Landessozialgericht der Länder Berlin und Brandenburg:
Urteil vom 7. August 2013
Aktenzeichen: L 9 KR 269/11
(LSG der Länder Berlin und Brandenburg: Urteil v. 07.08.2013, Az.: L 9 KR 269/11)
Vorstände einer Aktiengesellschaft ohne qualifizierte Anteilsmehrheit an der Aktiengesellschaft sind regelmäßig abhängig beschäftigt.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juli 2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt die Klägerin, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen Klägerin und Beklagte jeweils zur Hälfte, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens zuletzt über die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung in seiner Tätigkeit als Vorstand der Klägerin in der Zeit ab dem 5. März 2007 bis zum 31. Dezember 2011.
Die Klägerin ist eine im März 2007 errichtete Aktiengesellschaft, die im Bereich des Immobilienmarktes Dienstleistungen anbietet. Gegenstand der Unternehmens ist der Erwerb von Immobilien, deren Vermietung oder Veräußerung, die Planung und Leitung von Sanierungs- oder Neubauvorhaben sowie die Planung technischer Anlagen. Durch Aufsichtsratsbeschluss vom 5. März 2007 wurde der Beigeladene zu 1) mit Wirkung zum 5. März 2007 zum Vorstand der Klägerin bestellt. Er war im streitigen Zeitraum mit einem Anteil von 10 % an der Klägerin beteiligt. 90 % der Anteile hielt der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Klägerin, U-K F. Weitere Mitglieder des Aufsichtsrates waren bei Gründung der Klägerin S E und Dr. S S. Die Satzung der Klägerin enthält u. a. folgende Regelungen:
§ 5 Der Vorstand
1. Der Vorstand der Gesellschaft besteht aus einem oder mehreren Mitgliedern. Die Zahl der Mitglieder wird vom Aufsichtsrat festgelegt.
2. Die Gesellschaft wird durch zwei Vorstandmitglieder oder durch ein Vorstandmitglied in Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertreten. Ist nur ein Vorstandmitglied bestellt, vertritt dieses die Gesellschaft allein. Alleinvertretungsbefugnis und - im Rahmen von § 112 AktG - Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB kann erteilt werden.
3. Der Vorstand fasst seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit.
4. Bei Geschäftsentscheidungen, die den Erwerb und den Verkauf von Grundstücken und Immobilien oder den Erwerb oder die Veräußerung von Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen betreffen, ist die Zustimmung der Aktionäre mit einer Aktienmehrheit in Summe von min. 51% zwingend erforderlich.
5. Der Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand ist Sache des Aufsichtsrates.
§ 7 Hauptversammlung
1. Die Hauptversammlung findet am Sitz der Gesellschaft statt.
2. Sie wird vom Vorstand unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften einberufen.
3. Zur Teilnahme an der Hauptversammlung ist jeder Aktionär berechtigt.
4. Den Vorsitz in der Hauptversammlung führt der Vorsitzende des Aufsichtsrates, im Fall seiner Verhinderung sein Stellvertreter. Sind beide verhindert, wird der Vorsitzende durch die Hauptversammlung gewählt.
5. Der Vorsitzende leitet die Versammlung. Er bestimmt die Reihenfolge, in der die Gegenstände der Tagesordnung verhandelt werden, sowie Art und Reihenfolge der Abstimmungen.
6. Jede Aktie gewährt in der Hauptversammlung eine Stimme.
7. Die Beschlüsse der Hauptversammlung werden, soweit nicht zwingende gesetzliche Vorschriften entgegenstehen, mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen und, sofern das Gesetz außer der Stimmenmehrheit eine Kapitalmehrheit vorschreibt, mit der einfachen Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals gefasst.
Der Beigeladene zu 1) ist freiberuflicher Architekt. Zuletzt war er bis zum 31. Dezember 2005 bei der Beigeladenen zu 3) gesetzlich krankenversichert. Seither ist er privat krankenversichert. Seine Tätigkeit als Vorstand übt er aufgrund eines €Anstellungsvertrages€ vom 5. März 2007 aus. Dieser Vertrag enthält u.a. die folgenden Regelungen:
§ l Aufgaben
1. Herr M P ist durch Beschluss des Aufsichtsrats vom 05.03.2007 für die Dauer von einem Jahr zum Vorstand der K&M C AG bestellt worden, er hat die Bestellung am selben Tag angenommen.
2. Herr M P führt die Gesellschaft nach Maßgabe der Gesetze, der Satzung, der vom Aufsichtsrat erlassenen Geschäftsordnung für den Vorstand und dessen Dienstvertrag.
3. Leistungen, wie Planung und das Projektmanagement für Objekte der Gesellschaft werden über zu vereinbarende Honorarverträge vergütet. Diese Verträge sind grundsätzlich durch den Aufsichtsrat zu genehmigen.
4. Herr M P hat seine gesamte Arbeitskraft der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Jede entgeltliche oder unentgeltliche Nebentätigkeit, zu der auch die Ausübung von Aufsichtsratsmandaten sowie Publikations- und Vortragstätigkeiten gehören, bedarf der vorherigen Zustimmung des Vorsitzenden des Aufsichtsrates. Die Tätigkeit als Architekt darf in der bisherigen Form beibehalten werden.
§ 2 Vertragsdauer, Pflichten bei Beendigung des Dienstvertrages
1. Der Dienstvertrag endet mit Ablauf der Bestellung von Herrn M P zum Vorstand der Gesellschaft, d. h. mit dem 04.03.2008. Im Falle der Verlängerung der Bestellung bzw. der Neubestellung zum Vorstand der Gesellschaft wirkt dieser Anstellungsvertrag für die Dauer der Verlängerung bzw. der Neubestellung fort.
2. Eine ordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages während der Vertragslaufzeit ist ausgeschlossen. Das Recht jeder Vertragspartei zur außerordentlichen Kündigung dieses Vertrages bleibt davon unberührt. (...)
3. Wird Herr M P während der Laufzeit seines Dienstvertrages dauernd arbeitsunfähig, so endet der Dienstvertrag mit dem Ende des Quartals, in dem die dauernde Arbeitsunfähigkeit festgestellt wurde. Dauernde Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieses Vertrages liegt vor, wenn Herr M P voraussichtlich länger als vier Monate außerstande ist, seiner Tätigkeit nachzugehen.
4. (€)
§ 3 Vergütung
1. Herr M P erhält für seine Tätigkeit eine Jahresgehalt von 12.000,00 €.
2. Herr M P erhält eine Tantieme von 20% des Mehrwertes an veräußerten Immobilien. (...).
3. (€)
4. Herr M P erhält für die Dauer seiner Tätigkeit einen Dienstwagen (...).
5. (€)
§ 4 Urlaub
Herr M P hat Anspruch auf einen Jahresurlaub von 30 Werktagen. Die Urlaubszeit ist mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates abzustimmen.
§ 5 Diensterfindungen
Bei Erfindungen, die Herr M P während der Dauer des Dienstvertrages macht, gelten die Vorschriften des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen entsprechend. Die Verwertung von technischen und organisatorischen Verbesserungsvorschlägen des Herrn M P steht ohne besondere Vergütung ausschließlich der K&M C AG zu.
§ 6 Wettbewerbsvereinbarung
1. Herr M P wird sich während der Dauer des Dienstvertrages nicht an einem Unternehmen beteiligen, das mit der K&M C AG in Konkurrenz steht oder in wesentlichem Umfang Geschäftsbeziehungen unterhält. (...).
2. Das Vorstandmitglied darf eine anderweitige berufliche entgeltliche oder ehrenamtliche Tätigkeit nur mit Zustimmung des Aufsichtsratsvorsitzenden, die vom Aufsichtsrat jederzeit widerrufen werden kann, übernehmen. Das gilt insbesondere für die Annahme von Aufsichtsratsmandaten sowie Ämter, durch die die Interessen der K&M C AG berührt werden, sowie Gutachten, Veröffentlichungen und Verträge.
3. Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot wird nicht vereinbart.
§ 7 Schlussbestimmungen
(€)
Die monatliche (Grund-) Vergütung des Beigeladenen zu 1) betrug bis Februar 2010 1.600,00 € und ab März 2010 1.700,00 €. Darüber hinaus erhielt er Prämien/Provisionen in monatlich unterschiedlicher Höhe sowie Zahlungen für Privatfahrten bzw. Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz. Das steuerpflichtige Bruttoentgelt des Beigeladenen zu 1) betrug 16.129,00 € für 2007, 33.161,08 € für 2008, 35.434,55 € für 2009, 45.703,64 für 2010, 50.107,80 € für 2011, 53.759,26 € für 2012 und 27.456,48 € für Januar bis Juni 2013.
Die Klägerin und der Beigeladene zu 1) beantragten am 13. Juni 2007 bei der Beklagten die Feststellung des versicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1) als Vorstand der Klägerin. Er gab an, mit 10 % am Grundkapital der Klägerin beteiligt zu sein, keine regelmäßigen Arbeits- oder Anwesenheitszeiten einhalten zu müssen und Weisungen nicht erteilt zu bekommen. Der Auftraggeber könne sein Einsatzgebiet nicht ohne seine Zustimmung ändern. Dem Antrag war der Anstellungsvertrag vom 5. März 2007 beigefügt.
Nach Beiziehung des Gründungsprotokolls der Klägerin vom 5. März 2007 und der Satzung der Klägerin stellte die Beklagte gegenüber der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1) mit Bescheiden vom 14. Dezember 2007, bestätigt durch Widerspruchsbescheide vom 2. April 2008, fest, dass der Beigeladene zu 1) die Tätigkeit als Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe. Eine selbstständige Tätigkeit liege nur dann vor, wenn das Vorstandsmitglied mindestens 50 % der Aktien der AG besitze und somit maßgebenden Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens ausüben könne. Dies sei bei dem Beigeladenen zu 1) nicht gegeben, da dieser lediglich 10 % der Anteile besitze. Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen überwögen die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis.
Mit der am 5. Mai 2008 erhobenen Klage hat die Klägerin insbesondere darauf verwiesen, dass der Beigeladene zu 1) in der Ausübung seiner Vorstandstätigkeit frei und keinen Weisungen unterworfen sei. Eine abhängige Beschäftigung sei damit nicht gegeben. Die zeitgleich vom Beigeladenen zu 1) erhobene Klage (Az. S 36 KR 1042/08) wurde durch einen Unterwerfungsvergleich mit der Beklagten erledigt.
Im Dezember 2009 und im Januar 2010 übernahm der Beigeladene zu 1) selbstschuldnerische Bürgschaften in Höhe von 150.000,00 € sowie 470.000,00 € zur Sicherung gegenüber der Klägerin bestehender Forderungen.
Mit Bescheiden vom 25. Januar 2010 hat die Beklagte die Bescheide vom 14. Dezember 2007 dahingehend abgeändert, dass der Beigeladene zu 1) in der seit 5. März 2007 ausgeübten Beschäftigung als Vorstandsmitglied der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung unterliege. Versicherungspflicht bestehe dagegen nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung.
Mit Urteil vom 22. Juli 2011 hat das Sozialgericht Berlin den Bescheide der Beklagten vom 14. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2008, geändert durch den Bescheid vom 25. Januar 2010, aufgehoben, soweit darin das Bestehen der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung festgestellt wird, und festgestellt, dass der Beigeladene zu 1) im Rahmen seiner Vorstandstätigkeit für die Klägerin seit dem 05. März 2007 nicht der Versicherungspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung unterliege. Zur Begründung hat das Sozialgericht u.a. ausgeführt, die anders gestaltete und im Vergleich zu GmbH-Geschäftsführern wesentlich unabhängigere Stellung der Vorstandsmitglieder einer AG führe nach Auffassung der Kammer dazu, dass die Frage des Umfangs der Beteiligung des Vorstandsmitgliedes an der Gesellschaft zwar im Rahmen der erforderlichen Abwägung zu berücksichtigen sei, ihr jedoch kein vergleichbarer - nahezu ausschließlich entscheidender - Stellenwert zukomme, wie dies bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung der Tätigkeit eines GmbH-Geschäftsführers der Fall sei. Insgesamt überwögen die gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechenden Umstände.
Zwar sprächen einige Gesichtspunkt für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. So enthalte der zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1) geschlossene Vertrag einige arbeitnehmertypische Punkte, wie die Stellung eines Dienstwagens (§ 3 Abs. 4), die Regelung des Jahresurlaubes (§ 4) und das feste Jahresgehalt i.H.v. 12.000 Euro (§ 3 Abs. 1). Auch spreche die Regelung des § 1 Abs. 4, nach der der Beigeladene zu 1) seine gesamte Arbeitskraft der Klägerin zur Verfügung zu stellen habe und Nebentätigkeiten der Zustimmung des Aufsichtsrates bedürften, für eine abhängige Beschäftigung. Nicht zuletzt sei auch die Tatsache, dass der Beigeladene zu 1) lediglich 10% der Aktien der Klägerin halte, ein Indiz für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis.
Der Vertrag zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1) enthalte aber mehr Gesichtspunkte, die gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprächen. Dies seien insbesondere die Beendigung des Vertragsverhältnisses im Falle einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit des Beigeladenen zu 1) (§ 2 Abs. 3) und die nicht geregelte Arbeitszeit. Dem festen Jahresgehalt stehe eine hohe variable Vergütung gegenüber. Unter Berücksichtigung der selbstschuldnerischen Bürgschaften ergebe sich für den Beigeladenen zu 1) ein wesentlich höheres Unternehmerrisiko als dies die geregelte Festvergütung zunächst glauben lasse. Weiter spreche für die Selbständigkeit des Beigeladenen zu 1), dass die Leistungen, die er im Rahmen seiner Tätigkeit als Architekt gegenüber der Klägerin erbringe, durch gesonderte Honorarverträge vergütet würden (§ 1 Abs. 3). Der Beigeladene zu 1) habe als Architekt neben der Klägerin auch noch weitere Auftraggeber. Der Beigeladene zu 1) sei nach Auffassung der Kammer auch nicht weisungsgebunden. Zwar halte er nur 10 % der Anteile der Klägerin und könne deshalb in der Hauptversammlung überstimmt werden. Dennoch sei die Situation eines Vorstandes einer Aktiengesellschaft nicht zu vergleichen mit der eines GmbH-Geschäftsführers. Insoweit folge die Kammer der überzeugenden Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) in der Entscheidung vom 14. Dezember 1999 (B 2 U 38/98 R), das bei einer Entscheidung hinsichtlich der gesetzlichen Unfallversicherung ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bei einer Vorstandstätigkeit verneint habe. Hinzu komme, dass der Beigeladene zu 1) alleiniger Vorstand der Klägerin sei. Dies gebe ihm - da vor diesem Hintergrund keine Geschäftsordnung des Vorstandes existiere - eine weitere Unabhängigkeit hinsichtlich seiner Tätigkeit.
Aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber in den §§ 1 S. 4 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch (SGB VI) und 27 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch/Drittes Buch (SGB III) Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft hinsichtlich ihrer Vorstandstätigkeit von der Versicherungspflicht ausnehme, lasse sich nicht folgern, dass deshalb eine zwingende Versicherungspflicht der Vorstände von Aktiengesellschaften in der Kranken- und Pflegeversicherung bestehe. Zwar habe das BSG in einem Urteil vom 19. Juni 2001 (B 12 KR 44/00 R) diesen Schluss im Rahmen einer Entscheidung über die Versicherungspflicht von Vorstandsmitgliedern von Vereinen gezogen, die Kammer verstehe die Regelungen jedoch primär dahingehend, dass das Gesetz damit die Möglichkeit der Versicherungspflicht für Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft bestehen lasse. Angesichts der vielfältigen vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten einer Vorstandtätigkeit bleibe es jedoch dabei, dass die Frage, ob der Vorstand im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung oder selbstständig tätig sei, anhand einer Abwägung der oben dargestellten Kriterien zu erfolgen habe.
Gegen das ihr am 10. August 2011 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 8. September 2011. Sie ist der Auffassung, das Urteil des Sozialgerichts stehe im Widerspruch zur aktuellen ständigen BSG-Rechtsprechung. Das entgegenstehende BSG-Urteil vom 19. Juni 2001 (B 12 KR 44/00 R) habe es fehlinterpretiert und in seiner Bedeutung verkannt. Sofern das Sozialgericht sich auf das BSG-Urteil vom 14. Dezember 1999 (B 2 U 38/98 R) berufe, verkenne es, dass diese - ältere - Entscheidung durch die aktuelle BSG-Rechsprechung überholt sei. Im Übrigen sei das Urteil vom 14. Dezember 1999 zum Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ergangen und somit auf die vorliegend strittige Rechtsfrage der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung nicht übertragbar. Die aktuelle Rechtsprechung des BSG sei von vier Urteilen gekennzeichnet, nach denen Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft regelmäßig i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV abhängig beschäftigt seien, auch wenn sie die Gesellschaft in eigener Verantwortung leiteten und gegenüber der Belegschaft Arbeitgeberfunktionen wahrnähmen (BSG-Urteile vom 27. Februar 2008, B 12 KR 23/06 R; vom 2. März 2010, B 12 AL 1/09 R; vom 6. Oktober 2010, B 12 KR 20/09 R; vom 12. Januar 2011, B 12 KR 17/09 R). Das BSG spreche dabei selbst von einer €ständigen Rechtsprechung€ und berufe sich jeweils auf die bereits genannten BSG-Urteile vom 31. Mai 1989 und 19. Juni 2001. Das Sozialgericht habe es im angegriffenen Urteil versäumt, sich mit dieser Rechtsprechung auseinanderzusetzen. Eine selbständige Tätigkeit komme ausnahmsweise z.B. in Betracht, sofern das alleinige Vorstandsmitglied alleiniger Aktionär der AG sei (BSG-Urteil vom 2. März 2010, B 12 AL 1/09 R, Rz. 11). Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Der Beigeladene zu 1) halte lediglich 10 % der Anteile der Klägerin. Nach der ständigen Rechtsprechung des 4. und 12. Senats des BSG sei der Beigeladene zu 1) in seiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Klägerin als nach § 7 Abs. 1 SGB IV abhängig Beschäftigter einzustufen und damit als versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.
Im Hinblick auf die erstmalige Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze im Jahr 2011 geht die Beklagte ab dem 1. Januar 2012 von Versicherungsfreiheit des Beigeladenen zu 1) in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung aus. Mit Schreiben vom 31. Juli 2013 hat sie die Berufung für den Zeitraum ab 1. Januar 2012 zurückgenommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juli 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf ihren Vortrag in der ersten Instanz. Entgegen der Auffassung der Beklagten stehe das Urteil des Sozialgerichts nicht im Widerspruch zur aktuellen ständigen Rechtsprechung des BSG. Soweit die Beklagte meine, dass das Gesetz in der Rentenversicherung und in der Arbeitslosenversicherung davon ausgehe, dass Vorstandsmitglieder juristischer Personen Beschäftigte seien und sich dazu auf die Rechtsprechung des BSG berufe, könne dem nicht gefolgt werden. Auch die Annahme der Beklagten, dass es für die Einordnung der Tätigkeit eines Vorstandsmitglieds auf das Außenverhältnis und nicht auf das Innenverhältnis ankomme, sei fehlerhaft und finde keine gesetzliche Grundlage.
In seiner Entscheidung vom 2. März 2010 führe das BSG zudem aus, dass in dem dort entschiedenen Fall jedenfalls der alleinige Vorstand der AG selbstständig und nicht abhängig beschäftigt sei. Sämtliche Entscheidungen, die die Beklagte nenne, seien nicht geeignet, ihre Rechtsauffassung zu stützen. Eine selbständige Tätigkeit komme auch nicht nur dann in Betracht, wenn das alleinige Vorstandsmitglied auch alleiniger Aktionär der Aktiengesellschaft sei. Diese Interpretation der Rechtsprechung des BSG sei nicht zulässig.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Der Beigeladene zu 1) hat auf Nachfrage des Senats erklärt, dass nicht nur er Architektenleistungen für die Klägerin erbracht habe. Vielmehr seien wichtige, haftungsrechtlich relevante Projekte auswärtig vergeben worden, an andere Architektenbüros. Mengenmäßig hätten diese auswärtigen Aufträge seine Honorare bei weitem überstiegen.
Der Senat hat Entgeltbescheinigungen für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin für die Zeit ab März 2007 bis Juni 2013 und Gewinnmitteilungen des Beigeladenen zu 1) für die Jahre 2008 bis 2010 beigezogen. Ausweislich der Gewinnmitteilungen hatte der Beigeladen zu 1) Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 7.876,03 Euro im Jahr 2009 und von 7.050,00 Euro im Jahr 2010. 2008 hatte er keine Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten geführte Verwaltungsakte, die beigezogen wurde und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Gründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist hinsichtlich des Zeitraums 5. März 2007 bis 31. Dezember 2011 aufzuheben, denn die Beklagte hat in den streitgegenständlichen Bescheiden insoweit zu Recht die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung aufgrund seiner Tätigkeit als Vorstand der Klägerin festgestellt. Ab dem 1. Januar 2012 ist der Beigeladene zu 1) jedoch wegen Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung versicherungsfrei; dem hat die Beklagte durch die insoweit erklärte Rücknahme der Berufung Rechnung getragen.
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2008, diese in der Gestalt des Bescheides vom 25. Januar 2010. Der Bescheid vom 25. Januar 2010 hat den bis dahin angefochtenen Bescheid, der sich auf die (unzulässige) Feststellung einzelner Elemente der Versicherungspflicht beschränkte, in seinem Verfügungssatz um die notwendigen Feststellungen zur Versicherungspflicht "ergänzt". Wird in einem solchen Fall ein wegen der Feststellung eines (unselbständigen) Tatbestandselements unvollständiger Verwaltungsakt durch einen weiteren Verwaltungsakt um das fehlende (andere) Element zu einer vollständigen Feststellung ergänzt € und erst damit einer inhaltlichen, materiell-rechtlichen Überprüfung durch das bereits angerufene Gericht zugänglich gemacht €, so liegt darin eine insgesamt erneuernde Feststellung mit der Folge, dass der zweite Verwaltungsakt den ersten i.S.v. § 96 Abs. 1 i.V.m. § 153 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ersetzt (vgl. BSG, Urteil vom 28. September 2011, B 12 KR 17/09 R, zitiert nach juris).
II. Der Beigeladene zu 1) unterliegt in seiner Tätigkeit für die Klägerin in der Zeit vom 5. März 2007 bis 31. Dezember 2011 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung.
1. a) In den genannten Zweigen der Sozialversicherung richtet sich die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches/Fünftes Buch (SGB V) für die Krankenversicherung und § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches/Elftes Buch (SGB XI) für die Pflegeversicherung. Diese Vorschriften setzen für die Versicherungspflicht € in der hier einzig denkbaren Alternative € jeweils eine abhängige Beschäftigung gegen Entgelt im Sinne des § 7 des Sozialgesetzbuches/Viertes Buch (SGB IV) voraus. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (z.B. Urteil vom 29. August 2012, B 12 KR 25/10 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 15; Urteil vom 25. Januar 2006, B 12 KR 30/04 R, zitiert nach juris, Rn. 21, 22) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur €funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess€ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.
Die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse liegen in den rechtlich relevanten Umständen, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil vom 29. August 2012, B 12 KR 25/10 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16).
b) Das BSG hat diese Grundsätze in ständiger Rechtsprechung auch bei Organen juristischer Personen angewandt. Auch insoweit ist entscheidend, ob sie von der Gesellschaft persönlich abhängig sind. Bei den Organen juristischer Personen ist abhängige Beschäftigung i. S. der Sozialversicherung nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil sie gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) arbeitsrechtlich nicht als Arbeitnehmer der Gesellschaft gelten. Diese Regelung beschränkt sich auf das ArbGG und hat keine Bedeutung für das Sozialversicherungsrecht (BSG, Urteil vom 24. Juni 1982, 12 RK 45/80, veröffentlicht in juris). Ebenso wenig steht der Zugehörigkeit von Geschäftsführern oder Vorständen einer juristischen Person zu den Beschäftigten entgegen, dass sie im Verhältnis zu sonstigen Arbeitnehmern Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen (BSG, a.a.O.) und sie in der Regel keinen Weisungen Dritter bezüglich Zeit, Art und Ort ihrer Arbeitsleistung unterliegen. Nur in besonderen Ausnahmefällen hat der Gesetzgeber derartige Personen vom Kreis der Beschäftigten oder der Versicherungspflichtigen ausgenommen. Dies ist für die Vorstände von Aktiengesellschaften geschehen, die kraft besonderer gesetzlicher Regelung in der Rentenversicherung nicht versicherungspflichtig (vgl. § 3 Abs. 1 a des Angestelltenversicherungsgesetzes <AVG>, seit 01. Januar 1992: § 1 Satz 3, später Satz 4 SGB VI) und in der Arbeitslosenversicherung seit 1993 kraft Gesetzes nicht mehr beitragspflichtig (vgl. § 168 Abs. 6 AFG) bzw. nach dem am 01. Januar 1998 in Kraft getretenen § 27 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 SGB III versicherungsfrei sind. Dieser Vorschriften bedürfe es nicht, wenn leitende Angestellte oder Organe juristischer Personen bereits aufgrund ihrer Stellung im Unternehmen nicht als Beschäftigte anzusehen wären (vgl. BSG, Urteil vom 08. Dezember 1987, 7 RAr 25/86, veröffentlicht in juris). Vielmehr bestätigen die Ausnahmevorschriften, dass auch die geschäftsführenden Organe juristischer Personen im Regelfall abhängig beschäftigt sind, wenn sie an deren Kapital nicht beteiligt sind.
Für die Beurteilung der Versicherungspflicht von Vorständen von Aktiengesellschaften ist das BSG zunächst davon ausgegangen, dass eine Beschäftigung nicht gegeben sei (Urteile vom 4. September 1979, 7 RAr 57/78, und 11. April 1984, 12 RK 45/83, veröffentlicht in juris). Diese Entscheidungen sind zum Recht der Arbeitslosenförderung ergangen. Mit Urteil vom 14. Dezember 1999 hat der 2. Senat des BSG festgestellt, dass Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft in Tätigkeiten für das Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht als Beschäftigte versichert sind (B 2 U 38/98 R, zitiert nach juris).
Demgegenüber ist der 4. Senat des BSG bereits mit Urteil vom 31. Mai 1989 davon ausgegangen, dass Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft zwar in €Beschäftigung€ im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV stehen, aber wegen § 3 Abs. 1a i.V.m. § 2 Abs. 1a AVG nicht zum unmittelbar kraft gesetzlichen Zwanges rentenversicherungspflichtigen Personenkreis gehören (4 RA 22/88, zitiert nach juris). Der 4. Senat verweist darauf, dass Vorstandsmitglieder einer AG - unbeschadet der arbeitsrechtlichen Qualifikation des Anstellungsvertrages (§ 84 Abs 1 des Aktiengesetzes - AktG) - "abhängig gegen Entgelt beschäftigt" werden. Eine "nichtselbständige Arbeit" iS von § 7 Abs 1 SGB 4 liegt bei hochqualifizierten Mitarbeitern auch dort noch vor, wo sie sich "zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert" hat. Zwar hat der Vorstand einer Aktiengesellschaft die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten (§ 76 Abs 1 AktG) und nimmt gegenüber der Belegschaft die Arbeitgeberfunktionen wahr. Seine Geschäftsführung unterliegt aber der Überwachung durch den Aufsichtsrat (§ 111 Abs 1 AktG), der ihn bestellt und ggf. abberuft (§ 84 AktG), der bestimmte Arten von Geschäften an seine Zustimmung binden kann (§ 111 Abs 4 Satz 2 AktG) und dem er berichts- und rechenschaftspflichtig ist (§ 90 AktG). Außerdem ist er der Hauptversammlung verantwortlich (§§ 119, 120 AktG), die durch die Satzung seine Geschäftsführungsbefugnis beschränken kann (§§ 82 Abs 2, 111 Abs 4 Satz 2 AktG). Ein eigenes unternehmerisches Risiko trägt der Vorstand aber nicht (BSG, a.a.O, Rn. 24).
In den jüngeren Entscheidungen des für die Versicherungspflicht in der Kranken-€, Pflege-€, Renten- und Arbeitslosenversicherung zuständigen 12. Senats des BSG wird nunmehr ausgeführt, dass nach ständiger Rechtsprechung des BSG Vorstandsmitglieder einer deutschen Aktiengesellschaft regelmäßig abhängig beschäftigt sind, auch wenn sie die Gesellschaft in eigener Verantwortung zu leiten haben und gegenüber der Belegschaft Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen (BSG, Urteil vom 27. Februar 2008, B 12 KR 23/06 R, Rn. 16, m.w.N., zitiert nach juris). Das Gesetz geht für die Rentenversicherung und für die Arbeitslosenversicherung davon aus, dass Vorstandsmitglieder grundsätzlich als Beschäftigte versicherungspflichtig sind und macht die ausnahmsweise Versicherungsfreiheit nach § 1 Satz 4 SGB VI und § 27 Abs 1 Nr 5 SGB III nur von der Rechtsform der Gesellschaft abhängig (BSG, Urteil vom 19. Juni 2001, B 12 KR 44/00 R, Rn. 21, zitiert nach juris).
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Beigeladene zu 1) bei der Klägerin in der Zeit ab 5. März 2007 abhängig beschäftigt war. Hierfür sprechen die überwiegenden Gesichtspunkte, vor allem die aktienrechtlichen Regelungen und die Anteilsmehrheiten an der Klägerin.
Der Beigeladene zu 1) verfügt lediglich über 10 % der Anteile an der Klägerin und hat damit in der Hauptversammlung keine qualifizierte Mehrheit. Er hat im Hinblick auf die Regelungen zur Beschlussfassung in § 7 Ziffern 6 und 7 der Satzung der Klägerin keine Möglichkeit, Beschlüsse der Hautversammlung maßgeblich zu beeinflussen. Aber auch das in § 5 Ziffer 4 der Satzung geregelte Zustimmungserfordernis für Geschäftsentscheidungen, die den Erwerb und Verkauf von Grundstücken, Immobilien sowie Unternehmen bzw. Unternehmensbeteiligungen betreffen, schränkt den Beigeladenen zu 1) in seinen Handlungsmöglichkeiten ein. Da er auch nicht über die für eine Zustimmung zwingend erforderlichen mindestens 51 % der Aktien verfügt, vermag er diese Zustimmung nicht allein durchzusetzen. Insoweit ist der Beigeladene zu 1) den Vorstellungen des Mehrheitsaktionärs unterworfen.
Zu berücksichtigen ist auch, dass Vorstände von Aktiengesellschaften kein eigenes Unternehmerrisiko tragen und, soweit sie keine - ggf. qualifizierte - Anteilsmehrheit haben, rechtlich nicht in der Lage sind, die Geschicke ihrer Anstellungskörperschaft (z.B. die Auflösung der AG oder deren Verschmelzung) endgültig zu bestimmen (vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 8 AktG; §§ 13 Abs. 1, 60 ff. UmwG). Die Annahme einer selbständigen Tätigkeit ergibt sich auch nicht aus der Übernahme von Bürgschaften. Von einem Beschäftigten gewährte Kreditsicherheiten zugunsten seines Arbeitgebers können allein, d.h. ohne gleichzeitiges Hinzutreten von zusätzlichen Gewinnchancen, kein Unternehmerrisiko begründen (BSG, Beschluss vom 09. Oktober 1984, Az.: 12 BK 21/84, zitiert nach juris; Senat, Urteile vom 15. Februar 2012, Az.: L 9 KR 52/09, L 9 KR 332/09 und L 9 KR 259/09, zitiert nach juris). Darüber hinaus verkörperte sich in den Kreditsicherheiten kein mit der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin € sei es als Beschäftigter oder selbstständiger Dienstverpflichteter € verbundenes Risiko. Es handelt sich nämlich nicht um einen mit den geschuldeten Diensten verbundenen Aufwand, weil die Kreditsicherheiten für die Erfüllung der diesbezüglichen Pflichten nicht erforderlich waren. Die Gründe für ihre Bestellung sind vielmehr außerhalb der Beschäftigung bzw. des Dienstverhältnisses zu suchen (BSG, Urteil vom 29. August 2012, B 12 KR 25/10 R, zitiert nach juris).
Die dem Beigeladenen zu 1) obliegenden Freiheiten in seiner Vorstandstätigkeit überwiegen damit nicht die für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Umstände. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Beigeladene zu 1) alleiniger Vorstand der Klägerin ist. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass es nach dem 12. Senat des BSG nicht darauf ankommt, ob ein Vorstand alleiniger Vorstand einer Aktiengesellschaft ist. Das BSG hat vielmehr darauf verwiesen, dassder dortigeKläger spätestens mit Übernahme aller Anteile an der AG in seiner Tätigkeit als alleiniger Vorstand dieser AG im Antragszeitpunkt selbstständig und nicht abhängig beschäftigt war (BSG, Urteil vom 2. März 2010, B 12 AL 1/09 R, Rdnr. 11, zitiert nach juris). Die Mehrheitsverhältnisse an der Aktiengesellschaft sind damit entscheidungserheblich, auch wenn die Übernahme aller Anteile nicht erforderlich sein, sondern eine qualifizierte Mehrheit für die Annahme von Selbständigkeit ausreichen dürfte. Über eine qualifizierte Mehrheit verfügte der Beigeladene zu 1) im zu beurteilenden Zeitraum aber nicht ansatzweise.
Die unterschiedliche versicherungsrechtliche Bewertung von Vorständen von Aktiengesellschaften einerseits in der Renten- und Arbeitslosenversicherung und andererseits in der Kranken- und Pflegeversicherung ist vor dem Hintergrund der einkommensabhängigen Regelungen zur Versicherungsfreiheit in Kranken- und Pflegeversicherung auch nicht zu beanstanden. In der Renten- und Arbeitslosenversicherung, die eine Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht kennen, hat der Gesetzgeber eine typisierte Befreiung im Hinblick auf die Rechtsform Aktiengesellschaft vorgenommen. Diese ist für die Kranken- und Pflegeversicherung aber gerade nicht erforderlich, da dort die Versicherungsfreiheit von der Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze abhängig ist, die bei Vorständen von Aktiengesellschaften in der Regel aufgrund der Höhe der Vergütung erreicht werden wird. Soweit die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht überschritten wird, verbleibt es bei der Versicherungspflicht.
III. Der Beigeladene zu 1) ist erst ab dem 1. Januar 2012 in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Nach der ab 31. Dezember 2010 geltenden Fassung dieser Vorschrift sind Arbeiter und Angestellte versicherungsfrei, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach den Absätzen 6 oder 7 übersteigt. Bis zum 30. Dezember 2010 war zudem Voraussetzung, dass die Jahresarbeitsentgeltgrenze in drei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren überschritten wurde. Die für den Beigeladenen zu 1) maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze des Abs. 6 betrug 2007 47.700 €, 2008 48.150 €, 2009 48.600 €, 2010 49.950 €, 2011 49.500 € und 2012 50.850 €.
Der Beigeladene hat mit einem Bruttoentgelt von 50.107,80 Euro erstmalig im Kalenderjahr 2011 die Jahresarbeitsentgeltgrenze des Abs. 6 überschritten. Nach der ab dem 31. Dezember 2010 geltenden Rechtslage war die einmalige Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze auch ausreichend, um ab 1. Januar 2012 Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung festzustellen. Eine relevante Überschreitung in den Jahren vor 2011 lag nicht vor. Bis zum 30. Dezember 2010 wäre zunächst eine Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze in drei aufeinanderfolgenden Kalenderjahren erforderlich gewesen, die vor 2011 nicht vorlag. Eine Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze im Jahr 2010 ist aber auch im Hinblick auf Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit nicht anzunehmen. Nach der Rechtsprechung des BSG zum €einheitlichen Beschäftigungsverhältnis€ liegt ein solches nicht vor, wenn zwischen Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit kein notwendiger Zusammenhang besteht, insbesondere wenn weder die selbständige Tätigkeit als solche noch die konkrete Art und Weise ihrer Ausübung vom Bestand der Beschäftigung abhängig sind (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, B 12 R 1/11 R, zitiert nach juris). Danach können hinsichtlich der Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze im Jahr 2010 durch den Beigeladenen zu 1) neben seinem Entgelt aus der Tätigkeit für die Klägerin keine Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit berücksichtigt werden. Denn mangels notwendigen Zusammenhangs zwischen der Vorstandstätigkeit des Beigeladenen zu 1) und seiner freiberuflichen Tätigkeit als Architekt liegt ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis nicht vor. Zwar erzielte der Beigeladene zu 1) im Jahr 2010 Einnahmen aus freiberuflicher Architektentätigkeit i. H. v. 7.050,00 Euro. Nach seinen Angaben resultiert diese Summe ausschließlich aus Aufträgen seitens der Klägerin. Allerdings ist die selbständige Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) für die Klägerin nicht derart mit der abhängigen Beschäftigung verbunden, dass sie nur aufgrund der abhängigen Beschäftigung ausgeübt werden kann. Denn zugleich steht fest, dass die Klägerin weitaus umfangreichere Architektenaufträge auswärtig an andere Architekturbüros vergeben hat. Dies belegt, dass die vom Beigeladenen zu 1) erbrachten freiberuflichen Architektenleistungen klar von der abhängigen Beschäftigung trennbar sind und nicht als Fall der abhängigen Beschäftigung erscheinen.
Wegen § 6 Abs. 4 SGB V wirkt die Versicherungsfreiheit daher ab 1. Januar 2012. Mangels Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung ist der Beigeladene zu 1) ab dem 1. Januar 2012 auch in der sozialen Pflegversicherung nicht versicherungspflichtig (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI.)
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Für das Berufungsverfahren war zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Berufung für die Zeit ab 01.01.2012 zurückgenommen hat, § 155 Abs. 2 VwGO; daher ist sie zur Hälfte an den Kosten des Berufungsverfahrens zu beteiligen.
Die Revision wird nicht zuzulassen, weil die Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
LSG der Länder Berlin und Brandenburg:
Urteil v. 07.08.2013
Az: L 9 KR 269/11
Link zum Urteil:
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