Oberlandesgericht Stuttgart:
Beschluss vom 15. Februar 2007
Aktenzeichen: 901 Kap 1/06

(OLG Stuttgart: Beschluss v. 15.02.2007, Az.: 901 Kap 1/06)

Das einvernehmliche vorzeitige Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden einer Aktiengesellschaft ist eine unverzüglich zu veröffentlichende Insiderinformation gemäß § 37 b Abs. 1 WpHG erst, wenn der nach § 84 Abs. 2 AktG ausschließlich zuständige Aufsichtsrat den entsprechenden Beschluss gefasst hat.

Tenor

Es wird festgestellt, dass durch die Vorgänge im Zusammenhang mit dem vorzeitigen Ausscheiden des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Musterbeklagten, Prof. S., eine Insiderinformation im Sinne des § 37 b Abs. 1 WpHG erst am 28.7.2005 um ca. 9.50 Uhr entstanden ist und dass die Musterbeklagte diese unverzüglich veröffentlicht hat.

Gründe

A)

Das Landgericht Stuttgart verkündete am 3.7.2006 folgenden Vorlagebeschluss (Blatt 411 bis 425 der Beiakten Landgericht Stuttgart, 21 O 408/05), der mit Beschluss vom 20.7.2006 berichtigt wurde (Blatt 432 f. der Beiakten):

Dem Oberlandesgericht Stuttgart wird das Verfahren zur Herbeiführung eines Musterentscheids gemäß § 4 Abs. 1 KapMuG vorgelegt, um im Rahmen des Feststellungsziels - Rechtzeitigkeit der Ad-hoc-Mitteilung über das Ausscheiden des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten Prof. S. - über folgende Anträge (Streitpunkte) zu entscheiden:

Es wird festgestellt,

1. dass spätestens seit Mitte Mai 2005 oder jedenfalls zu irgendeinem späteren Zeitpunkt vor dem 28.7.2005, 10:32 Uhr, insbesondere seit dem 15.7.2005, jedenfalls seit dem 19.7.2005 oder jedenfalls spätestens seit dem 27.7.2005 durch die Vorgänge im Zusammenhang mit dem vorzeitigen Ausscheiden des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, Herrn Prof. S., eine Insiderinformation im Sinne des § 37 b Abs. 1 WpHG entstanden ist und die Beklagte diese nicht unverzüglich veröffentlicht hat.

2. hilfsweise, dass die Voraussetzungen einer Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG bis zur Entscheidung des Aufsichtsrats am 28.7.2005 um ca. 9:50 Uhr vorgelegen haben.

3. weiter hilfsweise, dass die Beklagte kraft Gesetzes von der Pflicht zur Veröffentlichung nach § 15 Abs. 3 WpHG befreit war, da die Voraussetzungen einer Selbstbefreiung bis zur Entscheidung des Aufsichtsrats am 28.7.2005 um ca. 9:50 Uhr vorgelegen haben.

4. weiter hilfsweise, dass die tatbestandsauschließende Wirkung des § 15 Abs. 3 S. 1 WpHG unabhängig davon greift, ob die Beklagte ihrer Verpflichtung nach § 15 Abs. 3 S. 4 WpHG nachgekommen ist, der BaFin die Gründe für eine etwaig erforderliche Selbstbefreiung mitzuteilen.

5. weiter hilfsweise, dass ein Schadenersatzanspruch nach § 37 b Abs. 1 Nr. 2 WpHG im Zusammenhang mit der Ad-hoc-Mitteilung zum vorzeitigen Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens auch dann nicht in Betracht käme, wenn eine formelle Entscheidung über die Selbstbefreiung oder eine Mitteilung an die BaFin erforderlich gewesen sein soll.

6. weiter hilfsweise, dass die Beklagte weder vorsätzlich noch grob fahrlässig die rechtzeitige Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung zum vorzeitigen Ausscheiden ihres Vorstandsvorsitzenden unterlassen hat.

7. dass im Falle der Geltendmachung des Kursdifferenzschadens bei § 37 b WpHG die Kläger keinen individuellen Vortrag zur haftungsbegründenden Kausalität darlegen und beweisen müssen.

8. dass in den Schutzbereich des § 37 b Abs. 1 WpHG sowohl die Haftung auf Rückgängigmachung der vom Anleger getätigten Anlageentscheidung als auch die Haftung auf die Kursdifferenz fällt.

9. dass der Kursdifferenzschaden nach § 37 b WpHG anhand des hypothetischen Kursanstiegs der Aktie der Beklagten nach dem Zeitpunkt zu ermitteln ist, an dem die Beklagte gemäß § 15 Abs. 1 WpHG zur Veröffentlichung des vorzeitigen Ausscheidens von Prof. S. verpflichtet gewesen ist.

10. weiter hilfsweise, dass Anleger, die in der Zeit seit Mitte Mai 2005 bis zum 28.7.2005 D.C.-Aktien veräußert haben, als Schadenersatz nicht die Differenz zwischen dem Kurs, zu dem sie ihre Aktien veräußert haben und dem Schlusskurs am 28.7.2005, sondern nur in Höhe eines absoluten Eurobetrages je verkaufter D.C.-Aktie verlangen können, um den der Aktienkurs der D.C.-Aktie am Stichtag des 28.7.2005 nachweisbar in Folge der Ad-hoc-Mitteilung zum vorzeitigen Ausscheiden von Herrn Prof. S. angestiegen ist, da die Anleger andernfalls einen Ersatz für das allgemeine Marktrisiko erhielten.

11. weiter hilfsweise im Hinblick auf die Berechnung des Differenzschadens, in welcher Höhe der Aktienkurs der D.C.-Aktie am 28.7.2005 - ausgedrückt als absoluter Eurobetrag - nachweisbar infolge der Ad-hoc-Mitteilung zum vorzeitigen Ausscheiden von Herrn Prof. S. angestiegen ist.

B)

I.

Der Musterkläger verlangt (aus abgetretenem Recht) von der Musterbeklagten Schadenersatz (Kursdifferenzschaden durch den hypothetischen Kursanstieg) wegen verspäteter Ad-hoc-Mitteilung über das vorzeitige Ausscheiden des damaligen Vorstandsvorsitzenden der Musterbeklagten, Herrn Prof. S., und die Übernahme der Nachfolge durch Herrn Dr. Z..

Der Aufsichtsrat der Musterbeklagten beschloss in der Sitzung vom 28.7.2005 gegen 9.50 Uhr, dass der damalige Vorstandsvorsitzende Prof. S. zum 31.12.2005 aus dem Amt ausscheiden und Dr. Z. neuer Vorstandsvorsitzender werden solle. Dies teilte die Musterbeklagte den Geschäftsführungen der Börsen und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um 10.02 Uhr mit.

Um 10.32 Uhr erfolgte die Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung in der Meldungsdatenbank der DGAP (Deutsche Gesellschaft für Ad-hoc-Publizität).

Zuvor waren um 9.30 Uhr die Ergebnisse des zweiten Quartals 2005 ebenso mitgeteilt worden.

Bereits nach Mitteilung der Ergebnisse des zweiten Quartals 2005 stieg der Kurswert der Aktien der Musterbeklagten. Nach der weiteren Mitteilung über das Ausscheiden stieg der Aktienkurs noch an demselben Tag auf 40,40 Euro, in der Folge auf 42,95 Euro.

Der Vater des Musterklägers hatte vor Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung Aktien der Musterbeklagten verkauft, nämlich am 16.5.2005 100 Aktien zum Kurswert von 31,85 Euro und am 28.7.2005 um 9.00 Uhr 800 Aktien zum Kurswert von 36,50 Euro (K 2 und K 3).

Im April 2004 war der Vertrag des damaligen Vorstandsvorsitzenden Prof. S. bis zum Jahre 2008 verlängert worden.

Nach der Hauptversammlung vom 6.4.2005 trug dieser sich zunehmend mit dem Gedanken, vor Ablauf seiner bis in das Jahr 2008 reichenden Bestellung aus dem Vorstand auszuscheiden; seine Ehefrau, die als Führungskraft sein Büro betreute, war in diese Gedankengänge eingeweiht.

Am 17.5.2005 diskutierte Prof. S. seine Überlegungen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden K..

Am 1.6.2005 wurden die Aufsichtsratsmitglieder W. und L. über die Pläne von Prof. S. informiert.

Spätestens am Rande der Vorstandssitzung vom 15.6.2005 setzte Prof. S. Dr. Z. von seinen Überlegungen in Kenntnis.

Ab dem 10.7.2005 arbeiteten Kommunikationschef Sch., Frau S. und die seit 6.7.2005 informierte Chefsekretärin Frau B. an einer Pressemitteilung, einem externen Statement und einem Mitarbeiterbrief.

Die Tagesordnung vom 13.7.2005 für die Aufsichtsratssitzung am 28.7.2005 enthielt keinen Hinweis auf einen möglichen Wechsel in der Führungsspitze (B 9, Blatt 360 der Beiakten).

Am 18.7.2005 verständigten sich Prof. S. und der Aufsichtsratsvorsitzende K. in Anwesenheit von Herrn Sch. darauf, das vorzeitige Ausscheiden sowie die Nachfolge durch Dr. Z. zum Ende des Jahres in der Aufsichtsratssitzung vom 28.7.2005 vorzuschlagen.

Am 25.7.2005 teilte Prof. S. dem Vorsitzenden des Konzern- und Gesamtbetriebsrates sowie Aufsichtsratsmitglied Kl. diese Absicht mit.

Am Vormittag des 27.7.2005 wurden die Aufsichtsratsmitglieder Dr. K. und Dr. S. in ihrer Funktion als Mitglieder des vom Aufsichtsrat gebildeten Präsidialausschusses informiert. Um 17.00 Uhr fand eine Sitzung des Präsidialausschusses statt, an der neben dem Vorsitzenden K. dessen Stellvertreter Kl. und die weiteren Mitglieder Dr. K. und Dr. S. teilnahmen.

Um 18.30 Uhr teilte Prof. S. die beabsichtigten Personalmaßnahmen Dr. C. mit, der damals in der Öffentlichkeit ebenfalls als möglicher Nachfolger des Vorstandsvorsitzenden galt.

Um 19.30 Uhr wurden die weiteren Aufsichtsratsmitglieder G., L., L., O. und W. informiert (vgl. Aufstellung der Musterbeklagten mit Schreiben vom 2.9.2005 an die Staatsanwaltschaft Stuttgart, K 27, Blatt 315 ff. der Beiakten).

Der Musterkläger trägt zum Streitpunkt Ziffer 1 (Hauptantrag) vor, bereits vor der Vertragsverlängerung im April 2004 seien sich der Aufsichtsratsvorsitzende K. und der Vorsitzende des Konzern- und Gesamtbetriebsrates Kl. einig gewesen, dass Prof. S. das Amt noch maximal zwei bis drei Jahre ausüben solle. Die Bestellung sei nur bis 2008 verlängert worden, um in Ruhe und insbesondere ohne Beteiligung der Öffentlichkeit die Nachfolgeregelung entwickeln zu können (Blatt 53 der Beiakten).

Im Mai 2005 seien die Herren Prof. S. und K. in die USA zum damaligen Chrysler-Vorstand Dr. Z. gereist, um diesem den Vorstandsvorsitz anzutragen, wozu dieser sich bereit erklärt habe (Blatt 54 der Beiakten).

Bereits im Mai 2005 habe zwischen den Herren Prof. S., K. und Kl. das vorzeitige Ausscheiden festgestanden (Blatt 56 der Beiakten).

Die Vertraulichkeit der Pläne sei bereits ab Mai 2005 nicht mehr gewährleistet gewesen, was sich an dem durch Insidergeschäfte gestiegenen Aktienkurs gezeigt habe. Kommunikationschef Schick habe gegenüber einem Mitarbeiter der Musterbeklagten geäußert, dass Prof. S. zurücktreten werde. Der Rücktrittszeitpunkt solle so gewählt werden, dass er möglichst wenig auffalle. Diese unbekannte Person habe die Information am 16.7.2005 telefonisch dem Spediteur S. mitgeteilt, und dieser habe sie dann weiteren Personen, u.a. dem Sprecher des Verbandes kritischer Daimler-Aktionäre G. weitergegeben (Blatt 58 der Beiakten).

Am 19.7.2006 habe Prof. S. bei einer Abendveranstaltung zu dem Thema Corporate Governance im Beisein mehrerer hoher Wirtschaftsvertreter geäußert, er habe in der kommenden Woche etwas zu verkünden, was den Kurs der D.C.-Aktie steigern werde (Blatt 61 der Beiakten).

Für den Aufsichtsrat habe die vorgeschlagene Änderung der Führungsspitze des Unternehmens keine Überraschung dargestellt.

Ein wesentlicher Teil des Aufsichtsrates sei bereits vor der Sitzung am 28.7.2005 informiert gewesen, weshalb die Musterbeklagte eine kontroverse Diskussion in der Aufsichtsratssitzung nicht erwartet habe, zumal der Aufsichtsrat der Beschlussempfehlung seines Vorsitzenden K. bislang immer gefolgt sei (Blatt 65 der Beiakten).

Über den Aufsichtsratsvorsitzenden K. habe die D. Bank AG vom bevorstehenden Wechsel an der Führungsspitze erfahren und deshalb die am 28.7.2005 getätigten Aktienverkäufe für 13,8 Mio. Euro bereits vorbereitet gehabt (Blatt 68 der Beiakten).

Die Musterbeklagte trägt zum Streitpunkt Ziffer 1 (Hauptantrag) vor, die behauptete Abrede zwischen den Herren K. und Kl. habe es nicht gegeben. Die Bestellung von Prof. S. zum Vorstandsvorsitzenden für eine weitere Amtszeit sei ohne Bedingungen und Auflagen erfolgt (Blatt 94 der Beiakten).

In dem Gedankenaustausch zwischen den Herren Prof. S. und K. sei ein einseitiger Rücktritt oder ein Rücktrittsangebot nicht erklärt worden. Vielmehr sei schnell deutlich geworden, dass ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Amt nur dann in Betracht zu ziehen sein könnte, wenn es gelänge, eine einvernehmliche Nachfolgeregelung zu finden (Blatt 20 und 323 der Beiakten). Die behauptete USA-Reise habe es nie gegeben (Blatt 97 der Beiakten). Nicht zutreffend sei, dass die Vertraulichkeit der Pläne ab Mai 2005 nicht mehr gewährleistet gewesen sei. Der Klagvortrag zu Äußerungen gegenüber einem unbekannten Mitarbeiter sowie zu deren telefonischer Weitergabe an Dritte werde bestritten. Prof. S. habe bei der Veranstaltung am 19.7.2005 nichts über ein mögliches Ausscheiden gesagt.

Der Aufsichtsrat habe vor dem 28.7.2005 keine Kenntnis von den Überlegungen des Vorstandsvorsitzenden über ein einvernehmlich zu vereinbarendes, vorzeitiges Ausscheiden gehabt. Da der Vorstandsvorsitzende noch bis zum Jahre 2008 bestellt gewesen sei, sei die überwiegende Mehrheit der Mitglieder des Aufsichtsrates zu einem für sie überraschenden Zeitpunkt mit dem Vorschlag konfrontiert worden. Die Frage, ob der Zeitpunkt richtig gewählt sei, hätte deshalb durchaus kontrovers beurteilt werden können. Darüber hinaus sei nicht vorhersehbar gewesen, ob und gegebenenfalls für welche Nachfolgeregelung sich der Aufsichtsrat entscheiden werde, da sowohl Dr. Z. als auch Dr. C. als mögliche Nachfolger in der Öffentlichkeit diskutiert worden seien (Blatt 21, 96 und 325 der Beiakten).

Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung hat der Musterkläger die Schriftsätze vom 1. und 14. Februar 2007 eingereicht.

II.

Der Senat folgt nicht der Auffassung des Musterklägers, Prof. S. sei schon zu irgendeinem Zeitpunkt vor der Aufsichtsratssitzung vom 28. Juli 2005 zurückgetreten oder habe sein Amt anderweitig zur Verfügung gestellt. Vielmehr muss man mit der Musterbeklagten davon ausgehen, dass eine einvernehmliche Aufhebung mit Nachfolgeregelung gewollt war. Da diese der ausschließlichen Zuständigkeit des Aufsichtsrats unterfiel, lag eine zu veröffentlichende Insiderinformation gemäß § 37 b Abs. 1 WpHG erst mit der entsprechenden Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat am 28.7.2005 vor. Da die Musterbeklagte damit ihren gesetzlichen Pflichten genügt hat, war dies entsprechend festzustellen.

1a) Zur Rechtslage: Die im Feststellungsantrag Ziffer 1 genannte Vorschrift des § 37 b Abs. 1 WpHG wurde durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz vom 21.6.2002 (BGBl. I, S. 2010) eingeführt und erhielt durch die Fassung vom 18.10.2004, gültig ab 30.10.2004, folgenden Wortlaut:

Unterlässt es der Emittent von Finanzinstrumenten, die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen sind, unverzüglich eine Insiderinformation zu veröffentlichen, die ihn unmittelbar betrifft, ist er einem Dritten zum Ersatz des durch die Unterlassung entstandenen Schadens verpflichtet, wenn der Dritte

1. die Finanzinstrumente nach der Unterlassung erwirbt und er bei Bekanntwerden der Insiderinformation noch Inhaber der Finanzinstrumente ist oder

2. die Finanzinstrumente vor dem Entstehen der Insiderinformation erwirbt und nach der Unterlassung veräußert.

Die Vorschrift, bei der es sich um eine eigenständige Anspruchsgrundlage handelt, regelt eine Schadensersatzpflicht für unterlassene sowie verspätete unverzügliche Veröffentlichungen (sog. Ad-hoc-Mitteilungen).

Verkauft ein Anleger aufgrund einer derartigen Verletzung der Ad-hoc-Mitteilungspflichten seine Finanzinstrumente zu billig oder kauft er sie zu teuer, kann er vom Emittenten Schadensersatz verlangen (Sethe in Assmann/Schneider, WpHG, 4. Aufl. 2006, §§ 37 b, 37 c, Rdnr. 3).

§§ 37 b, 37 c WpHG schließen eine bisher bestehende Lücke im Anlegerschutz.

In der bis zum Inkrafttreten des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes vom 21.6.2002 geltenden Fassung des Gesetzes vom 9.9.1998 hatte der Gesetzgeber in § 15 Abs. 6 Satz 1 WpHG noch eine besondere Schadensersatzhaftung des Emittenten für die Verletzung der ihm gemäß § 15 Abs. 1, Satz 2 und 3 WpHG a.F. auferlegten Ad-hoc-Publizität ausdrücklich ausgeschlossen und damit zugleich klargestellt, dass die Norm kein Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB ist (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 8.2.2006 - 20 U 24/04, WM 2006, 511; BGH, Urteil vom 9.5.2005 - II ZR 287/02, NJW 2005, 2450).

Die Ad-hoc-Publizität dient der informationellen Chancengleichheit der Marktteilnehmer und der Verhütung des Insiderhandels. Sie stellt eine Börsenzulassungsfolgepflicht dar und will eine zutreffende Marktpreisbildung sicherstellen. Die Effizienz der Wertpapiermärkte setzt voraus, dass der Markt alle für die Preisbildung relevanten Informationen zeitnah erhält und diese umfassend und verlässlich sind. Dies wiederum ermöglicht es dem einzelnen Anleger, eine eigenverantwortliche Anlageentscheidung zu treffen. Die Ad-hoc-Publizität ist Teil eines mittlerweile sehr umfangreichen Publizitätskonzepts. Der einzelne Anleger ist zumeist nicht in der Lage, sich die notwendigen Informationen zu angemessenen Transaktionskosten zu beschaffen. Die gesetzlich festgeschriebenen Publizitätspflichten dienen dem Ziel, sicherzustellen, dass der Markt nicht nur für institutionelle Anleger, sondern auch für Kleinanleger attraktiv ist. Entstanden sind sie aus einer breiten rechtspolitischen Diskussion vor dem Hintergrund zahlreicher Skandale am Neuen Markt (Sethe in Assmann/Schneider, a.a.O., Rdnr. 4).

§ 37 b Abs. 1 WpHG knüpft die Schadensersatzpflicht an das gänzliche oder zeitweise Unterlassen der Veröffentlichung einer Insiderinformation, die den Emittenten unmittelbar betrifft.

Die Pflicht zum Handeln ergibt sich aus § 15 WpHG, der Art und Umfang der Veröffentlichung regelt. Das Tatbestandsmerkmal der Insiderinformation entstammt § 13 WpHG (Sethe in Assmann/Schneider, a.a.O., Rdnr. 43)

b) § 15 WpHG in der Fassung vom 28.10.2004, gültig ab 30.10.2004, geht zurück auf die Marktmissbrauchsrichtlinie vom 28.1.2003 sowie auf die dazu ergangene Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG vom 22.12.2003. Diese wurden umgesetzt durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz (AnSVG) vom 28.10.2004 (BGBl. I S. 2630).

§ 15 Abs. 1 hat folgenden Wortlaut:

(1) 1 Der Emittent von Finanzinstrumenten, die zum Handel an einem inländischen organisierten Markt zugelassen sind oder für die er eine solche Zulassung beantragt hat, muss Insiderinformationen, die ihn unmittelbar betreffen, unverzüglich veröffentlichen. 2 Eine Insiderinformation betrifft den Emittenten insbesondere dann unmittelbar, wenn sie sich auf Umstände bezieht, die in seinem Tätigkeitsbereich eingetreten sind. 3 Wer als Emittent oder als eine Person, die in dessen Auftrag oder auf dessen Rechnung handelt, im Rahmen seiner Befugnis einem anderen Insiderinformationen mitteilt oder zugänglich macht, hat diese zeitgleich zu veröffentlichen, es sei denn, der andere ist rechtlich zur Vertraulichkeit verpflichtet. 4 Erfolgt die Mitteilung oder Zugänglichmachung der Insiderinformation nach Satz 3 unwissentlich, so ist die Veröffentlichung unverzüglich nachzuholen. 5 In einer Veröffentlichung genutzte Kennzahlen müssen im Geschäftsverkehr üblich sein und einen Vergleich mit den zuletzt genutzten Kennzahlen ermöglichen.

Mit der Regelung des Satzes 1 soll bestmögliche Markttransparenz gewährleistet, Insiderhandel weitestgehend eingeschränkt und die Integrität der Finanzmärkte gefördert werden. Die Marktteilnehmer sollen frühzeitig über marktrelevante Informationen verfügen, um sachgerechte Anlageentscheidungen treffen zu können. Weiter soll durch die schnellstmögliche und angemessene öffentliche Bekanntgabe von Insiderinformationen der Kreis der potentiellen Insider möglichst klein gehalten werden und der Zeitraum, in dem Insiderwissen missbräuchlich ausgenutzt werden kann, möglichst verkürzt werden (Begründung Regierungsentwurf in BT - Dr. 15/3174, S. 34).

Die Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität greift nur ein, wenn die Insiderinformation den Emittenten unmittelbar betrifft. Dies ist nach § 15 Abs. 1 Satz 2 WpHG insbesondere dann der Fall, wenn sie sich auf Umstände bezieht, die in seinem Tätigkeitsbereich eingetreten sind.

Die Verpflichtung zur Ad-hoc-Publizität setzt eine Insiderinformation voraus. Unter welchen Voraussetzungen eine Information eine Insiderinformation darstellt, ergibt sich aus der auch für § 15 WpHG maßgeblichen Begriffsbestimmung des § 13 WpHG (Assmann in Assmann/Schneider, § 15, Rdnr. 54).

c) Die Neufassung des § 13 Abs. 1 WpHG und die Ersetzung des Begriffs der Insidertatsache durch den der Insiderinformation geht wiederum auf Art. 1 Abs. 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie zurück.

Die Änderung durch das AnSVG vom 28.10.2004, gültig ab 30.10.2004, hat folgenden Wortlaut:

 (1) 1 Eine Insiderinformation ist eine konkrete Information über nicht öffentlich bekannte Umstände, die sich auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren oder auf die Insiderpapiere selbst beziehen und die geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen. 2 Eine solche Eignung ist gegeben, wenn ein verständiger Anleger die Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. 3 Als Umstände im Sinne des Satzes 1 gelten auch solche, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft eintreten werden. 4 Eine Insiderinformation ist insbesondere auch eine Information über nicht öffentlich bekannte Umstände im Sinne des Satzes 1, die sich auf Aufträge von anderen Personen über den Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten bezieht oder auf Derivate nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 bezieht und bei der Marktteilnehmer erwarten würden, dass sie diese Information in Übereinstimmung mit der zulässigen Praxis an den betreffenden Märkten erhalten würden.

Die komplexe Definition der Insiderinformation in § 13 Abs. 1 WpHG lässt sich in vier Begriffselemente aufspalten. Danach ist eine Insiderinformation

- eine konkrete Information über gegenwärtige oder zukünftige hinreichend wahrscheinliche Umstände,

- die nicht öffentlich bekannt sind,

- die sich auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren oder auf Insiderpapiere selbst beziehen und

- die geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen.

Mit der Umschreibung der Insiderinformation als konkrete Information über&Umstände folgt der Gesetzgeber in der Sache der Definition der Insider-Information in Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie. Dass der Gesetzgeber nicht die Terminologie der Richtlinie übernimmt und anders als diese statt von einer präzisen von einer konkreten Information spricht, wird als für die Definition der Insiderinformation folgenlos angesehen: der Begriff der konkreten Information ist mithin als die Transformation des Begriffs der präzisen Information in deutsches Recht zu begreifen, sodass die Begriffe als synonym betrachtet werden können. Entsprechendes gelte für die Tatsache, dass der Gesetzgeber von einer Information über Umstände spricht, während sich die Definition der Marktmissbrauchsrichtlinie mit dem Begriff der Information begnügt. Die Aufgabe des Begriffs der Umstände erschöpft sich darin, deutlich zu machen, dass es nunmehr nicht um Information über Tatsachen, sondern um Information über Umstände geht, die nicht zwingend Tatsachen sein müssen.

Kommt dem Begriff der konkreten Information keine andere Bedeutung zu als demjenigen der präzisen Information, so lässt sich zur Auslegung des Begriffs der konkreten Information auf die Umschreibung des Begriffs der präzisen Information in Art. 1 Nr. 1 der Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG vom 22.12.2003 zurückgreifen.

Dieser zufolge ist eine Information dann als präzise anzusehen, wenn damit eine Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits existieren oder bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird, und diese Information darüber hinaus spezifisch genug ist, dass sie einen Schluss auf mögliche Auswirkungen dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf die Kurse von Finanzinstrumenten und der damit verbundenen derivaten Finanzinstrumente zulässt (Assmann in Assmann/Schneider, a.a.O, § 13, Rdnr. 5 bis 7).

2) Zur Sache: Für die zum Streitpunkt Ziffer 1 gestellte Frage, ab wann der Wechsel in der Führungsspitze der Musterbeklagten eine Insiderinformation gemäß § 13 WpHG darstellte, ist zugrunde zu legen, dass zwischen den Beteiligten eine einvernehmliche Aufhebung der Bestellung von Prof. S. mit Nachfolgeregelung gewollt war.

Entgegen der Auffassung des Musterklägers ist nicht das vorzeitige Ausscheiden des damaligen Vorstandsvorsitzenden isoliert zu betrachten und die Entscheidung, das Amt zur Verfügung zu stellen, von der Notwendigkeit, einen Nachfolger zu bestellen, gedanklich zu trennen. Im Hinblick auf die rechtliche Gestaltungsfreiheit auch in solchen Angelegenheiten ist die Musterbeklagte zurecht der Ansicht, es sei abzustellen auf die von allen Beteiligten beabsichtigte gesamthafte Regelung der Nachfolge. Ein einseitiger Rücktritt oder auch nur ein Rücktrittsangebot sei nicht erwogen worden.

Zwar ist ein einseitiger Rücktritt vom Amt des Vorstandsvorsitzenden möglich und könnte, würde ein solcher erklärt, wohl eine zu veröffentlichende Insiderinformation darstellen (vgl. Möllers, WM 2005, 1393, 1394).

Hier aber ergibt die verständige Würdigung des unstreitigen Geschehensablaufs, dass die Beteiligten eine einvernehmliche Aufhebung der Bestellung wollten, die zwingend ebenso wie die Berufung des Nachfolgers von Prof. S. einer Beschlussfassung durch den gesamten Aufsichtsrat bedurfte.

a) Nach neuerer Auffassung ist allerdings ein einseitiger Rücktritt eines Vorstandsmitglieds möglich.

Die Mitglieder des Vorstands werden gemäß § 84 Abs. 1 AktG vom Aufsichtsrat bestellt und abberufen. Dem Aufsichtsrat obliegt diese Aufgabe innerhalb der organisatorischen Struktur der Gesellschaft zwingend und ausschließlich. Das Gesetz unterscheidet zwischen der sozialrechtlichen Bestellung zum Vorstandsmitglied und dem Anstellungsvertrag, der ergänzend die Rechte und Pflichten des Vorstandsmitglieds festlegt, die sich nicht schon aus seiner Organstellung ergeben, und insbesondere die Bezüge regelt (Hefermehl/Spindler in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl. 2004, § 84 Rdnr. 8 und 9).

Die Bestellung kann für maximal fünf Jahre erfolgen, wobei eine wiederholte Bestellung oder eine Verlängerung der Amtszeit, jedoch jeweils nur für höchstens fünf Jahre, zulässig ist. Auch der Anstellungsvertrag kann nur auf höchstens fünf Jahre geschlossen werden, wobei von vornherein vereinbart werden kann, dass der Vertrag für den Fall der Verlängerung der Amtszeit bis zu deren Ablauf gelten soll. Sonst ist die Dauer des Anstellungsvertrages durch Auslegung zu ermitteln, wobei auch hier in der Regel anzunehmen ist, dass der Vertrag bis zum Ablauf der Bestellung unter Beachtung der Fünfjahresfrist geschlossen ist (Hefermehl/Spindler, a.a.O., Rdnr. 28, 32 und 55 ff).

Die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands erfolgt gemäß § 84 Abs. 2 AktG ebenfalls durch den ausschließlich zuständigen Aufsichtsrat und ist an dieselben formellen und materiellen Voraussetzungen wie die Bestellung zum Vorstandsmitglied geknüpft. Sie muss vom Gesamtaufsichtsrat beschlossen werden (Hefermehl/Spindler, a.a.O., Rdnr. 80).

Das Amt endet mit Ablauf der Bestellung, wenn nicht zuvor der wiederum gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1 ausschließlich zuständige Aufsichtsrat die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands wegen eines wichtigen Grundes widerruft (Hefermehl/Spindler, a.a.O., Rdnr. 85).

Auch das Vorstandsmitglied kann ein Interesse daran haben, sein Organverhältnis von sich aus zu beenden. Demgemäß ist die Befugnis des Vorstandsmitglieds anerkannt, sein Amt durch eine einseitige empfangsbedürftige und formlose Erklärung gegenüber dem Aufsichtsrat niederzulegen, wobei für den Aufsichtsrat der Aufsichtsratsvorsitzende die Erklärung entgegennehmen kann. Im Zweifel wird in einer Erklärung des Rücktritts sowohl die Niederlegung des Amtes als auch die Kündigung des Anstellungsvertrages liegen.

Für die Wirksamkeit der Amtsniederlegung kommt es nicht darauf an, ob sich das Vorstandsmitglied auf wichtige Gründe beruft (Hefermehl/Spindler, a.a.O., Rdnr. 124; BGH, Urteile vom 8.2.1993 - II ZR 58/92, NJW 1993, 1198 sowie vom 26.6.1995 - II ZR 109/94, NJW 1995, 2850, jeweils zum Fall des GmbH-Geschäftsführers).

b) Die Erklärung des Vorstandsvorsitzenden Prof. S. gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden K. vom 17.5.2005 ist nicht als ein einseitiger Rücktritt auszulegen. Dies behauptet der Musterkläger im letzten Schriftsatz selbst nicht mehr, sondern beruft sich auf Zeugen dazu, Prof. S. habe erklärt, er stelle sein Amt als Vorstandsvorsitzender sowie als Vorstandsmitglied vorzeitig (&) zur Verfügung. Er habe dies nicht unter die Bedingung gestellt, dass es gelinge, eine gemeinsam mit dem ganzen Aufsichtsrat festzulegende, einvernehmliche Ausscheidens- und Nachfolgeregelung zu finden.

Diese punktuelle Betrachtung wird der Lebenswirklichkeit nicht gerecht, insbesondere bezogen auf die damalige Situation in einem Großunternehmen wie der Musterbeklagten. Veränderungen, wie sie sich seinerzeit im Zusammenhang mit der angeblichen Äußerung von Prof. S. dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Musterbeklagten gegenüber anbahnten, vollziehen sich selbstverständlich nicht von heute auf morgen, bedürfen sorgfältiger Planung und Abstimmung im Interesse des Unternehmens und der übrigen Beteiligten - gerade in einem international tätigen Konzern, wo zwei amerikanische Aufsichtsratsmitglieder bald ins Vertrauen gezogen wurden - und selbstverständlich auch rechtlicher Bewertung und Absicherung. Dies hat mit der vom Musterkläger kritisierten angeblichen späteren taktischen Umdeutung aus Furcht vor Ersatzansprüchen nichts zu tun, sondern entspricht der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes, der mehrere rechtlich zur Verfügung stehende Möglichkeiten prüfen, bewerten und sich dann entscheiden muss.

Ein ganz wesentlicher Aspekt spricht gegen den behaupteten Rücktritt: Da aufgrund der Bestellung bis in das Jahr 2008 zugleich ein bis dahin befristeter Anstellungsvertrag vorlag, konnte ein den Anstellungsvertrag mit umfassender einseitiger Rücktritt ohne wichtigen Grund eine Schadensersatzpflicht auslösen.

Den befristeten Anstellungsvertrag kann das Vorstandsmitglied gemäß § 626 BGB nur aus wichtigem Grund außerordentlich kündigen. Ist ein Vorstandsmitglied nicht zur Kündigung des Anstellungsvertrages berechtigt, so verletzt es durch eine Amtsniederlegung seine vertraglichen Pflichten (Hefermehl/Spindler,a.a.O., Rdnr. 165; vgl. ebenso die oben genannte Rechtsprechung zum GmbH-Geschäftsführer). Ein wichtiger Grund ist von keiner Seite vorgetragen und auch nicht anzunehmen; unstreitig erfolgte das vorzeitige Ausscheiden allein aus persönlichen Gründen.

Auf dieser Grundlage spricht nicht das Geringste dafür, Prof. S. habe sich sehenden Auges solchen unkalkulierbaren Risiken aussetzen wollen.

c) Selbst wenn man doch annehmen wollte, der Musterkläger halte an der Behauptung fest, Prof. S. sei zurückgetreten - im Zusammenhang mit den Vorgängen um den 28. Juli 2005 benutzten vor allem die Medien, für das Publikum um eingängige und nicht um rechtlich präzise Formulierungen bemüht, dieses Schlagwort, das der Musterkläger sich im Streit mit der Musterbeklagten alsbald zu eigen machte -, so fehlte es am präzisen Sachvortrag.

aa) Grundsätzlich hat der Musterkläger als Anspruchssteller die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen (Sethe in Assmann/Schneider, a.a.O, §§ 37 b, 37 c, Rdnr. 42; OLG Schleswig, Urteil vom 16.12.2004 - 5 U 50/04, WM 2005, 696).

Ein beabsichtigter oder sogar bereits erklärter einseitiger Rücktritt ist vom Musterkläger, wie erwähnt, nicht ausdrücklich vorgetragen worden. Der Musterkläger beschränkte sich vielmehr darauf zu bestreiten wie folgt:

Wir bestreiten, dass eine einvernehmliche Beendigung des Organverhältnisses zwischen Herrn Prof. S. und der Beklagten erfolgt ist und dass dies im Bestreben von Herrn Prof. S. stand (Blatt 70 der Beiakten).

Mit Nichtwissen werden somit die Ausführungen der Beklagten bestritten, dass die Beendigung des Organverhältnisses durch ein einverständliches Ausscheiden zwischen Gesamtaufsichtsrat und Herrn Prof. S. erfolgte (Blatt 132 der Beiakten).

Selbst wenn man unterstellt, dass ein einverständliches Ausscheiden vereinbart wurde, was mit Nichtwissen bestritten wird, (&) (Blatt 140 der Beiakten).

bb) Der Musterkläger beruft sich zum Ablauf des Treffens zwischen dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Prof. S. und dem Aufsichtsratsvorsitzenden K. auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur sogenannten sekundären Behauptungslast. Der Musterkläger ist der Auffassung, die Musterbeklagte habe die sekundäre Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, die zu einer Insiderinformation führen, da die maßgeblichen Informationen ihm nicht zugänglich seien, die Offenlegung der Musterbeklagten jedoch zumutbar und möglich sei (Blatt 154 der Beiakten). Dabei zitiert er den Bundesgerichtshof in ZIP 2005, 2060.

(1) In der erwähnten Entscheidung (Urteil vom 26.9.2005 - II ZR 314/03) führte der Bundesgerichtshof aus, dass die dort beklagte Fondsgesellschaft auf den Vortrag des klagenden stillen Gesellschafters, planmäßig seien nur geringe Teile der Anlegergelder investiv verwendet worden, im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast gehalten sei, dem Gericht und dem gerichtlich bestellten Sachverständigen diejenigen Informationen zu geben, die dem Kläger nicht zugänglich seien, die offen zu legen der Beklagten aber möglich und zumutbar sei.

(2) Eine derartige sekundäre Darlegungslast besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann, wenn ein darlegungspflichtiger Kläger außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs steht, aber der Beklagte alle wesentlichen Tatsachen kennt. Bei dieser Sachlage muss der Beklagte den Vortrag des Klägers substantiiert bestreiten, wenn er ihm entgegentreten will. Einfaches Bestreiten genügt nicht, sofern nähere Angaben zumutbar sind (BGH, Urteil vom 01.12.1982 - VIII ZR 279/81, BGHZ 86, 23).

Insbesondere die mit dem Nachweis einer negativen Tatsache verbundenen Schwierigkeiten werden dadurch ausgeglichen. Dem Anspruchsteller obliegt dann der Nachweis, dass diese Gegendarstellung nicht zutrifft (BGH, Urteil vom 13.3.2006 - II ZR 165/04, ZIP 2006, 805 m. w. N.).

(3) Der Vortrag der Musterbeklagten genügt diesen Anforderungen.

Die Musterbeklagte trug bereits in der Klageerwiderung vor, dass Prof. S. eine einvernehmliche Beendigung seines Mandates vorgeschlagen hatte. Grundlage dieses Vorschlags sei nicht ein einseitiger Rücktritt oder ein Rücktrittsangebot an den Aufsichtsrat gewesen, sondern vielmehr eine im Interesse des Unternehmens liegende gesamthafte Regelung der Nachfolge. Ziel des Vorstandsvorsitzenden sei es gewesen, dem Aufsichtsrat zu einem passenden Zeitpunkt ein einvernehmlich zu vereinbarendes, vorzeitiges Ausscheiden vorzuschlagen und hierüber eine Entscheidung des Aufsichtsrats herbeizuführen, die sowohl die Unterstützung der Anteilseigner als auch der Arbeitnehmervertreter finden sollte (Blatt 20 der Beiakten). Da es den Beteiligten um eine gesamthafte Nachfolgeregelung gegangen sei, habe ein enger Zusammenhang zwischen dem vorzeitigen Ausscheiden von Prof. S. und der Bestellung seines Nachfolgers bestanden (Blatt 95 der Beiakten). Nur durch eine gesamthafte Nachfolgeregelung habe ein möglicherweise in der Öffentlichkeit ausgetragener Streit um die Nachfolge mit der Gefahr einer nachhaltigen Beschädigung beider für die Nachfolge in Betracht kommenden Kandidaten ausgeschlossen werden können (Blatt 404 der Beiakten). Über die Konditionen eines Aufhebungsvertrages mit Prof. S. sei vor der Entscheidung des Aufsichtsrats am 28.7.2005 nicht verhandelt worden; erst am 18.8.2005 sei ein erster Entwurf übersandt worden (Blatt 402 der Beiakten).

Aufgrund dieses Vortrages wäre es dem Musterkläger möglich gewesen, die beteiligten Herren Prof. S. und K. als Zeugen für den ihm obliegenden Nachweis zu benennen, dass diese Darstellung der Musterbeklagten nicht wahr ist. Beweis für den behaupteten einseitigen Rücktritt hat der Musterkläger nicht angeboten.

Auf diese Rechtslage wurde der Musterkläger in der mündlichen Verhandlung vom 20.12.2006 vom Senat hingewiesen.

cc) Eine Beweisaufnahme zu den oben erwähnten Behauptungen im Schriftsatz vom 1.2.2007, Prof. S. habe in einem der Gespräche gegenüber dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats K. erklärt, er stelle sein Amt zur Verfügung, ist nicht geboten. Die angebliche Äußerung ist - wie dargestellt - nicht unabhängig von einer Entscheidung des Aufsichtsrates wirksam.

Eine Rücktrittserklärung würde man nur dann annehmen können, wenn Prof. S. allein infolge dieser Erklärung ohne Wenn und Aber und trotz der erwähnten möglichen Schadensersatzpflicht hätte ausscheiden wollen. Nicht nur der vom Musterkläger nun vorgetragene Wortlaut der Erklärung - Amt zur Verfügung stellen -, sondern auch die vom Musterkläger behauptete Einigung mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden belegen aber, dass tatsächlich eine einvernehmliche Regelung angestrebt war. Diese fiel jedoch, wie ausgeführt, nicht in die Kompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden alleine. Vielmehr war ein Beschluss des gemäß

§ 84 Abs. 2 AktG originär und ausschließlich zuständigen Gesamtaufsichtsrates erforderlich.

Denn nur bei gegenseitigem Einvernehmen zwischen dem gesamten Aufsichtsrat und dem Vorstandsmitglied ist ein jederzeitiges Ausscheiden ohne weiteres möglich. Es bedarf allerdings immer eines Beschlusses des Gesamtaufsichtsrates nach § 108 AktG, auch ein Ausschuss kann diesen Beschluss entsprechend § 107 Abs. 3 Satz 2 nicht fassen (Hefermehl/Spindler, a.a.O., Rdnr. 125).

Im übrigen nimmt auch die vom Musterkläger eingeholte rechtsgutachtliche Stellungnahme des Prof. Dr. V. vom Februar 2006 (K 28, Blatt 315 der Beiakten) keinen einseitigen Rücktritt an, sondern geht aufgrund der mitgeteilten Angaben davon aus, dass Prof. S. einvernehmlich, durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages, aus dem Vorstand ausgeschieden ist (Seite 6 der Stellungnahme).

3) Eine Veröffentlichungspflicht entstand für die Musterbeklagte erst durch den Beschluss des Aufsichtsrats am 28.7.2005, da es vor der Aufsichtsratssitzung bei der notwendigen Prognose offen war, ob die vom Vorsitzenden K. vorgeschlagene Lösung gebilligt würde oder nicht. Das erste Tatbestandsmerkmal (Insiderinformation über Künftiges) des § 13 Abs.1 WpHG, die konkrete Information, mag zwar am 18.7.2005 mit der Verständigung, die Sache in die Aufsichtsratssitzung zu bringen, vorgelegen haben. Die Verpflichtung zur Information über zukünftig möglicherweise eintretende Umstände setzt aber voraus, dass diese hinreichend wahrscheinlich sind. Davon konnte und musste die Musterbeklagte vor der Beschlussfassung am 28.7.2005 aber nicht ausgehen.

a) Da gemäß § 13 Abs.1 WpHG eine Insiderinformation eine konkrete Information über gegenwärtige oder zukünftige hinreichend wahrscheinliche Umstände ist, ist zu differenzieren, ob eine Information als eine solche über bereits gegenwärtige Umstände oder schon eingetretene Ereignisse zu qualifizieren ist oder aber als eine solche über erst zukünftig existierende Umstände oder eintretende Ereignisse.

Eine Information über bereits gegenwärtige Umstände oder schon eingetretene Ereignisse lag, geht man wie dargestellt von einvernehmlicher Aufhebung mit Nachfolgeregelung aus, mangels Beschlusses des Aufsichtsrats nicht vor.

b) Ein zukünftiger Umstand ist dann eine Insiderinformation im Sinne des § 13 WpHG, wenn die Information konkret (§ 13 Abs.1 Satz 1 WpHG) sowie der zukünftige Eintritt hinreichend wahrscheinlich (§ 13 Abs.1 Satz 3 WpHG) ist.

aa) Die erste Voraussetzung (konkrete Information) ist weit auszulegen und könnte hier ab dem 18. Juli 2005 zu bejahen sein. Die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 13 WpHG grenzt zukünftige konkrete Tatsachen vom bloßen Gerücht ab:

Satz 3 stellt klar, dass eine Insiderinformation auch dann vorliegt, wenn sie sich auf einen Umstand oder ein Ereignis in der Zukunft bezieht, sofern dessen Eintritt hinreichend wahrscheinlich ist. Hierzu ist ein bloßes Gerücht nicht ausreichend. Vielmehr müssen konkrete Tatsachen vorliegen, welche den Eintritt des Ereignisses oder des Umstands voraussehbar erscheinen lassen (Begr. Regierungsentwurf, AnSVG, BT-Dr. 15/3174, S. 34).

(1) Nach Ansicht des Musterklägers war die Entscheidung, Prof. S. werde vorzeitig ausscheiden, hinreichend konkret geworden, als im Mai 2005 auf der Vorstandsebene der Umstand an sich festgestanden habe. Es habe sich um eine mehrstufige Entscheidung gehandelt. Dabei sei der Entscheidungsprozess auf jeder Stufe für sich eine Insiderinformation im Sinne des Gesetzes.

Die Musterbeklagte meint dagegen, dass die für das Vorliegen einer Insiderinformation notwendige Konkretisierung erst mit der Entscheidung des Aufsichtsrates am 28.7.2005 eingetreten sei. Da der Aufsichtsrat gemäß § 84 AktG den Vorstand bestelle und entlasse, liege die Entscheidung über die beabsichtigte einvernehmliche Nachfolgeregelung ausschließlich in den Händen des Aufsichtsrates. Dieser habe nicht einer bereits definitiven Lösung lediglich zugestimmt.

Die vom Musterkläger vorgelegte rechtsgutachtliche Stellungnahme des Prof. V. nimmt an, zum 16.7.2005 habe eine konkrete Information vorgelegen, da zu diesem Zeitpunkt zwischen den Herren Prof. S., K., Kl. und Schick abgesprochen gewesen sei, Prof. S. werde ausscheiden.

Die Musterbeklagte wendet dagegen ein, zu diesem Zeitpunkt habe noch nicht einmal festgestanden, ob und wann der Aufsichtsrat sich mit der Angelegenheit befasse.

(2) Der Senat folgt in diesem Punkt (vom Datum abgesehen) der Auffassung des Musterklägers, ohne dass es im Ergebnis allerdings darauf ankommt.

Besondere Schwierigkeiten bereitete von Anfang an die insiderrechtliche Beurteilung von Vorgängen, die Teil eines mehrstufigen Entscheidungsprozesses sind, wenn es also um ein zukünftiges Ereignis geht, das erst mit dem erfolgreichen Abschluss aller erforderlichen Zwischenschritte eintritt und damit bis zur letzten Stufe noch scheitern kann. Dabei nimmt die Wahrscheinlichkeit der Realisierung eines Vorhabens, das der Zustimmung mehrerer Entscheidungsträger und gegebenenfalls noch der Genehmigung einer Behörde bedarf, immer mehr zu, je weiter sich der mehrstufige Prozess seinem Ende nähert. Gleichwohl kann auf Grund der Umstände des Einzelfalles und des Vorhabens, über das zu befinden ist, mitunter schon auf der ersten Stufe des Entscheidungsprozesses eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eingetreten sein, dass es zur Verwirklichung des fraglichen Vorhabens kommt (Assmann in Assmann/Schneider, a.a.O, § 15 Rdnr. 60; § 13 Rdnr. 28 und 29).

So wird eine vom Leitungsorgan eines Emittenten getroffene Entscheidung bereits als eine Ad-hoc-publizitätspflichtige Information angesehen, obwohl sie zur Wirksamkeit noch der Zustimmung des Aufsichtsrats des Emittenten bedarf (Begr. Regierungsentwurf AnSVG, BT-Dr. 15/3174, S. 35; Diekmann/Sustmann, NZG 2004, 929,935).

(3) Die hier zu entscheidende Konstellation weist die Besonderheit auf, dass aufgrund der originären und ausschließlichen Kompetenz des Aufsichtsrats nach § 84 AktG ein mehrstufiger Entscheidungsprozess in diesem Sinne nicht vorliegt. Die Ansicht des Musterklägers, eine Insiderinformation habe vorgelegen, als im Mai 2005 auf der Vorstandsebene das vorzeitige Ausscheiden von Prof. S. an sich festgestanden habe, lässt sich nicht damit begründen, damit sei die erste Entscheidungsstufe bereits abgeschlossen gewesen. Der im Mai 2005 geoffenbarte Plan des damaligen Vorstandsvorsitzenden stellt keine Entscheidung des Vorstands dar, die zusätzlich der Zustimmung des Aufsichtsrats bedurfte. Vielmehr lag, wie bereits mehrfach erwähnt, die alleinige Kompetenz in diesem Zusammenhang in den Händen des Aufsichtsrats. Dieser hatte keinesfalls, wie im Schriftsatz des Musterklägers vom 14. Februar 2007 angenommen wird, eine fremde Entscheidung nur abzusegnen.

Stellt man auf diesen formalen Aspekt ab, so lag eine Insiderinformation erst vor, als - sozusagen auf der ersten und zugleich letzten Entscheidungsstufe - der Aufsichtsrat gemäß § 84 AktG durch Beschluss entschied.

Da aber andererseits bereits Pläne, Vorhaben und Absichten einer Person veröffentlichungspflichtige Informationen sein können (Assmann in Assmann/Schneider, a.a.O, § 13 Rdnr. 22 und 27; Tollkühn, ZIP 2004, 2215, 2216; Harbarth, ZIP 2005, 1898, 1901), kommt es darauf an, wann diese hinreichend präzise und deren Verwirklichung hinreichend wahrscheinlich waren. Seit das AnSVG in Kraft ist, wird der bisherige Streitstand als obsolet angesehen; die Veröffentlichungspflicht tritt nach neuer Rechtslage deutlich früher ein (Möllers, WM 2005, 1393, 1395). Nach der Begründung des Regierungsentwurfs sind laufende Verhandlungen des Emittenten bei einer Unternehmensübernahme veröffentlichungspflichtig, bei denen eine Entscheidung ebenfalls noch ganz aussteht (Begr. Regierungsentwurf, a.a.O., S. 35). Insbesondere Zwischenschritte wie die Abgabe eines sog. bindenden Angebotes bei Vertragsverhandlungen werden, soweit sie bei wertender Betrachtung eine eigenständige Bedeutung besitzen, als konkrete Informationen qualifiziert (Harbarth, ZIP 2005, 1898,1902). Da der Gesetzgeber mit der Einführung des Begriffs der Insiderinformation eine Verschärfung zum Schutz des Anlegers bezweckte, mag im vorliegenden Fall auch ein erst beabsichtigtes Ausscheiden des Vorsitzenden des Vorstandes ab einem bestimmten Zeitpunkt der Verdichtung als hinreichend konkrete Information anzusehen gewesen sein. Der Wunsch eines Vorstandsmitglieds, das Amt niederzulegen (worum es hier nicht geht), hat beispielsweise zwar noch nicht den notwendigen Grad an Konkretisierung erreicht, solange eine mehr oder weniger unverbindliche Absichtserklärung vorliegt. Denn man kann seine Meinung ändern und sich beispielsweise umstimmen lassen (vgl. Möllers, WM 2005, 1393, 1394). Die erforderliche Konkretisierung mag hier aber gegeben gewesen sein zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Herren Prof. S. und K. in Anwesenheit von Herrn Schick darauf verständigten, das vorzeitige Ausscheiden sowie die Nachfolge durch Dr. Z. zum Ende des Jahres in der Aufsichtsratssitzung vom 28.7.2005 vorzuschlagen. Mit dieser Verständigung nahm die Absicht im Hinblick auf den erforderlichen Beschluss des Aufsichtsrats konkrete Gestalt an.

Stellt man auf diesen Zeitpunkt ab, lag eine konkrete Information am 18.Juli 2005 vor.

(4) In diesem Sinne äußerte sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in ihrem Schreiben vom 13.9.2005 (K 30, Blatt 56 der Akten) an die Staatsanwaltschaft Stuttgart. Wenn darin auf den 10.Juli 2005 (Beginn der Arbeiten in der Kommunikationsabteilung) als maßgeblichen Zeitpunkt abgestellt ist, so fehlt allerdings jede Ausführung zur weiterhin gesetzlich vorausgesetzten hinreichenden Wahrscheinlichkeit, das Ereignis werde eintreten (§ 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG).

Nach der Stellungnahme dazu, ob eine konkrete Information vorgelegen habe, folgt sogleich die Auseinandersetzung mit der Frage, ob diese geeignet gewesen sei, den Börsenpreis erheblich zu beeinflussen (beides zu § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG). Wegen dieser offenkundigen Lücke zu der Voraussetzung einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit teilt der Senat nicht die darauf fußende Ansicht des Musterklägers.

c) Die (zweite) Voraussetzung (hinreichende Wahrscheinlichkeit gemäß § 13 Abs.1 Satz 3 WpHG) lag vor der Entscheidung des Aufsichtsrats am 28. Juli 2005 nicht vor.

Denn es war nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die angestrebte einvernehmliche Aufhebung mit Nachfolgeregelung vom Aufsichtsrat mitgetragen werden würde.

(1) Der Musterkläger ist der Ansicht, nach der Presseinformation der Musterbeklagten vom 28.7.2005 seien die Beschlüsse des Aufsichtsrates nach einem sorgfältigen Prozess im Vorfeld einstimmig gefasst worden. Deshalb sei das Ergebnis der Abstimmung nicht offen gewesen.

Die Musterbeklagte führt dagegen an, dass nicht sicher gewesen sei, ob der Aufsichtsrat sich überhaupt sogleich in dieser Sitzung mit der Sache befasse und weiter, ob er für Dr. Z. als Nachfolger stimmen werde. Deshalb habe es sich bei den Überlegungen des Vorstandsvorsitzenden und des Vorsitzenden des Aufsichtsrats im Vorfeld um keinen Umstand gehandelt, dessen Eintritt hinreichend wahrscheinlich gewesen sei.

(2) Darüber, was unter hinreichender Wahrscheinlichkeit zu verstehen ist, gibt weder die Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG vom 22.12.2003 noch § 13 Abs. 1 WpHG Auskunft. Der Emittentenleitfaden der BaFin formuliert, es müssten konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die den Eintritt des Umstandes als voraussehbar erscheinen lassen, wobei eine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit&allerdings nicht erforderlich sei.

Eine bloß überwiegende Wahrscheinlichkeit ist nicht als hinreichende Wahrscheinlichkeit zu betrachten (Assmann in Assmann/Schneider, a.a.O, § 13, Rdnr. 25).

Maßgeblich ist die Sicht des verständigen Anlegers, der den künftigen Umstand trotz der noch bestehenden Unsicherheit bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde (Harbarth, ZIP 2005, 1898,1902).

Von dem verständigen Anleger ist zu erwarten, dass er sich auch durch unveröffentlichte zukunftsbezogene Informationen nicht zu spekulativem Handeln verleiten lässt, sondern nur dann eine Investitions- oder Deinvestitionsentscheidung auf der Grundlage eines noch ungewissen Ereignisses oder Umstands treffen wird, wenn dessen Eintritt bzw. zukünftige Existenz jeweils mit deutlich mehr als bloß überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Das erforderliche Wahrscheinlichkeitsurteil ist aus einer ex ante - Sicht heraus zu überprüfen. Maßgeblich sind damit die Verhältnisse, wie sie in dem Zeitpunkt gegeben sind, in denen der potentielle Insider die in Frage stehende Information erlangt (Assmann in Assmann/Schneider, a.a.O.).

(3) Für die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit, der Aufsichtsrat werde im Sinne des Vorschlages entscheiden, spricht zwar auf den ersten Blick das unstreitige Klägervorbringen, dass bislang der Aufsichtsrat immer einer Beschlussempfehlung seines Vorsitzenden K. gefolgt sei. Prof. S. war jedoch bereits jahrelang im Amt, als Herr K. Vorsitzender des Aufsichtsrats wurde. Eine solche Top-Personalie wie diejenige, um die es im vorliegenden Fall geht, hatte während der Amtszeit des Herrn K. also noch nicht zur Debatte gestanden.

Die vom Musterkläger vorgelegte rechtsgutachtliche Stellungnahme des Parteigutachters Prof. Dr. V. kommt zum Ergebnis, dass ein zustimmendes Votum des gesamten Aufsichtsrats bereits deswegen hinreichend wahrscheinlich gewesen sei, weil die Säulen des Aufsichtsrats in Gestalt der beiden Repräsentanten der Anteilseigner und der Arbeitnehmer, der Herren K. einerseits und Kl. andererseits, einverstanden gewesen seien.

Die Verknüpfung mit der Entscheidung über den Nachfolger im Vorstandsvorsitz hätte danach nur dann gegen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit gesprochen, wenn die als Nachfolger auserkorene Person den übrigen Aufsichtsratsmitgliedern unbekannt gewesen wäre.

Der Senat kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Sie lässt außer acht, dass es neben Dr. Z. einen ebenbürtigen Kandidaten in Gestalt von Dr. C. gab. Die Stellungnahme von Prof. Dr. V. lässt dies unberücksichtigt. Für die Prognose, wie der Aufsichtsrat entscheiden werde, war von erheblicher Bedeutung, dass eine Auswahlentscheidung zwischen diesen beiden Persönlichkeiten in Betracht kam.

Da die Musterbeklagte dem Mitbestimmungsgesetz unterfällt, bedurfte der Beschluss im 1. Wahlgang einer 2/3-Mehrheit in dem mit 20 Personen paritätisch besetzten Aufsichtsrat (Hefermehl/Semler, a.a.O., § 96 Rdnr. 10 und § 108 Rdnr. 123). Es liegt auf der Hand, dass die Vertreter der Anteilseigner auf der einen und die Arbeitnehmervertreter auf der anderen Seite wegen naturgemäß divergierender Interessen bei der überaus wichtigen Entscheidung über den Nachfolger des langjährigen Vorsitzenden des Vorstands nicht zwangsläufig gleicher Meinung sein würden. Den befähigtsten Kandidaten zu finden, war in der schwierigen Lage des Unternehmens damals besonders vordringlich. So war aus Sicht eines verständigen Anlegers damals durchaus nicht selbstverständlich, dass der Aufsichtsrat den letztlich vorgeschlagenen Dr. Z. ohne weiteres akzeptieren würde. Dabei war klar: ohne die Entscheidung zu Gunsten des Nachfolgers war angesichts der geplanten einvernehmlichen Regelung des Wechsels in der Unternehmensspitze auch ein isolierter Beschluss, Prof. S. werde aus seinen Verpflichtungen entlassen, undenkbar, jedenfalls unrealistisch. Der Musterkläger stellt in diesem Zusammenhang auch nicht die Behauptung auf, Prof. S. hätte auch dann verlangt, von seinem Amt entbunden zu werden, wenn der Aufsichtsrat eine Nachfolgeregelung damals nicht gefunden hätte. Es mag sein, dass niemand seinerzeit Prof. S. gedrängt oder auch nur gebeten hat, seine Arbeit bis zum Ende der regulären Bestellung fortzuführen. Umgekehrt - wie ausgeführt - konnte er einen wichtigen Grund, vorzeitig auszuscheiden, nicht benennen und war schon deshalb weiterhin in der Pflicht. Er hat seine Aufgaben, wie der Musterkläger selbst vorträgt, im Vorfeld der Aufsichtsratssitzung ganz offenbar auch wahrgenommen. Dies belegt die Äußerung in der Veranstaltung vom 19. Juli 2005, er habe demnächst etwas Wichtiges zu verkünden. Dies muss keineswegs den Führungswechsel betroffen haben. Das Unternehmen wartete nämlich mit positiven Ertragszahlen auf, die ebenfalls eine Steigerung des Aktienkurses zur Folge hatten.

Eine systematische Vorbereitung der Aufsichtsratsentscheidung im Sinne planmäßiger Beeinflussung der Mitglieder ist dem Vortrag des Musterklägers nicht zu entnehmen. Weder ist klägerseits vorgetragen noch aufgrund des unstreitigen Geschehensablaufs erkennbar, dass die im Vorfeld stattfindenden Gespräche dazu dienten, vorab die Zustimmung der Aufsichtsratsmitglieder beider Seiten einzuholen. Zwar wäre denkbar, dass der Aufsichtsratsvorsitzende K. sowie dessen Stellvertreter Kl. es unternommen hätten, andere Vertreter der jeweils eigenen Seite vorweg einzubinden. Der unstreitige Ablauf der Gespräche in den Tagen vor der Sitzung des Aufsichtsrats lässt aber nicht auf eine Vorabstimmung schließen. Dies behauptet auch der Musterkläger selbst nicht. Die Überraschung, die die Aufsichtsratsentscheidung in der Öffentlichkeit auslöste, spricht vielmehr dafür, dass die Vorgespräche im innersten Kreis blieben und nicht alle Aufsichtsratsmitglieder bereits zuvor Kenntnis hatten. In diese Richtung deutet auch die Tatsache, dass die Personalsache vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats nicht in die Tagesordnung aufgenommen worden war.

Der Musterbeklagten war nicht aufzugeben, die Protokolle der Aufsichtsratssitzung vorzulegen. Ohne schlüssigen Vortrag dazu, dass bereits vor der Sitzung alle oder jedenfalls die Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder eingeweiht und einverstanden gewesen seien, liefe der Antrag des Musterklägers auf eine unzulässige Ausforschung hinaus.

Dass das Votum des Aufsichtsrats offen war, ergibt sich auch aus folgendem: Der dem Aufsichtsrat unterbreitete Vorschlag zu Gunsten von Dr. Z. (damals C.-Chef) war sowohl für die Öffentlichkeit überraschend, wie er gewiss auch im Aufsichtsrat ein Umdenken erforderte, da bisher als Top-Favorit der als Ziehsohn von Prof. S. titulierte Dr. C. gegolten hatte. Ihn einfach zu übergehen, erscheint jedenfalls nicht selbstverständlich.

Zu berücksichtigen ist schließlich, dass die Personalangelegenheit nicht in der Tagesordnung vom 13.7.2005 aufgeführt war (B 9, Blatt 360 der Beiakten).

Der Widerspruch eines einzigen Mitglieds des Aufsichtsrats hätte zwingend zur Folge gehabt, dass eine Beschlussfassung zu diesem Tagesordnungspunkt nicht zuzulassen gewesen wäre (GeschO des Aufsichtsrates, B 10, Blatt 360 der Beiakten).

Daraus folgt: Auch wenn es eine kontroverse Diskussion an jenem Tage nicht gegeben haben mag, so hätte ein verständiger Anleger zwar angenommen, wenn Prof. S. ausscheide, könnten die Aktienkurse der Musterbeklagten steigen. Er hätte aber für eine Investitionsentscheidung nicht die Prognose angestellt, der Wechsel in der Führungsspitze werde bereits in der ersten Aufsichtsratssitzung nach dem Vorschlag, zugleich Dr. Z. als Nachfolger zu bestellen, beschlossen werden.

Ausgehend von diesen Überlegungen wäre ein verständiger Anleger zum Ergebnis gekommen, dass es offen war, ob der Aufsichtsrat sofort zu einer Entscheidung im Sinne des Vorschlags komme, d.h. dass eine Vertagung der Entscheidung über die Ablösung und die Nachfolge genauso wahrscheinlich war wie eine Beschlussfassung.

Der Senat hat erwogen, sachverständigen Rat zu der Frage einzuholen, ob die Verantwortlichen der Musterbeklagten im Zusammenhang mit dem hier streitigen Vorgang nach dem Standard ordentlicher Unternehmenspolitik gehandelt haben. Angesichts der Besonderheiten des hier vorliegenden Falles würde dies, zumal es im wesentlichen um Rechtsfragen geht, allerdings nicht weiterführen. Es ging darum, die Nachfolge des viele Jahre an der Spitze des Unternehmens stehenden Vorsitzenden des Vorstands, der nicht unumstritten war, zum Wohle des Unternehmens zu regeln. Dabei drohten vor allem, wie der Musterkläger im letzten Schriftsatz hervorgehoben hat, Diadochenkämpfe. Wie diese heikle Aufgabe bewältigt werden sollte, stand im pflichtgemäßen Ermessen der Beteiligten, insbesondere des Vorsitzenden des Aufsichtsrats. Der Vorwurf des Musterklägers, dieser habe die Angelegenheit verzögert, findet im Sachverhalt keine Stütze. Zwischen Mitte Mai 2005, als Prof. S. sich dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats erklärte, und der Sitzung des Aufsichtsrats am 28. Juli 2005 lagen kaum mehr als zwei Monate. In dieser Zeit mussten viele Überlegungen angestellt werden - bis hin zu den selbstverständlichen Vorbereitungen für den Fall des Falles, die im Büro des Vorstandsvorsitzenden und in der Kommunikationsabteilung getroffen wurden. Die Vorbereitung der Entscheidung des Aufsichtsrats war professionell, wie der Umstand zeigt, dass keine Informationen über einen bevorstehenden Wechsel an der Unternehmensspitze der Musterbeklagten an die Öffentlichkeit drangen. Dies ist angesichts der bekannt guten Kontakte der Medien, insbesondere der Wirtschaftspresse in die Unternehmen hinein überaus bemerkenswert. Soweit der Musterkläger immer wieder auf die Herren S. und G. abhebt, die von einem Unbekannten aus der Führungsetage der Musterbeklagten bereits Mitte Juli 2005 erfahren hätten, Prof. S. trete zurück, so ist nicht minder bemerkenswert, dass diese ihr angebliches Wissen nicht weitergegeben haben, möglicherweise deshalb, weil man dem Gerücht oder dem Gewährsmann, der sich bis heute nicht zu erkennen gegeben hat, nicht traute. Auf all dies kommt es jedoch nicht an. Nichts spricht dafür, dass die Verantwortlichen der Musterbeklagten bei der Vorbereitung der Sitzung des Aufsichtsrats mit taktischen Winkelzügen die Verpflichtung, gegebenenfalls eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen, unterlaufen wollten. Sie haben vielmehr die originäre Zuständigkeit des Aufsichtsrats respektiert, an der das WpHG nichts geändert hat.

Über die weiteren vom Landgericht vorgelegten Anträge ist deshalb nicht mehr zu entscheiden. Eine Aussetzung des Verfahrens, wie der Musterkläger sie angeregt hat, ist nicht angezeigt. Das Verfahren, das bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht anhängig ist, ist für die Entscheidung des Senats nicht vorgreiflich. Es ist auch nicht erkennbar, dass nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft weitere Aufsehen erregende Enthüllungen zu erwarten sind.

Die nach dem Termin vom Musterkläger eingereichten Schriftsätze geben keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.






OLG Stuttgart:
Beschluss v. 15.02.2007
Az: 901 Kap 1/06


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/828e07e66bd2/OLG-Stuttgart_Beschluss_vom_15-Februar-2007_Az_901-Kap-1-06




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share