Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 20. März 2000
Aktenzeichen: NotZ 17/99

(BGH: Beschluss v. 20.03.2000, Az.: NotZ 17/99)

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluß des Senats für Notarverwaltungssachen des Oberlandesgerichts Dresden vom 31. August 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als er zum Nachteil der Antragsgegnerin ergangen ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache an das Verwaltungsgericht Leipzig verwiesen.

Gründe

I.

Der Antragsteller war bis 14. Februar 1998 Notar mit dem Amtssitz in Leipzig. Die Antragsgegnerin hat ihm mit Bescheid vom 10. November 1998 Versorgungsbezüge wegen Berufsunfähigkeit zuerkannt. Mit Schreiben vom 11. Juni 1999 rechnete sie gegen die Versorgungsbezüge von Juli bis Dezember 1999 in Höhe von insgesamt 20.386,02 DM Ansprüche auf Herausgabe von Vorschüssen auf, die der Antragsteller auf Vollzugsgebühren empfangen habe, die erst nach seinem Ausscheiden aus dem Amt fällig geworden seien. Die Gegenansprüche über insgesamt 29.706 DM macht die Antragsgegnerin, soweit die Gebühren dem gegenwärtigen Verwalter des Notars zuständen, aus abgetretenem Recht, soweit frühere Verwalter Gebührengläubiger seien, kraft gesetzlicher Befugnis geltend.

Der Senat für Notarverwaltungssachen des Oberlandesgerichts hat den Antrag des Notars auf Feststellung, daß die Aufrechnung unzulässig ist, verworfen. Auf den weiteren Antrag, den "Bescheid vom 11. Juni 1999 aufzuheben", hat es die Verpflichtung der Antragsgegnerin ausgesprochen, dem Antragsteller die Versorgungsleistungen für die Monate Juli bis Dezember 1999 zu gewähren.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht Leipzig zu verweisen. Der Antragsteller beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig (§ 111 Abs. 4 Satz 2 BNotO, § 42 Abs. 4 BRAO). Sie führt antragsgemäß zur Verweisung der Sache an das Verwaltungsgericht.

1.

An die Bejahung des Rechtswegs zum Oberlandesgericht als Gericht der ordentlichen freiwilligen Gerichtsbarkeit ist der Senat nicht nach § 17a Abs. 5 GVG gebunden. Eine solche Bindung setzt voraus, daß das erstinstanzliche Gericht in das Vorabverfahren über den Rechtsweg eingetreten ist, wenn hierfür nach § 17a Abs. 2, Abs. 3 GVG Anlaß bestanden hatte (BGHZ 119, 246). Das wäre hier der Fall gewesen, denn die Antragsgegnerin hat die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte bereits vor dem Oberlandesgericht gerügt. Das Oberlandesgericht hat aber von einem Vorabverfahren abgesehen.

2.

Gegenstand der sofortigen Beschwerde ist der Antrag auf "Aufhebung des Bescheids vom 11. Juni 1999", den das Oberlandesgericht dahin ausgelegt hat, daß er auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung der Versorgungsleistung für Juli bis Dezember 1999 gerichtet ist. Ihn hält das Oberlandesgericht für statthaft und stützt sich hierzu auf § 111 Abs. 1 BNotO, der Verwaltungsakte, die nach der Bundesnotarordnung oder rangniedrigerem Recht ergehen, der gerichtlichen Kontrolle unterwirft. Im Verfahren über den Verpflichtungsantrag geht es von seiner Befugnis aus, die Wirksamkeit der von der Antragsgegnerin erklärten Aufrechnung zu prüfen. Dies ist bereits im Ansatz unzutreffend, denn der Bestand des Leistungsbescheides vom 10. November 1998 ist durch die Aufrechnungserklärung nicht berührt. Der Verpflichtungsausspruch des Oberlandesgerichts geht ins Leere. Das Begehren des Antragstellers ist nicht auf Erlaß eines Versorgungsbescheides, sondern auf Auszahlung der in dem Bescheid vom 10. November 1998 festgesetzten Bezüge gerichtet. Der Rechtsbehelf hierfür ist die allgemeine Leistungsklage. Der Senat hat bisher noch nicht entschieden, ob im Verfahren nach § 111 BNotO eine Leistungsklage statthaft ist (Beschl. v. 9. Januar 1995, NotZ 32/93, v. 18. September 1995, NotZ 46/94, v. 24. November 1997, NotZ 10/97, BGHR BNotO § 111 Abs. 1, Leistungsantrag 1-3). Dies kann auch hier offen bleiben, denn für den Antrag auf Auszahlung der festgesetzten Versorgungsbezüge ist nach der besonderen Vorschrift des § 113 a Abs. 3 Nr. 2, Abs. 7 BNotO i.V.m. § 126 BRRG der Verwaltungsrechtsweg gegeben. In diesem Rechtsweg findet die allgemeine Leistungsklage zweifelsfrei statt (statt aller: K. Redeker/von Oertzen/M. Redeker, VwGO, 12. Aufl., § 42 Rdn. 153 ff, 154).

3. Allerdings ist es dem Verwaltungsgericht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 77, 19; a.A. VGH Kassel NJW 1995, 1107; dazu näher unten zu 4) nicht möglich, über die zur Aufrechnung gestellte Forderung zu entscheiden, da diese streitig und ihre Geltendmachung auf den Zivilrechtsweg verwiesen ist (a). Dies macht die Verweisung in die Verwaltungsgerichtsbarkeit aber nicht entbehrlich und steht ihr auch unter dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie nicht entgegen (b).

a) Für die Ansprüche, mit denen die Antragsgegnerin aufrechnet, ist der Zivilrechtsweg gegeben. Dies ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 62 BNotO. Danach sind für vermögensrechtliche Streitigkeiten zwischen dem Notarverwalter und der Notarkammer (hier der Antragsgegnerin nach § 113 a Abs. 3 Nr. 7 BNotO), welche die Vergütung, die Abrechnung (§ 59 BNotO) oder die Haftung für Amtspflichtverletzungen betreffen, die Landgerichte ausschließlich zuständig. Im Streitfalle geht es allerdings nicht unmittelbar um eine dieser Streitigkeiten, sondern um Ansprüche der Notarverwalter auf die Herausgabe von Vorschüssen auf Gebühren, die erst nach dem Ausscheiden des Antragstellers fällig geworden sind (§ 146 i.V.m. §§ 141, 7, 8 Kost). Diese Gebühren stehen nach § 58 Abs. 2 Satz 2 BNotO dem Notariatsverwalter zu, nach Satz 3 der Vorschrift hat er sich aber im Verhältnis zum Kostenschuldner die gezahlten Vorschüsse anrechnen zu lassen. Daraus erwächst ihm gegen den früheren Amtsinhaber ein Anspruch auf Herausgabe zu (vgl. Vetter in Schippel, BNotO, 7. Aufl., § 58 Rdn. 26). Über diesen Anspruch, mithin auch über den Rechtsweg, auf dem er zu verfolgen ist, trifft die Bundesnotarordnung keine ausdrückliche Bestimmung. Gleichwohl verbietet sich ein Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften über den zulässigen Rechtsweg (§ 13 GVG, § 40 VwGO). Denn der Ausgleich der empfangenen Vorschüsse zwischen dem ausgeschiedenen Notar und dem Verwalter, ebenso zwischen dem Verwalter und dem Notar, der nach § 64 Abs. 3 BNotO die von dem Verwalter begonnenen Amtsgeschäfte fortführt, ist mit dem Verwalteramt und dessen rechtlicher Ausgestaltung innerlich aufs engste verbunden. Für die vermögensrechtlichen Streitigkeiten, die auf das Amtsverhältnis des Notarverwalters zum Staat einerseits (§ 57 BNotO), auf die Pflichtaufgaben der Notarkammer (§ 67 BNotO; u.a. die Übernahme des wirtschaftlichen Risikos der Notarverwaltung § 59 BNotO) andererseits, zurückgehen, hat der Gesetzgeber, unbeschadet ihres öffentlichrechtlichen Hintergrundes, die Entscheidungskompetenz den Zivilgerichten zugeordnet (zum Rechtswegcharakter der Zuordnung: Vetter in Schippel, aaO, § 62 Rdn. 1; Lemke aaO, § 111 Rdn. 14; Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 4. Aufl., § 62 Rdn. 2). Im vermögensrechtlichen Verhältnis zwischen dem Verwalter und dem früheren oder späteren Amtsinhaber treten die öffentlichrechtlichen Züge demgegenüber eher zurück, andererseits tritt das Bedürfnis, hier entstehende Streitigkeiten auf den gleichen Rechtsweg zu verweisen, auf dem die Streitigkeiten zwischen Notarverwalter und Kammer ausgetragen werden, besonders hervor. Sachzusammenhang und Praktikabilität gebieten die entsprechende Anwendung der Norm. Die Frage nach der Zuordnung des materiellen Anspruchs auf Herausgabe des Vorschusses zum öffentlichen oder zum privaten Recht bedarf in diesem Zusammenhang keiner Antwort. Läge ein öffentlichrechtliches Rechtsverhältnis vor, wäre der Rechtsweg zu den Zivilgerichten durch die anderweite Zuweisung in einem Bundesgesetz im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO 2. Halbs. gegeben.

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann das Verwaltungsgericht, an das die Sache verwiesen ist, über die Leistungsklage durch Vorbehaltsurteil entscheiden (§ 173 VwGO, § 302 ZPO) und das Verfahren über die vorbehaltene Aufrechnung entsprechend §§ 94, 173 VwGO i.V.m. §§ 148, 151 ZPO unter Fristsetzung aussetzen (BVerwGE 77, 19, 28). Es ist dann Sache der Beteiligten, den Streit über die Aufrechnungsforderung vor dem Zivilgericht auszutragen. Die Aufrechnung findet im Falle der bestandskräftigen Feststellung der Gegenforderung im Nachverfahren vor dem Verwaltungsgericht Berücksichtigung.

Dieser Verfahrensgang gibt dem versorgungsberechtigten Notar, der sich auf einen Leistungsbescheid stützen kann, die Möglichkeit, seinen Anspruch mit der Leistungsklage zu verfolgen. Er ist nicht darauf angewiesen, die Leistungskürzung bis auf weiteres hinzunehmen und die von der Kasse zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung mit der negativen Feststellungsklage zu bekämpfen. Die Möglichkeit des Notars, vor dem Verwaltungsgericht ein Vorbehaltsurteil zu erwirken, spiegelt das materielle Risiko wider, vor das sich die aufrechnende Kasse gestellt sieht. Gegenforderung und Wirksamkeit der Aufrechnung sind von ihr zu beweisen. Solange der Beweis nicht geführt ist, kommt der Vorbehaltstitel dem Notar zugute.

Daß im Streitfalle wegen der fehlerhaften Anrufung des Gerichts der Freiwilligen Gerichtsbarkeit der Verfahrensgang verlängert wird, kann für die zu treffende Entscheidung, die auch künftige Fälle berücksichtigen muß, nicht maßgebend sein.

4. Ob die Neufassung der §§ 17 ff GVG durch das 4. VwGOÄndG vom 17. Dezember 1990 (BGBl I S. 2809) diese Rechtslage in dem Sinne geändert hat, daß das Gericht des zulässigen Rechtswegs nunmehr auch in vollem Umfang über die Aufrechnung mit rechtswegfremden Forderungen entscheiden kann (vgl. Musielak/Wittschier, ZPO, § 17 GVG Rdn. 10 und 12 m. zahlr. Nachw.), kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben.

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BGH:
Beschluss v. 20.03.2000
Az: NotZ 17/99


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