStG 2002 ausüben, nicht aber enthält die Vorschrift bestimmte zeitliche Vorgaben. Hätte der Gesetzgeber bestimmen wollen, dass die gewerbliche Betätigung bereits zu Beginn des Wirtschaftsjahrs der Organgesellschaft ausgeübt werden müsse, wäre zu erwarten, dass er dies ausdrücklich festgelegt hätte. So heißt es in Bezug auf die weitere Organschaftsvoraussetzung der finanziellen Eingliederung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG 2002 ausdrücklich, der Organträger müsse an der Organgesellschaft "vom Beginn ihres Wirtschaftsjahrs an ununterbrochen" mit der Mehrheit der Stimmrechte beteiligt sein. Dass in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG 2002 eine vergleichbare zeitliche Anforderung fehlt, spricht im Umkehrschluss dafür, dass eine solche an dieser Stelle auch nicht beabsichtigt war.

Entgegen der Sichtweise des FG lässt sich das zeitliche Erfordernis auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift herleiten. Mit Einführung des Erfordernisses einer "originär" gewerblichen Tätigkeit der als Organträger fungierenden Personengesellschaft i.S. von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 wollte der Gesetzgeber die gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG 2002 lediglich gewerblich geprägten Personengesellschaften als Organträger ausschließen; damit sollte die Streichung der Mehrmütterorganschaft (Wegfall des vorherigen § 14 Abs. 2 KStG 2002) flankiert werden, indem Gestaltungen verhindert würden, durch die über eine andere nicht gewerblich tätige Personengesellschaft das steuerliche Ergebnis einer Mehrmütterorganschaft erreicht werden könnte (Begründung des Fraktionsentwurfs eines Steuervergünstigungsabbaugesetzes, BTDrucks 15/119, S. 43).

Die Vorschrift dient mithin nicht speziell dem vom FG hervorgehobenen Zweck, zu verhindern, dass der abzuführende Gewinn der Organgesellschaft nicht auf der Ebene des Organträgers in nicht gewerbliche Einkünfte umqualifiziert wird und damit nicht (mehr) gewerbesteuerpflichtig ist. Hierfür hätte es einer Sonderregelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG 2002 nicht bedurft; denn schon aus der Eingangspassage des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 ergibt sich, dass derjenige, an den der Gewinn abzuführen ist, stets ein "gewerbliches Unternehmen" sein muss. Um diesem Zweck gerecht werden zu können, reicht es indes, dass der Organträger im Zeitpunkt der Gewinnabführung gewerblich tätig ist (zutreffend Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 14 KStG Rz 135; Walter in Ernst & Young, a.a.O., § 14 Rz 235). Und die Gewinnabführung, welche sich auf den handelsrechtlichen Jahresgewinn der Organgesellschaft bezieht, findet sowohl zivilrechtlich als auch aus steuerlicher Sicht erst zum Ende des jeweiligen Geschäftsjahrs der Organgesellschaft statt. Deshalb droht bei einer unterjährigen Aufnahme der gewerblichen Tätigkeit des Organträgers nicht die von der Vorinstanz angenommene Gefahr einer Umqualifizierung des abzuführenden Gewinns der Organgesellschaft in nicht der Gewerbesteuer unterliegende Einkünfte.

c) Mithin war es für den Tatbestand des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG 2002 ausreichend, dass die S-KG ab dem Erwerb des Geschäftsbetriebs der Klägerin zum 1. März des Streitjahrs gewerblich tätig war. Allerdings hat die S-KG den Geschäftsbetrieb nicht selbst fortgeführt, sondern ihn nach Erwerb sogleich wieder mietweise der Klägerin zur Nutzung überlassen. Jedoch führt nach den für die Betriebsaufspaltung entwickelten Grundsätzen (hier: sog. "unechte" Betriebsaufspaltung, vgl. Schmidt/Wacker, EStG, 32. Aufl., § 15 Rz 802, m.w.N.) die gewerbliche Betätigung der Klägerin als Betriebsunternehmen zur Gewerblichkeit i.S. von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 auch der S-KG als Besitzunternehmen (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Januar 1998 IV R 8/97, BFHE 185, 500, BStBl II 1998, 478; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 15 Rz 869, m.w.N.).

Seit Streichung des Erfordernisses der wirtschaftlichen Eingliederung durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz) vom 23. Oktober 2000 (BGBl I 2000, 1433, BStBl I 2000, 1428) kann auch ein Besitzunternehmen, das nur über ein Betriebsunternehmen als Gewerbebetrieb zu beurteilen ist, tauglicher Organträger i.S. von § 14 KStG sein. Der Senat hat dies --in Übereinstimmung mit der Auffassung der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 26. August 2003, BStBl I 2003, 437, Tz. 3) und entgegen einiger Stimmen aus der Literatur (Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 14 KStG Rz 164; Gosch/Neumann, a.a.O., § 14 Rz 80)-- mit Urteil vom 2. September 2009 I R 20/09 (BFH/NV 2010, 391) für den Fall eines Betriebs gewerblicher Art i.S. von § 4 KStG 2002 als Besitzunternehmen entschieden. Nichts anderes gilt für eine als Besitzunternehmen fungierende Personengesellschaft (BMF-Schreiben in BStBl I 2005, 1038, Tz. 16; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 15 Rz 871; Blümich/Bode, § 15 EStG Rz 673; Sterner in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 14 KStG Rz 170; Brink in Schnitger/Fehrenbacher, a.a.O., § 14 Rz 127; Erle/Heurung in Erle/Sauter, a.a.O., § 14 Rz 92; Müller in Mössner/Seeger, a.a.O., § 14 Rz 131; Förster, DB 2003, 899, 903; Ley/Strahl, DStR 2003, 2145, 2146; Dötsch/ Pung, DB 2003, 1970, 1971; Blumers/Goerg, BB 2003, 2203, 2206 f.; vgl. nunmehr auch Walter in Ernst & Young, a.a.O., § 14 Rz 154, 235).

Dem steht (entgegen Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 14 Rz 164) nicht entgegen, dass § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG 2002 eine "Tätigkeit" i.S. des § 15 Abs. 1 (Satz 1) Nr. 1 EStG 2002 verlangt. Denn unter den Voraussetzungen der Betriebsaufspaltung handelt es sich auch bei der bei isolierter Betrachtung "nur" vermögensverwaltenden Tätigkeit des Besitzunternehmens entweder selbst um eine originär gewerbliche Betätigung, weil das Besitzunternehmen sachlich und personell mit dem gewerblich tätigen Betriebsunternehmen verflochten ist und das Besitzunternehmen als Folge dieser wirtschaftlichen Verflochtenheit über das Betriebsunternehmen am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt (vgl. z.B. Senatsurteil vom 16. Juni 1982 I R 118/80, BFHE 136, 287, BStBl II 1982, 662; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 15 Rz 807, 871, m.w.N.), oder die vermögensverwaltende Betätigung des Besitzunternehmens wandelt sich im Wege der "Infektion" oder "Abfärbung" in eine gewerbliche Betätigung um (vgl. BFH-Urteil vom 29. März 2006 X R 59/00, BFHE 213, 50, BStBl II 2006, 661 betreffend die Erstreckung der Gewerbesteuerbefreiung des Betriebsunternehmens auf das Besitzunternehmen). Beide Sichtweisen führen im Ergebnis zur Annahme einer gewerblichen Betätigung auch der Besitzgesellschaft. Soweit sich aus dem Senatsurteil in BFH/NV 2010, 391 ein abweichendes Verständnis ergeben könnte, hält der Senat daran nicht fest.

3. Aufgrund zwischenzeitlicher Rechtsänderung erweist sich nachträglich die Annahme des FG als im Ergebnis richtig, dass die steuerliche Anerkennung der Organschaft im Streitfall nicht an der unzureichenden Verlustübernahmeregelung im Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag scheitert.

a) Nach ständiger Spruchpraxis des BFH zu § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 (vgl. z.B. Senatsurteil vom 3. März 2010 I R 68/09, BFH/NV 2010, 1132, m.w.N.) muss der Ergebnisabführungsvertrag eine dem § 302 AktG entsprechende Vereinbarung über die Verlustübernahme durch den Organträger enthalten. Einbezogen werden muss seit Einfügung der Verjährungsregelung des § 302 Abs. 4 AktG durch das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9. Dezember 2004 (BGBl I 2004, 3214) mit Wirkung vom 15. Dezember 2004 auch diese (Senatsbeschlüsse vom 28. Juli 2010 I B 27/10, BFHE 230, 167, BStBl II 2010, 932 --berichtigt durch Senatsbeschluss vom 15. September 2010 I B 27/10, BFHE 230, 208, BStBl II 2010, 935-- sowie vom 22. Dezember 2010 I B 83/10, BFHE 232, 190; s. auch das jetzige Erfordernis eines "dynamischen" Verweises auf § 302 AktG gemäß § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013, BGBl I 2013, 285, BStBl I 2013, 188 --KStG 2002 n.F.--).

b) Die Regelung zur Verlustübernahme im streitgegenständlichen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag vom 5. Dezember 2005 verweist indes lediglich auf § 302 Abs. 1 und 3 AktG, nicht aber auch auf den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits geltenden § 302 Abs. 4 AktG, und wird damit den Erfordernissen des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 nicht gerecht.

Davon ist auch das FG ausgegangen; es hat dem indessen keine Bedeutung beigemessen, weil das FA in der mündlichen Verhandlung vor dem FG erklärt habe, das BMF-Schreiben vom 16. Dezember 2005 (BStBl I 2006, 12) auf den Streitfall anwenden zu wollen. In diesem BMF-Schreiben wird zwar grundsätzlich ebenfalls die Einbeziehung des § 302 Abs. 4 AktG in den Gewinnabführungsvertrag für erforderlich gehalten. Jedoch soll danach das Fehlen eines Hinweises auf § 302 Abs. 4 AktG in vor dem 1. Januar 2006 abgeschlossenen Ergebnisabführungsverträgen von der Verwaltung "nicht beanstandet" werden.

Die Aussage in dem BMF-Schreiben in BStBl I 2006, 12 und die darauf fußende Erklärung des FA sind für das streitgegenständliche Verfahren unbeachtlich. Das materielle Recht steht im Finanzgerichtsprozess nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten; nach den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung kann deshalb das beklagte FA nicht auf den Steueranspruch verzichten (vgl. statt aller Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Rz 8). Auch kommt dem BMF-Schreiben in BStBl I 2006, 12 als bloßer Verwaltungsanweisung keine die Gerichte bindende Wirkung zu; ein Gericht darf eine Verwaltungsanweisung auch dann nicht anwenden, wenn sie zu einem für den Steuerpflichtigen günstigeren Ergebnis führt als das materielle Steuerrecht.

c) Die Wirkungen der Organschaft greifen im Streitfall aber trotz der sonach mangelhaften Verlustübernahmevereinbarung. Denn der Gesetzgeber hat im Zuge der Neufassung des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 mit § 34 Abs. 10b Sätze 2 und 3 KStG 2002 n.F. eine diesen Mangel rückwirkend heilende Übergangsregelung geschaffen.

aa) Die Regelung betrifft Gewinnabführungsverträge, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts --dem 26. Februar 2013, vgl. Art. 6 Satz 2 dieses Gesetzes-- wirksam abgeschlossen worden sind. Enthält ein solcher Gewinnabführungsvertrag keinen den Anforderungen des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 entsprechenden Verweis auf § 302 AktG, so steht dies nach § 34 Abs. 10b Satz 2 KStG 2002 n.F. der Anwendung der §§ 14 bis 16 KStG 2002 für Veranlagungszeiträume, die vor dem 31. Dezember 2014 enden, nicht entgegen, wenn eine Verlustübernahme entsprechend § 302 AktG tatsächlich erfolgt ist und eine Verlustübernahme entsprechend § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 n.F. bis zum Ablauf des 31. Dezember 2014 wirksam vereinbart wird. Letzteres --d.h. die Nachholung einer der Neufassung des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 entsprechenden Verlustübernahmevereinbarung-- ist wiederum dann nicht erforderlich, wenn die steuerliche Organschaft vor dem 1. Januar 2015 beendet wurde (§ 34 Abs. 10b Satz 3 KStG 2002 n.F.). Die Regelungen sind mangels gegenteiliger Hinweise im Gesetz für alle noch offenen Veranlagungen anwendbar (so auch Schneider/Sommer, GmbH-Rundschau 2013, 22, 30).

bb) Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 10b Satz 2 KStG 2002 n.F. sind im Streitfall gegeben.

aaa) Ungeachtet der steuerlich unzureichenden Verlustübernahmeregelung war der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag wirksam. Denn zivilrechtlich bedarf ein Gewinnabführungsvertrag mit einer GmbH zu seiner Wirksamkeit keiner ausdrücklichen und vollständigen Verlustübernahmeregelung; die Regelung des § 302 AktG wird im GmbH-Vertragskonzern analog angewendet (z.B. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. Oktober 1999 II ZR 120/98, BGHZ 142, 382).

bbb) Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag enthielt keinen den Anforderungen des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 entsprechenden Verweis auf § 302 AktG. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Gewinnabführungsvertrag unvollständig auf § 302 AktG verweist, aber auch wenn er einen unzureichenden eigenständigen Text oder überhaupt keine Regelung zur Verlustübernahme enthält. Denn in allen diesen Fällen fehlt ein den Anforderungen des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 entsprechender Verweis auf § 302 AktG. Mithin ist insoweit nicht von Belang, dass die Verlustübernahmeregelung im Streitfall aus einer Mischform von Verweis und Textwiedergabe bestanden hat (ebenso Scheifele/Hörner, DStR 2013, 553; Mayer/Wiese, DStR 2013, 629; Graw, Die Unternehmensbesteuerung --Ubg-- 2013, 373, 374 f.; anders Dötsch/Pung, DB 2013, 305, 314; Keller, Deutsche Steuer-Zeitung 2013, 60).

ccc) Das Erfordernis der tatsächlichen Durchführung des Verlustausgleichs ist im Streitfall nicht relevant, weil nach übereinstimmender Angabe der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Klägerin in der Laufzeit des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags keine Verluste erlitten hat (ebenso Graw, Ubg 2013, 373, 375; Stangl/Brühl, Der Konzern 2013, 77, 94).

ddd) Zum Eintritt der Heilungswirkungen bedurfte es hier gemäß § 34 Abs. 10b Satz 3 KStG 2002 n.F. keiner Neufassung der vertraglichen Verlustübernahmeklausel nach Maßgabe des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG 2002 n.F. Denn der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ist nach ebenfalls übereinstimmender Bekundung beider Beteiligter inzwischen beendet worden.

4. Das FG ist von einer anderen rechtlichen Beurteilung ausgegangen. Sein Urteil ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die ursprüngliche Festsetzung der Körperschaftsteuer auf 0 EUR ist durch Aufhebung des Änderungsbescheids wiederherzustellen. Der Gewerbesteuermessbescheid ist ersatzlos aufzuheben, weil die Klägerin gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG 2002 im Streitjahr gewerbesteuerrechtlich als Betriebsstätte der S-KG gegolten hat und ihr Betrieb folglich kein eigenständiges Steuerobjekt gewesen ist.






BFH:
Urteil v. 24.07.2013
Az: I R 40/12


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