Bayerisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 27. Juli 2011
Aktenzeichen: L 7 AS 143/11 NZB
(Bayerisches LSG: Beschluss v. 27.07.2011, Az.: L 7 AS 143/11 NZB)
Tenor
I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig sind um insgesamt 185,64 EUR höhere Gebühren für ein Kostenfestsetzungswiderspruchsverfahren.
Eine SGB-II-Angelegenheit endete im Widerspruchsverfahren mit einer Kostengrundentscheidung nach § 63 Sozialgesetzbuch (SGB) X zugunsten der anwaltlich vertretenen Widerspruchsführer.
Gegen den nachfolgenden Kostenfestsetzungsbescheid des Beklagten vom 18.12.2009, in dem auf der Grundlage der Kostengrundentscheidung die Höhe der zu erstattenden Gebühren festgelegt wurde, legte der Bevollmächtigte der Kläger mit Schreiben vom 27.12.2009 Widerspruch ein; wegen der Mehrzahl der Kläger sei die Gebühr um 0,3 zu erhöhen.
Aufgrund einer entsprechenden Entscheidung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 21.12.2009, B 14 AS 83/08 R), half der Beklagte dem Widerspruch zugunsten der Widerspruchsführer in vollem Umfang ab. Im Abhilfebescheid traf der Beklagte eine Kostengrundentscheidung dahingehend, dass die im Kostenfestsetzungswiderspruchsverfahren entstandenen Kosten durch den Beklagten in vollem Umfang erstattet würden.
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger beantragte als Kosten des Kostenfestsetzungswiderspruchsverfahrens einen Betrag in Höhe von 395,08 EUR, wobei er eine Schwellengebühr in Höhe von 240,00 EUR ansetzte.
Mit Bescheid vom 28.01.2010 bewilligte der Beklagte Kosten für das Kostenfestsetzungswiderspruchsverfahren in Höhe von 209,44 EUR; es könne nur eine Schwellengebühr in Höhe von 120,00 EUR statt der beantragen 240,00 EUR anerkannt werden. Die Tätigkeit des Rechtsanwaltes habe hinsichtlich des Umfangs und der Schwierigkeit deutlich unter dem Durchschnittsfall gelegen, nachdem die Rechtsfrage betreffend die Erhöhung um 0,3 bei einer Mehrzahl von Klägern beim Bundessozialgericht anhängig gewesen sei und zum Zeitpunkt der Einlegung des Widerspruchs sogar bereits das Urteil des Bundessozialgerichts ergangen war.
Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 28.01.2010 wies der Beklage mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.2010 zurück.
Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Augsburg mit Urteil vom 14. Dezember 2010 als unbegründet ab.
Nach § 14 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) bestimme der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen. Nach Nr. 2400 der VV zum RVG könne eine Gebühr von mehr als 240,00 EUR nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei. Nur bei durchschnittlichem Umfang und bei einer durchschnittlichen Schwierigkeit stehe dem Bevollmächtigten die sogenannte Schwellengebühr in Höhe von 240,00 EUR zu. Daraus folge aber auch, dass bei deutlich unterdurchschnittlichem Umfang und geringerer Schwierigkeit auch nur eine niedrigere Gebühr verlangt werden könne; Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien nach objektiven Kriterien zu beurteilen (BSG Urteil vom 05.05.2010, B 11 AL 14/09 R und Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R).
Die im vorliegenden Fall zu berücksichtigenden Kriterien rechtfertigten bei Anwendung dieser Grundsätze keine höhere Gebühr.
Beim Kostenfestsetzungswiderspruch habe es sich um eine Angelegenheit von unterdurchschnittlichem Umfang gehandelt. Der Zeitaufwand des Bevollmächtigten sei gering gewesen. Umfangreiche Recherchen des Prozessbevollmächtigten seien nicht mehr notwendig gewesen, nachdem die Sache bereits beim BSG anhängig gewesen sei. Die Begründung des Widerspruchs durch den Bevollmächtigten der Kläger sei ohnehin nur kurz gewesen. Eine Besprechung habe mit den Klägern nicht stattfinden müssen.
Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sei ebenfalls unterdurchschnittlich gewesen. Es handele sich um eine Angelegenheit des Kostenrechts, nicht des Sozialrechts. Eine Auseinandersetzung mit der aufgeworfenen Rechtsfrage sei nicht notwendig gewesen, da der Hinweis auf das anhängige bzw. zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung bereits entschiedene Streitverfahren beim Bundessozialgericht genügt hätte. Auch könnten die Fremdsprachenkenntnisse des Bevollmächtigten, der ebenso wie die Kläger russisch spreche, nicht berücksichtigt werden. Sonntagsarbeit rechtfertige ebenfalls keine höhere Gebühr. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger seien unterdurchschnittlich gewesen. Ein besonderes Haftungsrisiko sei nicht erkennbar.
Hiergegen haben die Kläger Nichtzulassungsbeschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 Nr 2 und Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) lägen vor. Das SG habe in seinem Urteil die falschen Rückschlüsse aus den Entscheidungen des BSG gezogen (BSG Urteil vom 05.05.2010, B 11 AL 14/09 R und Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R). Aus diesen Entscheidungen könne nicht gefolgert werden, dass bei unterdurchschnittlichem Umfang und geringerer Schwierigkeit nur eine niedrigere Schwellengebühr verlangt werden könne. Das Bundessozialgericht habe mehrfach betont, dass die Schwellengebühr die Mittelgebühr nicht ersetzt habe. Die Einführung der Schwellengebühr habe zur Folge, dass die in einem ersten Schritt ausgehend von der Mittelgebühr zu bestimmende Gebühr in einem zweiten Schritt in Höhe des Schwellenwertes gekappt werde, wenn weder der Umfang noch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit mehr als durchschnittlich seien. Die Regelung der Nr. 2400 VV RVG, dass eine höhere Gebühr als 240,00 EUR nur dann gefordert werden könne, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei, mache die Mittelgebühr damit nicht hinfällig. Sie führe entgegen der Auffassung des Sozialgerichts auch nicht dazu, dass nurmehr der Durchschnittsfall bei der Schwellengebühr anzusiedeln sei. Mit der Einschränkung sei vielmehr gemeint, dass Umfang oder Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit über dem Durchschnitt liegen müsse, um im Ergebnis eine höhere Gebühr als die Schwellengebühr zu erreichen. Eine gesonderte Bedeutung komme dem Umfang und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit damit nicht innerhalb der Abwägung nach § 14 RVG zu, sondern einzig für die Öffnung des Gebührenrahmens über die Schwellengebühr hinaus. Daraus ergebe sich, dass die Schwellengebühr von 240,00 EUR sowohl bei unterdurchschnittlichem Umfang als auch bei unterdurchschnittlicher Schwierigkeit verlangt werden könne, wenn einzelne Beurteilungskriterien durch andere ausgeglichen würden. Insoweit seien die Ausführungen des Sozialgerichts fehlerhaft.
Auch im Übrigen stünde die Beurteilung einzelner Kriterien des § 14 RVG durch das SG in Widerspruch zu den Entscheidungen des Bundessozialgerichts. Die tatsächlich aufgewendete Tätigkeit des Bevollmächtigten sei zu berücksichtigen, die auch erforderlich gewesen sei, da die Entscheidung des BSG noch nicht veröffentlicht gewesen sei. Zudem sei die Frage umstritten, wie eine möglicherweise überflüssigerweise gefertigte Begründung sich kostenmäßig auswirke. Auch sei das Argument des Sozialgerichts, der Zeitaufwand des Bevollmächtigten sei gering gewesen, nicht zutreffend. Zudem sei die Beurteilung des Sozialgerichts, die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sei unterdurchschnittlich gewesen, ebenfalls nicht richtig und stände im Widerspruch zu den Entscheidungen des Bundessozialgerichts. Das Bundessozialgericht habe ausgeführt, dass es für die Frage der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit keine Rolle spiele, dass der Anwalt z.B. aufgrund vertiefter Fachkenntnisse oder vorhandener Erfahrung das Mandat leichter und schneller als andere Rechtsanwälte bewältigen kann. Werde der Rechtsanwalt in mehreren gleichgelagerten Angelegenheiten von hohem Schwierigkeitsgrad tätig, habe er in jeder Sache Anspruch auf hohe Gebühren und nicht nur in einer. Nach diesem Maßstäben sei die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zumindest als durchschnittlich einzuordnen. Es handele sich außerdem um einen Routinefall auf dem Gebiet des Sozialrechts und nicht des Kostenrechts, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine durchschnittlich schwierige Tätigkeit darstelle. Im vorliegenden Fall sei sogar ein überdurchschnittlicher Schwierigkeitsgrad anzunehmen, da der Bevollmächtigte sich mit einem Meinungsstreit habe auseinandersetzen müssen. Auch die Sprachkenntnisse des Bevollmächtigten hätten Gebühren erhöhend berücksichtigt werden müssen. Letztlich sei die Argumentation des Sozialgerichts, das Widerspruchsverfahrens sei wegen der Kosten ohne Bedeutung für die Kläger gewesen, unzutreffend, da es außer Betracht gelassen habe, dass der Bevollmächtigte gemäß § 9 RVG Anspruch auf Vorschuss habe; für die Kläger sei es von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung gewesen, eine schnelle Entscheidung über die Kosten herbeizuführen und nicht monatelang auf eine Endabrechnung warten zu müssen. Auch die übrigen Bemessungskriterien seien vom Sozialgericht entweder unzureichend oder gar nicht berücksichtigt worden. Im Ergebnis sei eine Schwellengebühr von 240,00 EUR vertretbar gewesen.
II.
Die angesichts des streitgegenständlichen Betrages, der unter 750,00 EUR liegt, statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde, §§ 144, 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist unbegründet.
Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht die Frage, ob das Sozialgericht inhaltlich richtig entschieden hat, sondern ausschließlich die Frage, ob Zulassungsgründe nach § 144 Abs.2 SGG gegeben sind. Solche Zulassungsgründe liegen nicht vor.
Ein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde von Klägerseite nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich.
Der rechtliche Rahmen, innerhalb dessen die Kostenentscheidung zu treffen war, ist durch RVG, VV RVG und die dazu ergangene Rechtsprechung, insbesondere die des Bundessozialgerichts, vorgegeben. Innerhalb dieses Rahmens sind keine weiteren Fragen von grundsätzlicher Bedeutung ersichtlich.
Der von Klägerseite behauptete Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG wegen Divergenz liegt nicht vor.
Divergenz setzt voraus, dass ein erstinstanzliches Gericht in seinen tragenden Entscheidungsgründen zu einer konkreten Rechtsfrage von der Rechtsprechung eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Auflage § 160 Rdnr.13). Abweichung meint hierbei den bewussten und grundsätzlichen Widerspruch zur bestehenden Rechtsprechung, der in der Aufstellung und Anwendung eines anderen Rechtssatzes, der nicht mit der höheren Rechtsprechung in Einklang steht, zum Ausdruck kommt. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn ein Rechtssatz nicht beachtet oder unrichtig angewandt worden ist, sondern nur, wenn diesem Rechtssatz tatsächlich widersprochen wurde (vgl. Beschluss des BayLSG vom 18.05.2009 Az.: L 16 AS 229/08 NZB). Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Berufung im Einzelfall (vgl. BSG vom 19.09.2007, B 1 KR 52/57 R).
Eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) - wie von Klägerseite gerügt - ist, gemessen an diesen Kriterien, nicht erkennbar. Die Entscheidung des SG steht in keinem bewussten bzw. grundsätzlichen Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG. Die Rechtsprechung des BSG stellt sich wie folgt dar, vgl. die folgenden Ausführungen in BSG vom 01.07.2009 B 4 AS 21/09 R:
Rz 19:
"Gemäß Nr 2500 VV RVG aF umfasst die Geschäftsgebühr einen Betragsrahmen von 40 Euro bis 520 Euro. Eine Gebühr von mehr als 240 Euro kann aber nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (sog Schwellengebühr). Innerhalb dieses Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass über die Bestimmung dessen, was noch als billig oder schon als unbillig zu gelten hat, leicht Streit entstehen kann. Solchen Streit will der Gesetzgeber möglichst vermeiden, indem er dem Rechtsanwalt ein Beurteilungs- und Entscheidungsvorrecht eingeräumt hat, das mit der Pflicht zur Berücksichtigung jedenfalls der in § 14 RVG genannten Kriterien verbunden ist. Die Literatur und ihr folgend die Rechtsprechung gesteht dem Rechtsanwalt darüber hinaus einen Spielraum von 20 % (Toleranzgrenze) zu, der von dem Dritten wie auch von den Gerichten zu beachten ist (BGH, Urteil vom 31.10.2006 - VI ZR 261/05 = NJW-RR 2007, 420, 421; BVerwG, Urteil vom 17.8.2005 - 6 C 13/04 = juris RdNr 21; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl 2008, RdNr 12 mwN). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs 1 Satz 4 RVG)."
Rz 20:
"Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind objektive Kriterien. Zu diesen treten die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber sowie dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse als subjektive Kriterien hinzu. Darüber hinaus ist nach § 14 Abs 1 Satz 3 RVG bei Verfahren, auf die Betragsrahmengebühren anzuwenden sind, ein besonderes Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Diese Norm ergänzt für die Betragsrahmengebühren die allgemeine Regelung in § 14 Abs 1 Satz 1 RVG (Otto NJW 2006, 1472). Nach Systematik und Struktur ist das "besondere Haftungsrisiko" deshalb lediglich ein weiteres Kriterium für die Bemessung der Betragsrahmengebühren. Es begründet keinen eigenen Gebührentatbestand (BSG, Urteil vom 27.1.2009 - B 7/7a AL 20/07 R = juris RdNr 13 f)."
Rz 21:
"Die Aufzählung der Bemessungskriterien in § 14 Abs 1 Satz 1 RVG ist nach dem Wortlaut der Vorschrift ("vor allem") nicht abschließend, sodass weitere, unbenannte Kriterien mit einbezogen werden können (Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl 2008, § 14 RdNr 2). Sämtliche heranzuziehende Kriterien stehen selbstständig und gleichwertig nebeneinander, auch wenn der Gesetzgeber seine früher in § 12 Abs 1 Satz 1 BRAGO getroffene Wortwahl ("insbesondere") geändert und das Kriterium "Bedeutung der Angelegenheit" in der Aufzählung von der ersten an die dritte Stelle gesetzt hat (im Ergebnis wohl auch BGH, Urteil vom 31.10.2006 - VI ZR 261/05 = NJW-RR 2007, 420, 421; Jungbauer in Bischof, RVG, 2. Aufl 2007, § 14 RdNr 2; Mayer in Gerold/Schmidt, aaO, § 14 RdNr 10; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl 2008, RdNr 2; Winkler in Mayer/Kroiß, RVG, 2004, § 14 RdNr 15; aA Otto, NJW 2006, 1472 f). Solche weiteren Kriterien sind im vorliegenden Fall indessen nicht ersichtlich."
Rz 22:
"Die sog Schwellengebühr hat die sog Mittelgebühr nicht ersetzt. Deren Einführung hat zur Folge, dass die in einem ersten Schritt ausgehend von der Mittelgebühr bestimmte Gebühr in einem zweiten Schritt in Höhe des Schwellenwertes gekappt wird, wenn weder der Umfang noch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit mehr als durchschnittlich sind."
Rz 23:
"Wegen der Schwierigkeit zu bestimmen, wann eine Rahmengebühr billig bzw unbillig ist, und weil mit der Aufzählung der Umstände, die einerseits für eine Erhöhung, andererseits für eine Ermäßigung der Gebühr sprechen, nicht viel gewonnen ist, weil ihr ein konkreter Ansatzpunkt fehlt, hat sich die Praxis bereits unter Geltung der BRAGO mit der Mittelgebühr beholfen. Die Mittelgebühr errechnet sich in der Praxis aus der Mindestgebühr zuzüglich der Hälfte des Unterschieds zwischen Mindest- und Höchstgebühr. Sie kann auch ermittelt werden, indem man Mindest- und Höchstgebühr addiert und das Ergebnis durch zwei dividiert (Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl 2008, RdNr 10). Für die Nr 2500 VV RVG aF ergibt sich eine Mittelgebühr in Höhe von 280 Euro (40 Euro + 520 Euro, geteilt durch 2)."
Rz 24:
"Die Mittelgebühr wurde in "Normalfällen" zur billigen BRAGO-Gebühr. Sie ist in Fällen zu Grunde zu legen, in denen sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt abhebt (vgl BGH, Urteil vom 23.2.1995 - IX ZR 42/94 = juris RdNr 47; BVerwG, Urteil vom 7.6.1985 - 6 C 63/83 = JurBüro 1985, 1813, 1814). Diese Vorgehensweise trägt Vereinfachungs- und Zweckmäßigkeitsgründen sowie dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art 3 Abs 1 GG Rechnung, gleich liegende Fälle gleich und unterschiedliche Fälle entsprechend ihren Unterschieden ungleich zu behandeln. Diese Gesichtspunkte rechtfertigen es, auch unter Geltung des RVG weiterhin jedenfalls im Grundsatz, jedoch nunmehr unter Beachtung der zusätzlich durch die Schwellengebühr gezogenen Grenze (dazu sogleich), so zu verfahren und in einem ersten Schritt von der Mittelgebühr auszugehen. Den hinter der Mittelgebühr stehenden Wert darf der Rechtsanwalt aber nicht ohne weitere Begründung um bis zu 20 % erhöhen (BVerwG, Urteil vom 17.8.2005 - 6 C 13/04 = juris RdNr 24 f). Die Regelung der Nr 2500 VV RVG aF, dass eine höhere Gebühr als 240 Euro (Schwellengebühr) nur dann gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war, macht die Mittelgebühr damit nicht hinfällig. Sie führt entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch nicht dazu, dass nunmehr der Durchschnittsfall bei der Schwellengebühr anzusiedeln ist. Mit der Einschränkung ist vielmehr gemeint, dass Umfang oder Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit über dem Durchschnitt liegen müssen, um im Ergebnis eine höhere Gebühr als die Schwellengebühr zu erreichen."
Rz 25:
"Ausweislich der Gesetzesmaterialien erfordert lediglich der gegenüber der BRAGO erweiterte Abgeltungsbereich der Geschäftsgebühr eine neue Definition des "Normalfalls". In durchschnittlichen Angelegenheiten ist aber weiterhin grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen (vgl BT-Drucks 15/1971 S 207 zu Nr 2400 VV RVG aF). Eine gesonderte Bedeutung kommt dem Umfang und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit damit nicht innerhalb der Abwägung nach § 14 RVG zu, sondern einzig für die Öffnung des Gebührenrahmens über die Schwellengebühr hinaus (vgl BSG, Urteil vom 29.3.2007 - B 9a SB 4/06 R = juris RdNr 16; Römermann in Hartung/Römermann, RVG, 2004, VV Teil 2 S 756 RdNr 58 aE; aA Otto, NJW 2006, 1472 1474; Jungbauer in Bischof, RVG, 2. Aufl 2007, RdNr 98)."
Rz 26:
"Zur Bestimmung der konkreten Gebühr ist demgemäß wie folgt vorzugehen: In einem ersten Schritt ist die Gebühr ausgehend von der Mittelgebühr zu bestimmen. Liegt diese über der Schwellengebühr, ist in einem zweiten Schritt zu beurteilen, ob es bei der ermittelten Gebühr bleibt. Dies ist der Fall, wenn der Umfang und/oder die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit mehr als durchschnittlich sind. Ist dem nicht so, wird die an sich zutreffende Gebühr in Höhe des Betrages der Schwellengebühr gekappt. Dies führt zu einer Gebühr in Höhe von 240 Euro, wenn beispielsweise jedes der vier in § 14 Abs 1 Satz 1 RVG genannten Bemessungskriterien durchschnittlich ist. Sind aber zB der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit leicht überdurchschnittlich, die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber leicht unterdurchschnittlich und die übrigen Kriterien durchschnittlich, so ist eine Gebühr in Höhe von 280 Euro billig, obwohl die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Ergebnis ebenfalls dem Durchschnitt zuzuordnen ist."
Diesen Ausführungen des BSG kann der von Klägerseite behauptete Rechtssatz nicht entnommen werden, dass die Schwellengebühr nicht unterschritten werden dürfe, auch wenn die Tätigkeit von unterdurchschnittlichem Umfang bzw. geringer Schwierigkeit gewesen ist. Explizit hat das BSG dies so nicht entschieden.
Ein solcher Rechtssatz lässt sich aber auch nicht mittelbar aus den Ausführungen des BSG folgern. Vielmehr ergibt sich aus den folgenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils des BSG vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R, dass die Schwellengebühr unterschritten werden kann. In den Entscheidungsgründen unter "4." (Rz 27) stellt das BSG fest, dass "die konkreten Umstände des Falles" "eine Festsetzung der Betragsrahmengebühr ... auf 240 Euro" zulassen. Das BSG begründet dies damit, dass bei Wertung der Bemessungskriterien (vgl. oben Rz 26 der Entscheidungsgründe) die Tätigkeit des Rechtsanwaltes im Ergebnis dem Durchschnitt zuzuordnen ist.
Im Rahmen dieser Wertung stellt das BSG hierbei unter Rz 39 in Bezug auf die Gebühr die Frage, ob "sonstige unbenannte Kriterien" gegeben sind, "die geeignet wären, zu einer Herauf- oder Herabbemessung zu führen", um dann zum Ergebnis zu kommen, dass bei Wertung sämtlicher Bemessungskriterien ein Durchschnittsfall vorliegt, für den die Schwellengebühr greift. In Übereinstimmung hiermit bezeichnet das BSG im Urteil vom 27.01.2009, B 7/7a AL 20/07 R die Schwellengebühr auch als "Höchstgebühr", die "vorgesehen" ist, wenn nicht die Sache umfangreich und schwierig war" (Rz 15).
Hieraus ergibt sich, dass das SG zutreffend von einem Rechtssatz ausgegangen ist, dass die Schwellengebühr nur bei einer im Ergebnis (nach Wertung der Bemessungskriterien entsprechen Rz 26 der Entscheidung des BSG) durchschnittlichen Tätigkeit gewährt werden kann und bei einer im Ergebnis insgesamt unterdurchschnittlichen Tätigkeit die Geschäftsgebühr unter die Schwellengebühr herabgesetzt werden kann (in diesem Sinne auch LSG NRW Urteil vom 23.04.2007, L 19 AS 54/06 und LSG NRW Beschluss vom 24.09.2008, L 19 B 21/08 AS).
Ob die Wertung der Bemessungskriterien im Einzelnen und im Ergebnis die Einstufung der Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Kläger insgesamt als unterdurchschnittlich durch das SG zutreffend war, kann im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht überprüft werden.
Soweit die Klägerseite die Nichtzulassungsbeschwerde mit fehlerhafter Würdigung dieser Einzelumstände durch das SG begründet, betrifft dies die konkrete Rechtsanwendung, nicht aber ein Abweichen des SG im Grundsätzlichen. Dem Vortrag der Klägerseite lässt sich allenfalls entnehmen, dass das SG nach Meinung der Klägerseite betreffend einzelner Würdigungstatsachen nicht richtig entschieden haben soll. Ob diese Würdigung falsch oder richtig war, unterliegt jedoch nicht dem Prüfungsmaßstab des § 144 Abs. 2 SGG.
Der von Klägerseite behauptete Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist nicht ersichtlich. Zu Verfahrensfehlern, auf denen die Entscheidung des SG beruhen soll, wurde von Klägerseite auch nichts Zielführendes vorgebracht. Offensichtlich wollte die Klägerseite mit der Nennung von § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG nur zu Ausdruck bringen, dass das SG einen Verfahrensfehler begangen habe, weil es von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abgewichen sei. Dies ist - wie oben dargestellt - zum einen nicht der Fall. Zum anderen führt die fehlerhafte Anwendung von Rechtsprechung nie zu einem Verfahrensmangel, sondern allenfalls zu einem inhaltlichen Mangel der Entscheidung, was gerade nicht mit der Beschwerde nach § 144 Abs. 2 SGG gerügt werden kann.
Im Ergebnis ist die Beschwerde zurückzuweisen mit der Folge, dass das Urteil des Sozialgerichts rechtskräftig ist, § 145 Abs.4 Satz 4 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und der Erwägung, dass die Kläger mit ihrem Begehren erfolglos blieben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Bayerisches LSG:
Beschluss v. 27.07.2011
Az: L 7 AS 143/11 NZB
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