Bundespatentgericht:
Beschluss vom 2. Dezember 2004
Aktenzeichen: 10 W (pat) 29/02
(BPatG: Beschluss v. 02.12.2004, Az.: 10 W (pat) 29/02)
Tenor
Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der Patentabteilung 52 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 19. Juni 2002 aufgehoben und die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
Gründe
I.
Auf die am 24. August 1996 beim Patentamt eingereichte Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Messvorrichtung zur berührungslosen Erfassung eines Drehwinkels bzw einer linearen Bewegung" wurde im Januar 1999 ein Patent erteilt. Die Erteilung wurde am 27. Januar 2000 veröffentlicht.
Das Patent umfasst 8 Ansprüche. Patentanspruch 1 hat, versehen mit einer Merkmalsgliederung, wie sie die Einsprechende im Laufe des Einspruchsverfahrens verwendet hat, folgenden Wortlaut:
1.1 Messvorrichtung zur berührungslosen Erfassung eines Drehwinkels 1.2 zwischen einem aus magnetisch leitendem Material bestehenden Stator (10, 11, 13, 14) und 1.3 einem Rotor (22), 1.4 wobei sich zwischen Stator (10, 11, 13, 14) und Rotor (22) ein Luftspalt (21) befindet und 1.5 im Stator (10, 11, 13, 14) mindestens ein Luftspalt (12) ausgebildet ist, 1.6 wobei sich im mindestens einem Luftspalt (12) mindestens ein magnetfeldempfindliches Element (20) befindet, und 1.7 wobei im Rotor (22) mindestens ein Segment mindestens eines Ringmagneten angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, 1.8 dass der Stator (10, 11, 13, 14) aus mehreren Teilen (11, 13, 14) aufgebaut ist, 1.9 wobei wenigstens ein Teil (13) keine magnetisch leitende Verbindung (18) mit den übrigen Teilen (11, 14) aufweist, 1.10 so dass eine Aufspaltung des Magnetflusses des Ringmagneten (22) erfolgt, 1.11 wobei wenigstens ein erster Teil (F1) des Magnetflusses das magnetfeldempfindliche Element (20) durchströmt.
Mit dem Einspruch wird der Widerruf des Patents, mindestens im Umfang des Patentanspruchs 1, wegen fehlender Patentfähigkeit sowie wegen unzulässiger Erweiterung begehrt. Die Einsprechende beruft sich hierzu auf die schon im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften D1 bis D8 sowie zusätzlich auf die Druckschriften:
D9A EP 0 665 416 A1 (europäische Anmeldung in französischer Sprache)
D9B DE 695 02 512 T2 (Übersetzung des auf die vorgenannte Anmeldung in der Verfahrenssprache Französisch erteilten europäischen Patents EP 0 665 416 B1)
D10 FR 27 46 912 A1 D11 DE 196 30 764 A1 D12 WO 98 08 059 A1 und trägt zur Begründung vor, der Patentanspruch 1 des Streitpatents sei nicht neu, zumindest aber nicht erfinderisch. Er unterscheide sich in Oberbegriff und kennzeichnendem Teil nicht ausreichend vom Stand der Technik, wie er aus der D9A (EP 0 665 416 A1) hervorgehe, wobei im einzelnen Bezug genommen werde auf die übersetzte Fassung D9B (DE 695 02 512 T2). Die Elemente des Oberbegriffs fänden sich in D9B (DE 695 02 512 T2) auf Seite 6, Zeilen 14 ff; die Übereinstimmung ergebe sich für den Fachmann unmittelbar. Merkmal K1 ("... dass der Stator aus mehreren Teilen aufgebaut ist") finde sich in D9B (DE 695 02 512 T2) auf Seite 7, Zeile 17 ("der Stator besteht aus zwei Teilen"). Merkmal K2 ("... wobei wenigstens ein Teil [des Stators] keine magnetisch leitende Verbindung mit den übrigen Teilen [des Stators] aufweist, so dass eine Aufspaltung des Magnetflusses des Ringmagneten erfolgt, wobei wenigstens ein erster Teil des Magnetflusses das magnetfeldempfindliche Element durchströmt") finde sich in D9B (DE 695 02 512 T2) auf Seite 9, Zeilen 12 ff in Verbindung mit Figur 6. Für den Fachmann enthalte damit diese Entgegenhaltung denselben physikalischen Sachverhalt. In ähnlicher Weise führe eine Analyse der D10 (FR 27 46 912 A1) bzw D11 (DE 196 30 764 A1, insbesondere Figuren 1, 2 und Figur 4 mit den entsprechenden Teilen der Beschreibung) zu der patentierten Vorrichtung. Die Formulierung im kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 "... wobei wenigstens ein Teil keine magnetisch leitende Verbindung mit den übrigen Teilen aufweist, ..." gehe ebenfalls nicht über den Stand der Technik gemäß D1 bis D8 hinaus.
Diese Formulierung im kennzeichnenden Teil des Patentanspruch 1 des Streitpatents "... wobei wenigstens ein Teil keine magnetisch leitende Verbindung mit den übrigen Teilen aufweist, ..." stelle zudem eine unzulässige Erweiterung dar. Denn im Patentanspruch 1 in den ursprünglichen Unterlagen heiße es "... wobei wenigstens ein Teil eine magnetisch leitende Verbindung mit den übrigen Teilen aufweist ...". Die Unteransprüche 1 bis 8 beträfen einfache Ausgestaltungen des Patentanspruchs 1, denen eine patentbegründende Bedeutung nicht beigemessen werden könne. Denn der Durchschnittsfachmann sehe die diese Ansprüche kennzeichnenden Merkmale im Bedarfsfalle nach eigenem Gutdünken vor, sofern sie ihm nicht ohnehin aus dem Stand der Technik bekannt oder zumindest nahegelegt seien.
Die Patentabteilung 52 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Einspruch als unzulässig verworfen. Zur Begründung ist ausgeführt, die Einsprechende habe es versäumt, sich mit allen Merkmalen des Patentanspruchs 1 detailliert auseinander zusetzen. In ihrem Vortrag zur D9B (DE 695 02 512 T2), die eine nachveröffentlichte Druckschrift sei - es handle sich hierbei um die Übersetzung der Patentschrift EP 0 665 416 B1, welche ebenfalls nachveröffentlicht worden sei - überlasse es die Einsprechende, was den sachlich technischen Zusammenhang des Gegenstands des Patentanspruchs 1 mit der Druckschrift anbelange, dem Patentamt nachzuprüfen, ob eine technische Übereinstimmung der vorveröffentlichten Vorrichtungen der Druckschrift D9A (EP 0 665 416 A1) mit denen der nachveröffentlichten Druckschrift D9B (DE 695 02 512 T2), bzw der nachveröffentlichten Druckschrift EP 0 665 416 B1 bestehe, ob - gemäß den Merkmalen im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 - im Rotor mindestens ein Segment eines Ringmagneten angeordnet und an welcher Stelle das Hallelement angeordnet sei, ferner, wie der Stator aufgebaut sei und ob wenigstens ein Teil desselben keine magnetische Verbindung mit den übrigen Teilen aufweise. Aufgrund des doch komplizierten Verlaufs der Magnetflusslinien bei der Bewegung des Rotors sei der Zusammenhang des Gegenstands des Patentanspruchs 1 mit denen oben genannter Vorrichtungen auch nicht augenfällig. Die Einsprechende habe damit einen technischen Zusammenhang zwischen dem Gegenstand des Streitpatents und den Druckschriften D9A (EP 0 665 416 A1) und D9B (DE 695 02 512 T2) nicht im Einzelnen hergestellt. Dies gelte auch bezüglich der übrigen Druckschriften, auf die nur allgemein verwiesen worden sei. Der Auffassung, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 unzulässig erweitert sei, könne nicht beigetreten werden, da die beanstandete Formulierung "wenigstens ein Teil keine magnetisch leitende Verbindung mit den übrigen Teilen aufweist," in den Ursprungsunterlagen und auch in der Offenlegungsschrift (Spalte 2, Zeilen 51-54, Spalte 4, Zeilen 21-24) klar beschrieben sei. Somit handle es sich offenbar um einen Schreibfehler bei der Niederschrift der Anmeldung.
Hiergegen wendet sich die Einsprechende mit der Beschwerde. Wenn es um die in § 59 PatG genannte Voraussetzung des Tatsachenvortrags "im Einzelnen" gehe, müssten an die geistigen Fähigkeiten eines Lesers erhebliche Anforderungen gestellt werden, es könne nicht das Bildungsniveau eines Hauptschülers zugrunde gelegt werden. Im Einspruchsschriftsatz sei die unbestritten vorveröffentlichte D9A (EP 0 665 416 A1) herangezogen worden. Da die Amts- und Gerichtssprache deutsch sei, sei auf die deutsche Übersetzung hingewiesen worden. Bezüglich des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 finde sich auf Seite 6 der D9B (DE 695 02 512 T2) in deutscher Sprache der Teil, der ohne weiteres der entsprechenden französischen Sequenz in Spalte 3 der D9A (EP 0 665 416 A1) zuzuordnen sei. Dass sich in dieser Druckschrift die relevanten Teile des Oberbegriffs fänden, sei offensichtlich für den Prüfer des Europäischen Patentamts klar gewesen, der diese Schrift bei der Prüfung der - unter Inanspruchnahme der Priorität der vorliegenden Patentanmeldung getätigten - europäischen Nachanmeldung der Patentinhaberin (siehe Patentschrift EP 0 920 604 B1) herangezogen habe. Dass die Übereinstimmung des französischen Textes mit dem deutschen Teil evident sei, gelte auch, soweit bezüglich der kennzeichnenden Teile des Patentanspruchs 1 auf die D9B (DE 695 02 512 T2) verwiesen worden sei. Auch hier sei auf die entsprechende Stelle der Übersetzung hingewiesen worden, die ohne weiteres mit dem französischen Text der D9A (EP 0 665 416 A1) hätte in Einklang gebracht werden können. Vom Patentamt sei nicht die Überprüfung gefordert worden, ob eine technische Übereinstimmung der vorveröffentlichten Vorrichtungen der D9A (EP 0 665 416 A1) mit denen der nachveröffentlichten Druckschrift D9B (DE 695 02 512 T2) bestehe, vielmehr habe das Patentamt davon ausgehen müssen, dass die D9B (DE 695 02 512 T2) in den entscheidenden Stellen eine Übersetzung der europäischen Anmeldung D9A (EP 0 665 416 A1) sei. Dass im Rotor ein Segment vorhanden sei, sei ebenfalls ohne weiteres überprüfbar, da "Segment" zum Vokabular des Durchschnittsfachmanns gehöre und ohne weiteres aus der Zeichnung der D9A (EP 0 665 416 A1), Figur 1, Teile 14, 15 erkennbar sei.
Die Einsprechende beantragt, den Beschluss der Patentabteilung aufzuheben.
Die Patentinhaberin hat im Beschwerdeverfahren keine Stellungnahme in der Sache abgegeben.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Der mit drei rechtskundigen Mitgliedern besetzte juristische Beschwerdesenat ist gemäß § 67 Abs 1 PatG zur Entscheidung über die vorliegende Beschwerde, die sich gegen die Verwerfung eines Einspruchs als unzulässig durch das Patentamt richtet, zuständig. An der in BPatGE 26, 143 veröffentlichten Entscheidung des juristischen Beschwerdesenats vom März 1984, der in über 20-jähriger Praxis gefolgt worden ist, wird festgehalten.
Diese Entscheidung ist zwar in jüngerer Zeit auf Kritik gestoßen (vgl BPatG 20. Senat BPatGE 47, 252 - Streulichtmessung; 19. Senat BPatGE 47, 261 - Pulswechselrichter; 34. Senat BPatGE 47, 267 - Rundum-Etikettiermaschine; 11. Senat BPatGE 47, 270 - Einspruchsverwerfung; 23. Senat BPatGE 47, 277 - Kabelverbindungsmodul). In den zitierten Entscheidungen ist aber die Auslegung des § 67 Abs 1 PatG nicht entscheidungserheblich gewesen, denn es handelte sich nicht um Beschwerdeverfahren, sondern um - erstinstanzliche - Entscheidungen über einen Einspruch nach § 147 Abs 3 PatG. Für diese Einsprüche ist die Zuständigkeit des technischen Beschwerdesenats in § 147 Abs 3 Satz 4 PatG geregelt, nicht in § 67 Abs 1 PatG. § 67 Abs 1 PatG hat in den genannten Entscheidungen nur indirekt insoweit eine Rolle gespielt, als dort die Frage erörtert worden ist, wie im Falle eines unzulässigen Einspruchs zu tenorieren sei (Verwerfung des Einspruchs als unzulässig oder Aufrechterhaltung des Patents), was - bei entsprechender Tenorierung durch das DPMA im patentamtlichen Einspruchsverfahren - bedeutet, dass gemäß § 67 Abs 1 PatG entweder der juristische oder ein technischer Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts über die Beschwerde zu entscheiden hätte.
In der ausdrücklichen Bestimmung der Zuständigkeit eines technischen Beschwerdesenats in § 147 Abs 3 Satz 4 PatG liegt auch kein neuer Umstand, der ein Abrücken von der bisherigen Praxis und Rechtsprechung (BPatGE 26, 143) rechtfertigen könnte. Denn obwohl Zweckmäßigkeitserwägungen auch in Fällen wie dem vorliegenden für die Zuständigkeit eines technischen Beschwerdesenats sprechen können (vgl insbesondere 23. Senat, BPatGE 47, 277, 282 - Kabelverbindungsmodul, zum Gesichtspunkt der technischen Sachkunde), hat der Gesetzgeber die Besetzungsvorschrift des § 67 Abs 1 PatG bisher unverändert gelassen.
Bei unveränderter Gesetzeslage sieht der Senat keinen durchgreifenden Anlass für eine abweichende Auslegung, zumal § 67 Abs 1 PatG als eine dem Gerichtsverfassungsrecht zugehörige Besetzungsvorschrift dahin aufzufassen ist, dass die Bestimmung des gesetzlichen Richters von Merkmalen abhängig gemacht sein soll, die im Wortlaut des Gesetzes möglichst klar niedergelegt sind und sich im einzelnen Fall unschwer feststellen lassen (so BGH GRUR 1967, 543, 545 re Sp - Bleiphosphit, zu dem bis 1. Januar 1981 geltenden § 36d Abs 1 PatG, der durch § 67 Abs 1 PatG abgelöst worden ist). Gemäß § 67 Abs 1 PatG entscheidet ein technischer Beschwerdesenat über Beschwerden "in den Fällen, in denen die Anmeldung zurückgewiesen oder über die Aufrechterhaltung, den Widerruf oder die Beschränkung des Patents entschieden wird ...". Diese Vorschrift korrespondiert, was die Fälle der Aufrechterhaltung oder des Widerrufs des Patents angeht, mit der Vorschrift des § 61 Abs 1 Satz 1 PatG, wonach die Patentabteilung durch Beschluss entscheidet, "ob und in welchem Umfang das Patent aufrechterhalten oder widerrufen wird." Mit diesen für das Einspruchsverfahren vorgeschriebenen Tenorierungen kann nur die Sachentscheidung bei zulässigem Einspruch gemeint sein (vgl BPatGE 26, 143 mit ausführlicher Begründung; ebenso 11. Senat BPatGE 47, 270, 273 - Einspruchsverwerfung, und 23. Senat BPatGE 47, 277, 284 - Kabelverbindungsmodul, der zur Begründung auch zutreffend darauf hinweist, dass in § 21 Abs 1 PatG, der sich mit den Widerrufsgründen befasst, explizit auf § 61 Bezug genommen wird). Eine sachliche Entscheidung darf bei unzulässigem Einspruch grundsätzlich nicht ergehen; vielmehr muss der Beschluss zum Ausdruck bringen, dass der Einspruch wegen Unzulässigkeit keinen Erfolg hat (st Rspr, zB BGH BlPMZ 2003, 241 - Automatisches Fahrzeuggetriebe), und dies aus Gründen der Rechtsklarheit schon bzw auch im Tenor.
Wenn somit § 61 Abs 1 Satz 1 PatG dahingehend auszulegen ist, dass hierunter nur die Sachentscheidung bei zulässigem Einspruch, nicht aber die Entscheidung über einen unzulässigen Einspruch fällt, dann kann dies in § 67 Abs 1 PatG, der sich derselben Rechtsbegriffe bedient wie § 61 Abs 1 Satz 1 PatG, nicht anders ausgelegt werden. Es gibt keinen Anhalt für die Annahme, dass der Gesetzgeber denselben Begriffen innerhalb eines Gesetzes unterschiedlichen Sinngehalt beimessen wollte. Mit der in § 67 Abs 1 PatG verwendeten Formulierung der "Aufrechterhaltung des Patents" ist daher nur die Sachentscheidung des Patentamts bei zulässigem Einspruch gemeint. Jedenfalls bei der derzeitigen Fassung des § 67 Abs 1 PatG kann nur von der Zuständigkeit des juristischen Beschwerdesenats ausgegangen werden, wenn sich die Beschwerde wie hier gegen einen Beschluss des Patentamts richtet, in dem der einzige Einspruch als unzulässig verworfen wird.
2. Die Beschwerde ist begründet, denn der Einspruch gegen das Patent ist in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise begründet worden.
Gemäß § 59 Abs 1 Satz 4 PatG sind die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, im einzelnen anzugeben. Dieses Erfordernis ist in ständiger Rechtsprechung dahingehend zu verstehen, dass eine so vollständige Darlegung der Tatsachen zu erfolgen hat, dass Patentamt und Patentinhaber daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ziehen können; sie sollen allein anhand der mitgeteilten Umstände, ohne eigene Ermittlungen, in die Lage versetzt sein, zu prüfen, ob der behauptete Widerrufsgrund gegeben ist (vgl Busse, PatG, 6. Aufl, § 59 Rdn 66; Schulte, PatG, 7. Aufl, § 59 Rdn 79, jeweils mwN). Hierfür muss grundsätzlich eine Auseinandersetzung mit der gesamten patentierten Lehre stattfinden, denn eine Befassung nur mit einem Teilaspekt der Erfindung macht den Einspruch unzulässig (vgl BGH BlPMZ 1988, 250 - Epoxidation). Diesen Anforderungen ist die Einsprechende noch hinreichend nachgekommen, wobei dies für beide geltend gemachten Widerrufsgründe anzunehmen ist.
a. Hinsichtlich des Widerrufsgrundes der fehlenden Patentfähigkeit gemäß § 21 Abs 1 Nr 1 PatG hat die Einsprechende einen hinreichenden technischen Zusammenhang zwischen dem Gegenstand des Streitpatents und dem Stand der Technik jedenfalls in Bezug auf die Druckschrift D9A (EP 0 665 416 A1) bzw D9B (DE 695 02 512 T2 = Übersetzung von EP 0 665 416 B1) hergestellt. In Bezug auf die weiteren entgegengehaltenen Druckschriften liegt nur eine pauschale Verweisung vor, die grundsätzlich nicht ausreichend ist (vgl Schulte, aaO, § 59 Rdn 89).
Zwar ist nur die D9A (EP 0 665 416 A1) vorveröffentlichter Stand der Technik, während die D9B (DE 695 02 512 T2) ebenso wie die Patentschrift, auf die sich die Übersetzung in D9B bezieht (EP 0 665 416 B1), nachveröffentlicht ist. Aus den Formulierungen im Einspruchsschriftsatz (Seite 3: " ... es wird Bezug genommen auf die übersetzte Fassung EH D9B") wird aber unmissverständlich deutlich, dass die D9B (DE 695 02 512 T2) allein aus Gründen der besseren Verständlichkeit, mithin als Übersetzungshilfe herangezogen worden ist, während das maßgebliche Dokument die vorveröffentlichte D9A (EP 0 665 416 A1) bleibt. Vor diesem Hintergrund hat die Einsprechende dadurch, in dem sie Textstellen aus der deutschen Druckschrift D9B (DE 695 02 512 T2) zitiert hat, zugleich konkludent vorgetragen, dass diese Textstellen ihre Entsprechung in der maßgeblichen französischsprachigen Druckschrift D9A (EP 0 665 416 A1) haben, zumal es auch keinen großen Aufwand erfordert, die entsprechenden Beschreibungsstellen in der französischsprachigen Schrift zu finden. Zwar kann die Beschreibung in einer Patentanmeldung, hier der D9A (EP 0 665 416 A1), abweichen von der Beschreibung des auf diese Anmeldung erteilten Patents, hier der D9B (DE 695 02 512 T2). Ob die beschriebenen Vorrichtungen tatsächlich übereinstimmen, ist aber Sache der Begründetheit des Einspruchs.
Die Einsprechende hat bezüglich der Merkmale des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 des Streitpatents angegeben, dass sich diese auf Seite 6, Zeilen 14 ff der D9B (DE 695 02 512 T2) finden. Da Gegenstand der Prüfung auf Patentfähigkeit die Gesamtheit aller Merkmale in Oberbegriff und Kennzeichen ist, muss sich die Einspruchsbegründung auch auf die Merkmale des Oberbegriffs erstrecken, wobei von einer ins einzelne gehenden Befassung in den Fällen abgesehen werden kann, in denen die betreffende Druckschrift im Streitpatent selbst als gattungsbildend gewürdigt war (vgl Senatsentscheidung 10 W (pat) 62/00 vom 18. Juni 2001; 7 W (pat) 45/00 vom 17. Januar 2001, beide veröffentlicht in juris). Hier hat die Einsprechende nicht nur pauschal auf eine Druckschrift, sondern auf eine bestimmte Textstelle der Druckschrift, die zudem ausdrücklich auf die dort enthaltene Figur 1 Bezug nimmt, verwiesen, in der eine Messvorrichtung mit Merkmalen beschrieben wird (Stator, Rotor, Permanentmagnet im Luftspalt zwischen Stator und Rotor, Vorhandensein eines Hallelements, usw), bei denen die oberbegrifflichen Merkmale des Patentanspruchs 1 erkennbar angesprochen sind, zumal auch die Würdigung der D9A (EP 0 665 416 A1) in der Beschreibungseinleitung des nachangemeldeten europäischen Patents (siehe Spalte 1 der europäischen Patentschrift EP 0 920 604 B1) die Relevanz der Druckschrift als gattungsbildenden Stand der Technik bestätigt. Ob die in D9A (EP 0 665 416 A1) beschriebenen Merkmale der Messvorrichtung tatsächlich den oberbegrifflichen Merkmalen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents entsprechen, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Einspruchs. Bezüglich der kennzeichnenden Merkmale hat die Einsprechende diese in zwei Gruppen zusammengefasst und jeweils in Bezug zu verschiedenen bestimmten Textstellen der D9B (DE 695 02 512 T2) gesetzt. Ob die technischen Gegebenheiten, die in diesen Textstellen beschrieben werden, mit denen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents übereinstimmen, ist ebenfalls Sache der Begründetheit des Einspruchs.
b. Auch hinsichtlich des Widerrufsgrundes der unzulässigen Erweiterung gemäß § 21 Abs 1 Nr 4 PatG ist der sehr kurz gehaltene Vortrag der Einsprechenden noch hinreichend. Der Tatsachenvortrag, der Patentamt und Patentinhaber die Prüfung ermöglichen soll, ob der Gegenstand des Patents über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht, erfordert die Bezeichnung des Merkmals im Patentanspruch des Patents, das in den ursprünglichen Unterlagen weder ausdrücklich noch für einen Fachmann implizit enthalten war (vgl Schulte, aaO, § 59 Rdn 125). Hier hat die Einsprechende konkret das Merkmal des Patentanspruchs 1 angegeben, das für sie eine unzulässige Erweiterung darstellt, nämlich das Wort "keine" in Merkmal 1.9, weil an entsprechender Stelle im ursprünglichen Patentanspruch 1 das Wort "eine" stand. Auch wenn für die Prüfung der unzulässigen Erweiterung die Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen maßgebend ist, hat die Einsprechende auf eine offensichtliche inhaltliche Diskrepanz zwischen einem Teil der Ursprungsunterlagen und erteiltem Patent hingewiesen. Das Patentamt ist auch ohne weiteres in der Lage gewesen, diese Tatsache zu überprüfen, denn es hat im Beschluss dazu ausgeführt, dass das Wort "eine" im ursprünglichen Patentanspruch 1 nur ein Schreibfehler war. Dass ein Widerrufsgrund ersichtlich nicht vorliegt, ist aber keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Einspruchs.
Die Beschwerde hat daher Erfolg. Von einer eigenen Sachentscheidung hat der Senat abgesehen, § 79 Abs 3 Nr 1 PatG.
Schülke Rauch Püschel Pü
BPatG:
Beschluss v. 02.12.2004
Az: 10 W (pat) 29/02
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