Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 8. August 2013
Aktenzeichen: I-26 W 15/12 (AktE)

(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 08.08.2013, Az.: I-26 W 15/12 (AktE))

§§ 304, 305 AktG, § 11 Abs. 2 SpruchG, § 4 Abs. 2 SpruchG, § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO analog

1. Von einem Vergleichsschluss mit den übrigen Antragstellern wird das auch auf den Antrag des - nicht vergleichsbereiten - Antragstellers eingeleitete Spruchverfahren schon im Grundsatz nicht berührt.

2. Die vergleichsweise Erhöhung der Kompensationsleistungen kann auch im Übrigen keinen Einfluss auf das Ergebnis des Spruchverfahrens haben, das mit dem nicht vergleichsbereiten Antragsteller fortzuführen ist. Insbesondere kann sie nicht als Indiz für die Angemessenheit der so erhöhten Kompensationsleistungen herangezogen werden, nur weil die anderen Beteiligten mit ihnen einverstanden waren; für eine entsprechende "konsensuale Schätzung" ist kein Raum.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers zu 6) vom 27. Juli 2012 wird der Beschluss der 9. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 10. Juli 2012 aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung und Entscheidung ‑ auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 200.000 € festgesetzt.

Gründe

A.

Der Beschwerdeführer war Aktionär der früheren Y Versicherung AG und jetzigen Antragsgegnerin zu 1). Unter dem 29.10.2001 schlossen die Y Versicherung AG und die Antragsgegnerin zu 2) einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, dem die Hauptversammlung der Y Versicherung AG am 17.12.2001 zustimmte. Dieser Vertrag wurde am 15.04.2002 durch die Eintragung in das Handelsregister wirksam. Er sah für die außenstehenden Aktionäre in § 4 Nr. 1 für die Dauer des Vertrages eine feste Ausgleichszahlung in Höhe von 96,55 € je Aktie und in § 5 Nr. 1 das Angebot einer Barabfindung in Höhe von 1.750,57 € je Aktie vor. Der Berechnung von Ausgleich und Abfindung lag das Bewertungsgutachten der B. Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (im Folgenden: B.) zugrunde, das einen Unternehmenswert in Höhe von 3.501,141 Mio. € ermittelte (Teil 1, Anlage 2 des Gemeinsamen Berichts). Die Angemessenheit von Ausgleich und Abfindung bestätigte die vom Landgericht Düsseldorf zum Vertragsprüfer gem. § 293c AktG bestellte W. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit Testat vom 29.10.2001 (Teil 2 des Gemeinsamen Berichts). Der Börsenwert der Aktie betrug nach den Feststellungen des Landgerichts nach dem Durchschnitt der letzten drei Monate vor der Hauptversammlung 1.531,32 € und der letzten drei Monate vor der Einberufung der Hauptversammlung 1.336,43 €.

Am 5.06.2002 beschloss die Hauptversammlung der Y Versicherung Aktiengesellschaft sodann auf Verlangen der Antragsgegnerin zu 2), die mittelbar bzw. unmittelbar 98,83 % des Grundkapitals hielt, die Übertragung der Aktien der übrigen (Minderheits-)Aktionäre auf die Antragsgegnerin zu 2) gegen Gewährung einer Barabfindung in Höhe von 1.762,81 € je Aktie (sog. "Squeeze-Out"). Der Abfindung lag die zum Stichtag 5.06.2002 von Seiten der B. erstattete Unternehmensbewertung zugrunde, die zu einem Unternehmenswert in Höhe von 3.525,6 Mio. € gelangte. Die Angemessenheit der festgelegten Barabfindung testierte die zum sachverständigen Prüfer gem. § 327c Abs. 2 AktG bestellte W. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft unter dem 19.04.2002. Dieser Beschluss wurde am 18.06.2002 in das Handelsregister eingetragen und am 23.08.2002 im Bundesanzeiger bekannt gemacht. Vor der Einberufung der Hauptversammlung hatte der durchschnittliche Dreimonatskurs nach den Feststellungen des Landgerichts 1.809,53 € und vor der Hauptversammlung 1.850,47 € betragen. Mit Blick auf den geringen Anteil des Streubesitzes und das geringe Handelsvolumen innerhalb des Streubesitzes hatten B. wie auch der sachverständige Prüfer es im Rahmen beider Strukturmaßnahmen nicht für geboten angesehen, den Börsenwert als Wertuntergrenze heranzuziehen.

Die Y Versicherung war 1904 unter der Firma Y Feuerversicherungs-Actien-Gesellschaft in Berlin gegründet worden. Ursprünglich gehörte zur Y-Gruppe auch die Y ZU B. Allgemeine Versicherungs-Actien-Gesellschaft, die aus der bereits 1853 gegründeten A. E.-Versicherungs-Actiengesellschaft hervorgegangen ist. Im Jahr 1956 hatte die Y Feuer-Versicherungs-Actien-Gesellschaft durch Verschmelzung die 1923 in Düsseldorf gegründete Y A. R. Feuer- und Transport-Versicherungs-Actiengesellschaft aufgenommen und firmierte im Anschluss unter Y Feuer-Versicherungs-Aktien-Gesellschaft, B. Im Jahr 1961 übernahm sie die Aktienmehrheit an der Z Allgemeine Rechtsschutz-Versicherungs-AG, München (im Folgenden: Z Rechtsschutz).

1989 erfolgte eine Umstrukturierung des Y-Konzerns, durch die die Y Holding AG anstelle der Y Lebens-Versicherungs-Aktien-Gesellschaft zur obersten Konzerngesellschaft wurde. Im Zuge der Umstrukturierung erfolgte auch die Umfirmierung in Y Versicherung Aktiengesellschaft. Die Sitzverlegung der Y Versicherung von B. nach D. wurde erst 1998 vollzogen, nachdem die Y Holding AG mit der M AG zur X Versicherungsgruppe AG verschmolzen worden war.

Die Y Versicherung hat das selbst abgeschlossene Versicherungsgeschäft in allen wesentlichen Versicherungszweigen bzw. Versicherungsarten ausschließlich im Inland betrieben. Das übernommene Geschäft wurde im wesentlichen nur in einzelnen Versicherungszweigen oder über Pools betrieben, dabei handelte es sich teilweise um im Ausland belegene Risiken. Die Y Versicherung hielt unmittelbare Anteile an den Versicherungsgesellschafte Y International, Y Rück und Z Rechtsschutz sowie an den Service-/Vermögensgesellschaften Y GbR, Y US Property, P. dreizehnte Verwaltungsgesellschaft und V. Versicherungsmathematisches Institut.

In den im Rahmen der Unternehmensmaßnahmen erstellten B.-Gutachten wurde der Unternehmenswert anhand des Standards IDW S 1 2000 ermittelt. Ausgangswert für die Ertragswertermittlung waren Hochrechnungen bzw. Planungsrechnungen der Unternehmen im Rahmen der Unternehmensplanung "für die Jahre 2001 bzw. 2001 bis 2004". Dabei sind die operativen Versicherungsgesellschaften im Inland entsprechend dem IDW S 1 2000 nach dem Ertragswertverfahren bewertet worden. Für Versicherungsgesellschaften im Ausland haben die Gutachter überwiegend die Ertragswertmethode zu Grunde gelegt, die auf Prognoserechnungen dieser Gesellschaften im Wesentlichen auf der Grundlage der IAS aufbaute oder aus den letzten Jahresabschlüssen abgeleitet worden ist. Den Wert der Service- bzw. Vermögensgesellschaften haben sie durch vereinfachte Ertragswerte ermittelt. Für Beteiligungsunternehmen, die noch in der Aufbauphase waren bzw. erst kurz zuvor erworben worden waren sowie bei solchen, die aus rein strategischen Erwägungen gehalten wurden oder seinerzeit kein operatives Geschäft betrieben, haben sie einen Ansatz nach dem vorhandenen anteiligen Eigenkapital bzw. Buchwert gewählt. Bei den Ergebnisrechnungen der Versicherungsunternehmen haben sie versicherungstechnische Besonderheiten bei den Schwankungsrückstellungen, den Rückstellungen für drohende Verluste, den Beitragsrückerstattungen, dem Ergebnis aus Kapitalanlagen sowie den Ertragsteuern berücksichtigt. Zum Basiszinssatz von geschätzt 6 % haben die Gutachter abhängig vom Unternehmenssegment einen Risikozuschlag zwischen 1,25 % und 3 % angesetzt; für den Ansatz eines Wachstumsabschlags sahen sie keinen Anlass. Für den Zeitraum von 2001 bis 2004 - wie auch für den Zeitraum ab 2005 - ergab sich danach unter Berücksichtigung der Belastung mit typisierter Einkommenssteuer von 35 % ein Kapitalisierungszinssatz zwischen 4,71 % und 5,85 %. Die Gutachter haben daraus zum 1.01.2001 für die Y Versicherung einen Ertragswert in Höhe von 1.447,6 Mio. € sowie den Wert der gesondert bewerteten Beteiligungen mit 1.886,8 Mio. € errechnet, so dass sich insgesamt ein Unternehmenswert von 3.334,4 Mio. € und zum 17.12.2001 ein aufgezinster Wert von 3.501,141 € ergab.

Die von den Strukturmaßnahmen jeweils betroffenen außenstehenden Aktionäre, unter anderem der Beschwerdeführer, haben Spruchverfahren zur Überprüfung der im Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag und bei der Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre festgesetzten Entschädigungen eingeleitet.

Die Antragsteller und die gemeinsamen Vertreter der außenstehenden Aktionäre haben die Abfindung und den Ausgleich (BGV-Verfahren) bzw. die angebotene Barabfindung (Squeezeout-Verfahren) für zu gering gehalten. Sie haben die Auffassung vertreten, die zugrunde gelegten Ertragsprognosen seien zu niedrig, die Prognose des versicherungstechnischen Ergebnisses der Antragsgegnerin zu 1) wie auch ihrer Beteiligungsgesellschaften sei insbesondere hinsichtlich der geplanten Beiträge, der Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb, der Ergebnisse aus passiver RV und der Veränderungen der Schwankungsrückstellung unzutreffend und auch zu Unrecht belastet durch die beabsichtigte Einführung einer X-weiten DV-Plattform. Zweifelhaft sei weiter die zeitlich richtige Berücksichtigung der zu erwartenden Erhöhung der Rechtsanwalts- und Gerichtsgebühren und deren Auswirkung auf die Beiträge. Auch im Übrigen leide das Gutachten an Bewertungsfehlern, mangelnder Transparenz und fehlender Plausibilität der Ergebnisse, so dass eine umfassende Neubewertung erforderlich sei. Basiszinssatz wie auch Risikozuschlag seien zu hoch angesetzt; fehlerhaft sei es, keinen Wachstumsabschlag in Ansatz zu bringen. Das Gutachten treffe keinerlei Aussagen dazu, über welches nicht betriebsnotwendige Vermögen - wie etwa Grundstücke oder Kunstgegenstände - die Antragsgegnerin zu 1) verfüge. Ebenso sei es fehlerhaft, den Börsenkurs nicht zu berücksichtigen.

Mit Beweisbeschluss vom 26.03.2004 (Bl. 279 f. GA) hat das Landgericht Düsseldorf die S. & H. AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (im Folgenden: S. & H.) zum Sachverständigen ernannt und sie mit einer selbständigen Neubewertung der Y Versicherung AG beauftragt. Ihr ist aufgegeben worden, die Einwendungen der Aktionäre sowie die Entgegnung der Antragsgegnerinnen zu berücksichtigen, insbesondere zu überprüfen, ob bei der Y Versicherung AG nicht betriebsnotwendiges Vermögen nicht vorhanden war, im Rahmen der Ermittlung des Kapitalisierungszinses der Ansatz des Basiszinssatzes von 6%, eines Risikozuschlags von 2% und keines Wachstumszuschlags angemessen sowie ob die Einbeziehung von Schwankungsrückstellungen zu Recht erfolgt ist. Des Weiteren ist ihr im Hinblick auf das Squeezeout-Verfahren aufgegeben worden, die Angemessenheit der dort angebotenen Barabfindung bezogen auf den Stichtag 5.06.2002 zu überprüfen.

In dem am 28.11.2008 vorgelegten, 443 Seiten starken Gutachten hat die gerichtlich bestellte Sachverständige S. & H. den Ertragswert entsprechend der Vorgabe des Landgerichts alternativ unter Beachtung des IDW Standard S1 in der Fassung 2005/2008 und des IDW Standard S 1 in der Fassung 2000 ermittelt. Auf der Basis des IDW S 1 i.d.F. von 2005/2008 ergab sich zum 17. Dezember 2001 ein Unternehmenswert in Höhe von 4.399,712 Mio. € und damit eine angemessene Abfindung in Höhe von 2.199,86 € und ein angemessener Ausgleich in Höhe von 139,42 €. Nach den Grundsätzen des IDW S 1 in der Fassung 2000 hat sie einen um 27,2 % höheren Unternehmenswert in Höhe von 5.595,503 Mio. € und damit eine Abfindung in Höhe von 2.797,75 € und einen Ausgleich in Höhe von 141,55 € als angemessen ermittelt. Dieser Unterschied resultiert aus der Abkehr von der Vollausschüttungshypothese sowie der konsistenten Berücksichtigung der Auswirkungen aus der Einführung des steuerlichen Halbeinkünfteverfahrens im Kapitalisierungszinssatz.

Bei der Ermittlung der Unternehmenswerte auf der Grundlage des IDW S 1 i.d.F. 2005/2008 hat die S. & H. einen Basiszinssatz von 5,6 % und damit - unter Berücksichtigung der typisierten persönlichen Ertragssteuer (35 %) - einen Basiszinssatz nach Steuern von 3,64 % in Ansatz gebracht (S. 60 SVG). Den Risikozuschlag hat sie unter Anwendung des CAPM als Produkt aus der Marktrisikoprämie nach persönlichen Ertragssteuern (4,5 %) und Betafaktor (0,65) mit 2,925 % ermittelt, so dass sich für die 1. Phase ein Kapitalisierungszinssatz von 6,57 % ergibt (S. 80 ff. SVG). Für die 2. Phase sieht sie es als gerechtfertigt an, einen Wachstumsabschlag i.H.v. 1 % für die deutschen Gesellschaften des Konzerns und i.H.v. 2 % für die ausländischen Tochtergesellschaften zu berücksichtigen, so dass sich für die 2. Phase ein Kapitalisierungszinssatz von 5,57 % für das Inland und in Höhe von 4,57 % für das Ausland ergibt (S. 85 f. SVG).

Des weiteren ist sie bei ihrer eingehenden Analyse der gesellschaftseigenen Planung zu dem Ergebnis gelangt, dass diese die Risiken stärker berücksichtigt als die Chancen, was sie veranlasst hat, im Rahmen der Neubewertung Chancen und Risiken in gleichem Maße zu berücksichtigen (S. 96 SVG).

Bei der alternativen Bewertung auf der Grundlage des IDW S1 i.d.F. 2000 ergibt sich für die 1. Phase ein Kapitalisierungszinssatz 7,88 % vor und i.H.v. 5,12 % nach typisierten Ertragssteuern (S. 421 SVG). Für die 2. Phase hat sie unter Berücksichtigung des Wachstumsabschlags in Höhe von 1 % für die deutschen Gesellschaften des Konzerns und in Höhe von 2 % für die ausländischen Tochtergesellschaften einen Kapitalisierungszinssatz von 4,12 % für das Inland und in Höhe von 3,12 % für das Ausland angesetzt (S. 421 f. SVG).

Nach Eingang des schriftlichen Gutachtens haben einige Antragsteller, der gemeinsame Vertreter für den Ausgleich und die Antragsgegnerinnen Stellung genommen. Von Seiten der Aktionäre ist insbesondere geltend gemacht worden, dass der Bewertung allein der zum Bewertungsstichtag geltende IDW S1 i.d.F. 2000 zugrundegelegt werden könne. Des Weiteren haben sie den angewandten Kapitalisierungszins nach wie vor für überhöht gehalten. Der Basiszins sei zu hoch, angemessen sei - wie vom Landgericht im Beschluss vom 23.07.2003 angenommen - ein Basiszinssatz in einer Spanne von 5,1 % bis 5,2 %. Der Wachstumsabschlag sei zu gering, er müsse einheitlich auf 2 % festgesetzt werden. Die Schätzung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens - des Werts der Kunstgegenstände - auf 10 Mio. € sei nicht nachvollziehbar, schon weil sich mehrere Bilder von G. R. im Besitz der Y befänden. Auch die Antragsgegnerinnen haben sich schriftsätzlich gegen den von der Sachverständigen ermittelten Unternehmenswert gewandt. Mit Schriftsatz vom 29.06.2009 haben sie insbesondere dargelegt, dass allein die Anwendung des IDW S1 i.d.F. 2005/2008 sachgerecht sein könne und sich im Übrigen dann, wenn nur wenige bestimmte Korrekturen vorgenommen würden (namentlich bei den Punkten Beta-Faktor, Wachstumsabschlag, Berücksichtigung der Gewerbesteuer, Betriebskostenquote und Verzinsung der thesaurierten Mittel), nach IDW S1 2005/2008 ein Unternehmenswert ergebe, der noch unter dem ermittelten Wert in der Größenordnung von 3.170 Mio. € liege.

In der sich daran anschließenden mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 17.06.2011 hatten Antragsteller, Antragsgegnerinnen sowie die gemeinsamen Vertreter der außenstehenden Aktionäre Gelegenheit, die verschiedenen Sichtweisen ausführlich darzustellen und zu diskutieren. Der Termin sollte nach dem Beschluss der Kammer vom 19.02.2011 in erster Linie dazu dienen, eine vergleichsweise Erledigung der beiden Verfahren abzuklären. Sollte dies nicht gelingen - so der Beschluss - sehe das Gericht sich ohne Stellungnahme der gerichtlich bestellten Sachverständigen zu den Einwendungen gegen das Gutachten nicht zu einer Entscheidung in der Lage (Bl. 708 GA).

In der Kammersitzung vom 20.04.2012 einigten sich die Antragsteller beider Verfahren - mit Ausnahme des beschwerdeführenden Antragstellers zu 6) - mit den Antragsgegnerinnen dahin, dass die Barabfindung für beide Vorgänge 2.150 € und die jährliche Ausgleichszahlung 131,46 € betrage. Zugleich haben sie vorsorglich die Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt und höchst vorsorglich ihre Anträge zurückgenommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der Kammersitzung Bezug genommen.

Mit den angegriffenen Beschlüssen vom 10.07.2012 hat das Landgericht Düsseldorf die im Rahmen des Squeezeout zu gewährende Barabfindung auf 2.150 € festgesetzt und im vorliegenden Verfahren eine Abfindung von 2.150 € sowie einen Ausgleich von 131,46 € je Stückaktie bestimmt. In den Gründen des angegriffenen Beschlusses hat die Kammer ausgeführt, dass nach Abschluss des Vergleichs nur noch über den Antrag des Antragstellers zu 6) zu entscheiden war, der im tenorierten Umfang Erfolg habe. Bei der Bemessung der Entschädigung sei auf den Verkehrswert der Aktie abzustellen; angemessen sei eine Abfindung, die dem ausscheidenden Aktionär eine volle Entschädigung für den Wert seiner Beteiligung am Unternehmen verschaffe. Danach sei eine Entschädigung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang festzusetzen; der Betrag entspreche den im Vergleich zwischen den anderen Beteiligten bestimmten Beträgen. Eine weitere Erhöhung dieses Betrags komme ebenso wenig in Betracht wie eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens. Vielmehr seien der Wertermittlung die im Vergleich bestimmten Werte als übereinstimmende Einschätzung der überwiegenden Mehrheit der Verfahrensbeteiligten zu Grunde zu legen. Da es auf den Verkehrswert der Aktie ankomme, sei die Wertschätzung der maßgeblichen Kreise, nämlich der außenstehenden Aktionäre und der Antragsgegnerinnen von ausschlaggebender Bedeutung. Demgegenüber habe der Antragsteller zu 6) nichts vorgetragen, was eine höhere Bewertung rechtfertigen könne. Aus dem gerichtlich eingeholten Gutachten sei keine Entschädigung abzuleiten, die über den im Tenor aufgeführten Betrag hinausgehe. Das Gutachten sei als Entscheidungsgrundlage nicht geeignet, weil es ergänzungsbedürftig sei, insbesondere soweit der Sachverständige die Planungen der Antragsgegnerin zu 1) durch eigene ersetzt habe. Zweifel habe die Kammer auch, ob der Sachverständige die Besonderheiten des Versicherungsgewerbes hinreichend berücksichtigt habe. Nach dem Abschluss des Vergleichs bestehe keine Veranlassung mehr zur Ergänzung des Gutachtens.

Gegen die beiden Entscheidungen des Landgerichts Düsseldorf hat der Antragsteller zu 6) am 26. und 27. Juli 2012 fristgerecht Beschwerde eingelegt. Er meint, die angegriffene Entscheidung verletze sein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht auf Festsetzung einer angemessenen Barabfindung bzw. eines angemessenen Ausgleichs.

Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass Eingriffe in das nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Aktieneigentum der außenstehenden Aktionäre nur zulässig sind, wenn sie für diese Beeinträchtigung eine volle Entschädigung zum wahren Wert des Anteilseigentums erhalten und zudem die grundrechtlich geschützte Aktionärsstellung auch verfahrensrechtlich abgesichert, d.h. gerichtlich überprüfbar ist. Nach geltendem Recht bestehe keine Möglichkeit, die Bestimmung der angemessenen Abfindung und des angemessenen Ausgleichs nach §§ 304 f. AktG unter Verzicht auf eine Unternehmenswertbestimmung nach einer betriebswirtschaftlich anerkannten Methode durch einen Verhandlungsprozess bzw. eine konsensuale Schätzung zu ersetzen. Diese "Methode" stehe in einem unüberbrückbaren Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und deren verfassungsrechtlicher Basis. Von Verfassungs wegen bräuchten sich in ihrem Aktieneigentum beeinträchtigte Aktionäre gerade nicht auf einen Kompromiss bzw. auf ein wechselseitiges Nachgeben einzulassen. Auch wenn sich das Landgericht auf § 287 Abs. 2 ZPO stütze, stelle die verfolgte Methode der Unternehmenswertbestimmung in der Sache doch nichts anderes als einen gerichtlich angeordneten Zwangsvergleich dar. Ein solcher sei schon wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Privatautonomie der Verfahrensbeteiligten allenfalls auf der Basis einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung zulässig, die der Gesetzgeber aber für das Spruchverfahren aus guten Gründen nicht geschaffen habe. Auch aus sonstigen Gründen sei er nicht zum Vergleichsschluss gehalten gewesen. Schließlich könne die Entscheidung des Landgerichts auch deswegen keinen Bestand haben, weil sie sich in der Sache darauf beschränke, lediglich die Angemessenheit des Vergleichsangebots zu überprüfen, nicht dagegen die Höhe der im Unternehmensvertrag festgesetzten Kompensationen. Im Hinblick darauf an, dass sich das eingeholte Sachverständigengutachten zu verschiedenen Bewertungsgrundsätzen verhalte, sei darauf hinzuweisen, dass allein durch die Anwendung der zum Bewertungsstichtag geltenden Grundsätze der gebotene Schutz der außenstehenden Aktionäre gewährleistet werden könne. Eine weitergehende Substantiierung der Zweifel an den vom Landgericht gegriffenen Werten könne ohne Einholung eines Ergänzungsgutachtens nicht erfolgen und könne auch nicht seine - des Beschwerdeführers - Aufgabe sein.

Der Antragsteller zu 6) beantragt,

den Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 10. Juli 2012 aufzuheben und die Sache an das Landgericht Düsseldorf zurückzuverweisen,

hilfsweise den Beschluss aufzuheben und eine angemessene Barabfindung sowie einen angemessenen Ausgleich festzusetzen.

Die Antragsgegnerinnen bitten um Zurückweisung der Beschwerde.

Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Gründe.

Der gemeinsame Vertreter der außenstehenden Aktionäre, die die Abfindung wählen, verteidigt die angegriffene Entscheidung ebenfalls. Soweit der Senat der Entscheidung nicht folgen sollte, bittet er um Einholung eines Ergänzungsgutachtens.

B.Die zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers zu 6) hat aus den mit den Beteiligten in der Senatssitzung eingehend erörterten Gründen - vorläufig - Erfolg. Sie führt - seinem Antrag entsprechend - zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Die vom Landgericht durchgeführte Schätzung der angemessenen Barabfindung und des angemessenen Ausgleichs ist verfahrensfehlerhaft, da sie auf unzureichenden Erwägungen zur Sachverhaltsaufklärung beruht und der gerichtlichen Verpflichtung zur Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen für eine angemessene Barabfindung und einen angemessenen Ausgleich nicht genügt.

1. In §§ 304 Abs. 1, 305 Abs. 1 AktG räumt das Gesetz den außenstehenden Aktionären für die Einschränkung ihrer Rechtsposition durch den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag einen Anspruch auf angemessenen Ausgleich und angemessene Abfindung ein. Sind die in der Strukturmaßnahme bestimmten Kompensationsleistungen - Abfindung und Ausgleich - nicht angemessen, so sind sie auf Antrag gerichtlich zu bestimmen (§§ 304 Abs. 3 Satz 3, 305 Abs. 5 Satz 2 AktG).Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum, das im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung durch Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis gekennzeichnet ist und sowohl die mitgliedschaftliche Stellung des Aktionärs in der Gesellschaft als auch vermögensrechtliche Ansprüche vermittelt, durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt (vgl. BVerfGE 14, 263, 276; 25, 371, 407; 50, 290, 339; 100, 289, 301 f.). Verliert der Minderheitsaktionär diese mitgliedschaftliche Stellung oder wird sie durch eine Strukturmaßnahme - wie hier durch den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag - in relevantem Maße auch nur eingeschränkt, muss er für den Verlust seiner Rechtsposition und die Beeinträchtigung seiner vermögensrechtlichen Stellung daher wirtschaftlich voll entschädigt werden (vgl. BVerfGE 100, 289, 304 f.). Dabei hat die angemessene Entschädigung den "wirklichen" oder "wahren" Wert des Anteilseigentums widerzuspiegeln (vgl. BVerfGE 100, 289, 306). Auszugehen ist also von einem objektivierten Unternehmenswert; subjektive Wertvorstellungen haben außer Betracht zu bleiben.Aus Art. 14 Abs. 1 GG folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiter, dass die grundrechtlich geschützte Aktionärsstellung auch verfahrensrechtlich abzusichern ist. Dies bedeutet, dass eine Abfindungs- und Ausgleichsregelung gerichtlich überprüfbar sein muss (vgl. BVerfGE 100, 289, 304; BVerfGK 1, 265, 269; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. August 2000 - 1 BvR 68/95, 1 BvR 147/97 -, NJW 2001, S. 279, 281; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. Mai 2007 - 1 BvR 390/04 -, NJW 2007, S. 3268, 3270 Rdnr. 20; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Mai 2012 - 1 BvR 3221/10 -). Das Spruch(stellen)verfahren setzt folglich das verfassungsrechtlich garantierte Recht der außenstehenden Aktionäre um, effektiven Rechtsschutz hinsichtlich der ihnen geschuldeten Kompensationen zu erhalten, also Abfindung und Ausgleich zum wahren Wert ihrer Beteiligung zu gewährleisten. Es ist der ausschließliche Rechtsbehelf des Aktionärs zur Überprüfung der Angemessenheit der Leistungen. Der strukturellen Unterlegenheit der Aktionäre trägt der Gesetzgeber weiter dadurch Rechnung, dass im Spruchverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, denn die relevanten, für die Unternehmensbewertung maßgeblichen Umstände sind im Wesentlichen nur den Gesellschaften, nicht den Aktionären bekannt.

Die gerichtliche Bestimmung der angemessenen Abfindung sowie des angemessenen Ausgleichs und die ihr zugrunde liegende Unternehmensbewertung sind in erster Linie Rechtsanwendung, bei der das Gericht allerdings sachverständiger Unterstützung durch Prüfungspraxis und Betriebswirtschaftslehre bedarf. Für die Ermittlung des Unternehmenswerts schreiben weder Art. 14 Abs. 1 GG noch das einfache Recht eine bestimmte Methode vor. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Verkehrswert im Wege der Schätzung (§ 287 ZPO, § 738 Abs. 2 BGB) etwa nach einer anerkannten betriebswirtschaftlichen Methode ermittelt wird (BGHZ 147, 108, 116 "DAT/Altana"). Entscheidend ist damit, dass eine Bewertungsmethode angewandt wird, die das Bewertungsziel erreicht. In der Praxis hat sich das Ertragswertverfahren durchgesetzt, das verfassungsrechtlich unbedenklich ist (BVerfGE 100, 289, 307). Da der Schutz der Minderheitsaktionäre gebietet, dass sie jedenfalls nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien Deinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt der unternehmerischen Maßnahme erhalten hätten, darf nach ständiger Rechtsprechung bei der Bewertung ein existierender, repräsentativer Börsenkurs - als Untergrenze - nicht außer Betracht bleiben.

2. Vor diesem Hintergrund konnte das Landgericht nach Einholung des umfassenden Bewertungsgutachtens nicht ohne weitere Auseinandersetzung mit diesem - und ggfs. einer Anhörung der Sachverständigen - als "angemessene" Kompensationen die Werte festsetzen, auf die sich die übrigen Antragsteller und die Antragsgegnerinnen im Vergleichswege geeinigt hatten.

2.1. Mit Beweisbeschluss vom 26.03.2004 (Bl. 279 f. GA) hat das Landgericht Düsseldorf die S. & H. AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (im Folgenden: S. & H.) zum Sachverständigen ernannt und sie mit einer selbständigen Neubewertung der Y Versicherung AG beauftragt. Ihr ist aufgegeben worden, die Einwendungen der Aktionäre sowie die Entgegnung der Antragsgegnerinnen zu berücksichtigen, insbesondere zu überprüfen, ob bei der Y Versicherung AG nicht betriebsnotwendiges Vermögen nicht vorhanden war, im Rahmen der Ermittlung des Kapitalisierungszinses der Ansatz des Basiszinssatzes von 6%, eines Risikozuschlags von 2% und keines Wachstumszuschlags angemessen sowie ob die Einbeziehung von Schwankungsrücklagen zu Recht erfolgt ist. Des Weiteren ist ihr im Hinblick auf das ebenfalls anhängige Squeezeout-Verfahren aufgegeben worden, die Angemessenheit der dort angebotenen Barabfindung bezogen auf den Stichtag 5.06.2002 zu überprüfen.

Die gerichtlich bestellte Sachverständige S. & H. hat in ihrem am 28.11.2008 vorgelegten, 443 Seiten starken Bewertungsgutachten, das inhaltlich eine völlige Neubewertung darstellt, Kompensationsleistungen als angemessen ermittelt, die weit über den im Unternehmensvertrag festgesetzten liegen. So ist sie statt des im Rahmen der Strukturmaßnahme ermittelten Unternehmenswerts in Höhe von 3.501,141 Mio. € - abhängig von dem anzuwendenden Bewertungsstandard - zu einem Unternehmenswert von 5.595,503 Mio. € (IDW S 1 2000) bzw. 4.399,712 Mio. € (IDW S 1 2005/2008) gelangt. Für die außenstehenden Aktionäre ergibt sich dementsprechend statt einer festen Ausgleichszahlung in Höhe von 96,55 € je Aktie eine solche in Höhe von 141,55 € (IDW S1 2000) bzw. in Höhe von 139,42 € (IDW S1 2005/2008). Anstelle der vertraglich festgesetzten Barabfindung in Höhe von 1.750,57 € sieht die Sachverständige eine solche in Höhe von 2.797,75 € (IDW S1 2000) bzw. in Höhe von 2.199,86 € (IDW S1 2005/2008) als angemessen an.

Verfahrensfehlerhaft hat das Landgericht sodann im angegriffenen Beschluss als angemessene Kompensation eine Abfindung in Höhe von 2.150 € und einen Ausgleich in Höhe von 131,46 € je Stückaktie festgesetzt, ohne sich weiter mit dem Gutachten und den hiergegen vorgebrachten Einwendungen auseinander zu setzen. Dies, obwohl die Kammer zuvor mit Beschluss vom 19.02.2011 angekündigt hatte, dass sie sich ohne eine Stellungnahme der gerichtlich bestellten Sachverständigen zu den Einwendungen gegen das Gutachten nicht zu einer Entscheidung in der Lage sehe. Einen objektivierten, nach einer anerkannten betriebswirtschaftlichen Methode ermittelten Unternehmenswert hat das Landgericht damit seiner Schätzung ersichtlich nicht zugrunde gelegt, sondern allein "die im Vergleich bestimmten Werte als übereinstimmende Einschätzung der überwiegenden Mehrheit der Verfahrensbeteiligten".

Die im angegriffenen Beschluss festgesetzten Kompensationen liegen überdies mit einem Ausgleich in Höhe von 131,46 € und einer Abfindung in Höhe von 2.150 € deutlich unter den von der gerichtlich bestellten Sachverständigen ermittelten Werten.

2.2. Dass die übrigen außenstehenden Aktionäre sich im Wege des Vergleichs mit der Antragsgegnerin zu 2) auf eine Abfindung und einen Ausgleich in der tenorierten Höhe geeinigt haben, rechtfertigt entgegen der Auffassung der Kammer nicht den Schluss, dass die damit verbundene Erhöhung die gesetzlich geforderte angemessene Abfindung und der angemessene Ausgleich sind. Für eine "konsensuale Schätzung" ist kein Raum, das Spruchverfahren ist vielmehr mit dem verbliebenen Antragsteller fortzuführen.

2.2.1. Von dem Vergleichsschluss mit den übrigen Antragstellern wird das auch auf den Antrag des - nicht vergleichsbereiten - Antragstellers zu 6) eingeleitete Spruchverfahren schon im Grundsatz nicht berührt.

Verfahrensbeendende Wirkung kann ein Vergleich nur haben, wenn alle Beteiligten zustimmen. Der Gesetzgeber hat in § 11 Abs. 2 SpruchG die bis dahin bestehende Praxis, Spruchverfahren im Wege des Vergleichs zu beenden, legalisiert und damit der Kritik der herrschenden Meinung, die Verfahren seien mit Blick auf die inter omnes-Wirkung der Entscheidung und der fehlenden Dispositionsbefugnis der Beteiligten nicht vergleichsfähig, den Boden entzogen. Der Anregung aus der Praxis, darüber hinaus einen qualifizierten Mehrheitsvergleich vorzusehen (Puszkaljer ZIP 2003, 518, 521), hat der Gesetzgeber zugleich eine deutliche Absage erteilt, weil damit das Recht des außenstehenden Aktionärs, die Angemessenheit der Leistung gerichtlich überprüfen zu lassen, unzulässig eingeschränkt würde. Die Beteiligten eines Spruchverfahrens sind weder gezwungen, einem Vergleich, der von den übrigen Beteiligten gewünscht wird, zuzustimmen, noch ist die Durchführung eines Spruchverfahrens nach dem Willen des Gesetzgebers davon abhängig, dass eine bestimmte Anzahl von Aktionären den Antrag auf Durchführung eines Spruchverfahrens und damit die Angemessenheit der in einer Strukturmaßnahme bestimmten Kompensation zur Überprüfung des Gerichts stellt. Daher stellt sich das Beharren auf der Durchführung des Spruchverfahrens auch nicht als rechtsmissbräuchlich dar (Senat, Beschluss vom 14. März 2011 - I-26 W 10/10 (AktE) -, AG 2011, 459, Rdnr. 34; OLG Stuttgart, AG 2010, 758, Rdnr. 59; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.04.2013, Rdnr. 65). Andernfalls könnte der Antragsgegner durch eine Erhöhung des Angebots unterhalb des angemessenen Betrags verhindern, dass die Anteilsinhaber "angemessen" entschädigt werden (BGH, Beschluss vom 19.07.2010, - II ZB 18/09 - "Stollwerck", NJW 2010, 2657, Rdnr. 8).

2.2.2. Auch im Übrigen kann die vergleichsweise Erhöhung der Kompensationsleistungen keinen Einfluss auf das Ergebnis des Spruchverfahrens haben, das mit dem nicht vergleichsbereiten Antragsteller fortzuführen ist. Insbesondere kann sie nicht als Indiz für die Angemessenheit der so erhöhten Kompensationsleistungen herangezogen werden, nur weil die anderen Beteiligten mit ihnen einverstanden waren.

Allerdings wird vereinzelt angeregt, die von allen anderen Beteiligten und dem gemeinsamen Vertreter akzeptierte Erhöhung der Kompensation im Wege der freien Beweiswürdigung als "mehrheitskonsensuale Schätzung" auch gerichtlich festzusetzen (Puszkaljer in: KKSpruchG, 3. A., Rdnr. 25 zu § 11; Simon, SpruchG, Rdnr. 16 zu § 11; Drescher in: Spindler/Stilz, AktG, 2. A., Rdnr. 7 zu § 11; OLG Celle, Beschluss vom 14.06.2010 - 9 W 3/10, vorangehend LG Hannover, Beschluss vom 28.12.2009 - 26 AktE 1837/01; ebenso wohl: Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. A., Rdnr. 128; ablehnend: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. A., Rdnr. 6a zu § 11 SpruchG).

Dies lässt sich indessen schon mit dem Wesen des Spruchverfahrens und seiner Aufgabe nicht in Einklang bringen, denn auch eine solche Verfahrensweise läuft im Ergebnis auf einen "Zwangsvergleich" und damit auf eine unzulässige Einschränkung der gesetzlichen Rechte der außenstehenden Aktionäre hinaus. Die bloße Tatsache, dass die übrigen Antragsteller und die Antragsgegnerin zu 2) sich auf eine Abfindung in Höhe von 2.150 € und einen Ausgleich in Höhe von 131,46 € verständigt haben, lässt nicht den Schluss darauf zu, dass diese Kompensationsleistungen "angemessen" sind.

Preise, die am Markt von der herrschenden/übernehmenden Gesellschaft oder Dritten gezahlt werden, stellen in der Regel keine verlässliche Grundlage für die Beurteilung der Angemessenheit der Abfindung dar, schon weil sie durch subjektive Wertvorstellungen und Sonderüberlegungen beeinflusst sein können (vgl. nur: Stephan in: Schmidt/Lutter, AktG, 2. A., 2010, Rdnr. 111 zu § 305; BVerfGE 100, 289, 306). Dementsprechend sind auch in der Vergangenheit mit Erfolg verfassungsrechtliche Bedenken gegen Regelungen vorgebracht worden, bei denen die breite Annahme eines Angebots als Bestätigung und unwiderlegliche Vermutung für die Angemessenheit des Angebotspreises gelten und die gerichtliche Überprüfung in einem Spruchverfahren unzulässig sein sollte. So hat der Gesetzgeber davon abgesehen, die in § 327b Abs. 1 Satz 2 RegE vorgesehene Regelung in das Gesetz zu übernehmen, nach der der in einem Angebot i.S.d. WpÜG angebotene Preis für die Abfindung maßgeblich sein sollte, falls der Hauptaktionär durch dieses die 95%-Schwelle erreicht und das Angebot von mindestens 90 % der angesprochenen Aktionäre angenommen werden sollte (zur Kritik vgl. nur: Heidel/Lochner, DB 2001, 2031; Ehricke/Roth, DStR 2001, 1127; Rühland NZG 2001, 448, 455). Selbst der Börsenwert einer börsennotierten Gesellschaft ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs lediglich als Untergrenze der wirtschaftlich vollen Entschädigung zu verstehen (BVerfG 100, 289 ff.; BGHZ 147, 108, 115 ff. "DAT/Altana").

Dass es vorliegend um die Abfindung und den Ausgleich geht, welche die Antragsgegnerin zu 2) an Beteiligte des Spruchverfahrens zu zahlen bereit ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Auch wenn sich die übrigen - vergleichsbereiten - Antragsteller mit der angebotenen Erhöhung der Kompensationen in Kenntnis des Gutachtens der gerichtlichen Sachverständigen und der hiergegen von beiden Seiten vorgebrachten Einwendungen einverstanden erklärt haben, lässt dies nicht den Schluss darauf zu, dass diese Erhöhung "angemessen" ist und damit den "wahren Wert" ihrer Beteiligung widerspiegelt. Dagegen spricht schon das Wesen des Vergleichs, der den Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt (§ 779 BGB). Gegenseitiges Nachgeben bedeutet, dass jeder Teil ein Zugeständnis irgendwelcher Art macht, um zu einer Einigung zu kommen. Daher ist der vergleichsweise gefundene Betrag auch gleichermaßen in beiden Spruchverfahren zugrunde gelegt worden, obwohl die unterschiedlichen Bewertungsstichtage - 17.12.2001 und 5.06.2002 - durchaus zu differierenden Unternehmenswerten geführt haben. Auch ist die Entscheidung der vergleichsbereiten Antragsteller ersichtlich von subjektiven Wertvorstellungen und Beweggründen beeinflusst worden. Sie hatten sich - wie die Stellungnahme des gemeinsamen Vertreters der außenstehenden Aktionäre vom 28. Dezember 2012 zeigt - ganz offensichtlich daran orientiert, dass die Erhöhung rund 20 % über der angebotenen Abfindung liegt und so für sie zeitnah ein Abschluss des bereits seit 2002 anhängigen Spruchverfahrens erreicht werden konnte. Ebenso wenig kann unberücksichtigt bleiben, dass - wie der Antragsteller zu 6) geltend macht - der Vergleich eine Kostenregelung enthält, die solche Antragsteller, die den Besitz etwa nur einer Aktie hätten nachweisen können, gegenüber dem Erstattungsanspruch auf Basis einer gerichtlichen Entscheidung um etwa 18.000 € begünstigte.

Dass es sich bei den vergleichsweise gefundenen Erhöhungsbeträgen nicht um die angemessene Abfindung und den angemessenen Ausgleich handeln muss, wird schließlich dadurch bestätigt, dass bei dem Senat Beschwerdeverfahren (I-26 W 3/12 (AktE) und I-26 W 4/12 (AktE)) anhängig (gewesen) sind, in denen die gerichtlich festgesetzte Kompensation die zuvor mit den übrigen Antragstellern vergleichsweise gefundene deutlich überstiegen hat.

2.3. Schließlich kann auch aus dem Umstand, dass der Antragsteller im Rahmen des Spruchverfahrens seinen Antrag auf Überprüfung der im Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag festgesetzten Kompensationen nicht näher begründet hatte, vorliegend nichts anderes folgen.Eine Begründungspflicht für den Antrag wurde erst mit § 4 Abs. 2 SpruchG in das Spruchverfahren eingeführt. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass der Antragsteller mit nur einem einzigen Satz und ohne jede sachliche Erläuterung ein aufwändiges und kostenträchtiges Überprüfungsverfahren in Gang setzen kann (Begr. RegE zu § 4 SpruchG, BT-Drs. 15/371, S. 13). Der Antragsteller soll eine konkrete Bewertungsrüge erheben und mit dieser Einwendungen gegen die Angemessenheit der Kompensation oder ggfs. gegen den als ihre Grundlage ermittelten Unternehmenswert vorbringen. Notwendig ist eine ausreichend fallbezogene Kritik, wobei die erforderliche Konkretisierung im Einzelfall zum einen vom Gehalt der erstellten Unterlagen und damit von ihrer Detailtiefe abhängt (vgl. nur: Leuering in: Simon, SpruchG, Rdnr. 47 zu § 4). Zum anderen sind die Möglichkeiten der nicht dem Anwaltszwang unterliegenden Partei in den Blick zu nehmen, so dass die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen.

Für den Antragsteller zu 6) galt diese Begründungspflicht allerdings schon nicht, da das erstinstanzliche Verfahren im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Spruchverfahrensgesetzes - am 1. September 2003 - bereits anhängig war, so dass es sich gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 SpruchG (weiter) nach altem Recht, hier § 306 AktG a.F., beurteilt. Auch für das Spruchstellenverfahren ist indessen anerkannt, dass die Antragsteller sich nicht darauf beschränken dürfen, den Antrag zu stellen und das weitere Verfahren allein dem Gericht zu überlassen, sondern sie gehalten sind, ergebniswirksame Lücken oder Ungenauigkeiten des Prüfungsberichts und damit die Unangemessenheit von Abfindung oder Ausgleich aufzuzeigen (vgl. nur: Bilda in: MünchKommAktG, 2. A., Rdnr. 16 ff. zu § 306). Nur wenn ein entsprechender Sachvortrag von Seiten der Antragsteller völlig unterbleibt, kann sich das Gericht auf eine Plausibilitätskontrolle der von den Vertragsprüfern erstatteten Gutachten beschränken.

Vorliegend kommt es darauf jedoch nicht weiter an, weil von Seiten der Antragsteller eine Vielzahl von Einwendungen gegen die Bewertung der Berichtsprüfer erhoben worden ist, die der Kammer Anlass gegeben hatten, die gerichtlich bestellte Sachverständige mit einer umfassenden Neubewertung zu beauftragen. Da das Gutachten vorlag und es zu wesentlich höheren Werten als die Bewertung der Berichtsprüfer gelangte, hatte die Kammer sich nun nur noch mit dem Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen und den auch hiergegen vorgebrachten Einwendungen auseinanderzusetzen. Dass dies erforderlich sein würde, hatte die Kammer - wie schon ausgeführt - auch in ihrem Beschluss vom 19.02.2011 festgehalten, in dem es heißt, dass das Gericht sich ohne Stellungnahme der gerichtlich bestellten Sachverständigen zu den Einwendungen gegen das Gutachten nicht zu einer Entscheidung in der Lage sehe (Bl. 663 GA).

Bei dieser Sachlage war der Antragsteller zu 6) auch nicht verpflichtet, sich die Einwendungen der übrigen Antragsteller oder das Ergebnis der ihm günstigen sachverständigen Begutachtung ausdrücklich zu eigen zu machen.

C.Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, das Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen, wie dies auch von dem beschwerdeführenden Antragsteller zu 6) angeregt worden ist.

Zwar entscheidet das Beschwerdegericht im Spruchverfahren in der Regel in der Sache selbst, indem es die Beschwerde - als unzulässig oder unbegründet - zurückweist oder die Kompensation unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung selbst festsetzt. Daneben kommt in entsprechender Anwendung des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO jedoch auch die Zurückverweisung an das Landgericht in Betracht, wenn - wie hier - das Spruchverfahren vor dem Landgericht schwere Verfahrensmängel aufweist oder eine völlig unzureichende Tatsachenaufklärung vorliegt. Vorliegend gebietet die Abwägung der Interessen die Zurückverweisung, da das Recht des Antragstellers an dem Erhalt einer weiteren Tatsacheninstanz Vorrang gegenüber dem Beschleunigungsinteresse hat (s.a. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.09.1997, - 19 W 1/97 AktE -, AG 1998, 37; Senat, Beschlüsse vom 21.12.2011, - I-26 W 2/11 und 3/11 (AktE) -).

Das Landgericht wird nunmehr zu prüfen haben, ob es die gerichtlich bestellte Sachverständige um eine schriftliche Stellungnahme insbesondere zu den von Seiten der Antragsgegnerinnen gegen ihr Gutachten vorgebrachten Einwendungen bittet oder sich auf eine mündliche Erläuterung des Gutachtens beschränkt.

Soweit es die von den Beteiligten und der gerichtlich bestellten Sachverständigen aufgeworfene Frage angeht, inwieweit ein IDW-Standard rückwirkend angewendet werden kann, weist der Senat auf seine Beschlüsse vom 21.12.2011 hin, in denen er zu dieser Frage grundsätzlich Stellung genommen hat (I-26 W 2/11 und 3/11 (AktE)).

Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wird das Landgericht zu entscheiden haben, da die entsprechend §§ 17 Abs. 2 Satz 2, 15 SpruchG zu treffende Entscheidung über die Verpflichtung zur Kostentragung vom weiteren Verlauf des Verfahrens abhängt.

Den Wert für das Beschwerdeverfahren setzt der Senat entsprechend § 15 Abs. 1 SpruchG auf den dort vorgesehenen Mindestwert von 200.000 € fest. Der Geschäftswert gilt nach § 6 Abs. 2 Satz 3 SpruchG auch für die Bemessung der Vergütung der Vertreter der außenstehenden Aktionäre.






OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 08.08.2013
Az: I-26 W 15/12 (AktE)


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/8616fbb46cb3/OLG-Duesseldorf_Beschluss_vom_8-August-2013_Az_I-26-W-15-12-AktE




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