Bundespatentgericht:
Beschluss vom 16. Januar 2003
Aktenzeichen: 10 W (pat) 715/00

(BPatG: Beschluss v. 16.01.2003, Az.: 10 W (pat) 715/00)

Tenor

1. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 31. Juli 2000 aufgehoben.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Am 8. September 1999 beantragte die Anmelderin die Eintragung einer 20 Muster umfassenden Sammelanmeldung mit der Bezeichnung "Ersttagssammelblätter". Die Muster sind dargestellt durch Schwarz-Weiß-Kopien. Alle Muster enthalten ua jeweils ein gestempeltes und ungestempeltes originales deutsches Postwertzeichen (Briefmarke). Bei einem Teil der Muster (Muster 20A/1999 bis 20G/1999 = laufende Nummer 11 bis 17) besteht die am linken Seitenrand von oben nach unten durchlaufende Schmuckbordüre aus Bundesadlern. Ein Teil weiterer Muster, der eine andere Schmuckbordüre am linken Seitenrand aufweist, enthält Postwertzeichen, bei denen dieses, also die Briefmarke selbst, das Emblem des Europarats (Muster 18/1999 = Nummer 7, wobei das Ersttagssammelblatt unter dem Thema "50 Jahre Europarat" steht) oder den Bundesadler (Muster 19A/1999 bis Muster 19C/1999 = Nummer 8 bis 10, wobei diese drei Ersttagssammelblätter unter dem Thema "50 Jahre Grundgesetz" stehen) enthält.

Auf die Mitteilung des Musterregisters, wonach die Muster wegen der darin enthaltenen Postwertzeichen gegen die öffentliche Ordnung verstießen und daher nicht eingetragen werden könnten, reichte die Anmelderin eine Stellungnahme des Bundesministeriums des Finanzen ein, worin ausgeführt ist, dass ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung nicht gegeben sei, da ein Verstoß gegen die §§ 54, 43 PostG nicht dargetan werden könne. Jedenfalls treffe ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung nur auf Hoheitszeichen in einem sehr engen Sinne wie Dienstsiegel und Wappen zu, hierzu seien Postwertzeichen nicht zu zählen.

Durch Beschluss vom 31. Juli 2000 hat das Musterregister des Deutschen Patent- und Markenamts festgestellt, dass für die Anmeldung Musterschutz nicht erlangt worden sei und die Eintragung versagt. Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Veröffentlichung und Verbreitung der Muster wegen der darin enthaltenen Postwertzeichen gemäß § 7 Abs 2 GeschmMG gegen die öffentliche Ordnung verstoße. Unter dem Begriff der öffentlichen Ordnung seien die tragenden Grundsätze der Rechtsordnung zu verstehen. Der Schutz staatlicher Hoheitszeichen gegen ihre Ausnutzung für private geschäftliche Zwecke gehöre zu den tragenden Grundsätzen der Rechtsordnung. Dies ergebe sich auch aus dem im Markenrecht geltenden generellen Eintragungsverbot staatlicher Hoheitszeichen als Marke oder Bestandteil einer Marke gemäß § 8 Abs 2 Nr 6 MarkenG. Der Schutzzweck dieser Vorschrift decke sich mit demjenigen des § 7 Abs 2 GeschmMG. Postwertzeichen seien - neben ihrer Funktion als Quittung für die Freimachung von Postsendungen, der Bedeutung eines Geldersatz- und Zahlungsmittels - auch Hoheitszeichen der Bundesrepublik Deutschland. Denn die Ausgabe von Postwertzeichen sei weiterhin eine hoheitliche Aufgabe, sie obliege gemäß § 43 Abs 1 Satz 1 PostG ausschließlich dem Bundesministerium der Finanzen. Der Schutz von Hoheitszeichen als Geschmacksmuster könne zu Rechtsstreitigkeiten privater Anmelder untereinander oder mit dem Staat vor den Zivilgerichten über angeblich exklusive Schutzrechte an Hoheitszeichen führen. Diese könnten aber ihre die Zusammengehörigkeit einer politischen Gemeinschaft symbolisierende und damit integrierende Funktion nicht mehr erfüllen, wenn sie zum Streitobjekt privater Vermarktungsinteressen würden.

Hiergegen wendet sich die Anmelderin mit der Beschwerde. Sie trägt insbesondere vor, dass es beim Mustergegenstand ausschließlich um die graphische Darstellung der Ersttagssammelblätter als eine Form der Warenpräsentation für Philatelisten gehe, und solche könnten nicht ohne Briefmarken angeboten werden. Der Schutz von Hoheitszeichen sei aber nicht Mustergegenstand. Sie erkläre daher in der nunmehr eingereichten Beschreibung zur Klarstellung einen eindeutigen Verzicht, dass sämtlich aufscheinende Hoheitszeichen nicht Gegenstand des Geschmacksmusterschutzes seien. Im übrigen seien Postwertzeichen keine Hoheitszeichen, jedenfalls liege insoweit kein Missbrauch von Hoheitszeichen vor, wobei auch auf die Stellungnahme des BMF hingewiesen werde.

Die Anmelderin beantragt, den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 31. Juli 2000 aufzuheben und die Eintragung der Ersttagssammelblätter in das Geschmacksmusterregister zuzulassen.

Der Präsident des Deutschen Patent- und Markenamts, der dem Verfahren beigetreten ist, beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Er regt ferner die Zulassung der Rechtsbeschwerde an.

Er ist der Ansicht, dass der Schutz staatlicher Hoheitszeichen, die ein Teil und eine besonders herausragende Form der Selbstdarstellung eines Staates, zugleich aber auch notwendiges Element einer jeden Staatlichkeit seien, zu den tragenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung gehöre, deren Wahrung der Zweck des Eintragungsverbots des § 7 Abs 2 GeschmMG sei. Die Verwendung unveränderter staatlicher Hoheitszeichen in Geschmacksmusteranmeldungen verstoße daher stets gegen die öffentliche Ordnung. Daraus, dass das Geschmacksmustergesetz kein ausdrückliches Verbot von Hoheitszeichen, wie etwa das Markengesetz, enthalte, könne nicht abgeleitet werden, dass die Eintragung von Hoheitszeichen in das Musterregister zulässig sei. Es spreche vielmehr vieles dafür, § 8 Abs 2 Nr 6 MarkenG als speziellen Unterfall des umfassend zu verstehenden Begriffs der öffentlichen Ordnung aufzufassen. Das Musterregister habe auch zutreffend Postwertzeichen als staatliche Hoheitszeichen angesehen. Ihre Ausgabe sei eine hoheitliche Aufgabe, die gemäß § 43 Abs 1 Satz 1 PostG ausschließlich dem Bundesministerium der Finanzen zustehe. Die Eigenschaft als staatliches Hoheitszeichen gehe auch nicht durch die Entstempelung des Postwertzeichens verloren. Die von der Anmelderin eingereichte Beschreibung rechtfertige keine andere Beurteilung, denn durch eine Beschreibung könne einem in der Geschmacksmusteranmeldung verwandten Hoheitszeichen seine hoheitliche Wirkung weder bei der Veröffentlichung noch bei der Verbreitung entzogen werden. Neben der Verwendung von Postwertzeichen in allen Mustern stehe einer Eintragung der Muster mit der laufenden Nummer 8 und 10 bis 17 auch die Verwendung des Bundesadlers entgegen.

Auf den Hinweis des Senats, dass bei den Mustern 20A/1999 bis 20G/1999 (= Nummer 11 bis 17) möglicherweise ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung anzunehmen sei, da bei diesen Mustern der Bundesadler, der im allgemeinen auf die hoheitliche Betätigung des Bundes hinweise, nicht nur als Teil der Briefmarken, sondern als eigenständiges Gestaltungselement am linken Seitenrand enthalten sei, hat die Anmelderin die Eintragungsanträge bezüglich der Muster 11 bis 17 zurückgenommen.

II.

Die Beschwerde der Anmelderin ist zulässig und begründet. Das Musterregister hat die Eintragung der noch streitgegenständlichen Muster zu Unrecht gemäß § 10 Absatz 2 Satz 3 GeschmMG versagt; § 7 Absatz 2 GeschmMG steht dem Schutz der angemeldeten Muster nicht entgegen.

1. Gegenstand der zur Eintragung in das Musterregister bestimmten Sammelanmeldung von Mustern sind - nach der Rücknahme des Eintragungsantrags für die Muster 20A/1999 bis 20G/1999 (= laufende Nummer 11 bis 17) - 13 Ersttagssammelblätter, die jeweils originale Postwertzeichen (Briefmarken) enthalten.

2. Ein derartiges Geschmacksmuster verstößt nicht gegen die öffentliche Ordnung gemäß § 7 Abs 2 GeschmMG. Nach dieser Vorschrift wird durch die Anmeldung eines Geschmacksmusters Schutz gegen Nachbildung nicht erlangt, wenn die Veröffentlichung des Musters oder die Verbreitung einer Nachbildung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstößt. Liegt eine dieser Voraussetzungen vor, hat das Musterregister gemäß § 10 Abs 2 Satz 3 GeschmMG festzustellen, dass der Schutz für das Muster nicht erlangt worden ist und die Eintragung zu versagen.

a. Die materiellrechtliche Prüfung nach § 7 Abs 2 GeschmMG stellt eine - dem urheberrechtlich geprägten Geschmacksmusterrecht an sich fremde - Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass der Musterschutz mit der Anmeldung entsteht (§ 7 Abs 1 GeschmMG). Sie soll verhindern, dass Muster eingetragen und gemäß § 8 Abs 2 GeschmMG mit dem Anschein gesetzlichen Schutzes im Geschmacksmusterblatt bekannt gemacht werden, die gegen die öffentliche Ordnung verstoßen (vgl Begründung zu Art 1 Nr 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geschmacksmustergesetzes, BlPMZ 1987, 50, 55).

Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne des § 7 Absatz 2 GeschmMG ist - entsprechend der im Recht der gewerblichen Schutzrechte allgemein geltenden engen Auslegung des Begriffs der öffentlichen Ordnung (vgl Benkard, Patentgesetz, 9. Aufl, § 2 Rdnr 5; Schulte, Patentgesetz, 6. Aufl, § 2 Rdnr 17; Singer/Stauder, EPÜ, 2. Aufl, Art 53 Rdnr 11; Althammer/Ströbele, Markengesetz, 6. Aufl, § 8 Rdnr 264) - nur zu bejahen, wenn tragende Grundsätze der Rechtsordnung verletzt werden (vgl Nirk/Kurtze, GeschmMG, 2. Aufl, § 7 Rdnr 15; Eichmann/v. Falckenstein, GeschmMG, 2. Aufl, § 7 Rdnr 72; zum Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Gebrauchsmusterrecht vgl BPatG GRUR 2003, 142 - Europaemblem). Hierzu gehören insbesondere die Grundrechte und wesentliche Normen zum Schutz der Rechtsordnung und des Gemeinwesens (vgl Benkard, aaO, § 2 Rdnr 5 mit Rechtsprechungsnachweisen). Der Verstoß gegen ein Gesetz oder eine Verwaltungsvorschrift genügt nach § 7 Abs 2 Halbsatz 2 GeschmMG für sich alleine nicht, um festzustellen, dass die Verbreitung der Nachbildung eines Musters gegen die öffentliche Ordnung verstößt.

b. Bei der Prüfung, ob ein Eintragungsversagungsgrund nach § 7 Abs 2 GeschmMG vorliegt, darf auch nur das Muster in seiner konkret angemeldeten Form berücksichtigt werden. Nur wenn die Mustergestaltung als solche gesetz- oder sittenwidrig ist, kommt eine Eintragungsversagung in Betracht (vgl Begründung zum Entwurf S 55). Die Gefahr einer künftigen ungerechtfertigten Geltendmachung von Verbietungsrechten aus einzelnen Musterelementen - hier etwa den Postwertzeichen als solchen - oder gar einer gesetzwidrigen missbräuchlichen Verwendung von Teilen des Musters bildet keinen Grund für eine Schutzversagung wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung (vgl Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2001, GRUR 2002, 337, 338 liSp - Schlüsselanhänger). Die angemeldeten Muster enthalten alle Postwertzeichen. Dieser Umstand lässt keinen Verstoß gegen Gesetze bzw. die tragenden Grundsätze der Rechtsordnung erkennen.

3. Ein derartiger Verstoß liegt - entgegen der Auffassung des Musterregisters - nicht darin, dass die angemeldeten Muster staatliche Hoheitszeichen enthielten, für die nach § 8 Abs 2 Nr 6 MarkenG für Marken ein Eintragungsverbot bestehe.

a. Es kann schon nicht davon ausgegangen werden, dass dieses markenrechtliche Eintragungsverbot ohne weiteres, nämlich als ein Unterfall des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung, im Geschmackmusterrecht herangezogen werden kann mit der Folge, dass das Enthaltensein von staatlichen Hoheitszeichen irgendeiner Art in Mustern regelmäßig und zwangsläufig zur Annahme eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung führt. Denn schon im Markenrecht existieren die Eintragungsverbote gemäß § 8 Abs 2 Nr 6 (Marken, die staatliche Hoheitszeichen enthalten) und § 8 Abs 2 Nr 5 MarkenG (Marken, die gegen die öffentliche Ordnung verstoßen) unabhängig voneinander, ohne dass angenommen werden kann, dass ein Unterfallen unter das erstere zwingend ein Unterfallen unter das letztere Eintragungsverbot bedeutet (vgl im einzelnen dazu die Senatsbeschlüsse vom 8. Oktober 2001, GRUR aaO, - Schlüsselanhänger; 10 W (pat) 703/00 - Magischer Würfel; 10 W (pat) 710/00 - Euro-Billy und vom 9. Juli 2001 BPatGE 44, 148 - Tasse mit Gelddarstellungen - alle veröffentlicht in JURIS; vgl auch BPatG GRUR 2003, 142 - Europaemblem). Ob die Verwendung von staatlichen Hoheitszeichen in Mustern ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung darstellt, ist vielmehr im Einzelfall zu prüfen, wobei darauf abzustellen ist, welches staatliche Hoheitszeichen in dem Muster enthalten und wie es im Rahmen der konkreten Mustergestaltung verwendet ist, denn nur bei einer ersichtlich missbräuchlichen gesetzwidrigen Verwendung von Hoheitszeichen ist ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung anzunehmen (vgl die zitierte Rechtsprechung des Senats aaO).

b. Bei Postwertzeichen ist schon zweifelhaft, ob sie überhaupt als staatliche Hoheitszeichen anzusehen sind. Der Begriff der staatlichen Hoheitszeichen ist gesetzlich nicht definiert. Letztendlich kann man sie, auch unter Berücksichtigung der Formulierung in § 8 Abs 2 Nr 6 MarkenG, der von "Staatswappen, Staatsflaggen oder anderen Hoheitszeichen" spricht, auch als Staatssymbole bezeichnen. Sie dienen der Selbstdarstellung des Staates; ihnen wird integrierende Kraft zugeschrieben und sie sind auch ein Mittel, die Würde des Staates erkennbar zu machen (vgl Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 2. Aufl, Seite 276). Staatssymbole sind zunächst gegenständliche, dh sichtbare Zeichen, durch die Präsenz und Identität der Bundesrepublik Deutschland symbolisiert werden, insbesondere Flaggen (Art 22 GG), Fahnen und ähnliche Objekte, die Bundesfarben, Wappen und Amtsschilder, Siegel, Amtstrachten und Uniformen, Orden und Ehrenzeichen. Dazu kommen akustische Zeichen mit ähnlicher Funktion, etwa die Nationalhymne (vgl die Zusammenstellung bei Maunz-Dürig-Herzog-Scholz, Kommentar zum Grundgesetz, Stand Oktober 2002, Art 22 Rn 5 ff).

Ausgehend von dieser Definition umfasst der Begriff "staatliche Hoheitszeichen", wie der Senat schon im Beschluss "Schlüsselanhänger" (aaO) ausgeführt hat, eine Reihe von Zeichen und Symbolen unterschiedlichen Rangs und unterschiedlicher Bedeutung, für deren unbefugte Verwendung die Rechtsordnung unterschiedliche Sanktionen vorsieht, die bei der Beurteilung, ob eine gegen die öffentliche Ordnung verstoßende gesetzwidrige Verwendung vorliegt, maßgeblich zu berücksichtigen sind. So nehmen die Bundesflagge, das Bundeswappen und die Länderwappen als die den Staat unmittelbar repräsentierenden Staatssymbole innerhalb der staatlichen Hoheitszeichen den obersten Rang ein und genießen damit auch den stärksten Schutz. Sie sind als einzige strafrechtlich gegen Verunglimpfung geschützt (§ 90a StGB). Darüber hinaus ist nach § 124 OWiG auch ihre unbefugte, den Anschein einer amtlichen Verwendung erweckende Benutzung verboten (vgl Göhler, OWiG, 10. Aufl § 124 Rdnr 7), wobei im Übrigen die Verletzung der Vorschrift des § 124 OWiG für sich allein nach § 7 Abs 2 Halbsatz 2 GeschmMG nicht einmal ausreicht, um daraus einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung herzuleiten. Das gilt um so mehr, wenn es sich, wie zB bei § 124 OWiG, um eine Verbotsnorm mit Erlaubnisvorbehalt handelt, die kein absolutes, zu den tragenden Grundsätzen der Rechtsordnung gehörendes Rechtsgut schützt (vgl dazu Benkard, aaO, § 2 Rdnr 5; Busse, Patentgesetz, 5. Aufl, § 2 Rdnr 13; Schulte, aaO, § 2 Rdnr 18; Moufang in Münchner Gemeinschaftskommentar zu Art 53 EPÜ, Rdnr 30f). Jedenfalls sind nicht alle Zeichen, deren sich der Staat im weiteren Sinne zur Führung eines geordneten Staats- und Gemeinwesens bedient, staatliche Hoheitszeichen, die ihn im Sinne einer Selbstdarstellung repräsentieren (vom Senat zB verneint für Verkehrszeichen, vgl Beschluss vom 12. Dezember 2002 10 W (pat) 716/01, zur Veröffentlichung vorgesehen).

c. Unter Berücksichtigung der weitgehenden Privatisierung des Postwesens spricht schon viel für die Annahme, dass Postwertzeichen, jedenfalls nunmehr, keine Symbole (mehr) sind, die der Selbstdarstellung des Staates Bundesrepublik Deutschland dienen. Die Postreform, deren Kernstück die 1994 in Kraft getretene Änderung des Grundgesetzes durch Einfügung des Art 87f GG ist, beinhaltet die fast vollständige Privatisierung der bisher öffentlichrechtlichen Bundespostunternehmen und die Aufhebung der unmittelbaren bundeseigenen Verwaltung "Bundespost". Die betrieblichen Aufgaben des Postwesens (Postdienste, Postbankdienste) und der Telekommunikation (TK) sind nunmehr privatwirtschaftliche Tätigkeiten der AG, die in privatrechtlicher Organisationsform und mit privatrechtlichen Leistungsbeziehungen erbracht werden. Als hoheitliche Aufgaben verbleiben vor allem die Befugnisse der Regulierung und der Aufsicht (vgl Fangmann/Lörcher/Scheurle/Schwemmle/Wehner, Telekommunikations- und Postrecht, 2. Aufl, Art 87f GG Rdnr 1, 5). Dementsprechend verlaufen nunmehr der Erwerb und die Verwendung von Postwertzeichen, die in erster Linie dazu dienen, Leistungsentgelt bzw Nachweis des Leistungsentgelts für die von der Deutschen Post AG zu erbringende Beförderung von Post zu sein, in rein privatrechtlichen Formen. Postwertzeichen sind untrennbar mit dem privatrechtlichen Dienstleistungsbetrieb der Deutschen Post AG verbunden (vgl hierzu auch Schmidt, NJW 1998, 200ff, Verstößt die Ausgabe hoheitlicher "Postwertzeichen" gegen Art. 87f GG€). Lediglich die Ausgabe von Postwertzeichen ist eine hoheitliche Aufgabe, denn gemäß § 43 Abs 1 Satz 1 PostG ist die Befugnis, Postwertzeichen mit dem Aufdruck "Deutschland" auszugeben und für ungültig zur erklären, dem Bundesministerium der Finanzen vorbehalten. Ob diese hoheitliche Ausgabe in Einklang mit Art 87f GG steht, weil auch die Ausgabe von Postwertzeichen grundsätzlich dem privatrechtlichen Dienstleistungsbereich zuzuordnen ist, wird in der Kommentierung zu dieser Vorschrift bezweifelt (vgl Badura in Beck'scher PostG-Kommentar, § 43 Rdnr 43ff, 54; Schmidt aaO). Jedenfalls dürfte allein diese Art der Ausgabe von Postwertzeichen, die ansonsten ausschließlich Gegenstand des privatrechtlichen Verkehrs sind, nicht für die Annahme eines staatlichen Hoheitszeichens ausreichen. Bezeichnenderweise wird auch im Strafrecht nach der Privatisierung der Post der hoheitliche Bezug von Postwertzeichen in Frage gestellt, denn in der Rechtsprechung und Literatur wird angezweifelt, dass Postwertzeichen noch "amtliche Wertzeichen" im Sinne des § 148 StGB sind (vgl KG Berlin 5. Strafsenat 1 AR 1635/01 - 5 Ws 2/02 vom 10. Januar 2002, veröffentlicht in JURIS; Lackner/Kühl, StGB, 23. Aufl, § 148 Rdnr 2; Bohnert, NJW 1998, 2879ff, Briefmarkenfälschung).

d. Letztlich kann die Frage, ob Postwertzeichen staatliche Hoheitszeichen, etwa im Sinne von § 8 Abs 2 Nr 6 MarkenG, sind, dahinstehen, denn selbst wenn sie noch als Hoheitszeichen zu charakterisieren wären, stellt jedenfalls ihre Einbringung auf Ersttagssammelblättern keine missbräuchliche gesetzwidrige Verwendung dar. Der Verkehr, der daran gewöhnt ist, dass die Deutsche Post AG und andere privatwirtschaftliche Unternehmen Ersttagssammelblätter verkaufen, wozu naturgemäß auch die mitverkauften originalen Postwertzeichen gehören, denn Ersttagssammelblätter dienen der Präsentation von Postwertzeichen, hat keinen Anlass, bei Ersttagssammelblättern allein aufgrund der Postwertzeichen eine hoheitliche Betätigung des Staates anzunehmen. Er wird vielmehr an eine Betätigung der Deutschen Post AG oder eines anderen privatwirtschaftlichen Unternehmens denken. Dass Ersttagssammelblätter Postwertzeichen enthalten, erweckt somit weder den irreführenden Anschein eines Bezugs zu staatlichen Stellen noch ist ein Verstoß gegen eine sonstige Norm feststellbar. Bezeichnenderweise hat auch das Bundesministerium der Finanzen in dieser Art der Verwendung von Postwertzeichen keinen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gesehen. Es kann daher nicht angenommen werden, hier werde ein Hoheitszeichen für Privatzwecke geschäftlich ausgenutzt und missbraucht (vgl BPatG Mitt 1981, 122 - Posthorn, zum Gesetzeszweck des Eintragungsverbots für Zeichen, die staatliche Hoheitszeichen enthalten) und damit auch kein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung. Ebenso wenig verstoßen die Muster, die innerhalb der Postwertzeichen staatliche Hoheitszeichen wie zB den Bundesadler enthalten, gegen die öffentliche Ordnung, denn der Bundesadler wird in diesem Rahmen nicht als eigenständiges Gestaltungselement des Musters verwendet, sondern ist originärer Bestandteil des Postwertzeichens. Der Fall läge anders, wenn der Bundesadler außerhalb der Briefmarke auf den Ersttagssammelblättern enthalten wäre, aber für diese Muster hat die Anmelderin den Eintragungsantrag zurückgenommen.

III.

Der Senat hat gemäß § 10a Abs 2 GeschmMG iVm § 100 Abs 2 Nr 1 PatG die Rechtsbeschwerde zugelassen, da die Frage, ob die Eintragung von Geschmacksmustern, die Postwertzeichen (Briefmarken) enthalten, unter dem Gesichtspunkt der Verwendung staatlicher Hoheitszeichen gegen die öffentliche Ordnung verstößt, für die Allgemeinheit von grundsätzlicher Bedeutung ist und deshalb höchstrichterlicher Klärung bedarf.

Schülke Püschel Schuster Pr






BPatG:
Beschluss v. 16.01.2003
Az: 10 W (pat) 715/00


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