Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 27. Juli 2006
Aktenzeichen: VII-Verg 23/06

(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 27.07.2006, Az.: VII-Verg 23/06)

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 20. April 2006, VK 1-19/06, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die Kosten des Verfah-rens nach § 118 Abs. 3 Satz 1 GWB sowie die der Antragsgegnerin in diesen Verfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten und Auslagen werden der Antragstellerin auferlegt.

Der Gegenstandswert beträgt bis zu 700.000 €.

Gründe

(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)

I.

Die Antragsgegnerin schrieb die Vergabe "Rahmenvertrag über die Lieferung von Kampfschuhen Männer, ASD 15010B, gemäss TL 8430-0039, Ausg. 11 vom 18. Juli 2005" für eine Laufzeit vom 28. April 2006 bis 31. Dezember 2007 mit einer Mindestmenge von ca. 180.000 Paaren europaweit im Wege des offenen Verfahrens aus. Die Absendung der Bekanntmachung erfolgte am 24. Januar 2006. Die Antragsgegnerin behielt sich mit der Vergabebekanntmachung die Verteilung auf mehrere Rahmenverträge vor. Ausweislich der Vergabebekanntmachung unter Ziffer IV. 2) sollte das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag erhalten. Unter Ziffer 6.2. der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, mit der die Verdingungsunterlagen am 31. Januar 2006 den Bietern übersandt wurden, waren als Zuschlagskriterien aufgeführt:

Das wirtschaftlich günstigste Angebot bezüglich:

1. Preis

2. Lieferzeit in Tagen nach Abruf

3. Qualität

Das Leistungsverzeichnis besagte in seinem einleitenden Absatz:

"Die L...Bw weist ausdrücklich darauf hin, dass Gegenstand dieser Ausschreibung ein Rahmenvertrag ist. Ein Rahmenvertrag ist eine Vereinbarung zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und mehreren Unternehmen, die zum Ziel hat, die Bedingungen für Einzelverträge festzulegen, die im Laufe eines bestimmten Zeitraumes vergeben werden sollen. Bieter, mit denen ein Rahmenvertrag geschlossen wird, können keinen Anspruch auf den Abschluss von Einzelverträgen aus dem Rahmenvertrag herleiten. Der oben genannte Bedarf unterliegt infolge von noch nicht zuverlässig kalkulierbaren Rückgängen der Bedarfszahlen erheblichen Schwankungen mit der Folge, dass insoweit lediglich eine Grobkalkulation vorgelegt werden kann.

Der Entwurf des Rahmenvertrages, der den Verdingungsunterlagen beigefügt war, enthielt unter § 1 "Zweck und Gegenstand des Vertrags" folgende Regelungen:

" 1.1.1 Im Rahmenvertrag inklusive aller Anlagen werden die grundsätzlichen Bedingungen für die Beschaffung des Kaufgegenstandes getroffen. Die tatsächlichen Beschaffungsmengen werden im Einzelabruf aus dem Rahmenvertrag festgelegt und ergeben sich aus den zu erwartenden Bedarfsmengen des Kunden Bundeswehr sowie den notwendigen Ersatzbeschaffungen zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit. Mit der Festlegung von bereits detailliert vereinbarten Staffelpreisen und Lieferfristen werden konkrete Rahmenvertragsbedingungen geschaffen.

....

1.1.2 Der AG wird die Bedarfsmengen, die er aus diesem Rahmenvertrag abrufen möchte, in Form von Einzelabrufen entsprechend der im Angebot genannten Lieferfristen abrufen.

....

1.1.4 Der AG garantiert dem AN keine feste Abnahmemenge für die gesamte Vertragslaufzeit."

Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit vier Gesellschaftern. Die Eheleute S. und B. S. halten 34% bzw. 36% der Anteile. S. B. und H. S. halten je 15 % der Anteile. Die Antragstellerin ist Kommanditistin der Beigeladenen. Sie hält 100 % der Anteile der Komplementär-GmbH der Beigeladenen. Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH ist die Gesellschafterin der Antragstellerin, Frau S. S.. Geschäftsführerin der Antragstellerin ist K. Sch.. Die Beigeladene produzierte und vertrieb bis zu ihrer Übernahme durch die Antragstellerin Schuhe. Die Entwicklung und die Produktion von Schuhen wurden auf die Antragstellerin verlagert. Die Beigeladene, die ursprünglich ihren Sitz in A... hatte, unterhält bereits seit mehreren Jahren am Standort der Muttergesellschaft (Antragstellerin) ein Zweitbüro und nutzt das gemeinsame Sekretariat. Ihren Unternehmenssitz gab die Beigeladene auf und verlagerte ihren Geschäftsbetrieb an den Unternehmenssitz der Antragstellerin. Die Antragstellerin wurde als Subunternehmerin für die Beigeladene tätig.

Mit Schreiben vom 22. Februar 2006 rügte die Antragstellerin die Ausschreibung eines Rahmenvertrages als vergaberechtswidrig, weil über die wirkliche Beschaffungsmaßnahme, nämlich die Lieferverträge, kein Wettbewerb stattfinde. Ferner beanstandete sie, dass die in der Ausschreibung geschilderten Anforderungen für die Teilnahme am Vergabeverfahren unangemessen, intransparent und diskriminierend seien. Insbesondere sei unklar, wie die Wertungskriterien gewichtet würden. Die Antragsgegnerin half der Rüge nicht ab.

Die Antragsgegnerin legte am 6.3.2006 die Gewichtung der Zuschlagskriterien sowie die Unterkriterien zur Bewertung der Qualität wie folgt fest:

- Preis 40 %

- Qualität 30 %

- Lieferzeit in Tagen nach Abruf 30 %.

Mit ihrem Nachprüfungsantrag vom 9. März 2006 begehrte die Antragstellerin zunächst die Aufhebung des Vergabeverfahrens aus den Gründen ihres Rügeschreibens. Unter dem 16. März 2006 reichten die Antragstellerin und die Beigeladene je ein Angebot bei der Antragsgegnerin ein. Mit Schreiben vom 3. April 2006 informierte die Antragsgegnerin die Beigeladene über ihre Absicht, diese wegen eines Wettbewerbsverstoßes gemäß § 2 Nr. 1 Abs. 2 i.V.m. § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f) VOL/A vom Vergabeverfahren auszuschließen. Die Prüfung der Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen habe Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Antragstellerin und die Beigeladene ihre Angebote nicht im Geheimwettbewerb abgegeben hätten. Die Antragstellerin wurde erst später vom Vorhaben unterrichtet, aus diesem Grund auch ihr Angebot auszuschließen.

Mit dem Nachprüfungsantrag beanstandete die Antragstellerin den von der Antragsgegnerin angekündigten Ausschluss ihres Angebots vom Vergabeverfahren. Eine Preisabsprache habe sie mit der Beigeladenen nicht getroffen. Ein Zusammenhang zwischen dem Angebot der Antragstellerin und dem der Beigeladenen bestehe nur insofern, als sie, die Antragstellerin, als Vorlieferantin einen Preis anbiete, den die Beigeladene in ihrer Angebotskalkulation als Kostenfaktor zu berücksichtigen gehabt habe.

Mit Beschluss vom 20. April 2006, Az. VK 1-19/06, hat die 1. Vergabekammer des Bundes den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin mit folgender Begründung zurückgewiesen: Das Angebot der Antragstellerin sei vom Vergabeverfahren auszuschließen. Ihr sei die Kalkulation, die dem Angebot der Beigeladenen zugrunde gelegen habe, bekannt gewesen. Die Antragstellerin sei Vorlieferantin der Beigeladenen. Sie kenne deshalb den Einkaufspreis der Beigeladenen. Da sie der Beigeladenen Büroräume zur Verfügung gestellt habe und ihr bekannt gewesen sei, dass diese neben der Geschäftsführerin S. S. über keine weiteren Mitarbeiter verfüge, sei sie über weitere kalkulationsrelevante Faktoren des Angebots informiert gewesen. Ferner sei sie über die Lieferfrist sowie die Qualität der Leistung orientiert gewesen. Damit seien ihr bei Abgabe ihres Angebots die wesentlichen Grundlagen, auf denen die Beigeladene ihr Angebot erstellt habe, bekannt gewesen. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin leide das Vergabeverfahren nicht an einem schwerwiegenden Mangel, sodass eine Aufhebung auszuscheiden habe. Die Antragstellerin beanstande zu Unrecht, dass die Ausschreibungsbedingungen keine transparenten und nachvollziehbaren Regelungen enthielten, nach denen die Vergabe der Einzelverträge erfolge. Die Antragsgegnerin sei auch nicht verpflichtet gewesen, die präzisierten Zuschlagskriterien bekannt zu machen. Die Zuschlagskriterien seien erst am 6. März 2006, also nach der Veröffentlichung der Bekanntmachung und der Übersendung der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots gewichtet worden, ohne dass Anhaltspunkte dafür bestünden, die Gewichtung der Zuschlagskriterien und die Unterkriterien zum Wertungsmerkmal "Qualität" hätten zu einem Zeitpunkt vor der Veröffentlichung der Bekanntmachung bzw. vor der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots festgestanden.

Mit Schreiben vom 8. Mai 2006 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin über ihre Absicht, den Zuschlag an die Bieter K.... GmbH und I... D... GmbH zu erteilen. Ferner teilte sie mit, dass ihr Angebot den Zuschlag nicht erhalten könne, weil sie in Bezug auf die vorliegende Vergabe mit einem Wettbewerber (der Beigeladenen) eine wettbewerbsbeschränkende Abrede getroffen und dadurch den Geheimwettbewerb verletzt habe.

Gegen den Beschluss der Vergabekammer des Bundes richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie in erster Linie die Aufhebung des Beschlusses des Bundeskartellamts und die Aufhebung des Vergabeverfahrens begehrt.

Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes, Az. VK 1-19/06, vom 20. April 2006 aufzuheben und

das Vergabeverfahren, Vergabenummer 0038/06, Rahmenvertrag über die Lieferung von Kampfschuhen Männer, ASD 15010B, gemäß TL 8430-0039, Ausgabe 11 vom 18.07.2005 für eine Laufzeit vom 28. April 2006 bis 31. Dezember 2007 mit einer Gesamtmenge von 180.000 Paaren aufzuheben,

hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, die konkreten Lieferaufträge für die Kampfschuhe unter Beachtung des geltenden Vergaberechts europaweit auszuschreiben,

hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr, der Antragstellerin, Angebot bei der Vergabe der konkreten Lieferaufträge für die Kampfschuhe dem geltenden Vergaberecht entsprechend zu werten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den Beschluss der Vergabekammer und vertieft ihren bisherigen Vortrag.

Die Beigeladene war im Beschwerdeverfahren nicht vertreten.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Gründe des Beschlusses der Vergabekammer verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Der zulässige Nachprüfungsantrag hat keinen Erfolg. Das Angebot der Antragstellerin - wie auch das der Beigeladenen - sind wegen eines Verstoßes gegen den Wettbewerbsgrundsatz des § 97 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 1 Abs.2 VOL/A zwingend von der Wertung auszuschliessen. Infolgedessen sind der Hauptantrag und die Hilfsanträge unbegründet.

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 107 Abs. 2 GWB). Eine Verletzung der Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist ihr nicht anzulasten.

a. Die Antragsbefugnis der Antragstellerin ist nicht zweifelhaft. Nach § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB ist jedes Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung des Vergabeverfahrens, weil u.a. die Gewichtung der Zuschlagskriterien nicht bekannt gemacht worden sei. Die Antragsbefugnis scheitert - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - nicht daran, dass die Antragstellerin mit ihrem Angebot wegen eines Verstoßes gegen § 97 Abs. 1 GWB i.V.m. § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A von der Wertung auszunehmen sei (vgl. § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f) VOL/A). Ob dies der Fall ist, muss hier zunächst offen bleiben. Denn dem Antragsteller muß die Möglichkeit gegeben werden, sich gegen einen vom öffentlichen Auftraggeber oder den Vergabenachprüfungsinstanzen erst später herangezogenen Ausschlussgrund zu verteidigen. Diese Auslegung stimmt mit der zur Antragsbefugnis im Nachprüfungsverfahren ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juli 2004 (NZBau 2004, 564, 566) und dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 19. Juni 2003 (C-249/01 - "Hackermüller", VergabeR 2003, 541, 545 Tz.29) überein.

b. Die Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist von der Antragstellerin nicht verletzt worden. Nach dem Wortlaut der Norm besteht die Rügeobliegenheit als eine Zugangsvoraussetzung zum Nachprüfungsverfahren nur für die vom Antragsteller erkannten Verstöße gegen Vergabevorschriften. Die Erkenntnis eines Vergaberechtsverstoßes erfordert nicht nur die Kenntnis der einen Rechtsverstoß begründenden Tatsachen, sondern gleichermaßen die wenigstens laienhafte und durch vernünftige Beurteilung hervorgebrachte rechtliche Wertung und Vorstellung des Antragstellers, dass der betreffende Vergabevorgang rechtlich zu beanstanden sei. Bloße Vermutungen oder ein Verdacht lösen hingegen ebenso wenig wie grob fahrlässige Unkenntnis eine Rügeobliegenheit aus (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 4.3.2004, Az. Verg 8/4, VergabeR 2004, 511, 513). Die Antragstellerin hat mit anwaltlichen Schreiben vom 22. Februar 2006 gerügt, dass eine Beschaffung im Wege des Abschlusses von Rahmenverträgen mit mehreren Bietern erfolgen solle, deshalb um die einzelnen Lieferverträge kein echter Wettbewerb mehr zwischen den Bietern stattfinde und ferner die Gewichtung der Zuschlagskriterien nicht bekannt gegeben worden sei. Der Umstand, dass die Zuschlagskriterien (noch) nicht gewichtet worden waren, war zwar anhand der am 31. Januar 2006 übersandten Verdingungsunterlagen zu vermuten. In der Regel ist ein Bieter, der einen Vergaberechtsverstoß lediglich vermutet, aber nicht gehalten, seine in tatsächliche oder rechtlicher Hinsicht ungenügenden Kenntnisse zu vervollständigen, insbesondere Nachforschungen anzustellen oder rechtlichen Rat einzuholen. Im Streitfall kann nicht widerlegt werden, dass die Antragstellerin die erforderliche Rechtskenntnis von (möglichen) Vergaberechtsverstößen nicht bereits nach Zugang der am 31. Januar 2006 versandten Verdingungsunterlagen besaß, sondern erst nach anwaltlicher Beratung erlangte.

2. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist aber im Ergebnis unbegründet.

Das Angebot der Antragstellerin - und mit ihm das Angebot der Beigeladenen - ist gemäß § 97 Abs. 1 GWB i.V.m. §§ 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f), 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A zwingend von der Vergabe auszuschliessen.

a. § 97 Abs. 1 GWB und § 2 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A bestimmen, dass der öffentliche Auftraggeber seine Leistungen im Wettbewerb zu beschaffen hat. Nach § 2 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A sind wettbewerbsbeschränkende sowie unlautere Verhaltensweisen zu bekämpfen. § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f) ordnet ergänzend an, dass die Angebote derjenigen Bieter, die in Bezug auf die Vergabe eine unzulässige, wettbewerbsbeschränkende Abrede getroffen haben, ausgeschlossen werden. Der Begriff der wettbewerbsbeschränkenden Abrede im Sinne von § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f) VOL/A ist dabei mit Blick auf den das gesamte Vergabeverfahren beherrschenden Wettbewerbsgrundsatz weit auszulegen. Er ist nicht auf gesetzeswidriges Verhalten beschränkt, sondern umfasst auch alle sonstigen Absprachen und Verhaltensweise eines Bieters, die mit dem vergaberechtlichen Wettbewerbsgebot unvereinbar sind.

Wie der Senat im Beschluss vom 16. September 2003 (VergabeR 2003, 690; siehe auch Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 19.4.2004, VergabeR 2004, 520, 521) entschieden hat, ist wesentliches und unverzichtbares Merkmal einer Auftragsvergabe im Wettbewerb die Gewährleistung eines Geheimwettbewerbs zwischen den an der Ausschreibung teilnehmenden Bietern. Nur dann, wenn jeder Bieter die ausgeschriebenen Leistungen in Unkenntnis der Angebote und Angebotsgrundlagen sowie der Angebotskalkulation seiner Mitbewerber um den Zuschlag anbietet, ist ein echter Bieterwettbewerb möglich. Folgerichtig verpflichtet die Verdingungsordnung für Leistungen den öffentlichen Auftraggeber deshalb auch zur Vertraulichkeit (vgl. § 22 Nr. 1 Satz 1, Nr. 5, Nr. 6 Abs. 1, 2 VOL/A).

Die strenge Ausprägung, die der Vertraulichkeitsgrundsatz in den geltenden Vergaberechtsbestimmungen erfahren hat, dient einerseits dem Schutz der Bieter insoweit, als die Kenntnis der Angebotskalkulation eines Unternehmens einen Einblick in sein Betriebs- und Wirtschaftlichkeitskonzept ermöglicht. Über diese individualschützende Zielrichtung hinaus, bietet der Vertraulichkeitsgrundsatz jedoch auch die Gewähr dafür, dass der öffentliche Auftraggeber seiner gesetzlichen Pflicht zur wirtschaftlichen Beschaffung gerecht werden kann. Gerade weil der einzelne Bieter nicht weiß, welche Konditionen der Konkurrent seiner Offerte zu Grunde legt, wird er, um seine Aussicht auf den Erhalt des Zuschlags zu steigern, bis an die Rentabilitätsgrenze seiner individuell berechneten Gewinnzone kalkulieren. Kennt ein Bieter Leistungsumfang und Preise seines Konkurrenten, muss er nicht mehr potentiell preisgünstigere Angebote unterbieten, sondern braucht sein Angebot nur noch an den ihm bekannten Bedingungen auszurichten. Das Zustandekommen einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache erfordert nicht eine ausdrückliche Verständigung zwischen zwei Unternehmen darüber, wer welche Leistung zu welchem Preis anbietet. Sie ist vielmehr in aller Regel schon dann verwirklicht, wenn ein Angebot in Kenntnis der Bedingungen des Konkurrenzangebots erstellt wird (vgl. Thüringer OLG, Beschl. v. 19.4.2004, 6 Verg 3/04, VergabeR 2005, 520, 521 f.).

Die Antragsgegnerin hatte zwar nicht schon die bloße Abgabe konkurierrender Angebote und den Einsatz der Antragsstellerin als Nachunternehmerin der Beigeladenen, aber die gegebene Sachlage insgesamt zum Anlass für einen Angebotsausschluss nach § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f) VOL/A zu nehmen. Sie musste keine weiteren Nachforschungen darüber anstellen, ob ausnahmsweise eine Beeinträchtigung des Geheimwettbewerbs ausgeschlossen war. Bei der im Streitfall gegebenen Sachlage oblag der Antragstellerin unaufgefordert und bereits mit dem Angebot darzulegen, dass der Geheimwettbewerb zwischen ihr und der Beigeladenen gewahrt war, wenn sie verhindern wollte, dass ihr Angebot ausgeschlossen wurde.

Die zum zwingenden Ausschluss der Angebote der Antragstellerin und der Beigeladen führende Sach- und Rechtslage stellte sich im Streitfall wie folgt dar: Die Antragstellerin ist herrschendes Unternehmen im Sinne des § 36 Abs. 2 GWB, § 17 AktG, denn sie ist Kommanditistin der V... GmbH & Co. KG und hält als Alleingesellschafterin alle Geschäftsanteile an der persönlich haftenden Gesellschafterin, der V... Verwaltungs GmbH. Die miteinander verbundenen Unternehmen (Antragstellerin und Beigeladene) sind infolgedessen als ein einheitliches Unternehmen anzusehen. Dabei ist die Beigeladene eine reine Handelsgesellschaft, die ihre Produktionsmittel der P... p... a.s. in T... zur Verfügung gestellt hat. Sie selbst betreibt keine Produktionsstätten und keine Produktion. Die Antragstellerin tritt nach den tatbestandlichen Feststellungen im Beschluss der Vergabekammer, denen die Antragstellerin nicht entgegengetreten ist, auch bei der vorliegenden Beschaffung als Vorlieferantin der Beigeladenen auf.

Ferner verfügte die Beigeladene im Zeitpunkt der Angebotserstellung und -abgabe über keinen eigenständigen Unternehmenssitz. Sie war am Unternehmenssitz und in den Geschäfträumen der Antragstellerin ansässig. Die Beigeladene beschäftigte neben ihrer Geschäftsführerin keine Mitarbeiter. Die Geschäftsführerin (zugleich Gesellschafterin der Antragstellerin mit einem Geschäftsanteil von 36 %) hatte das Angebot der Beigeladenen unterschrieben. Die Geschäftsführerin der Beigeladenen ist zudem Ehefrau eines maßgebenden Gesellschafters B. S. der Antragstellerin. Dieser unterzeichnete das Angebot der Antragstellerin. Er verfügt seinerseits über 34 % der Geschäftsanteile an der Antragstellerin. Die Außenkontakte beider Unternehmen erfolgen über dieselbe Anschrift und dieselbe Telefaxnummer. Eingehende Post wird mit demselben Eingangsstempel gekennzeichnet. Die Angebote selbst weisen inhaltliche Übereinstimmungen auf. Die Geschäftsführerin der Antragstellerin, K. Sch., ist in beiden Angeboten als Qualitätsbeauftragte benannt. Die Beigeladene ist bei 11 von 12 Preisen günstiger als die Antragstellerin. Ferner boten beide Unternehmen - schriftmäßig identisch - einen Preisnachlass von "0 %" und dieselben Lieferzeiten an. Auch weisen die Angebote in der äußeren Gestaltung die Gemeinsamkeiten auf, dass im Leistungsverzeichnis das Schriftbild, der Zeilenumbruch und der Wortlaut des maschinenschriftlich eingefügten Textes identisch sind. Nur die Schriftgröße ist verschieden. Ferner befinden sich im Anlagenverzeichnis dieselben orthographischen Fehler ("Rahmvertrag" statt "Rahmenvertrag").

Darüber hinaus konnte die Antragstellerin als Nachunternehmerin im Zeitpunkt der Angebotsvorbereitung zumindest eine wesentliche Kalkulationsgrundlage des Angebots der Beigeladenen, nämlich die Subunternehmerpreise. Diese Kenntnis hat die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung nicht in Abrede gestellt. Infolgedessen eröffnen die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen nur einen Scheinwettbewerb. Auf Grund ihrer beherrschenden Stellung gegenüber der Beigeladenen hat die Antragstellerin es in der Hand, die Angebotsinhalte und die Zuschlagsaussichten zu steuern. Wenn dann noch personelle, räumliche und infrastrukturelle Verflechtungen sowie Übereinstimmungen bei den eingereichten Angeboten hinzukommen, ist jedenfalls in einem solchen Fall zu vermuten, dass Kontakte in Bezug auf die Angebotsinhalte stattgefunden haben und der Geheimwettbewerb nicht mehr gewahrt ist. Ob sie selbst oder die von ihr abhängige Beigeladene den Auftrag erhält, ist ohne wirtschaftliche Bedeutung.

Bei einer derartigen Sachlage obliegt - was Gegenstand der Erörterung der Rechtslage im Senatstermin war - dem Bieter nachvollziehbar darzulegen und nachzuweisen, dass und aufgrund welcher besonderen Vorkehrungen der Geheimwettbewerb bei der Angebotserstellung ausnahmsweise gewährleistet war. Sprechen die äußeren Umstände dafür, dass ein Geheimwettbewerb nicht stattgefunden hat, sind die Bedenken vom Bieter unaufgefordert lückenlos auszuräumen. Kommt der Bieter dieser Obliegenheit nicht nach, sind die betroffenen Angebote ohne weiteres auszuschließen (vgl. auch OLG Düsseldorf, 1. Kartellsenat, Beschl. v. 13.9.2004, VI-W 24/04, VergabeR 2005, 117, 118). Der Auftraggeber ist bei dieser Sachlage zu Aufklärungsmaßnahmen zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet. Er hat deshalb vor einem Angebotsauschluss nicht von sich aus durch Nachforschungen darüber aufzuklären, ob trotz der Parallelangebote der Geheimwettbewerb durch besondere Maßnahmen sichergestellt worden ist. Vielmehr obliegt es allein dem Bieter, der durch Abgabe seines Parallelangebots die Wahrung des Geheimwettbewerbs selbst nachhaltig in Zweifel gezogen hat, bereits mit seinem Angebot diejenigen besonderen Umstände und Vorkehrungen bei der Angebotserstellung und -abgabe aufzuzeigen und nachzuweisen, die ausnahmsweise einem Angebotsauschluss entgegen stehen. Dieser Mitwirkungsobliegenheit ist die Antragstellerin weder bei der Angebotsabgabe noch im Nachprüfungsverfahren nachgekommen.

b. Dies hat zur Folge, dass die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen vom weiteren Vergabeverfahren auszuschliessen sind. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin steht dieser Rechtsfolge der Beschluss des Kammergerichts vom 15. April 2004 (2 Verg 22/03, VergabeR 2004, 762, 765 - IT Hardware) nicht entgegen, soweit darin ausgeführt ist, es komme bei einem schwerwiegenden Mangel des Vergabeverfahrens nicht darauf an, ob das Angebot des Antragsteller an einem "lokalen" Mangel leide und zwingend auszuschliessen sei.

Die Rechtssätze der Entscheidung des Kammergerichts sind auf den Streitfall nicht übertragbar, da die Sachverhalte anders gelagert sind. Das Angebot der Antragstellerin ist mit keinem lediglich "lokalen" Mangel, sondern mit einem gewichtigen Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz behaftet. Die Wahrung des Geheimwettbewerbs zwischen den Bietern ist ein zentrales Gebot des Vergaberechts. Verstöße ziehen zwingend einen Ausschluss von der Wertung nach sich. Gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. f) VOL/A liegt der Grund dafür in einer wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise "in Bezug auf die Vergabe". Weist die Wettbewerbsbeschränkung aber einen Bezug zu der Vergabe auf, muss sich - gewissermaßen spiegelbildlich - auch die Ausschlusswirkung auf die Vergabe, mithin auf das gesamte Beschaffungsvorhaben, erstrecken. Sofern - wie im Fall des Kammergerichts und wie die Antragstellerin für sich reklamiert - das Vergabeverfahren an einem so schwerwiegenden Mangel leidet, dass es aufgehoben werden muss, ist den betroffenen Bietern infolgedessen keine "zweite Chance" in der Weise zu gewähren, dass sie sich im wiederholten Vergabeverfahren mit einem neuen Angebot um den Zuschlag bewerben können. Mit dieser Auslegung weicht der Senat nicht von der Entscheidung des Kammergerichts ab. Im Fall des Kammergerichs wahrte das Angebot nicht die in den Verdingungsunterlagen aufgestellten Ausschlusskriterien. Im vorliegenden Verfahren betrifft der Wettbewerbsverstoß der Antragstellerin das Vergabevorhaben als solches. Dass der Rechtsverstoß in einem derartigen Fall nur dadurch zu ahnden ist, dass die betroffenen Bieter von der Vergabe insgesamt ferngehalten werden, wird im Sinn einer Kontrollüberlegung durch die Vorschrift des § 7 Nr. 5 lit. c) VOL/A bestätigt. Dieser Bestimmung zufolge können Bewerber von der Teilnahme am Wettbewerb - mithin ebensowenig beschränkt auf das betreffende Vergabeverfahren - ausgeschlossen werden, die nachweislich eine schwere Verfehlung begangen haben, die ihre Zuverlässigkeit als Bewerber in Frage stellt. Kraft dieser Vorschrift darf die Antragstellerin vom neuen Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, und sie müsste im Wege einer Ermessensreduzierung auf Null davon sogar ausgeschlossen werden, wenn der Ausschlusstatbestand ernstgenommen wird.

c. Da die Antragstellerin von der Vergabe auszuschießen ist, berührt der weitere Fortgang des Vergabeverfahrens weder ihre Interessen noch kann sie durch etwaige andere Vergaberechtsverstöße in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt sein (vgl. BGH VergabeR 2003, 313, 318). Es kommt daher für die Entscheidung insbesondere nicht darauf an, ob die Antragstellerin durch die Nichtbekanntgabe der Gewichtung der Zuschlagskriterien und der Unterkriterien zum Zuschlagskriterium "Qualität" sowie dadurch in Bieterrechten betroffen sein kann, dass nicht alle Bedingungen des Rahmenvertrags festgelegt waren und insbesondere nicht diejenigen Bedingungen bekanntgegeben worden sind (sowie ebensowenig festgelegt worden waren), unter denen die Einzelaufträge vergeben werden sollten.

3. Der gesellschaftsrechtliche Verflechtungen der Antragsgegnerin mit der I... D... GmbH, die den Zuschlag erhalten soll, betreffende und in den Grundzügen schon im Senatstermin angebrachte Vortrag des nicht nachgelassenen Schriftsatzes der Antragstellerin vom 11.7.2006 gibt keine Veranlassung zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung und demnach ebensowenig zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (entsprechend § 156 ZPO). Das Vorbringen der Antragstellerin ist unerheblich. Die Antragsgegnerin soll über ihre Mehrheitsgesellschafterin, die L...gesellschaft mbH, über deren gleichberechtigte Gesellschafterin L... A… D... GmbH, deren US-amerikanische Muttergesellschaft und deren Beteiligung an einem mit der spanischen I... S.A. gehaltenen Gemeinschaftsunternehmen über eine gesellschaftliche Verbindung zur I... D... GmbH verfügen und deswegen bestrebt sein, diese mit einem Großauftrag auf dem deutschen Markt einzuführen. Abgesehen davon, dass eine Verbindung von dem spanischen Gemeinschaftsunternehmen zur I... D... GmbH nicht nachvollziehbar dargelegt worden ist, es am Vortrag einer lückenlosen Verbindung zur Antragsgnerin also fehlt und die Antragsgegnerin nach eigener Darstellung der Antragstellerin auch über keine unmittelbare gesellschaftsrechtliche Verbindung zur I... D... GmbH verfügt, ist von der Antragstellerin nicht behauptet und - schon im Ansatz - erst recht nicht belegt worden, dass durch die Beteiligung der I... D... GmbH am Vergabeverfahren der Wettbewerb verfälscht worden sei, dies insbesondere dadurch, dass die I... GmbH über wettbewerbsrelevante Informationen verfügte, die anderen Bietern nicht zuteil geworden sind, und dass sie diese zu einem Wettbewerbsvorsprung ausnutzen konnte. Ein Anlass, die I... D... GmbH wegen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens von der Auftragsvergabe auszuschließen, besteht demnach nicht, zumal die Antragstellerin - da sie selbst vom Wettbewerb auszuschließen ist - dadurch in Bieterrechten nach § 97 Abs. 7 GWB nicht verletzt sein kann. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen (oben unter 2.c). Unabhängig davon ist den von der Antragstellerin behaupteten Zusammenhängen der Fall vergleichbar, dass an einer Ausschreibung ein gemischtwirtschaftliches Beteiligungsunternehmen der öffentlichen Hand teilnimmt. Dies ist vergaberechtlich im Grundsatz genauso unbedenklich, wie es die Beteiligung der I... D... GmbH am Wettbewerb ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Gegenstandwerts beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.

D. D.-B. Richterin am OLG F. ist urlaubsbedingt ortsab- wesend und gehindert zu unterschreiben D.






OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 27.07.2006
Az: VII-Verg 23/06


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