Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 17. November 2010
Aktenzeichen: XII ZB 244/10
(BGH: Beschluss v. 17.11.2010, Az.: XII ZB 244/10)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Verfahrenspflegers wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 20. Mai 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Landgericht Siegen zurückverwiesen.
Der Geschäftswert wird auf bis 300 € festgesetzt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 5. März 2010 die zeitweise Beschränkung der Freiheit der Betroffenen durch Einsatz von Bettgittern betreuungsgerichtlich genehmigt. Gleichzeitig hat der Amtsrichter den als Rechtsanwalt tätigen Rechtsbeschwerdeführer zum Verfahrenspfleger für die Betroffene bestellt und festgestellt, dass die Verfahrenspflegschaft in Ausübung des Berufes geführt werde. Ferner heißt es in der Begründung des Beschlusses:
"Hier liegen die Voraussetzungen einer Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vor, da ein als Verfahrenspfleger bestellter Laie in gleicher Lage wegen besonderer rechtlicher Anforderungen (besonders schützenswertes Rechtsgut betroffen, so dass das Verfahren ggf. auf formell- und materiellrechtliche Fehler zu überprüfen ist) einen Rechtsanwalt hinzugezogen hätte".
Der Rechtsbeschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 9. April 2010 seine Leistungen nach Nr. 6300 VV-RVG mit 172 € zzgl. Auslagen nach Nr. 7002 VV-RVG und Umsatzsteuer - insgesamt 228,48 € - in Rechnung gestellt.
Das Amtsgericht - Rechtspflegerin - hat diesen Antrag mit Beschluss vom 15. April 2010 zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 20. Mai 2010 zurückgewiesen.
Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Rechtsbeschwerdeführer weiterhin die Festsetzung der von ihm beantragten Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.
II.
Die gemäß § 70 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Ob ein in einer Unterbringungssache zum Verfahrenspfleger bestellter Rechtsanwalt seine Tätigkeit als berufsspezifische Dienstleistung ausnahmsweise nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz abrechnen könne, hänge nach herrschender Meinung davon ab, ob ein qualifizierter Laie als Verfahrenspfleger anwaltlichen Rat gesucht hätte. Im vorliegenden Verfahren hätten sich besondere rechtliche Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Notwendigkeit von freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht abgezeichnet.
Daran ändere auch der Hinweisbeschluss des Richters des Amtsgerichts vom 25. Januar 2010 (richtig wohl: 5. März 2010) nichts, wonach hier die Voraussetzungen einer Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorlägen. Denn insoweit habe erkennbar keine Einzelfallprüfung stattgefunden. Ob aber tatsächlich im konkreten Fall die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig gewesen sei, hätte unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Anhörung und des gesamten Akteninhalts mit entsprechender Begründung entschieden werden müssen.
Der Verfahrenspfleger könne sich auch nicht darauf berufen, er habe nur im Vertrauen auf eine entsprechende Vergütung die Aufgabe als Verfahrenspfleger wahrgenommen. Den als Verfahrenspfleger tätigen Rechtsanwälten im Bezirk des Landgerichts - zu denen auch der Verfahrenspfleger gehöre - sei bekannt, dass die Rechtspfleger des Amtsgerichts nur in bestimmten Einzelfällen die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Verfahrenspfleger für notwendig erachteten. Weiter sei ihnen bekannt, dass die Kammer diese Auffassung der Rechtspfleger des Amtsgerichts teile.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Der Rechtsbeschwerdeführer ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zu vergüten.
a) Dabei kann dahinstehen, ob die materiellen Voraussetzungen für eine solche Vergütung vorliegen. Denn die Feststellungen im Beschluss vom 5. März 2010, dass dies der Fall sei, binden den Rechtspfleger bei der Kostenfestsetzung.
aa) Gemäß § 318 FamFG gilt für die Vergütung und den Aufwendungsersatz des - in einer Unterbringungssache bestellten - Verfahrenspflegers § 277 FamFG entsprechend; Unterbringungssachen sind auch die Verfahren, die die - hier erteilte - Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB zum Gegenstand haben (§ 312 Nr. 2 FamFG). Nach § 277 Abs. 1 Satz 1 FamFG erhält der Verfahrenspfleger Ersatz seiner Aufwendungen nach § 1835 Abs. 1 bis 2 BGB. Gemäß § 277 Abs. 2 Satz 2 FamFG hat er neben den Aufwendungen nach Absatz 1 Anspruch auf eine Vergütung in entsprechender Anwendung der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 und 2 des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetzes, wenn die Verfahrenspflegschaft - wie hier - ausnahmsweise berufsmäßig geführt wird. Auf § 1835 Abs. 3 BGB, wonach als Aufwendung auch solche Dienste des Vormunds oder des Gegenvormunds gelten, die zu seinem Gewerbe oder seinem Beruf gehören, verweist § 277 FamFG nicht.
bb) In Rechtsprechung und Literatur ist indes zu Recht anerkannt, dass § 1835 Abs. 3 BGB gleichwohl auf den anwaltlichen Verfahrenspfleger anzuwenden ist. Danach kann der Verfahrenspfleger eine Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz beanspruchen, soweit er im Rahmen seiner Bestellung solche Tätigkeiten zu erbringen hat, für die ein Laie in gleicher Lage vernünftigerweise einen Rechtsanwalt zuziehen würde (vgl. BVerfG FamRZ 2000, 1280, 1282; OLG Schleswig NJW-RR 2009, 79, 80; OLG München FamRZ 2008, 2150 f.; OLG Stuttgart NJW-RR 2004, 424; OLG Köln FamRZ 2001, 1643, 1644; BayObLG FamRZ 2002, 1201 f.; LG Mönchengladbach Beschluss vom 3. November 2004 - 5 T 484/04 - juris Rn. 6; Dodegge in Schulte-Bunert/Weinreich FamFG 2. Aufl. § 277 Rn. 8; Keidel/Budde FamFG 16. Aufl. § 277 Rn. 9; Prütting/Helms/Fröschle FamFG § 277 Rn. 58; vgl. auch zur Bestellung eines Rechtsanwalts zum Berufsbetreuer Senatsbeschluss vom 20. Dezember 2006 - XII ZB 118/03 - FamRZ 2007, 381, 382 f.).
Zwar heißt es in § 1 Abs. 2 Satz 1 RVG, dass das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nicht für eine Tätigkeit als Verfahrenspfleger gelte. Damit soll indessen nur verdeutlicht werden, dass die Führung einer Verfahrenspflegschaft allein nicht als Erbringung anwaltlicher Dienste in diesem Sinne angesehen werden kann. § 1 Abs. 2 Satz 2 RVG, wonach § 1835 Abs. 3 BGB unberührt bleibt, stellt demgegenüber klar, dass der anwaltliche Verfahrenspfleger, der für den Betroffenen Dienste erbringt, für die ein nichtanwaltlicher Verfahrenspfleger einen Rechtsanwalt hinzugezogen hätte, insoweit Aufwendungsersatz nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz verlangen kann (vgl. BVerfG FamRZ 2000, 1280, 1282 unter Hinweis auf den Gesetzesentwurf, der die entsprechende Vorgängerregelung, § 1 Abs. 2 BRAGO, betraf).
cc) Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 7. Juni 2000 (FamRZ 2000, 1280, 1282) darauf hingewiesen, dass es in diesem Kontext in der Praxis zu schwierigen Abgrenzungsfragen kommen könne. Deshalb könne es für die Gerichte im Sinne der Rechtsklarheit geboten sein, bereits bei der Bestellung eines Rechtsanwalts als Verfahrenspfleger einen Hinweis darauf zu geben, ob im konkreten Fall davon auszugehen sei, dass rechtsanwaltsspezifische Tätigkeiten anfallen werden. Erst dann stünden dem Rechtsanwalt alle Tatsachen zur Verfügung, die für seinen Entschluss bei Übernahme der Verfahrenspflegschaft von Bedeutung seien. Er könne die Pflegschaft ablehnen, wenn er nur für solche Verfahrenspflegschaften zur Verfügung stehe, für die er - da anwaltliche Tätigkeit vonnöten sei - auch nach der BRAGO (jetzt dem RVG) abrechnen könne.
(1) Im Hinblick hierauf sind die Instanzgerichte - wie auch hier das Amtsgericht - dazu übergegangen, in den Bestellungsbeschlüssen die Erforderlichkeit einer anwaltsspezifischen Tätigkeit festzustellen (vgl. dazu etwa Keidel/Budde aaO § 277 Rn. 10).
(2) Nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat anschließt, ist eine solche Feststellung für die Kostenfestsetzung bindend (OLG Schleswig NJW-RR 2009, 79, 80; OLG Stuttgart NJW-RR 2004, 424, 425; OLG Köln FamRZ 2001, 1643, 1644 "konstitutiv"; LG Mönchengladbach Beschluss vom 3. November 2004 - 5 T 484/04 - juris Rn. 3; Keidel/Budde aaO § 277 Rn. 10; Prütting/Helms/Fröschle aaO § 277 Rn. 60).
Dies gebietet bereits der durch eine solche Feststellung begründete Vertrauensschutz, dem vor dem Hintergrund der grundrechtlich geschützten Freiheit der Berufsausübung des anwaltlichen Verfahrenspflegers auch deshalb besondere Bedeutung zukommt, weil er bei der Übernahme solcher Pflegschaften entsprechend zu disponieren hat (vgl. BVerfG FamRZ 2000, 1280, 1282).
Folgte man der Auffassung des Beschwerdegerichts, das hier eine Bindungswirkung verneint hat, hätte dies im Übrigen zur Konsequenz, dass der für die Festsetzung der Kosten gemäß § 318 i.V.m. §§ 277 Abs. 5 Satz 2, 168 FamFG, § 3 Nr. 2 a RPflG zuständige Rechtspfleger die vom Richter getroffene Einschätzung der Erforderlichkeit einer anwaltsspezifischen Tätigkeit ohne weiteres revidieren könnte, ohne selbst mit der Sache inhaltlich befasst gewesen zu sein. Das gilt jedenfalls in all denjenigen Fällen, in denen - wie hier - der Richter für die Hauptsache und damit auch für die Bestellung des Verfahrenspflegers funktional zuständig ist (vgl. Prütting/Helms/Fröschle aaO § 276 Rn. 75).
(3) Soweit das Beschwerdegericht meint, der Verfahrenspfleger könne sich mangels einer Einzelfallprüfung nicht auf die Feststellungen des Amtsrichters berufen, lehnt es sich ersichtlich an die Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts an. Dieses hat in seinem Beschluss vom 16. Januar 2002 zwar eine Bindungswirkung dem Grunde nach anerkannt, diese aber von der Voraussetzung abhängig gemacht, dass das Gericht dem Rechtsanwalt bei seiner Bestellung auf den Einzelfall bezogene Tatsachen mitteilt, die im konkreten Fall die erforderliche Hinzuziehung eines Rechtsanwalts erkennbar begründen (vgl. BayObLG FamRZ 2002, 1201 Leitsatz 1; ihm folgend: Schulte-Bunert/Weinreich/Dodegge aaO § 277 Rn. 9). In dem vom Bayerischen Obersten Landesgericht zu entscheidenden Fall hatte das Amtsgericht in einem Betreuungs- und Unterbringungsverfahren eine Rechtsanwältin zur Verfahrenspflegerin bestellt, "weil hier das fachspezifische Tätigwerden und Vertretung durch einen Rechtsanwalt vonnöten" sei. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat diese Formulierung als (zu) allgemein qualifiziert, weshalb sie als Grundlage für eine solche Annahme nicht ausreiche (BayObLG FamRZ 2002, 1201, 1202 f.).
Folgte man dieser Auffassung, bürdete man dem Rechtsanwalt das Prognoserisiko auf. Dies widerspräche jedoch der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Hinweis des Gerichts den Rechtsanwalt in die Lage versetzen solle zu entscheiden, ob er die Verfahrenspflegschaft übernimmt. Trifft das Gericht in seinem Bestellungsbeschluss entsprechende Feststellungen, darf ein etwaiger Begründungsmangel nicht zu Lasten des Rechtsanwaltes gehen. Sieht sich das Gericht mangels hinreichender Tatsachengrundlage nicht in der Lage, über die Notwendigkeit einer anwaltsspezifischen Tätigkeit zu entscheiden, muss es dies offen legen. Dann bleibt es dem Rechtsanwalt überlassen, ob er trotz der gegenwärtig nicht geklärten Vergütungsfrage die Verfahrenspflegschaft übernimmt. Im Übrigen kann dem anwaltlichen Verfahrenspfleger auch nachträglich eine Liquidation nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zugestanden werden, wenn sich ein ursprünglich als einfach eingeschätzter Fall nachträglich als rechtlich schwierig erweist (BVerfG FamRZ 2000, 1280, 1282). Stellt das Gericht hingegen in seinem Bestellungsbeschluss die Erforderlichkeit einer anwaltsspezifischen Tätigkeit fest, ist der anwaltliche Verfahrenspfleger entgegen der Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht gehalten, anhand seines - vielfach noch gar nicht ausreichenden - Kenntnisstandes eine eigene Prognose anzustellen (im Ergebnis ebenso Keidel/Budde aaO § 277 Rn. 10).
(4) Die umstrittene Frage, ob gegen die Feststellung, dass eine anwaltsspezifische Tätigkeit erforderlich ist, das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben ist (so etwa Prütting/Helms/Fröschle aaO § 277 Rn. 60 mwN zum Meinungsstand), kann hier dahinstehen, weil die Staatskasse ein solches Rechtsmittel gegen den Beschluss vom 5. März 2010 nicht eingelegt hat.
b) Den vorstehenden Anforderungen wird der angefochtene Beschluss des Landgerichts nicht gerecht.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts kommt es auf die Frage, ob vorliegend die Voraussetzungen für eine anwaltsspezifische Tätigkeit tatsächlich vorgelegen haben, nicht an. Denn hier hatte der Amtsrichter festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorliegen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist auch nicht entscheidend, ob diesen Feststellungen eine Einzelfallprüfung basierend auf konkreten, auf den vorliegenden Fall bezogenen Umständen zugrunde gelegen hat. Ein etwaiges Begründungsdefizit der Entscheidung geht ebenso wenig zu Lasten des anwaltlichen Verfahrenspflegers wie das Prognoserisiko. Deshalb kann er sich vorliegend auf Vertrauensschutz berufen, und zwar unabhängig davon, ob ihm bekannt war, dass die Rechtspfleger des Amtsgerichts Siegen nur in bestimmten Einzelfällen die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts als Verfahrenspfleger für notwendig erachten.
3. Der angefochtene Beschluss war gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben. Nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG war das Verfahren zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit dieses den Festsetzungsantrag unter Beachtung der rechtlichen Beurteilung durch den Senat bescheiden kann.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer Schilling Günter Vorinstanzen:
AG Siegen, Entscheidung vom 15.04.2010 - 33 XVII K 1652 -
LG Siegen, Entscheidung vom 20.05.2010 - 4 T 102/10 -
BGH:
Beschluss v. 17.11.2010
Az: XII ZB 244/10
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