Bundespatentgericht:
Beschluss vom 23. Juli 2010
Aktenzeichen: 4 Ni 50/07

(BPatG: Beschluss v. 23.07.2010, Az.: 4 Ni 50/07)

Tenor

Die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung von Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten bemisst sich nach einem Streitwert von 1.000.000,00 €.

Gründe

I.

1.

Die Klägerin und Antragstellerin hat Nichtigkeitsklage gegen das Streitpatent erhoben und den Streitwert in der Klageschrift mit 1 Mio. € angegeben. In der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2009 wurde der Streitwert unmittelbar nach der Antragstellung auf 10 Mio. € festgesetzt. Zuvor war bekundet worden, der Streitwert eines parallelen Verletzungsverfahrens belaufe sich auf diesen Wert. Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde das klageabweisende Urteil verkündet. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2010 kündigte die Antragstellerin einen Antrag auf Streitwertbegünstigung an, der mit Schreiben vom 18. März 2010 dann auch gestellt wurde.

2.

Der Antragstellerin war mit Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 31. Juli 2007 (Az. 4b O 297/06) auf der Grundlage des Streitpatents untersagt worden, bestimmte Okklusionsvorrichtungen weiter zu vertreiben, Rechnung zu legen und den vorhandenen Bestand von Okklusionsvorrichtungen im angegebenen Verkaufswert von "etwa 6.500.000,00 €" zu vernichten. Die Berufung der Antragstellerin gegen dieses Urteil wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf mit Urteil vom 22. Dezember 2008 (Az. I-2 U 65/07) zurückgewiesen.

Am 26. Oktober 2009 erwirkte die Antragsgegnerin ebenfalls auf der Grundlage des Streitpatents eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf (Az. 4b O 206/09) gegen die Antragstellerin betreffend eine abgeänderte Ausführungsform, wonach auch für diese Ausführungsform Benutzungshandlungen untersagt sowie die Herausgabe der vorhandenen Okklusionsvorrichtungen bis zur Entscheidung über den Vernichtungsanspruch angeordnet wurden.

Diese Verfügung hielt das Landgericht Düsseldorf mit Urteil vom 18. Dezember 2009 mit der Maßgabe aufrecht, dass die Vollziehung und die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung von einer Sicherheitsleistung in Höhe von 1.600.000,00 € abhängig gemacht wurden. Diese Sicherheitsleistung hat die Antragsgegnerin am 18. Januar 2010 erbracht.

3. Die Antragstellerin ist der Auffassung, der Antrag auf Streitwertbegünstigung sei zulässig, weil erstmals nach der Antragstellung ein Streitwert festgesetzt worden sei und dies auch in einer anderen Höhe als von ihr in der Klage angegeben, weshalb auch eine nachträgliche Heraufsetzung vorliege.

Der Antrag sei auch begründet, weil die Belastung aus dem vollen Streitwert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde. Hierzu legt sie wirtschaftliche Berechnungen sowie eine eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers vor und macht geltend, sie könne derzeit praktisch keine Okklusionsvorrichtungen mehr vertreiben.

Die Antragsgegnerin behauptet, der Antrag sei schon unzulässig, weil er nach Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt worden sei, jedenfalls aber sei er unbegründet, weil nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden sei, dass es erst nach der hiesigen Entscheidung zu einer erheblichen Gefährdung der wirtschaftlichen Lage der Antragstellerin gekommen sei.

II.

1.

Der Antrag ist zulässig, § 144 Abs. 2 Satz 3 PatG i. V. m. § 2 Abs. 2 Satz 5 PatKostG. Der zunächst seitens der Klägerin in der Klageschrift angegebene Streitwert wurde nämlich erst nach dem Beginn der Verhandlung zur Hauptsache, also nach der Antragstellung, vom Gericht festgesetzt (Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl., § 144 Rdnr. 9; Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., § 144 Rdnr. 11).

2.

Der Antrag ist auch begründet.

a) Die Antragstellerin hat in einer der Vorschrift des § 294 ZPO genügenden Form glaubhaft gemacht, dass sich infolge der Verletzungsstreitigkeiten zwischen den Parteien ihre wirtschaftliche Lage nach der hiesigen Entscheidung einschneidend verschlechtert hat, nachdem sie praktisch keine Okklusionsvorrichtungen mehr herstellen und vertreiben kann und sich auch die Aussicht auf ein anderes, zunächst geplantes Geschäft zerschlagen hat.

b) Die wirtschaftliche Lage der Antragstellerin stellt sich danach so dar, dass sie im Kalenderjahr 2008 einen Umsatz in Höhe von 6.220.556,85 € und im Jahr 2009, bis zur Vollstreckung des Urteils des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. Dezember 2008 (Az. I-2 U 65/07) am 15. Januar 2009, einen solchen in Höhe von 718.358,22 €. erzielte. Gleichzeitig ergeben sich zum 31. Dezember 2009 ein Bilanzverlust in Höhe von 3.101.547,94 €, ein nicht gedeckter Fehlbetrag in Höhe von 640.407,94 € und Verbindlichkeiten in einer Höhe von 5.055.656,53 €, denen Forderungen aus Lieferungen und Leistungen in Höhe von 3.086.593,04 € gegenüberstehen. Für das Jahr 2008 weist die Antragstellerin einen Jahresfehlbetrag in Höhe von 821.610,30 € und für das Jahr 2009 einen Überschuss in Höhe von 82.245,67 € aus.

Mit der geänderten Ausführungsform, deren Vertrieb durch die Antragstellerin am 4. Juni 2009 begann, erzielte sie zwischen Juni und November 2009 einen Umsatz in Höhe von 655.656,75 €, davon allein im Oktober 212.591,40 €, bevor ihr mit einstweiliger Anordnung des Landgerichts Düsseldorf vom 26. Oktober 2009 (Az. 4b O 206/09) auf der Grundlage des Streitpatents auch insoweit die Benutzungshandlungen untersagt wurden. Als das Landgericht Düsseldorf mit Urteil vom 18. Dezember 2009 diese Maßnahme dahingehend bestätigte, dass die Vollziehung und die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung von einer Sicherheitsleistung in Höhe von 1.600.000,00 € abhängig gemacht wurde, erzielte die Antragstellerin mit Herstellung, Anbieten und Vertrieb der geänderten Ausführungsform zwischen dem 18. Dezember 2009 und dem 18. Januar 2010, als die Sicherheit geleistet wurde, im ersten Quartal 2010 noch einen Umsatz von etwa 1.221.000,00 € bei Kosten in Höhe von 1.322.000,00 €.

c) Daraus ergibt sich, dass die entscheidende Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Antragstellerin erst nach der hier in Frage stehenden Festsetzung des Streitwerts in der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2009 eingetreten ist und gleichzeitig die Belastung mit Verfahrenskosten in Höhe von etwa 460.000,00 € den Bestand der Antragstellerin erheblich gefährden würde. Hinzu kommt, dass diese Gefährdung der wirtschaftlichen Lage der Antragstellerin ganz offensichtlich mit den Verfahren betreffend eine tatsächliche oder mögliche Verletzung des Streitpatents zusammenhängt.

Daher ist der Antragstellerin derzeit die Streitwertbegünstigung zu gewähren, um ihren Weiterbestand nicht über Gebühr zu gefährden und auch um ihr verfassungsmäßiges Recht auf Zugang zu den Gerichten zu wahren. Durch die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, auf gesonderten Antrag gegebenenfalls nach einem herabgesetzten Streitwert eine gerichtliche Entscheidung über den Bestand eines Patents zu erlangen, soll nämlich gewährleistet werden, nicht wegen eines auf Grund einer bezifferten Schadensersatzklage festzusetzenden Streitwerts und der deshalb drohenden Kosten von der Nichtigkeitsklage Abstand nehmen zu müssen, die als Reaktion auf die Patentverletzungsklage für geboten erachtet wird (vgl. BGH, GRUR 2009, 1100 - Druckmaschinen-Temperierungssystem III).

Die Aussichten der Rechtsverfolgung seitens der Antragstellerin spielen hierbei keine Rolle. Ausgeschlossen wäre eine Streitwertbegünstigung nur, wenn sich das Verhalten der Antragstellerin als rechtsmissbräuchlich darstellen würde. Dafür ist nichts ersichtlich oder vorgetragen (allg. M., vgl. nur Benkard/Rogge/Grabinski, a. a. O., § 144 Rdnr. 7 m. w. N.).

Unbeachtlich ist auch, dass die Nichtigkeitsklage in der ersten Instanz abgewiesen wurde, denn das schließt eine andere Entscheidung im Berufungsverfahren, sei es aufgrund einer anderen rechtlichen Bewertung oder aufgrund anderen Tatsachenmaterials, nicht aus. Daher kann es für die Beurteilung einer Streitwertbegünstigung im Nichtigkeitsverfahren auch nicht auf das Ergebnis dieser Instanz ankommen (a. A wohl OLG Düsseldorf, GRUR 1985, 219 für das Verletzungsverfahren).

d) Nachdem die Antragstellerin selbst in ihrer Klageschrift einen Streitwert in Höhe von 1 Million Euro vorgeschlagen hatte, war derjenige Teil des Streitwerts, nach dessen Höhe sich ihre Erstattungspflicht bemisst, auf diesen Betrag festzusetzen. Schließlich bedürfen auch die Interessen der Antragsgegnerin einer Berücksichtigung und es hat auch ein gewisses Kostenwagnis bei der Antragstellerin zu verbleiben (vgl. Benkard/Rogge/Grabinski, a. a. O., § 144 Rdnr. 6 m. w. N.).

Rauch Voit Dr. Müller Pr






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Beschluss v. 23.07.2010
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