Bundesgerichtshof:
Urteil vom 2. Februar 2016
Aktenzeichen: X ZR 146/13
(BGH: Urteil v. 02.02.2016, Az.: X ZR 146/13)
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des 7. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 11. Dezember 2014 wird zurückgewiesen; die Berufung gegen das am 24. Oktober 2013 verkündete Urteil des 10. Senats (Nichtigkeitssenats) wird insoweit zurückgewiesen, als das Streitpatent auf die Klage der Klägerin zu 1 für nichtig erklärt worden ist.
Die Beklagte trägt die im zweiten Rechtszug entstandenen außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen zu 1 und 3.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des unter Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Erstanmeldung vom 15. Oktober 2003 am 29. September 2004 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 524 385 (nachfolgend: Streitpatent). Patentanspruch 1 hat in der Verfahrenssprache folgenden Wortlaut:
"Platte, insbesondere Bodenplatte, bestehend aus einem im Extrusionsverfahren hergestellten Körper (2) aus einer Mischung aus Naturstoffen, wie Holzfasern, Holzspäne, Stroh, Heu, Reisschalen oder dergleichen, und Kunststoff, wobei die Platte (1) an gegenüberliegenden Längsseiten ein integral ausgebildetes Verriegelungssystem aus Nut (9, 9.) und/oder Feder aufweist, wobei die Platte (1) verlegefertig ausgebildet ist, wobei an der Oberseite eine begehbare Oberfläche und an der Unterseite ebenfalls eine begehbare Oberfläche ausgebildet ist, wobei die Platte wahlweise mit der Ober- oder Unterseite nach oben verlegt werden kann, dadurch gekennzeichnet, dass an der Oberseite eine rutschhemmende Profilierung (3, 4) einextrudiert ist und an der Unterseite eine anders gestaltete, rutschhemmende Profilierung (5, 6) einextrudiert ist."
Die Patentansprüche 2 bis 8 sind unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogen.
Die Klägerinnen zu 1 und 2 und die Klägerin zu 3 haben jeweils Klage auf Erklärung der Nichtigkeit des Streitpatents erhoben. Die Klägerinnen zu 1 und 2 haben geltend gemacht, das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Zudem sei der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig. Die Klägerin zu 3 hat sich ebenfalls auf fehlende Patentfähigkeit berufen. Die Beklagte hat das Streitpatent jeweils in der erteilten Fassung und mit Hilfsanträgen verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent in beiden Verfahren für nichtig erklärt. Dagegen richten sich die - vom Bundesgerichtshof zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen - Berufungen der Beklagten, mit denen sie jeweils die Abänderung des Urteils des Patentgerichts und die Abweisung der Klage beantragt. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung eines erstinstanzlichen und zweier neuer beschränkter Anspruchssätze. Die Klägerinnen sind den Berufungen entgegengetreten. Über das Vermögen der Klägerin zu 2, eine in Luxemburg eingetragene Aktiengesellschaft, ist im Verlaufe des Berufungsverfahrens das Konkursverfahren eröffnet worden.
Gründe
I. Über die zulässigen Berufungen der Klägerinnen zu 1 und 3 ist durch Teilurteil zu entscheiden. Dem steht nicht entgegen, dass das Verfahren hinsichtlich der Klägerin zu 2 durch Eröffnung des Konkursverfahrens unterbrochen ist (§§ 62, 240 ZPO).
Zwischen mehreren Klägern einer Patentnichtigkeitsklage besteht zwar eine notwendige Streitgenossenschaft gemäß § 62 ZPO, wenn sie - wie im vorliegenden Fall die Klägerinnen zu 1 und 2 - die Patentnichtigkeitsklage gemeinsam erhoben haben oder mehrere Klageverfahren, die dasselbe Patent zum Gegenstand haben, zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden sind - wie im vorliegenden Fall die Berufungsverfahren einerseits der Klägerinnen zu 1 und 2 und andererseits der Klägerin zu 3 -, weil die Entscheidung über die Nichtigerklärung eines Patents durch Gestaltungsurteil gegenüber jedem der Kläger einheitlich ergehen muss und darüber hinaus eine vollständige oder teilweise Nichtigerklärung des Patents gemäß Art. 68 EPÜ oder §§ 22 Abs. 2, 21 Abs. 3 PatG Gestaltungswirkung gegenüber jedermann dahingehend hat, dass die Wirkungen des Patents in dem Umfang der Nichtigerklärung als von Anfang an nicht eingetreten gelten (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2015 - X ZR 11/13, Rn. 48 f. - Fugenband).
Das bedeutet aber nicht, dass aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines von mehreren Klägern eines Patentnichtigkeitsverfahrens nicht über die Klagen der anderen Kläger durch Teilurteil erkannt werden kann. Zwischen mehreren Klägern eines Patentnichtigkeitsverfahrens besteht eine notwendige Streitgenossenschaft aus prozessrechtlichen Gründen nach § 62 Abs. 1 Alt. 1 ZPO und nicht eine notwendige Streitgenossenschaft aus materiellrechtlichen Gründen nach § 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO, bei der ein Teilurteil gegenüber einzelnen notwendigen Streitgenossen von vornherein nicht zulässig ist (BGH, Urteil vom 12. Januar 1996 - V ZR 246/94, BGHZ 131, 376, 381). Allerdings kann auch bei einer notwendigen Streitgenossenschaft aus prozessrechtlichen Gründen, wie sie insbesondere bei einer von mehreren Aktionären erhobenen Anfechtungsklage nach § 246 AktG oder eine Nichtigkeitsklage nach § 249 AktG besteht, ein Teilurteil grundsätzlich nur für oder gegen alle, nicht aber für oder gegen bestimmte einzelne Streitgenossen ergehen (BGH, Urteil vom 5. April 1993 - II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 240; Urteil vom 1. März 1999 - II ZR 305/97, NJW 1999, 1638 f.). Von diesem Grundsatz sind die Patentnichtigkeitsklagen mehrerer Kläger, die dasselbe Patent zum Gegenstand haben, jedoch ausgenommen, weil - anders als insbesondere bei einer gesellschaftsrechtlichen Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage (vgl. § 246 Abs. 3 Satz 6, § 249 Abs. 2 Satz 1 AktG) - keine Verpflichtung des Gerichts besteht, mehrere Klagen zu verbinden. Vielmehr steht es bei einem Patentnichtigkeitsverfahren im pflichtgemäßen richterlichen Ermessen, das insbesondere auch von prozessökonomischen Gründen bestimmt sein kann, ob Verfahren nach § 99 PatG in Verbindung mit §§ 145, 147 ZPO miteinander verbunden oder (auch wieder) getrennt werden (Benkard/Hall/Nobbe, PatG, 11. Aufl. 2015, § 81, Rn. 43; Busse/Keukenschrijver, PatG, 7. Aufl. 2013, § 82, Rn. 47; Fitzner/Lutz/Bodewig-Ahrens, PatG, 4. Aufl. 2012, § 81, Rn. 111; vgl. auch BGH, Urteil vom 30. Juni 1959 - I ZR 59/57, GRUR 1960, 27, 28 - Verbindungsklemme). Es wäre daher, wird das Verfahren hinsichtlich eines von mehreren Nichtigkeitsklägern durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen (§§ 62, 240 ZPO), möglich, die Nichtigkeitsklagen der anderen Nichtigkeitskläger abzutrennen und darüber in einem getrennten Verfahren zu verhandeln und zu entscheiden. Dann ist es aber auch zulässig, über die Nichtigkeitsklagen der Nichtigkeitskläger, hinsichtlich deren das Verfahren nicht wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen wurde, ohne Abtrennung durch Teilurteil zu entscheiden.
II. Die Berufungen der Klägerinnen zu 1 und 3 haben in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Streitpatent betrifft eine Platte, insbesondere eine Bodenplatte, bestehend aus einem im Extrusionsverfahren hergestellten Körper. In der Beschreibung wird ausgeführt, dass Bodenplatten aus einem Vollprofil aus Holz oder einem verpressten Holzwerkstoff mit Profilierungen zur Erhöhung der Rutschfestigkeit an der Oberseite und Nut-Feder-Verbindungen an den Längskanten bekannt seien. Sie hätten jedoch den Nachteil, dass sie relativ schnell alterten und deshalb nach mehreren Jahren ausgetauscht werden müssten. Außerdem sei im Außenbereich eine Imprägnierung erforderlich, um die Lebensdauer zu verlängern. Mit einer Laminatschicht versehene Platten seien in der Herstellung relativ aufwändig, weil sie abgetrennt und an ihren Kanten durch Fräsen profiliert werden müssten, damit sie beim Verlegen versiegelt werden könnten. Aus der US-amerikanischen Patentanmeldung 2002/059766 seien auch im Extrusionsverfahren hergestellte Bodenplatten bekannt.
Dem Streitpatent liegt das Problem zugrunde, eine Platte, insbesondere eine Bodenplatte zu schaffen, die einfach und kostengünstig herzustellen und zu verlegen ist, über eine hohe Witterungsbeständigkeit und Rutschfestigkeit verfügt und variabel einsetzbar ist. Dies soll nach Patentanspruch 1 (Hinzufügungen in der Anspruchsfassung des Hilfsantrags I sind durch Kursivdruck gekennzeichnet.) durch folgende Ausgestaltung erreicht werden:
1. Die Platte besteht aus einem im Extrusionsverfahren hergestellten Körper aus einer Mischung aus 1.1. Naturstoffen wie Holzfasern, Holzspänen, Stroh, Heu, Reisschalen oder dergleichen und 1.2 Kunststoff.
2. Die Platte ist verlegefertig ausgebildet und weist an gegenüberliegenden Längsseiten ein integral ausgebildetes Verriegelungssystem aus Nut oder Feder auf.
3. An der Oberseite und der Unterseite der Platte ist jeweils 3.1 eine begehbare Oberfläche ausgebildet und 3.2 eine rutschhemmende Profilierung einextrudiert.
4. Die Platte kann wahlweise mit der Ober- oder Unterseite nach oben verlegt werden.
5. Die Profilierung der Unterseite ist anders gestaltet als die Profilierung der Oberseite.
6. Die Oberflächen sind gebürstet.
Bei Patentanspruch 1 handelt es sich um einen Erzeugnisanspruch, der eine Platte unter Schutz stellt, die über die Eigenschaften einer im Extrusionsverfahren hergestellten Platte verfügt, welche aus einer Mischung aus Naturstoffen und Kunststoff - mithin insbesondere aus üblicherweise als Wood Plastic Composites (WPC) bezeichneten, mit Holzfasern gefüllten Polymerwerkstoffen - besteht (Merkmal 1). Beide Seiten der Platte sollen als begehbare Oberseite verwendbar sein und sind deshalb jeweils mit einer bei der Extrusion hergestellten rutschhemmenden Profilierung versehen (Merkmale 3 und 4). Sie kann beispielsweise aus mehreren beabstandet zueinander angeordneten Rillen bestehen. Zusätzlich (und nach Hilfsantrag I zwingend) kann die Oberfläche gebürstet sein, wodurch weitere, kleinere Längsrillen zur Verfügung gestellt werden (Abs. 8, 15 und 21; Figuren 1a und 1b sowie Figur 3). Sie werden vom Streitpatent als rutschhemmend angesehen, weil sie den Abfluss von Regenwasser erleichtern und einen wechselseitigen Eingriff mit der Schuhsohle erlauben. Die Profilierung der beiden Plattenseiten muss sich dabei - in nicht näher festgelegter Weise - voneinander unterscheiden (Merkmal 5). Die wahlweise Verlegbarkeit der Platte mit der Ober- oder der Unterseite bedingt, dass das integral ausgebildete Verriegelungssystem aus Nut und Feder für beide Verlegungsvarianten ausgebildet ist, weitere Anpassungen an der Platte also nicht erforderlich sind, um diese in beiden Verlegungsvarianten verriegeln zu können (Merkmal 2).
2. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Gegenstand des Streitpatents beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die US-amerikanische Patentanmeldung 2003/0154662 (N1) zeige eine verlegefertig ausgebildete Bodenplatte aus extrudiertem WPC-Material mit einem integral an gegenüberliegenden Seiten ausgebildeten Verriegelungssystem aus Nut und Feder sowie einer an der Oberseite der Platte ausgebildeten begehbaren Oberfläche. Von dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents unterscheide sich die aus der Entgegenhaltung N1 bekannte Bodenplatte dadurch, dass ihre Unterseite nicht als begehbare Oberfläche vorgesehen sei, sie nicht wahlweise mit der Ober- oder Unterseite nach oben verlegt werden könne und weder der Ober- noch der Unterseite eine rutschhemmende Profilierung einextrudiert sei.
Der Fachmann - ein Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit Spezialkenntnissen in der Entwicklung, Konstruktion und Fertigung von mittels Extrusionsverfahren hergestellten Bauelementen -, der die Aufgabe habe, die aus N1 bekannte Platte insbesondere im Hinblick auf deren Rutschfestigkeit zu verbessern, und dabei auch Kostengesichtspunkte und die Wettbewerbsfähigkeit des Produktes im Auge gehabt habe, werde sich an bekannten Bodenbelägen aus Holz orientieren. Für Hersteller der im Prioritätszeitpunkt noch relativ neuen WPC-Platten habe es sich angeboten, das äußere Erscheinungsbild - und nicht zuletzt die Oberflächenprofile - von Bodenplatten aus Holz nachzuahmen. Aus dem deutschen Gebrauchsmuster 298 23 195 (N2) sei eine Diele bekannt, die mit einer rutschhemmenden Profilierung auf der Oberseite und mit einer davon abweichenden ebenfalls rutschhemmenden Profilierung auf der Unterseite versehen sei. Aufgrund der symmetrisch ausgebildeten Nuten an den Längsseiten der Bretter erkenne der Fachmann, dass diese wahlweise auch mit der Unterseite nach oben verlegt werden könnten. Von einer Nachahmung der aus N2 bekannten Holzdielen sei der Fachmann auch nicht durch die unterschiedliche Herstellungstechnik bei Holz- und Extruderprodukten abgehalten worden. Es sei für den Fachmann möglich gewesen, das Extrusionswerkzeug so zu konzipieren, dass eine Platte mit unterschiedlich profilierter Ober- und Unterseite extrudiert werden könne. Auch wenn der Fachmann bei der Herstellung von WPC-Bodenplatten mit unterschiedlichen Profilen an der Ober- und Unterseite vor besondere Herausforderungen gestellt worden sein sollte, wäre es ihm möglich gewesen, diese Schwierigkeiten auf der Grundlage seiner Fachkenntnisse und Erfahrungen mit Hilfe von Versuchen in den Griff zu bekommen. In der Streitpatentschrift ließen sich auch keine Hinweise auf Schwierigkeiten des Herstellungsverfahrens finden. Besondere Schwierigkeiten bei einer asymmetrischen Verteilung der extrudierten Massen könnten zudem vermieden werden, wenn die Masse auch bei unterschiedlichen Profilen an der Ober- und Unterseite einer Platte ober- und unterhalb einer gedachten, auf mittlerer Höhe der Platte verlaufenden Querachse gleichmäßig verteilt werde.
Auch der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des ersten Hilfsantrags sei naheliegend gewesen, da Bürsten eine dem Fachmann geläufige Maßnahme zum Aufrauen glatter Oberflächen sei, etwa um diese weniger rutschig zu machen. Das Argument, es sei bei der mit dem Aufrauen durch Bürsten verbundenen Beschädigung der Oberflächen zu erwarten gewesen, dass die Platten ihre Witterungsbeständigkeit verlieren würden, und es habe sich erst bei Versuchen der Patentinhaberin herausgestellt, dass das Material durch die Einstellung geeigneter Parameter beim Extrusionsvorgang eine weitgehend geschlossene Matrix bilde, die auch beim Bürsten eine hohe Dichtigkeit bewahre, überzeuge nicht. Das Argument beziehe sich auf den Herstellungsvorgang und könne die Patentfähigkeit eines Erzeugnisanspruchs nicht begründen. Zudem sei der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht auf Platten beschränkt, die eine bestimmte Matrix oder Dichtigkeit aufwiesen.
3. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Berufung stand.
a) Die in Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Lehre war für den - vom Patentgericht rechtsfehlerfrei bestimmten - Fachmann zum Prioritätszeitpunkt naheliegend.
Die Entgegenhaltung N1 offenbarte dem Fachmann eine Bodenplatte aus extrudiertem WPC-Material mit einem integral an gegenüberliegenden Seiten ausgebildeten Verriegelungssystem aus Nut und Feder sowie einer an der Oberseite der Platte ausgebildeten begehbaren Oberfläche. Ihm war zudem bekannt, dass es sich, wie das Patentgericht unbeanstandet festgestellt hat (vgl. auch n. GmbH, Studie Wood-Plastic-Composites (WPC), Januar 2006, S. 6 [Anlage 3 zu dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten von Prof. Dr.-Ing. H. , Hochschule W. , Lehrstuhl Werkstoffkun- de/Kunststofftechnik, vom 11. Februar 2014]), zwar um eine relativ neue Technik handelte, die aber über besondere Vorzüge, wie leichtes Gewicht und gute Handhabbarkeit bei der Montage, aber auch hohe Belastbarkeit und Beständigkeit gegenüber Sonne, Witterung und starker Beanspruchung verfügte (vgl. N1, Abs. 1 und 3). Interessierte sich der Fachmann wegen dieser Vorzüge für die in der N1 offenbarte Bodenplatte aus WPC-Material, wollte er aber deren Eigenschaften im Hinblick insbesondere auf die Rutschfestigkeit der an der Oberfläche ebenen Platte - und gegebenenfalls deren holzähnliche Anmutung - verbessern und sie variabel verwendbar ausgestalten, lag es, wie das Patentgericht überzeugend ausgeführt hat, für ihn auf der Hand, sich darüber zu informieren, wie dieses Problem bei Bodenplatten aus den bislang gängigen Materialien wie insbesondere Holz gelöst wird und ob WPC-Bodenplatten entsprechend gestaltet werden können.
Vor diesem Hintergrund war die N2 für den Fachmann von besonderem Interesse. Dieser Druckschrift geht es zwar vorrangig darum, den Verbund von Holzbrettern etwa für die Wand einer Laube oder für einen Fußboden oder eine Terrasse zu verbessern (N2, S. 2). Sie offenbart aber in diesem Zusammenhang auch Bretter bzw. Platten mit unterschiedlichen Oberflächenprofilierungen in Längsrichtung (N2, S. 5; Ansprüche 6 und 7; Figur 4). Der Fachmann erkannte, dass diese Profilierungen der Verbesserung der Rutschfestigkeit dienen können. Zudem wurde ihm ein Brett offenbart, das auf der einen Oberseite über Längsnuten und auf der anderen Oberseite über ein wellenförmiges Profil verfügt und wahlweise mit der einen oder der anderen Seite als Oberseite verlegt werden kann (N2, S. 5; Figur 4). Er erhielt dadurch die Anregung, auch bei einer Platte aus WPC nicht nur an der Oberseite, sondern zusätzlich an der Unterseite eine rutschhemmende Profilierung vorzusehen, wobei die Profilierungen jeweils unterschiedlich ausgestaltet sind und wahlweise die eine oder andere Seite als Oberseite verlegt werden kann. Er gelangte auf diese Weise zu einem WPC-Profil mit sämtlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1.
Der von der Holzverarbeitung abweichende Herstellungsprozess eines zu extrudierenden WPC-Profils stand weder dem Rückgriff auf die in der N2 beschriebene Holzplatte als solchem noch der Übernahme des Gedankens unterschiedlich profilierter, jeweils als begehbare Oberflächen nutzbarer Seiten entgegen. Die im Mittelpunkt des Berufungsangriffs stehende, mit dem Parteigutachten H. untermauerte Rüge, das Patentgericht habe vernachläs- sigt, dass der Fachmann nicht in Erwägung ziehen werde, das in Figur 4 der N2 offenbarte Profil einer Bodenplatte aus Holz als WPC-Bodenplatte auszubilden, weil das Fließverhalten hochgefüllter Kunststoffschmelzen im Prioritätszeitpunkt kaum erforscht gewesen sei, greift nicht durch. Der Berufung kann nicht darin beigetreten werden, dass der Fachmann Anregungen aus der N2 für die Profilgestaltung mit der Erwägung verworfen hätte, aus den unterschiedlichen Schwindungsmaßen von Randschicht und Querschnittsinnerem resultierende Eigenspannungen in einem asymmetrischen Querschnitt eines hochgefüllten Extrusionsprofils, die zu einem Verzug des Profils führten, geböten ein symmetrisch zur Mittellinie ausgebildetes Extrudatprofil mit entsprechend symmetrischen Abkühlbedingungen.
Zutreffend ist, dass, wie bereits das fachkundig besetzte Patentgericht hervorgehoben hat, die Herstellung von WPC-Platten den Fachmann vor besondere Herausforderungen gestellt hat. In dem Lehrbuch "Extrusionswerkzeuge" des VDI-Verlags aus dem Jahr 1996 (Anlage 3 zum Gutachten H. , S. 40) wird insoweit ausgeführt, dass es allgemein bekannt sei, dass eine asymmetrische Massenverteilung immer zu Erschwernissen bei der Extrusion führt. Der Parteigutachter hebt in seinem Gutachten hervor, dass dem Fachmann nicht bekannt sein könne, welche Eigenspannung im Querschnitt eines hochgefüllten Extrusionsprofils sich aus den unterschiedlichen Schwindungsmaßen von Randschicht und Querschnittsinneren einstellen werde und welche Veränderungen des Eigenspannungszustands im Querschnitt eines hochgefüllten Extrusionsprofils sich aus der Nachkristallisation in der Randschicht einstellen werde. Der Fachmann werde deshalb immer bestrebt sein, durch ein symmetrisch zur Mittellinie ausgeführtes Profil einen Verzug zu vermeiden (Gutachten H. , S. 15).
Diese Schwierigkeiten bei der Herstellung von WPC-Profilen im Extrusionsverfahren schlossen es aber aus fachlicher Sicht nicht aus, die aus der N1 bekannten WPC-Platten mit einer rutschhemmenden Profilierung an Ober- und Unterseite in Anlehnung an die Ausgestaltung der in Figur 4 der N2 dargestellten Holzplatte zu versehen. Prof. Dr.-Ing. S. , Se. , weist in seiner für die Klägerinnen zu 1 und 2 abgegebenen Stellungnahme darauf hin, dass asymmetrische WPC-Profile im Prioritätszeitpunkt bereits hergestellt wurden (vgl. etwa Kaczmarek/Wortberg, Kunststoffe 2/2013, S. 18 [Anlage 2 zur Stellungnahme S. ]) und die von dem Parteigutachter H. genannten Schwierigkeiten komplizierte asymmetrische Profilgeometrien beträfen, wie sie beispielsweise auch in dem Lehrbuch "Extrusionswerkzeuge" gezeigt sind (Anlage 3 zum Gutachten H. , S. 41, Bild 7). Bei der in Figur 4 der N2 dargestellten Bodenplatte ist der Schwerpunkt des Profilumfangs und der Profilquerschnittsfläche hingegen nahezu identisch, so dass für den Fachmann ein für die Herstellung von WPC-Bodenplatten extrusionstechnisch einfaches Profil vorliegt, das sich nur durch eine abweichende Oberflächenstruktur auf der Ober- und Unterseite des Profils unterscheidet (Stellungnahme S. , S. 5).
Hinzu kommt, dass aus fachlicher Sicht keine Notwendigkeit bestand, die in Figur 4 der N2 für Holzplatten gezeigte Profilierungstiefe "eins zu eins" auf Bodenplatten aus WPC zu übertragen. Vielmehr können bei Bodenplatten aus WPC auch vergleichsweise geringere und damit herstellungstechnisch unproblematischere Profilierungstiefen vorgesehen werden, ohne dass dies deren Rutschfestigkeit in erheblicher Weise beeinträchtigt.
Dafür, dass es sich insoweit um einen beherrschbaren Herstellungsvorgang handelt, spricht indiziell auch, dass sich weder in der zugrundeliegenden Anmeldung noch in der Streitpatentschrift ein Hinweis auf Schwierigkeiten bei der Herstellung einer WPC-Bodenplatte mit unterschiedlichem Oberflächenprofil auf der Ober- und Unterseite findet (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 2009 - X ZR 115/05, GRUR 2010, 322 Rn. 49 - Sektionaltor). Inwieweit der Fachmann in der Lage war, das Fließverhalten hochgefüllter Kunststoffschmelzen in einem beliebig geformten Extrusionswerkzeug zu berechnen oder wenigstens näherungsweise vorauszusagen, ist hierfür unerheblich.
Aber selbst wenn der Fachmann Bedenken gehabt haben sollte, ob das in Figur 4 der N2 dargestellte Profil als WPC-Platte extrudierbar ist, hätte ihm dies lediglich Veranlassung gegeben, über eine im Extrusionsprozess einfacher zu handhabende Ausgestaltung der beiderseitigen Oberflächenprofilierung nachzudenken. Nichts nötigte ihn, das in der N2 verwendete Profil sklavisch auf eine WPC-Platte wie die in N1 dargestellte zu übertragen. Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, bot es sich aus fachlicher Sicht an, bei weiterhin unterschiedlicher Ausgestaltung der Profile an der Ober- und an der Unterseite die Masse ober- und unterhalb einer gedachten, auf mittlerer Höhe der Platte verlaufenden Querachse - bei gegebenenfalls geringerer Profilierungstiefe als in Figur 4 der N2 für ein Holzbrett gezeigt - möglichst gleichmäßig zu verteilen, so dass im Extrusionsprozess gegebenenfalls nicht zu beherrschenden Asymmetrien jedenfalls weitgehend vermieden werden. Dieser Ansatz wird durch den Parteigutachter S. bestätigt, der auf der einen Seite eine gröbere und auf der anderen Seite eine feinere Wellenstruktur in Erwägung zieht, wobei sich die Größe der Oberfläche der Ober- und Unterseite des Profils und die beiden Schwerpunktlagen für den Profilumfang und für die Profilquerschnittsfläche nicht ändern (Stellungnahme S. , S. 5).
Das von der Berufung weiterhin angesprochene Problem der Masseanhäufungen stellt sich aus Sicht des Fachmanns schon deshalb nicht, weil ihm in der N1 WPC-Platten mit Hohlprofil offenbart werden und es allein darum geht, deren Rutschfestigkeit an der Oberfläche zu verbessern. Ein Anlass, bei dem aus der N1 bekannten Hohlprofil zusätzliche Masseanhäufungen zu bilden, die zu den in dem Lehrbuch "Extrusionswerkzeuge" genannten Problemen führen (Anlage 3 zum Gutachten H. , S. 42, Bild 8), bestand nicht. Im Übrigen geht auch aus dem Gutachten H. nicht hervor, dass der Fachmann bei der Übertragung der Oberflächenprofile der in Figur 4 der N2 gezeigten Holzplatte auf die in N1 offenbarten WPC-Platten Schwierigkeiten im Hinblick auf Masseanhäufungen erwarten musste.
b) Auch die in Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags I unter Schutz gestellte Lehre, wonach die Oberfläche gebürstet sein soll, war für den Fachmann naheliegend. Dem Fachmann war es nach den Feststellungen des Patentgerichts bekannt, die glatten Oberflächen von Bodenplatten durch Bürsten aufzurauen, etwa um die Oberflächen rutschhemmend zu gestalten oder die Haftung für einen nachfolgenden Farb- oder Lackauftrag zu verbessern. Das Bürsten von WPC-Bodenplatten kam, wie den Erläuterungen des Parteigutachters H. entnommen werden kann (Gutachten S. 18), in Betracht, um deren Optik weniger kunststoffartig und damit natürlicher zu gestalten, die Rutschfestigkeit zu verbessern und um durch den Extrusionsprozess hervorgerufene Farbschlieren zu kaschieren. Die Hinzufügung dieser Maßnahme kann daher erfinderische Tätigkeit nicht begründen.
Dem steht nicht entgegen, dass die Fachwelt nach den weiteren Ausführungen im Gutachten H. der Auffassung war, dass durch das Bürsten die Holzfasern des WPC-Profils freigelegt würden, wodurch Feuchtigkeit aus der Umgebung aufgenommen werde, was sich negativ auf die Beständigkeit der WPC-Dielen auswirke. Denn zum einen schließt dieses Bedenken eine Verwendung gebürsteter WPC-Bodenplatten jedenfalls in Bereichen, in denen Feuchtigkeit üblicherweise nicht auftritt (etwa in Innenbereichen), nicht aus. Zum anderen ist nichts dafür festgestellt oder vorgetragen, dass die Auffassung der Fachwelt unzutreffend gewesen wäre. Es begründet jedoch regelmäßig keine erfinderische Tätigkeit, wenn Nachteile, die den Fachmann üblicherweise von einer ihm ohne weiteres zur Verfügung stehenden Maßnahme abhalten, schlicht in Kauf genommen werden (BGH, Urteil vom 4. Juni 1996 - X ZR 49/94, GRUR 1996, 857, 860 - Rauchgasklappe; Urteil vom 25. September 2012 - X ZR 10/10, GRUR 2013, 160 = BlPMZ 2013, 142 Rn. 43 - Kniehebelklemmvorrichtung). Soweit die Beklagte sich in erster Instanz darauf berufen hat, durch die Einstellung geeigneter Parameter beim Extrusionsvorgang bilde das Material eine weitgehend geschlossene Matrix mit trotz Bürsten hoher Dichtigkeit, hat das Patentgericht zutreffend darauf verwiesen, dass solche Maßnahmen nicht Gegenstand des Patentanspruchs sind und daher einen Patentschutz für ein gebürstetes WPC-Profil mit beliebiger Matrix nicht zu rechtfertigen vermögen. Patentanspruch 1 schließt im Übrigen auch nicht aus, dass die gebürstete Oberfläche mit einer vor dem Eindringen von Feuchtigkeit schützenden Oberfläche versehen wird.
c) Ob die Verteidigung des Streitpatents in der Fassung der erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsanträge II und III zulässig ist, nachdem das Patentgericht der Beklagten in beiden Verfahren in dem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis bereits mitgeteilt hatte, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach seiner vorläufigen Auffassung nicht erfinderisch sei, bedarf ebenso wenig der Entscheidung wie die Frage, ob die Gegenstände der Hilfsanträge II und III ursprungsoffenbart sind, weil auch die Gegenstände dieser Ansprüche jedenfalls nicht patentfähig sind.
aa) Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags II ist auf die Verwendung der Platte nach Patentanspruch 1, bei der die Oberfläche gebürstet ist und die einen eingefärbten Kunststoff enthält, für Terrassen und Balkone gerichtet. Was die im Belieben des Fachmanns stehende Einfärbung des Kunststoffs zur erfinderischen Tätigkeit beitragen könnte, ist nicht ersichtlich. Die Verwendung für Terrassen ist bereits in den Entgegenhaltungen N1 und N2 angesprochen; was die Eignung gebürsteter Oberflächen hierfür anbelangt, so gilt das vorstehend zu 2 Ausgeführte.
bb) Hilfsantrag III fügt den Merkmalen des Hilfsantrags I das weitere Merkmal hinzu, dass die Platte als Vollprofil ausgebildet ist. Dabei handelt es sich um eine nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu treffende Auswahl aus den beiden dem Fachmann offenstehenden Möglichkeiten, die Platte entweder als Hohl- oder Vollprofil auszuführen. Entsprechend ist auch bei den in der Streitpatentschrift beschriebenen erfindungsgemäßen Ausführungsbeispielen neben einer Bodenplatte mit Hohlkammern (Abs. 17, Figuren 1a bis 2b) eine als Vollprofil ausgestaltete Bodenplatte aufgeführt, bei der die Hohlkammern durch leistenförmige Aussparungen an der Unterseite ersetzt sind, so dass sich der Materialverbrauch und das Gewicht verringern (Abs. 21; Figur 3).
III. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO. Im Übrigen ist die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten.
Meier-Beck Gröning Grabinski Hoffmann Kober-Dehm Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 24.10.2013 - 10 Ni 31/11 (EP) -
BGH:
Urteil v. 02.02.2016
Az: X ZR 146/13
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