Bundespatentgericht:
Beschluss vom 25. Mai 2000
Aktenzeichen: 23 W (pat) 44/98
(BPatG: Beschluss v. 25.05.2000, Az.: 23 W (pat) 44/98)
Tenor
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß des Deutschen Patentamts - Prüfungsstelle für Klasse H05K - vom 8. Juni 1998 aufgehoben.
Das Patent 197 17 909 wird mit folgenden Unterlagen erteilt:
Patentansprüche 1 und 2 und Beschreibung Seiten 1 bis 4a in der in der mündlichen Verhandlung überreichten Fassungsowie Beschreibung Spalte 2, Zeile 63 ab den Worten "der innere Bereich 17" und Spalte 3 sowie Zeichnung eine Figur in der offengelegten Fassung B e z e i c h n u n g : Elektrisches Gerät A n m e l d e t a g : 24. April 1997.
Gründe
I Die vorliegende Patentanmeldung ist mit der Bezeichnung "Elektrisches Gerät" am 24. April 1997 beim Deutschen Patentamt eingereicht worden.
Mit Beschluß von 8. Juni 1998 hat die zuständige Prüfungsstelle für Klasse H05K des Deutschen Patentamts die Anmeldung zurückgewiesen.
Die Prüfungsstelle hat ihre Entscheidung damit begründet, daß der Gegenstand nach dem damaligen Patentanspruch 1 im Hinblick auf den durch die deutsche Offenlegungsschrift 43 32 716 und das RITTAL Handbuch 28, Seiten 160 und 161 (beim Deutschen Patentamt eingegangen am 10. November 1994) belegten Stand der Technik iVm den üblichen fachmännischen Kenntnissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
Mit dem Schreiben vom 3. Mai 2000 hat die Anmelderin neue Patentansprüche vorgelegt, deren Fassung vom Stand der Technik gemäß der europäischen Offenlegungsschrift 0 716 564 ausgeht, vgl. Blatt 1 des Bezugsschreibens.
Als weiterer Stand der Technik wurde vom Senat mit der Zwischenverfügung vom 15. Mai 2000 das deutsche Gebrauchsmuster 86 26 092 in das Beschwerdeverfahren eingeführt. Weiter überreichte die Anmelderin in der mündlichen Verhandlung eine Ablichtung der Seite 8 des Dokuments 6201-3-R3-M-0/1.0 der Siemens AG aus dem Jahre 1993 zur Spezifikation der Feldgeräte 6 MB 5240-0/1/2 gemäß Bild 1 "Gerätekonzept (HS)MS-Feldgerät" zum Beleg der von der Anmelderin selbst als Stand der Technik geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung.
Schließlich überreichte die Anmelderin in der mündlichen Verhandlung Patentansprüche 1 und 2 und vertrat die Auffassung, daß dem Patentgegenstand nach Anspruch 1 der vorstehend genannte Stand der Technik auch in Verbindung mit den weiteren im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patentamt ermittelten Druckschriften nicht patenthindernd entgegenstehe.
Die Anmelderin beantragt, den Beschluß des Deutschen Patentamts - Prüfungsstelle für Klasse H05K - vom 8. Juni 1998 aufzuheben und das Patent 197 17 909 mit folgenden Unterlagen zu erteilen: Patentansprüche 1 und 2 und Beschreibung Seiten 1 bis 4a in der in der mündlichen Verhandlung überreichten Fassung und Beschreibung Spalte 2, Zeile 63 ab den Worten "der innere Bereich 17" und Spalte 3 sowie Zeichnung, eine Figur, in der offengelegten Fassung.
Der geltende Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
"1. Elektrisches Gerät mit - einem mindestens an seiner Frontseite offenen Gehäuse (1),
- einem einteiligen Formkörper (14) mit einer Frontplatte und einem Frontrahmen, wobei der Formkörper (14) auf seiner Rückseite (15) einen äußeren umlaufenden Rand (16) aufweist,
- einer Display-Einheit (19) und weiteren Schaltungskomponenten auf einer Schaltungsplatine (18), die auf der Rückseite (15) des Formkörpers (14) derart gehalten ist, dass die Display-Einheit (19) innerhalb des äußeren Randes (16) liegt, und - einer an der Vorderseite des Formkörpers (14) angeordneten Tastatur, dadurch gekennzeichnet, daß
- die Tastatur Bestandteil einer Frontfolie (23) ist, die auf eine frontseitige Platte (26) aus Federblech aufgebracht ist,
- die frontseitige Platte (26) an ihrem Rande aus dem Federblech rechtwinklig nach hinten abgebogene Kontaktfedern (30) aufweist,
- die frontseitige Platte (26) auf die Vorderseite des Formkörpers (14) aufgeschnappt ist, wobei die Kontaktfedern (30) durch Schlitze (31) im Formkörper (14) unter Herstellen einer galvanischen Verbindung mit den Seitenwänden (32, 33) des Gehäuses (1) geführt sind und - die Schaltungsplatine (18) und die weiteren Schaltungskomponenten ebenfalls innerhalb des äußeren Randes (16) des Formkörpers (14) liegen."
Zu dem Unteranspruch 2 und bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet, denn der Gegenstand des nunmehr geltenden Patentanspruchs 1 erweist sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung als patentfähig.
1) Sämtliche Patentansprüche sind zulässig, denn alle Anspruchsmerkmale sind für den Durchschnittsfachmann - einen berufserfahrenen, mit der Entwicklung von Gehäusen insbesondere für elektrische Geräte befaßten Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit Fachhochschulabschluß - aus der Gesamtheit der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart herzuleiten.
Der geltende Patentanspruch 1 geht im wesentlichen auf die ursprünglichen Ansprüche 1 und 5 zurück, wobei die galvanische Verbindung der Kontaktfedern (30) mit den Seitenwänden (32, 33) des Gehäuses (1) auf Seite 6, 2. Abs der ursprünglichen Beschreibung offenbart ist.
Eine Tastatur als Bestandteil einer Frontfolie ist von der Anmelderin nur im Zusammenhang mit der von ihr selbst geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung von HS- und MS-Feldgeräten offenbart, vgl. ursprüngliche Beschreibung Seite 1, 2. Abs. Nachdem die Anmelderin ursprünglich von diesen elektrischen Geräten mit einer in der Frontfolie integrierten Tastatur ausging, um diese weiterzuentwickeln, müssen Merkmale dieser Ausgangsgeräte auch beim weiterentwikkelten erfindungsgemäßen elektrischen Gerät als offenbart angesehen werden, zumal dem Fachmann aufgrund seiner Fachkenntnisse die Verwendung von Frontfolien mit integrierter Tastatur geläufig ist.
2) Die Patentanmeldung geht nach den Angaben der Anmelderin in der geltenden Beschreibung Seite 1, 2. Abs im Oberbegriff des Anspruchs 1 von einem elektrischen Gerät nach der gattungsbildenden europäischen Offenlegungsschrift 0 716 564 aus.
Dieses elektrische Gerät weist eine vorderseitige, in einer Frontplatte (8) angeordnete Tastatur (24) und einen einteiligen Formkörper (9) mit einem rückseitigen äußeren umlaufenden Rand (14) auf, auf dem eine Schaltungsplatine (3) aufliegt, während die an dieser Schaltungsplatine angebrachte Display-Einheit (10) innerhalb des umlaufenden Randes des Formkörpers liegt, vgl. die Figuren 1 bis 4 nebst der dazugehörigen Beschreibung. Hierdurch ergibt sich zwar bereits eine relativ kompakte Bauweise des elektrischen Gerätes; aufgrund der speziellen Tastatur dieses Gerätes ist dessen Montage jedoch fertigungstechnisch aufwendig und darüber hinaus ist dieses vorbekannte Gerät nicht EMV-verträglich, vgl. Vorteile gemäß geltender Beschreibung Seite 3, 2. Abs.
Daher liegt der vorliegenden Erfindung die Aufgabe zugrunde, das vorstehend erläuterte elektrische Gerät unter Beibehaltung der kompakten Bauweise fertigungstechnisch günstig und EMV-verträglich auszuführen, vgl. Beschreibung Seite 2, le Abs.
Die Lösungsmaßnahmen sind im einzelnen im Patentanspruch 1 angegeben.
Die wesentlichen Lösungsmaßnahmen bestehen demnach darin, daß die Frontfolie mit der darin integrierten Tastatur auf eine frontseitige Platte aus Federblech aufgebracht ist und die frontseitige Platte auf die Vorderseite des Formkörpers derart aufgeschnappt ist, daß die nach hinten abgebogenen Kontaktfedern der frontseitigen Platte durch Schlitze des Formkörpers hindurch die Seitenwände des Gehäuses kontaktieren.
3) Der Anmeldungsgegenstand nach dem Patentanspruch 1 ist gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik neu (PatG § 3), da - wie es sich aus der nachfolgenden Abhandlung zur erfinderischen Tätigkeit ergibt - in keiner Druckschrift des ermittelten Standes der Technik ein elektrisches Gerät offenbart ist, das die vorstehend als wesentliche Lösungsmaßnahmen zusammengefaßte Merkmalskombination bezüglich des Zusammenwirkens von Frontfolie, frontseitiger Platte mit nach hinten abgebogenen Kontaktfedern, Formkörper und Gehäuseseitenwänden aufweist.
4) Die gewerblich anwendbare Erfindung (PatG § 5) beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, denn die Lehre gemäß dem Patentanspruch 1 ergibt sich für den in Betracht zu ziehenden, vorstehend definierten Durchschnittsfachmann nicht in naheliegender Weise aus dem nachgewiesenen Stand der Technik (PatG § 4).
Das gattungsgemäße elektrische Gerät nach der europäischen Offenlegungsschrift 0 716 564 weist einen einteiligen Formkörper (front casing 9) auf, an dessen Vorderseite eine frontseitige Platte (front panel 8) montiert ist, und der auf seiner Rückseite einen umlaufenden Rand (square casing 14) aufweist, in dessen Innenraum die Display-Einheit (numeric display 10) derart eingebaut wird, daß die die Display-Einheit (10) tragende Schaltungsplatine (front panel 3 printed circuit board) auf dem rückwärtigen Rand (14) aufliegt, so daß die Display-Einheit (10) innerhalb des rückwärtigen Randes liegt, vgl. Figuren 1 bis 6 mit zugehöriger Beschreibung in den Spalten 8 bis 10. Innerhalb des vom rückwärtigen Rand (14) definierten Raumes ist in einem Teil (compartment 18) eine Tastatur (keyswitch assembly 24) derart eingebaut, daß die Tasten (keys 30, 31) durch die frontseitige Platte (8) hindurchgehen, vgl. Figuren 1 und 3 iVm der Beschreibung Spalte 9, 3. Abs. Schließlich werden mit der Schaltungsplatine (3) weitere Leiterplatten (upper and lower panels 4, 5 and left and right panels 6, 7 defining the printed circuit board assembly) verbunden und die ganze Anordnung wird in ein Gehäuse (rear casing) eingebaut, vgl. Figur 1 bis 4 iVm der Beschreibung Spalte 8, Zn 24 bis 32; Spalte 10, 5. und 6. Abs.
In dieser gattungsbildenden Druckschrift ist von EMV-Verträglichkeit des elektrischen Geräts keine Rede, so daß diese Druckschrift dem Fachmann keinen Hinweis geben kann, die frontseitige Platte aus Federblech mit nach hinten abgebogenen Kontaktfedern auszubilden und diese frontseitige Platte auf die Vorderseite des Formkörpers derart aufzuschnappen, daß die nach hinten abgebogenen Kontaktfedern der frontseitigen Platte durch Schlitze des Formkörpers hindurch die Seitenwände des Gehäuses galvanisch kontaktieren.
Das elektrische Gerät (HS- oder MS-Feldgerät) gemäß der Spezifikation der Feldgeräte 6 MB 5240-0/1/2 (a.a.O.) weist zwar ein nach vorne offenes Gehäuse sowie einen einteiligen Formkörper (Kunststoffrahmen 1) mit einem rückwärtigen Rand auf, in dessen rückwärtigen Innenraum eine Frontfolie (2) mit integrierter Tastatur zusammen mit einer die Display-Einheit (Graphikdisplay 4) tragenden frontseitigen Platte (Frontplatte 3) eingebaut werden.
Ganz abgesehen davon, daß auch in dieser Spezifikation von EMV-Verträglichkeit des elektrischen Gerätes keine Rede ist, erhält der Fachmann hieraus gerade wegen der rückseitigen Montage der Frontfolie sowie der frontseitigen Platte keinen Hinweis, die frontseitige Platte aus Federblech mit nach hinten abgebogenen Kontaktfedern auszubilden und diese frontseitige Platte auf die Vorderseite des Formkörpers derart aufzuschnappen, daß die nach hinten abgebogenen Kontaktfedern der frontseitigen Platte durch Schlitze des Formkörpers hindurch die Seitenwände des Gehäuses galvanisch kontaktieren.
Das deutsche Gebrauchsmuster 91 15 845 befaßt sich zwar mit EMV-verträglichen Gehäusen von Baugruppenträgern, jedoch ist dort die frontseitige Platte (Frontplatte 6) aus Aluminium gebildet und nicht aus einem Federblech, so daß zusätzliche Blattfedern (21) erforderlich sind, vgl. Figur 2 iVm der Beschreibung auf Seite 4 und 5. Diese Druckschrift vermag noch nicht einmal eine frontseitige Platte mit den hierzu im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen anzuregen.
Das deutsche Gebrauchsmuster 86 26 092 befaßt sich ebenfalls mit EMV-verträglichen Gehäuseeinheiten, vgl. dort die angesprochene Schirmung insbes. auf Seite 5, Ende des 1. Abs. Dort ist eine Rückwand (4) aus Federblech gebildet und in einem umgebogenen Rand (Lasche 23) mit Kontaktfedern (federnde Zungen 22) versehen, die in eine Kammer (14) der stabilen Gehäuse-Seitenwände (1) eingepreßt werden, um sowohl die mechanische Halterung als auch einen guten galvanischen Kontakt zu gewährleisten, vgl. dort Figur 3 bis 5 iVm der Beschreibung Seite 5, le Abs bis Seite 6, 2. Abs.
Somit könnte dieses Gebrauchsmuster den Fachmann allenfalls zu einer zu der Rückwand (4) analogen frontseitigen Platte mit nach hinten umgebogenen Kontaktfedern anregen, jedoch nicht das spezielle Zusammenwirken der frontseitigen Platte mit einem einteiligen Formkörper nahelegen, derart, daß die frontseitige Platte mit nach hinten umgebogenen Kontaktfedern auf das Formteil aufgeschnappt ist, wobei die Kontaktfedern durch Schlitze im Formkörper unter Herstellen einer galvanischen Verbindung mit den Seitenwänden des Gehäuses geführt sind.
Nachdem die übrigen im Prüfungsverfahren genannten Entgegenhaltungen, einschließlich der von der zuständige Prüfungsstelle als besonders relevant angesehenen deutschen Offenlegungsschrift 43 32 716, ihrem Inhalt nach nicht über den Inhalt der vorstehend abgehandelten Druckschriften hinausgehen, beruht das elektrische Gerät gemäß Patentanspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns. Somit ist das elektrische Gerät nach Patentanspruch 1 patentfähig.
5) An den Patentanspruch 1 kann sich der auf ihn zurückbezogene Unteranspruch 2 anschließen, denn dieser hat eine vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausführungsform des elektrischen Geräts nach dem Anspruch 1 zum Gegenstand, deren Patentfähigkeit von derjenigen des Gegenstandes des Hauptanspruchs mitgetragen wird.
6) Die geltende Beschreibung erfüllt die an sie zu stellenden Anforderungen hinsichtlich der Wiedergabe des maßgeblichen Standes der Technik und bezüglich der Erläuterung des beanspruchten elektrischen Geräts in Verbindung mit der Zeichnung.
Dr. Beyer Dr. Gottschalk Tronser Lokys Fa
BPatG:
Beschluss v. 25.05.2000
Az: 23 W (pat) 44/98
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