Bundespatentgericht:
Urteil vom 23. November 2004
Aktenzeichen: 3 Ni 32/03
(BPatG: Urteil v. 23.11.2004, Az.: 3 Ni 32/03)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 9. März 1989 unter Inanspruchnahme der Priorität der französischen Patentanmeldung FR 8803209 vom 11. März 1988 angemeldeten und u.a. mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in der Verfahrenssprache Französisch erteilten europäischen Patentes EP 0 333 045 B1 (Streitpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 689 24 081 geführt wird. Das Streitpatent betrifft ein "Système d'evacuation sous vide d'eaux usees" ("Vakuumtransportsystem für Abwasser") und umfasst nach der erteilten Fassung 9 Patentansprüche, von denen Patentanspruch 1 in der Verfahrenssprache Französisch wie folgt lautet:
"Procede d'evacuation d'eaux usees par aspiration et refoulement à l'aide d'une pompe dans lequel un collecteur tubulaire (42) est relie par un passage d'aspiration (33) à ladite pompe et reoit lesdites eaux usees sous la forme de bouchons successifs, ainsi que des masses d'air consecutives à ces bouchons et provenant de l'atmosphère, et ladite pompe aspire ces bouchons et ces masses d'air consecutives en abaissant la pression d'air dans ledit collecteur à une pression d'aspiration inferieure à la pression atmospherique, et refoule par un passage de refoulement (34) lesdites eaux usees sous une pression d'evacuation superieure à ladite pression d'aspiration et suffisante pour permettre leur evacuation, caracterise par le fait que ladite pompe mise en Ïuvre est une pompe à anneau liquide (P) qui est en outre munie d'un passage d'alimentiation en eau (19) pour recevoir un debit minoritaire d'une eau d'alimentation propre à former et/ou entretenir un anneau liquide dans cette pompe."
Patentanspruch 1 nach der deutschen Übersetzung der Streitpatentschrift (DE 689 24 081 T2) lautet wie folgt:
"Verfahren zum Abtransport von Abwässern durch Saugen und Fördern mit Hilfe einer Pumpe, bei dem ein rohrförmiger Kollektor (42) über einen Ansaugdurchlass (33) mit der Pumpe verbunden ist und die Abwässer in Form von aufeinanderfolgenden Stopfen sowie auf diese Stopfen folgende Luftmassen empfängt, die von der Atmosphäre stammen, und bei dem die Pumpe diese Stopfen und diese nachfolgenden Luftmassen ansaugt, indem sie den Luftdruck im Kollektor auf einen Saugdruck unterhalb des Atmosphärendrucks senkt, wobei die Abwässer durch einen Förderauslass (34) unter einem Auslassdruck abgegeben werden, der höher ist als der Ansaugdruck und ausreicht, um den Abtransport zu erlauben, dadurch gekennzeichnet, dass die verwendete Pumpe eine Flüssigkeitsringpumpe (P) ist, die außerdem mit einem Wasserversorgungsdurchlass (19) versehen ist, um einen geringen Durchsatz an Versorgungswasser zu erhalten, das einen Flüssigkeitsring in dieser Pumpe bildet und/oder aufrechterhält."
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9 wird auf die Streitpatentschrift bzw. die Übersetzung DE 689 24 081 T2 verwiesen.
Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil die Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 9 nicht neu seien bzw. nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhten. Zur Begründung bezieht sich die Klägerin auf folgende Dokumente bzw. von ihr zur Erläuterung ihres Vorbringens erstellte Zeichnungen:
Anlage K3: US 4,034,421, Anlage K4: US 1, 678,909, Anlage K5: Merkmalsanalyse des geltenden Hauptanspruchs in französischer Sprache, Anlage K6: deutsche Übersetzung der Anlage K5, Anlage K7: an die Figur 1 der Anlage K4 angelehnte Zeichnung, Anlage K8: "Pumping Manual", 1979, Seite 116 Anlagen K9 und K10: an Figur der Anlage K3 angelehnte Zeichnungen, in denen die Pumpe 5 durch die Wasserringpumpe nach der Anlage K4 ersetzt ist.
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 333 045 in vollem Umfang mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen; hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung des Patentanspruchs 1 gemäß den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsanträgen I bis III, jeweils in Verbindung mit den erteilten Patentansprüchen 2 bis 9, und beantragt insoweit Klageabweisung.
Wegen des Wortlauts des Patentanspruchs 1 gemäß den Hilfsanträgen I bis III wird auf die Anlage zum Verhandlungsprotokoll verwiesen.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig. Sie beruft sich zur Begründung u.a. auf die Anlage B2: Lexikon "EUROPUMP TERMINOLOGY" Trade and Technical Press Ltd., 1982, Seiten i, 9 und 17.
Gründe
Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit steht dem Streitpatent nicht entgegen, Art II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art 138 Abs. 1 lit a, 52, 54, 56, EPÜ.
I.
1. Das Streitpatent betrifft gemäß DE 689 24 081 T2 ein Vakuumtransportsystem für Abwasser.
Gemäß der Beschreibungseinleitung der vorliegenden Streitpatentschrift sind Systeme zum Abtransport von Abwässern mittels Vakuum seit langem bekannt. Im Vergleich mit einem Abtransport mittels Schwerkraft habe die Vakuum-Entleerung wesentliche Vorteile (DE 689 24 081 T2, S. 1 Z. 3 bis 26). Es seien verschiedene Techniken bekannt, um das Vakuum zu erzeugen.
Eine erste Technik bestehe darin, die Abwässer in einem Behälter aufzufangen, der mittels einer Vakuumpumpe unter Vakuum gesetzt wird. Um die Entleerung des Behälters durchzuführen, ohne den Betrieb der Anlage zu unterbrechen, müsse man über eine weitere Pumpe verfügen. Da die Abwässer unter Vakuum gelagert würden, entstehe außerdem kein aerober Abbau der Stoffe.
Um diese Nachteile zu vermeiden, werde in dem französischen Patent FR-A-2 502 666 vorgeschlagen, die Anlage mit Vakuumpumpe durch eine Barometersäule zu ergänzen, die es ermögliche, die Abwässer kontinuierlich vom Unterdrucknetz zu einem Kollektor auf Atmosphärendruck zu transformieren. Der Hauptnachteil dieser Technik bestehe darin, dass ein großer Höhenunterschied zwischen dem Kollektor und dem Tiefpunkt des Vakuumsystems vorliegen müsse.
Nach einer weiteren Technik gemäß der US 40 34 421 verwende man einen Lagerbehälter bei Atmosphärendruck. Eine Umlaufpumpe sauge die in diesem Behälter gelagerten Abwässer an und fördere sie unter Druck in einen Ejektor, dessen Ableitung sie wieder in den Behälter zurückführt. Diese Technik habe den Vorteil, dass der Lagerbehälter auf Atmosphärendruck bleibe, ohne die Anlage besonders kompliziert zu machen. Sie habe jedoch den den Ejektoren eigenen Nachteil des schlechten Wirkungsgrads.
Eine vierte Technik bestehe darin, eine Vakuumpumpe mit archimedischer Spirale zu verwenden, um ein Vakuum in einem Behälter zu erzeugen und aufrechtzuerhalten, der mit dem Sammelnetz der Abwässer verbunden ist. Die entsprechende Anlage sei vergleichsweise wesentlich komplexer.
Aus der Druckschrift US 14 92 171 sei eine Vorrichtung zur Entleerung von in einem Behälter aufgefangenen Abwässern bekannt, die durch einen Überdruck ausgestoßen würden, der oberhalb der Abwässer im Behälter aufgrund einer Flüssigkeitsringpumpe erzeugt werde, die als Luftkompressor diene. Diese Pumpe könne nie die Abwässer selbst pumpen. Weitere Techniken seien in der Druckschrift FR-A-2 127 865, in der Druckschrift "Europump Terminology 1982 Trade and Technical Press Ltd" sowie in "Pumping Manual, 6. Ausgabe, Trade and Technical Press Ltd beschrieben (DE 689 24 081 T2, S. 1 Z. 27 bis S. 3, Z. 23).
2. Nach den Angaben in der Übersetzung der Streitpatentschrift besteht die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe insbesondere darin, ein einfaches Verfahren zur Entleerung von Abwässern unter Vakuum zur Verfügung zu stellen. Das erfindungsgemäße Verfahren habe auch zum Ziel, einen guten energetischen Wirkungsgrad zu erbringen und eine direkte Verbindung, mit oder ohne Lagerbehälter, mit einem Sammelbehälter unter Atmosphärendruck zu erlauben, ohne Höhenvorgaben einer Barometersäule (DE 689 24 081 T2, S. 3 Z. 24 bis 30).
3. Zur Lösung dieser Aufgabe beschreibt Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung gemäß der deutschen Übersetzung ein Verfahren zum Abtransport von Abwässern 1. durch Saugen und Fördern mit Hilfe einer Pumpe, bei dem 2. ein rohrförmiger Kollektor über einen Ansaugdurchlass mit der Pumpe verbunden ist und 3. die Abwässer in Form von aufeinanderfolgenden Stopfen sowie auf diese Stopfen folgende Luftmassen empfängt, die von der Atmosphäre stammen, und 4. bei dem die Pumpe diese Stopfen und diese nachfolgenden Luftmassen ansaugt, indem sie den Luftdruck im Kollektor auf einen Saugdruck unterhalb des Atmosphärendrucks senkt, wobei 5. die Abwässer durch einen Förderauslass unter einem Auslassdruck abgegeben werden, der höher ist als der Ansaugdruck und ausreicht, um den Abtransport zu erlauben, wobei 6. die verwendete Pumpe eine Flüssigkeitsringpumpe ist, 7. die außerdem mit einem Wasserversorgungsdurchlass versehen ist, 8. um einen geringen Durchsatz an Versorgungswasser zu erhalten, das einen Flüssigkeitsring in dieser Pumpe bildet und/oder aufrechterhält.
II.
1. Das Verfahren nach Patentanspruch 1 des Streitpatents ist neu.
Dies hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung lediglich im Hinblick auf die US 16 78 909 (Anlage K4) bestritten.
Bei dem streitgegenständlichen Verfahren handelt es sich gemäß dem Merkmal 3 der vorstehenden Merkmalsanalyse um ein Verfahren zum Abtransport von Abwässern, bei dem die Abwässer aus aufeinanderfolgenden Stopfen sowie auf diese Stopfen folgenden Luftmassen, die von der Atmosphäre stammen, bestehen. Eine solche Abwasserkonsistenz tritt in Vakuumsammelsystemen auf, wie sich in Verbindung mit den Merkmalen 4 und 5 der Merkmalsanalyse und auch aus der Streitpatentschrift ergibt (vgl. z.B. S. 1, Z. 3 und 4 der deutschen Übersetzung). Somit betrifft das vorliegende Patent ein Verfahren zum Abtransport von eine besondere Konsistenz aufweisenden Abwässern in Vakuumsammelsystemen.
In der US 16 78 909 ist eine Pumpenanordnung zur Verwendung u.a. in Abwassersystemen erläutert. Dabei werden als zu fördernde Medien Gase und Flüssigkeiten genannt. Eine Aussage, dass die geförderten Abwässer aus aufeinanderfolgenden Stopfen sowie auf diese Stopfen folgenden Luftmassen bestehen, ist dieser Druckschrift jedoch ebenso wenig zu entnehmen wie ein Hinweis darauf, dass diese Pumpenanordnung in einem Vakuumsammelsystem eingesetzt wird, in dem eine alternierende Abfolge von Gas und Fest-Flüssig-Paketen gefördert wird.
Auch den übrigen zum Stand der Technik genannten Druckschriften ist kein Verfahren zum Abtransport von Abwässern mit sämtlichen im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen zu entnehmen, was auch die Klägerin nicht in Zweifel gezogen hat.
2. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung konnte der Senat nicht feststellen, dass die Lehre des Patentanspruchs 1 des Streitpatents sich für den Fachmann - einen mit der Konstruktion von Vakuumtransportsystemen für Abwasser befassten Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau - in naheliegender Weise ohne erfinderisches Tätigkeit aus dem aufgezeigten Stand der Technik ergibt.
Das streitgegenständliche Verfahren geht von einem Verfahren aus, wie es in der US 40 43 421 erläutert ist (vgl. S. 2, Z. 29/30 der DE 689 240 81 T2). Bei diesem Verfahren wird zur Förderung der aus aufeinanderfolgenden Stopfen sowie aus auf diese Stopfen folgenden Luftmassen bestehenden Abwässer eine Flüssigkeitsstrahlpumpe eingesetzt (vgl. insbes. Pos. 5 und Sp. 2, Z. 28). Eine Anregung, diese Pumpe durch eine andere Pumpe zu ersetzen, ist dieser Druckschrift nicht zu entnehmen, so dass von dort kein Hinweis zur streitgegenständlichen Ausgestaltung ausgehen konnte.
Einen solchen Hinweis erhält der Fachmann auch nicht durch die US 16 78 909, auf die sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen gestützt hat. Wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt hat, handelt es sich bei der dort offenbarten Pumpe um eine Pumpe, die lediglich bei der Förderung von Gasen als Flüssigkeitsringpumpe arbeitet und die bei der Förderung von Flüssigkeiten als Zentrifugalpumpe wirkt. Schon aus diesem Grund kann die zusätzliche Kenntnis der US 16 78 909 den Fachmann nicht in nahe liegender Weise zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 führen.
Auch die Kenntnis des übrigen noch im Verfahren befindlichen Standes der Technik kann das nicht bewirken.
Flüssigkeitsringpumpen sind dem Fachmann grundsätzlich bekannt und er kennt auch ihren Einsatzbereich, um Gase oder Flüssigkeiten oder Gemische aus beiden zu pumpen. Er weiß auch, dass mit Flüssigkeitsringpumpen weiche Feststoffe gefördert werden können (vgl. insbes. Streitpatentschrift Sp. 2, Z. 51 bis Sp. 3, Z. 2 oder S. 3, Z. 15 bis 24 der deutschen Übersetzung). Doch selbst, wenn dem Fachmann all diese Einsatzmöglichkeiten bekannt sind, fehlt ihm der entscheidende und zum Streitgegenstand führende Hinweis, eine Flüssigkeitsringpumpe zur Förderung von aus aufeinanderfolgenden Stopfen sowie auf diese Stopfen folgenden Luftmassen bestehenden Abwässern in ein Vakuumtransportsystem einzusetzen, bei denen eine alternierende Abfolge von Gas und Fest-Flüssig-Paketen anfällt.
Auch das Vorbringen der Klägerin, dass der Einsatz einer Flüssigkeitsringpumpe sich schon deswegen anbiete, weil in der Kollektorleitung 42 keine Stopfen mehr vorlägen und die Pumpe somit nur ein weitgehend stopfenfreies Abwasser normaler Konsistenz einsaugen und fördern müsse, konnte den Senat nicht überzeugen und zu einer anderen Beurteilung führen. Eine derartig enge, pumpenbezogene Betrachtungsweise wird dem streitgegenständlichen Verfahren nicht gerecht, da dort die Pumpe im Zusammenhang mit dem Vakuumsammelsystem bzw. dessen Leitungsnetz zu sehen ist und dort den Weitertransport von anfallenden Stopfen bewirkt.
Aus Vorstehendem ergibt sich, dass der Stand der Technik weder einzeln noch in einer Zusammenschau den Gegenstand des Streitpatents nahe legen konnte, da der grundlegende Gedanke, nämlich die Verwendung einer Flüssigkeitsringpumpe zur Förderung von aus aufeinanderfolgenden Stopfen sowie auf diese Stopfen folgende Luftmassen bestehenden Abwässern in einem Vakuumtransportsystem einzusetzen, im aufgezeigten Stand der Technik ohne Vorbild ist.
3. Die auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9 betreffen zweckmäßige, keine Selbstverständlichkeiten enthaltende Weiterbildungen des Verfahrens nach Patentanspruch 1. Sie haben daher ebenfalls Bestand.
4. Auf die von der Beklagten vorgelegten Hilfsanträge kam es somit nicht mehr an.
III.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG iVm § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG iVm § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
Hellebrand Riegler Sperling Brandt Schneider Pr
BPatG:
Urteil v. 23.11.2004
Az: 3 Ni 32/03
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