Verwaltungsgericht Köln:
Beschluss vom 29. September 2006
Aktenzeichen: 1 L 1380/06
(VG Köln: Beschluss v. 29.09.2006, Az.: 1 L 1380/06)
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage - 1 K 3928/06 - gegen Ziffer I. 3 des Beschlusses der Bundesnetzagentur vom 29. August 2006 (BK 4c-06-002/R) wird bis zum 09. November 2006 angeordnet, soweit sich diese Regelung auf Entgeltanordnungen gemäß § 25 Abs. 5 und 6 TKG bezieht.
Im Óbrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird auf 250.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 29. August 2006 (BK 4c-06-002/R) entschied die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur - BNetzA) zum einen, dass - aufgrund der Festlegung durch ihre Präsidentenkammer - die als "Betroffene" bezeichnete Antragstellerin auf dem bundesweiten (Großkunden-)Markt für Anrufzustellungen in ihr Mobiltelefonnetz (D2- Netz) über beträchtliche Marktmacht verfüge. Zum anderen beschloss die BNetzA:
"I.
R e g u l i e r u n g s v e r f ü g u n g
1. Die Betroffene wird dazu verpflichtet, Betreibern von öffentlichen Telefonnetzen
1.1 die Zusammenschaltung mit ihrem öffentlichen Mobiltelefonnetz am Vermittlungsstandort der Betroffenen zu ermöglichen,
1.2 über die Zusammenschaltung Verbindungen in ihr Netz zu terminieren
und
1.3 zum Zwecke des Zugangs gemäß Ziffern 1.1 und 1.2 Kollokation sowie im Rahmen dessen Nachfragern bzw. deren Beauftragten jederzeit Zutritt zu diesen Einrichtungen zu gewähren.
2. Die Betroffene wird dazu verpflichtet, dass Vereinbarungen über Zugänge nach Ziffer 1 auf objektiven Maßstäben beruhen, nachvollziehbar sind, einen gleichwertigen Zugang gewähren und den Geboten der Chancengleichheit und Billigkeit genügen.
3. Die Entgelte für die Gewährung des Zugangs und der Kollokation gemäß Ziffer 1 unterliegen der Genehmigung nach Maßgabe des § 31 TKG.
II.
Der Betroffenen wird auferlegt, ein Standardangebot für Zugangsleistungen, zu deren Angebot sie durch die in dieser Entscheidung ergangene(n) Regulierungsverfügung verpflichtet worden ist und für die eine allgemeine Nachfrage besteht, innerhalb von drei Monaten nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu veröffentlichen.
Die Angaben zu den Standorten des Zugangs bzw. der Kollokation müssen nicht veröffentlicht werden, sie müssen nur auf Nachfrage interessierten Unternehmen zugänglich gemacht werden."
Gegen diesen ihr am 30. August 2006 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am folgenden Tage Anfechtungsklage erhoben (1 K 3928/06 VG Köln).
Im gleichzeitig anhängig gemachten vorliegenden Verfahren beantragt die Antragstellerin sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage - 1 K 3928/06 - VG Köln- gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur vom 29. August 2006 (einschließlich der darin mit Außenwirkung ergangenen Festlegung durch die Präsidentenkammer) anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verfahrensakte 1 K 3928/06 verwiesen.
II.
Der Antrag ist nur in dem sich aus dem Tenor ergebenden geringen Umfange erfolgreich; im Übrigen ist er unbegründet.
Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der sich aus § 137 Abs. 1 TKG ergebenden sofortigen Vollziehbarkeit des angegriffenen Beschlusses und dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin fällt überwiegend zu Lasten der Antragstellerin aus.
Soweit in Ziffer I. Nr. 3 die Auferlegung der Genehmigungspflicht ex nunc - ohne Einräumung jeglicher Umsetzungsfrist - verfügt worden ist, spricht allerdings zunächst Vieles für die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Regulierungsverfügung, soweit Entgeltanordnungen in Rede stehen. Insoweit war der Antragstellerin einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, da ihr Aussetzungsinteresse insoweit überwiegt.
Diese Einschätzung beruht auf folgenden Erwägungen:
Mit Bescheid vom 01. Dezember 2005 (Gz.: BK 4d-05-071/E 22.09.05 - Gegenstand des Klageverfahrens 1 K 7596/05) hat die BNetzA im Verhältnis zwischen der Antragstellerin und der Firma U. GmbH auflösend bedingt Terminierungsentgelte angeordnet. Mit Wirksamwerden der Unterwerfung unter die Genehmigungspflicht durch die vorliegend angefochtene Regulierungsverfügung tritt diese auflösende Bedingung ein. Das hat zur Folge, dass die Antragstellerin ab Eintritt der auflösenden Bedingung bzw. Auferlegung der Genehmigungspflicht gemäß § 37 Abs. 1 TKG keine Terminierungsentgelte von der Firma U. GmbH mehr erheben kann, jedoch weiterhin zur Leistungserbringung aus der nach § 150 Abs. 1 Satz 3 TKG fortwirkenden Zusammenschaltungsanordnung vom 25. Juni 2004 verpflichtet ist.
Kommt zwischen der Antragstellerin und der Firma U. GmbH bei den aufgrund der angefochtenen Regulierungsverfügung gemäß § 22 Abs. 1 TKG durchzuführenden Verhandlungen - wiederum - keine Entgeltvereinbarung zustande, spricht Überwiegendes dafür, dass einer dann von der BNetzA zu treffenden entsprechenden Entgeltanordnung keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Leistungsbereitstellung zukäme. Zwar erklärt § 25 Abs. 5 Satz 3 TKG die §§ 27 bis 38 hinsichtlich der festzulegenden Entgelte insgesamt für anwendbar. Jedoch spricht zum einen die Regelung des § 25 Abs. 8 Satz 1 TKG, der zufolge Anordnungen der Regulierungsbehörde unverzüglich zu befolgen sind, es sei denn, es wäre eine Umsetzungsfrist bestimmt worden, gegen die Möglichkeit rückwirkender (Entgelt-)Anordnungen. Vielmehr liegt es näher, dass diese Regelung von einer ex- nunc Wirkung bzw. von einer Zukunftsgerichtetheit der getroffenen Anordnungen ausgeht. Zum anderen spricht auch die in § 35 Abs. 5 Satz 1 TKG getroffene Regelung, nach der - nur - Entgeltgenehmigungen eines vertraglich bereits vereinbarten Entgelts auf den Zeitpunkt der erstmaligen Leistungsbereitstellung zurückwirken, entscheidend gegen die Möglichkeit rückwirkender Entgeltanordnungen bzw. für deren exnunc Wirkung.
Dies aber würde zu dem für die Antragstellerin nicht hinnehmbaren Ergebnis führen, dass sie bis zum Ergehen einer Entgeltanordnung (§ 25 Abs. 5 und 6 TKG) Terminierungsleistungen unentgeltlich erbringen müsste.
Insoweit kann auch eine von der BNetzA im angefochtenen Bescheid erwogene vorläufige Anordnung nach § 130 TKG keine Abhilfe schaffen. Denn zum einen dürfte auch einer solchen vorläufigen Anordnung wegen der Regelung des § 35 Abs. 5 Satz 1 TKG bei angeordneten Entgelten keine Rückwirkung beigelegt werden können. Zum anderen entspricht es der Rechtsnatur einer vorläufigen Anordnung, dass ihr Fortbestand davon abhängt, dass sie in jeder Hinsicht, also auch zeitlich, von der endgültigen Entscheidung bestätigt wird,
vgl. zu § 78 TKG (1996): Urteil der Kammer vom 14. November 2002 -1 K 1799/01-.
Dies aber dürfte nach dem bisher Gesagten ausscheiden.
Soweit die BNetzA im angefochtenen Bescheid weiter die Auffassung geäußert hat, die Antragstellerin habe aufgrund mehrerer Schreiben im Vorfeld, die über die beabsichtigte Auferlegung einer Genehmigungspflicht informiert hätten, hinreichend Zeit für die Erstellung von Kostenunterlagen gehabt, vermag sie hiermit nicht durchzudringen. Die aus der Unterwerfung unter die Genehmigungspflicht resultierende Verpflichtung zur Stellung eines mit Kostenunterlagen versehenen Genehmigungsantrages entstand - ungeachtet des Umstandes, dass die Genehmigung eines Entgeltes sinnvoll erst beantragt werden kann, nachdem es vereinbart worden ist - erst mit Wirksamwerden der angefochtenen Regulierungsverfügung, mithin mit deren Zustellung am 30. August 2006, § 43 Abs. 1 VwVfG.
Nach alledem war die aufschiebende Wirkung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang anzuordnen, wobei sich die Kammer bei der Fristbestimmung an § 25 Abs. 1 Satz 1 TKG orientiert und als Fristbeginn den frühest möglichen Zeitpunkt der Antragstellung angesetzt hat.
Im Übrigen fällt die Interessenabwägung zu Ungunsten der Antragstellerin aus.
Diese Abwägung beruht allerdings nicht auf einer Einschätzung der Prozessaussichten im Hauptsacheverfahren. Darüber lässt sich nach dem derzeitigen Verfahrens- und Erkenntnisstand nicht einmal ein Wahrscheinlichkeitsurteil abgeben. Die Anfechtungsklage hängt von mehreren höchstrichterlich nicht geklärten schwierigen Rechtsfragen ab, die sich nicht im vorläufigen Rechtsschutzverfahren aufgrund einer summarischen Prüfung in der einen oder anderen Richtung mit überwiegender Richtigkeitsgewissheit beantworten lassen. Das betrifft u.a. das Konsultations- und Konsolidierungsverfahren, die Marktabgrenzung, die Marktanalyse sowie die Auslegung und Anwendung von § 30 Abs. 1 Satz 2 TKG. Zu allen Auslegungs- und Anwendungsfragen liegen unterschiedliche Auffassungen von fachlichem Gewicht vor, deren Bewertung im vorliegenden summarischen Verfahren nicht vorgenommen werden kann, sodass der Prozessausgang als offen angesehen werden muss. Deshalb sind die widerstreitenden Interessen unabhängig vom voraussichtlichen Ergebnis des Hauptsacheverfahrens gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber dem Vollzugsinteresse erhebliches Gewicht beimisst, wie sich aus dem Umstand ergibt, dass er in § 137 Abs. 1 TKG die sofortige Vollziehbarkeit von Regulierungsentscheidungen generell angeordnet hat. Trotz dieser Wertung erübrigt sich jedoch nicht die Interessenabwägung, die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO bei offenem Prozessausgang vorzunehmen ist; diese ist zwar gesetzlich vorstrukturiert, aber nicht präjudiziert,
vgl. dazu: BVerwG, Beschluss vom 14. April 2005 - 4 VR 1005/04 -, NVwZ 2005, 689 (690).
Würde dem Aussetzungsantrag stattgegeben, jedoch später im Hauptsacheverfahren die Klage abgewiesen, so wäre die Antragstellerin vorerst weder zur Zusammenschaltung verpflichtet noch unterlägen die von ihr erhobenen Terminierungsentgelte irgendeiner Regulierung. Die Terminierungsentgelte wären dann mangels konkreter Anordnung nicht einmal nach § 38 Abs. 2 bis 4 TKG expost zu kontrollieren. Zum Schutze der auf den Zugang zum Netz der Antragstellerin angewiesenen konkurrierenden Betreiber wäre dann nur das allgemeine Wettbewerbsrecht anwendbar. Dazu wird in den zusammen mit der Regulierungsverfügung ergangenen Festlegungen zum Markt Nr. 16 (S. 45) ausgeführt:
"Auf den Märkten für Anrufzustellung in einzelnen Mobilfunknetzen sind die Regeln des allgemeinen Wettbewerbsrechts nicht ausreichend. Die alleinige Anwendung des allgemeinen Wettbewerbsrechts würde nämlich nur ein punktuelles Eingreifen in einzelnen Verfahren ermöglichen. Erforderlich sind wesentlich detailliertere Befugnisse zur Vornahme positiver Regelungen, z.B. fortlaufende Überwachung und häufiges Einschreiten."
Gegen diese offenbar von den nationalen Regulierungsbehörden der anderen Mitgliedsstaaten und der Kommission im Verfahren nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 TKG geteilte Einschätzung, die zumindest im vorliegenden summarischen Verfahren das Gericht überzeugt, hat die Antragstellerin keine substantiierten Einwendungen erhoben.
Würde demgegenüber der Aussetzungsantrag abgelehnt und wäre die Klage in der Hauptsache später ganz oder teilweise erfolgreich, so wären die Konsequenzen für die Antragstellerin nicht besonders gravierend. Zur Gewährung von Zugang und Kollokation ist sie ohnehin - wie schon in der Vergangenheit - bereit. Neu und belastend wäre für sie lediglich, dass sie ihre Terminierungsentgelte vor Erhebung von der BNetzA genehmigen lassen und in diesem Zusammenhang gemäß § 33 TKG umfangreiche Kostenunterlagen vorlegen müsste. Die Erstellung prüffähiger Kostenunterlagen mag zwar aufwändig sein, jedoch wird der Antragstellerin hierfür durch die getroffene Regelung bzw. durch die §§ 31 Abs. 6 Satz 3 und 35 Abs. 5 Satz 1 TKG ausreichend Zeit eingeräumt. Im Übrigen wäre der Aufwand nach einem Obsiegen der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren nicht nutzlos. Denn auch im Rahmen der dann als Alternativmaßnahme zu erwartenden und von der Antragstellerin bislang befürworteten expost Regulierung in der Form von § 38 Abs. 2 bis 4 TKG kann unter den Voraussetzungen des § 38 Abs. 2 Satz 3 TKG eine Kostenprüfung anhand von Kostenunterlagen in Betracht kommen.
Im Übrigen erscheinen die Nachteile, die der Antragstellerin durch die weitgehende Versagung vorläufigen Rechtsschutzes entstehen, auch deshalb weniger schwerwiegend, weil die Kammer beabsichtigt, das Hauptsacheverfahren im ersten Quartal 2007 zu entscheiden.
Unter diesen Umständen sind die für die sofortige Vollziehbarkeit sprechenden öffentlichen Belange von höherem Gewicht als die dagegen sprechenden Interessen der Antragstellerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Antragsgegnerin ist nur zu einem geringen Teil unterlegen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 137 Abs. 3 Satz 1 TKG.
VG Köln:
Beschluss v. 29.09.2006
Az: 1 L 1380/06
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