Landgericht Dortmund:
Urteil vom 1. August 2001
Aktenzeichen: 20 O 143/93
(LG Dortmund: Urteil v. 01.08.2001, Az.: 20 O 143/93)
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin
1.500.000,00 DM (i. W. einemillionfünfhundert-
tausend Deutsche Mark), nebst
9 5/8 (9,6250) % Zinsen vom 01.08.1991 bis
26.08.1991
9 3/4 (9,7500) % Zinsen vom 27.08.1991 bis
25.09.1991
9 7/8 (9,8750) % Zinsen vom 26.09.1991 bis
29.11.1991
9 11/16 (9,6875) % Zinsen vom 30.11.1991 bis
26.12.1991
10 9/16 (10,6525) % Zinsen vom 27.12.1991 bis
26.01.1992
10,5 % Zinsen vom 27.01.1992 bis 27.02.1992
10 1/8 (10,1250) % Zinsen vom 28.02.1992 bis
26.03.1992
10 5/16 (10,3125) % Zinsen vom 27.03.1992 bis
27.04.1992
10,25 % Zinsen vom 28.04.1992 bis 27.05.1992
10 3/16 (10,1875) % Zinsen vom 28.05.1992 bis
28.06.1992
10,25 % Zinsen vom 29.06.1992 bis 28.07.1992
10,55 % Zinsen vom 29.07.1992 bis 31.08.1992
10 3/8 (10,3750) % Zinsen vom 01.09.1992 bis
30.09.1992
9 3/8 (9,3750) % Zinsen vom 01.10.1992 bis
15.12.1992
9 5/16 (9,3125) % Zinsen vom 16.12.1992 bis
28.12.1992
4,0000 % Zinsen am 28.12.1992
8,0000 % Zinsen vom 30.12.1992 bis 05.01.1993
8,5625 % Zinsen vom 06.01.1993 bis 08.02.1993
8,2500 % Zinsen vom 09.02.1993 bis 08.04.1993
8,1000 % Zinsen vom 09.04.1993 bis 10.05.1993
7,6000 % Zinsen vom 11.05.1993 bis 31.05.1993
7,6250 % Zinsen vom 01.06.1993 bis 15.07.1993
7,2500 % Zinsen vom 16.07.1993 bis 29.07.1993
6,8750 % Zinsen vom 30.07.1993 bis 05.08.1993
6,5000 % Zinsen vom 06.08.1993 bis 19.09.1993
6,6875 % Zinsen vom 20.09.1993 bis 23.09.1993
6,7000 °s Zinsen vom 24.09.1993 bis 08.11.1993
4,0000 % Zinsen ab 09.11.1993 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen dem Beklag-
ten zur Last.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 2.000.000,00 DM vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten, der früher
Mitglied ihres Aufsichtsrats war, Schadensersatz in
Höhe von 1,5 Mio. DM.
Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft, welche zum
damaligen Zeitpunkt mit einem Grundkapital in Höhe von
127.000.000,00 DM ausgestattet war. 51 % der ausgegebe-
nen Aktien erwarb im Jahre 1987 die J AG,
die ihre Beteiligung an der Klägerin anschließend auf
90 % aufstockte. J AG war eine 100 %ige
Tochter der P AG (im Folgenden: P AG), deren
beherrschender Gesellschafter der schweizer Geschäfts-
mann S2 war.
Die P AG unter Führung S2 widmete sich in erster Li-
nie dem Erwerb von Unternehmen, die einige Jahre später
gewinnbringend verkauft wurden. S2 war dabei sehr er-
folgreich und erwarb sich ein entsprechend großes An-
sehen in der Wirtschaft. Dieses Ansehen verhalf ihm zu
einem starken Durchsetzungsvermögen im Aufsichtsrat der
Klägerin, deren Vorsitzender er war.
Der damalige Vorstand der Klägerin bestand aus den
Herren T, I5 und I. I5 und
I, die zuvor für die P AG tätig waren, wurden im
November 1989 zu Vorstandsmitgliedern der Klägerin be-
rufen, T gehörte dem Vorstand bereits seit
1985 an. Die Kompetenzen des Vorstandes der Klägerin
waren in ihrer Satzung geregelt. In § 10 der Satzung
war ein Katalog von Geschäften genannt, zu deren Vor-
nahme bei Überschreiten einer vom Aufsichtsrat festge-
legten Wertgrenze der Vorstand der Zustimmung des Auf-
sichtsrats bedürfen sollte, darunter auch der Gewährung
von Darlehen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sat-
zung in der Fassung vom 29.06.1990 verwiesen (K 15 rote
Anlagenmappe).
Der Vorsitzende des Aufsichtsrats war - wie bereits er-
wähnt - S2, der auch hier ihm vertraute Person hinein-
wählen ließ. Der Aufsichtsrat bestand aus 9 Personen;
der Beklagte wurde am 29.06.1990 in den Aufsichtsrat
berufen. Er war und blieb gleichzeitig Generaldirektor
bei der P AG. Seine Stellung ergibt sich aus dem
Organigramm vom 15. März 1990 (Anlage 0 in der Anlagen-
mappe) . Der Beklagte war zuständig für die Administra-
tion, der Zeuge S war ihm unterstellt. Die
Administration umfasste u.a.:
Rechnungswesen, Controlling/EDV/Operating.
In dem Aufsichtsrat waren ferner die Zeugen L2,
K, W.
Der Aufsichtsrat hatte am 29.06.1990 (an dem Tage wurde
der Beklagte in den Aufsichtsrat hineingewählt), am
19.10.1990 und am 13.12.1990 sowie am 16.02.1991 ge-
tagt. An diesen Sitzungen war jeweils der Beklagte an-
wesend.
Am 04.02.1991 gewährte die Klägerin - vertreten durch
ihren Vorstand - der P AG ein Darlehen in Höhe von 15
Mio. DM. Wegen dieses Darlehens sind die damaligen Vor-
standsmitglieder durch Urteil des Landgerichts Dortmund
vom 02.12.1993 zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe
von je 1,5 Mio. DM verurteilt worden (20 0 50/92 Land-
gericht Dortmund). Das Urteil ist durch das Oberlandes-
gericht Hamm am 10. Mai 1995 bestätigt worden (8 U
59/94 OLG Hamm). Die hiergegen eingelegte Revision ist
vom Bundesgerichtshof verworfen worden. Das Landgericht
hatte festgestellt, dass die damaligen Vorstandsmit-
glieder pflichtwidrig gehandelt hätten, weil sie ein
ungesichertes Darlehen gegeben und damit objektiv und
subjektiv pflichtwidrig gehandelt hätten. Außerdem sei
die Darlehenshingabe eine unzulässige verdeckte Ein-
lagenrückgewähr gewesen.
Die Klägerin ist der Ansicht, es wäre zu der Gewährung
des Darlehens nicht gekommen, wenn der Beklagte seine
ihm als Aufsichtsratsmitglied zustehenden Obliegenhei-
ten nicht verletzt hätte.
Zu der Gewährung des Darlehens ist es wie folgt gekom-
men:
Im Herbst 1990 beschloss der Vorstand der Klägerin auf
Veranlassung der P AG, von deren Tochtergesellschaft,
der P, deren mittelbare Beteili-
gung an der International J (im Folgenden: J )
zum Preis von 90 Mio. GBP zu übernehmen. Dazu
sollte die Klägerin alle Anteile an einer G
(im Folgenden: G)
erwerben zu dem genannten Kaufpreis. Die G ver-
mittelte über ihre 100 %ige Tochter, die O
die in I ansässig war, eine Beteiligung an der
I7 (im Folgenden: I7), die
ihren Sitz in England hatte und ihrerseits alle Anteile
an der J hielt.
Am 19. Oktober 1990 beschloss der Aufsichtsrat der Klä-
gerin nach Beratung, diesen Erwerb zu billigen unter
der Bedingung, dass unter anderem ein unabhängiges Gut-
achten eines Wirtschaftsprüfungsbüros die Angemessen-
heit des Kaufpreises bestätige. Einen Kaufvertrag über
die einzigen drei Aktien der G, zu nominell je 1 US
$ unterzeichneten die Vertragsparteien am 30.10.1990.
Aufgrund dieses Vertrages erbrachte die Klägerin eine
Anzahlung auf den Kaufpreis in Höhe von 30 Mio. DM an
die P AG mit Wertstellung zum 30.10.1990.
Unter dem 27. November 1990 ging dem Vorstand der Klä-
gerin eine sogenannte Fairness Opinion der Wirt-
schaftsprüfer D (im Folgenden: D)
aus M über die Angemessenheit der J -Transaktion
zu. Hierin führen die Wirtschaftsprüfer u.a. aus, dass
sie "- wie vereinbart - weder so etwas wie eine Wirt-
schaftsprüfung bei G, O oder I7 durchge-
führt noch die geschäftlichen Unterlagen der Firma
untersucht" hätten. Ihre Meinung beruhe "ausschließlich
auf Besprechungen mit Vorstandsmitgliedern und Mitar-
beitern der P2-Unternehmensgruppe,
von denen zwei ebenfalls Direktoren bei der I7 seien."
Die vorgelegte "Fairness Opinion" erklärte die gesamte
Transaktion - basierend auf diesen Informationen - als
"fair".
Am 29.11.1990 richteten die bei der Klägerin beschäf-
tigten Herren K2 (zuständig als Projektleiter)
und I2 (Leiter der Rechtsabteilung der Klägerin)
ein gemeinsames Schreiben an den Vorstand, in welchem
sie auf die Beschränkung des D-Gutach-
tens und die Anforderungen des Aufsichtsratsbeschlusses
vom 19.10.1990 hinwiesen.
Anfang Dezember 1990 erstellte der Zeuge. L,
der bei der Klägerin seit Ende 1988 als Abteilungslei-
ter für das Rechnungs- und Finanzwesen zuständig war,
auf Veranlassung des Vorstandsmitglieds I5 eine Auf-
stellung über die von der Klägerin der P AG gewährten
timedeposits. Am 10.12.1990 besprach er mit dem Zeugen
S diese Aufstellung.
Unstreitig ist, dass die Klägerin diese Time-Deposits
jeweils ungesichert an die P AG gegeben hatte. Sie be-
liefen sich zum damaligen Zeitpunkt auf 52.540.572,81
GBP (= rund 153.090.000,-- DM einschließlich Zinsen).
Dieses Darlehen sollte mit 34.729.556,95 GBP (=
100.800.000,00 DM) aus dem J-Kauf verrechnet werden.
Dementsprechend wurden die Darlehen zunächst
"zurückgeführt" und auch buchungsmäßig bei den Banken
erfasst. Sodann wurde der Kaufpreis für die I7 von
I3 zurücküberwiesen, und zwar 45 Mio. GBP. Der
überschießende Betrag in Höhe von 7.540.572,81 GBP
wurde als neues Darlehen deklariert. Darauf bezieht
sich der auf der Anlage (Zusammenstellung der time-
deposits) handschriftliche Vermerk des Vorstandsmit-
glied I5 (K 31).
Der Beklagte bestreitet, vor der Aufsichtsratssitzung
vom 13.12.1990 von dieser Aufstellung im Einzelnen ge-
wusst zu haben. Ein von dem Beklagten unterschriebenes
Schreiben an die I3 Aktiengesellschaft, in dem
auf die u.a. Zusammenstellung Bezug genommen wird und
in dem wegen eines anderen Dollarkurses die Summe um
1,6 Mio. GBP reduziert worden ist, datiert erst vom
18.12.1990.
Der Beklagte bestreitet, vor der Aufsichtsratssitzung
vom 13.12.1990 von der Aufstellung Kenntnis gehabt zu
haben. Er räumt aber ein, insgesamt über die timedepo-
sits und die beabsichtigte Verrechnung vorher durch
I5 unterrichtet worden zu sein.
Am II. Dezember 1990 war es zu dem erneuten Abschluss
des Kaufs über die genannte Beteiligung gekommen, weil
der Kaufvertrag vom 30.10.1990 nicht wirksam zustande
gekommen war. Auf Seiten der Klägerin trat nunmehr als
Käuferin die von ihr inzwischen zu diesem Zweck gegrün-
dete I4 GmbH & Co. KG, vertreten durch
I5 und T, auf.
Am 13.12.1990 trat der Aufsichtsrat zusammen.
In dieser Sitzung wurde in Anwesenheit des Beklagten
erörtert, dass die Klägerin zugesagte Kreditlinie in
Höhe von 240,5 Mio. DM voll in Anspruch genommen worden
seien.
Außerdem kam es zu einer sehr kontroversen Auseinander-
setzung über das J-Geschäft. Die drei Arbeitnehmer-
vertreter im Aufsichtsrat stimmten gegen die sechs üb-
rigen Aufsichtsratsmitglieder der entsprechenden Vor-
lage nicht zu. Laut Protokoll ist in der Aufsichtsrats-
sitzung über die Zahlungsweise (Verrechnung der Time-
Deposits) nicht gesprochen worden.
In der Folgezeit stellte sich heraus, dass sich die J
in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand. Deshalb
wollte S2 die Klägerin veranlassen, der J eine fi-
nanzielle Hilfe in Höhe eines mehrfachen Millionenbe-
trages zukommen zu lassen. Auf diesen Wunsch reagierten
die Beklagten, insbesondere T, ablehnend.
Unter dem 01.02.1991 richtete der Vorstand der Klägerin
durch I5 und T ein Schreiben, in dem auf
eine beabsichtigte Erweiterung der Kapitalbasis bei J
verwiesen war, an alle Mitglieder des Aufsichtsrats,
darunter auch an den jetzigen Beklagten.
Anfang Februar 1991 kam es sodann zu der Darlehensver-
gabe der Klägerin an die P AG, die die Valuta an die
J weiterreichte. Zu dieser Zeit befanden sich I5
und I zu Gesprächen mit S2 in der T2. Sie
beschlossen dort, der P AG ein Darlehen in Höhe von 15
Mio. DM mit einer Kündigungsfrist von 48 Stunden und
einem Zins von 10 % pro Jahr zu gewähren. Am Morgen des
04.02.1991 ging ein Telefax des Vorstandsmitglieds I ein,
das an den Prokuristen L gerichtet
und in dem eine Zahlungsinstruktion über den Betrag von
15 Mio. DM enthalten war. I5 und I führten an-
schließend u.a. ein Telefonat mit T. In die-
sem Telefonat soll - nach der Aussage des Zeugen
T - I5 ihm erklärt haben, dass dieses
Darlehen mit dem Beklagten und W abgesprochen
worden sei. T billigte daraufhin die Auszah-
lung und veranlasste die Überweisung der 15 Mio. DM.
In der Folgezeit überschlugen sich die Ereignisse. Die
wirtschaftliche Lage der Klägerin spitzte sich drama-
tisch zu. Anfragen und Forderungen diverser finanzie-
render Bankinstitute häuften sich. Der Vorstand empfahl
am 07.02.1991 den Banken die Bildung eines Pools zwecks
Umschuldung und Sicherung der Kredite.
Am 07.03.1991 verlangte die Klägerin vergeblich die
Rückzahlung des am 04.02.1991 gewährten Darlehens von
der P AG. Diese ist in Vermögensverfall geraten. Der
Klägerin steht lediglich ein Ausgleichsanspruch aus der
Masse in Höhe von 15 °s im besten, 7 % im schlimmsten
Falle zu.
Die Klägerin hat die damaligen Mitglieder des Vorstan-
des und den jetzigen Beklagten auf Schadensersatz in
Höhe von insgesamt 6 Mio. DM in Anspruch genommen, und
zwar I5 für den ersten Teilbetrag von 1,5 Mio. DM,
I für den zweiten Teilbetrag in Höhe von 1,5 Mio.
DM und T in Höhe von weiteren 1,5 Mio DM.
Dementsprechend sind - wie bereits oben ausgeführt -
diese in dem Verfahren 20 0 50/92 Landgericht Dortmund
verurteilt worden. In dem jetzigen Verfahren wird der
Beklagte auf den vierten Teilbetrag von 1,5 Mio. DM in
Anspruch genommen.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe seine
Pflichten als Aufsichtsratsmitglied verletzt und be-
hauptet hierzu;
Der Beklagte sei von der Darlehenshingabe am 04.02.1991
unterrichtet und damit einverstanden gewesen. Er hätte
dies - so ihre Ansicht - verhindern können und müssen.
Außerdem sei er vor der Aufsichtsratssitzung am
13.12.1990 aufgrund der zuvor von S und I5
gefertigten Zusammenstellung der timedeposits genaues-
tens über deren Höhe unterrichtet gewesen. Es sei seine
Pflicht gewesen, dies in der Aufsichtsratssitzung den
übrigen Aufsichtsratsmitgliedern mitzuteilen. Diese
Pflicht habe er auch gehabt, selbst wenn er die Zusam-
menstellung nicht vor der Aufsichtsratssitzung gesehen
hätte, weil - was der Beklagte auch einräumt - ihm die
bis dahin gegebenen timedeposits bekannt gewesen und
er von I5 darüber unterrichtet worden war, dass
diese Gelder mit dem J-Geschäft verrechnet werden
sollten.
Wenn der Beklagte den Aufsichtsrat am 13.12.1990 über
diese Darlehen und der beabsichtigten Verrechnung den
Aufsichtsrat aufgeklärt hätte - so meint die Kläge-
rin -, hätten entweder der Aufsichtsrat das J-Ge-
schäft nicht genehmigt, so dass es auch später nicht zu
dem Darlehen von 04.02.1991 gekommen wäre. Aber selbst
wenn der Aufsichtsrat am 13.12.1991 das Geschäft geneh-
migt hätte, wäre zumindest das frühere Vorstandsmit-
glied T so sensibilisiert gewesen, dass er
der Darlehenshingabe am 04.02.1991 nicht zugestimmt
hätte.
Die Klägerin beantragt dementsprechend,
den Beklagten zu verurteilen, ihr 1,5 Mio. DM
nebst den im Einzelnen angegebenen Zinsen (Blatt
194 d.A.) seit dem 24.06.1991 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte rügt die internationale Zuständigkeit der
erkennenden Kammer und bestreitet ein Rechtsschutzbe-
dürfnis für die vorliegende Klage.
Im Übrigen lässt er sich wie folgt ein:
Er sei davon ausgegangen, dass der Aufsichtsrat, zumin-
dest der Vorsitzende L2, von den im Jahre 1990 ge-
währten timedeposits unterrichtet gewesen seien, fer-
ner dass in der Aufsichtsratssitzung vor seiner Wahl in
den Aufsichtsrat dem Vorstand eine generelle Genehmi-
gung hierfür erteilt worden sei. Er habe sich aller-
dings vergeblich bemüht, das entsprechende Protokoll
der Aufsichtsratssitzung zu bekommen.
Im Übrigen sei er immer verspätet über die Trans-
aktionen unterrichtet worden. So habe er auch immer
erst mit erheblicher Verspätung die sogenannten Quar-
talsberichte erhalten. Die Aufstellung über die verge-
benen Darlehen von Anfang Dezember 1990, die er in Auf-
trag gegeben habe, habe er erst nach der Aufsichtsrats-
sitzung vom 13.12.1990 gelesen. Das von ihm unter-
schriebene Anschreiben datiere deshalb auch vom
18.12.1990 (K 31). Am 12.12.1990, also einen Tag vor
der Aufsichtsratssitzung, sei er in Zürich gewesen bei
der Fa. G2, an 13.12.1990 in der Aufsichtsrats-
sitzung in Zürich, so dass ihm das Schreiben erst am
14.12.1990 zur Unterschrift vorgelegt worden sei.
Er habe zwar generell von dem Darlehen gewusst, sei
aber auch deshalb nicht beunruhigt gewesen, weil Hauff
schon vor der Aufsichtsratssitzung erklärt habe, dass
die Darlehen durch Verrechnung mit dem J-Geschäft zu-
rückgeführt würden.
Den Vorwurf der Klägerin, seit längerem von der finan-
ziellen "Schieflage"' der P AG gewusst zu haben, weist
er entschieden zurück. Eine solche habe es zur Zeit der
Darlehensgewährung nicht gegeben. Dies werde belegt
durch die noch - wie der Beklagte behauptet - nach dem
04.02.1991 von verschiedenen Banken gewährten
Millionenkredite. Bedenken wegen der Liquidität der
P AG hätte er nicht haben müssen. Zwar sei ein großer
Teil ihrer liquiden Mittel in der damals von ihr gehal-
tenen B AG gebunden gewesen sei. Wegen des
nach seiner Kenntnis unmittelbar bevorstehenden Ver-
kaufes dieser Papiere sei dies aber ersichtlich eine
vorübergehende Erscheinung gewesen.
Unstreitig hat sich dies B-Geschäft zunächst zer-
schlagen und ist erst Ende März 1991, allerdings zu
anderen Bedingungen, zustande gekommen.
Darüber hinaus - so die Behauptung des Beklagten - sei
anhand er ab5ehbaren Zahlen des Jahresabschlusses 1990
eine Dividende für die P AG i.H.v. 13 Mio. DM zu erwar-
ten gewesen.
Im Übrigen hätte eine Unterrichtung des Aufsichtsrates
auch zu keinem anderen Verlauf des Geschehens geführt,
da die Aufsichtsratsmitglieder ohnehin nicht anders ge-
stimmt und dem Vorstand keine andere Anweisung gegeben
hätten.
Selbst wenn er in seiner Funktion als Generaldirektor
der P AG weitergehende Informationen gehabt hätte,
hätte er diese nicht an den Aufsichtsrat der Klägerin
weitergeben dürfen, da er ansonsten gegen seine Ver-
schwiegenheitspflicht gegenüber der P AG verstoßen
hätte.
Er ist weiter der Ansicht, als einfaches Aufsichtsrats-
mitglied habe er nicht die Pflicht gehabt, den anderen
Aufsichtsratsmitgliedern Informationen zukommen zu
lassen. Der Aufsichtsrat habe als Organ allgemeine Vor-
standsüberwachungspflichten, an denen das einzelne Mit-
glied organschaftlich kollektiv mitzuwirken habe. Die-
ser Pflicht sei er nachgekommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der
Zeugen F, S, T, L,
W, I5, L2, E2 und K. Wegen
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Proto-
kollniederschriften der Zeugen T und L
vom 13.01.1999 und wegen der übrigen Aussagen auf die
Vernehmungsprotokolle der schweizerischen Gerichte Be-
zug genommen.
Gründe
A.
Gegen die Zuständigkeit des Gerichts- bestehen keine Be-
denken.
Die Frage der Zuständigkeit ist nach deutschem Recht zu
prüfen (BGH NJW 1976, 1581). Die internationale Zustän-
digkeit unterscheidet sich zwar ihrem Wesen und nach
ihrer Funktion von der örtlichen Zuständigkeit (BGH NJW
1979 1104). Nach ständiger höchstrichterlicher Recht-
sprechung folgt sie jedoch grundsätzlich deren Regeln
(BGHZ 69, 730, BGHZ 94, 157). Soweit daher nach den
Vorschriften der §§ 12 ff. ZPO über den Gerichtsstand
ein deutsches Gericht zuständig ist, liegt -wenn keine
abweichende Vorschriften bestehen- gleichzeitig die
erforderliche internationale Zuständigkeit vor (BGHZ
63, 219, 220). Dies hat das OLG Hamm bereits in der Be-
rufungsinstanz in dem bereits erwähnten Verfahren
I3./. I5, I und T (8 U 59/94)
bestätigt. Ebenso bestätigt hat es die Zuständigkeit
des Landgerichts Dortmund. Diese folgt aus § 29 ZPO.
Danach ist das Gericht des Erfüllungsortes für Strei-
tigkeiten aus oder über ein Vertragsverhältnis örtlich
zuständig. Zu diesen Streitigkeiten gehören auch Klagen
auf Schadensersatz wegen Nicht- oder Schlechterfüllung
von Haupt- und Nebenpflichten.
Da die Klägerin ihren Sitz in E hat, hatte der
Beklagte auch dort seine Aufgaben zu erfüllen. Bei
Klagen aus Organhaftung ist Erfüllungsort der Gesell-
schaftssitz (BGH NJW-RR 1992, 801) .
Mit Vorliegen der örtlichen Zuständigkeit ist auch die
internationale gegeben.
Der Klageantrag ist bestimmt genug.
Insgesamt hat die Klägerin 6 Mio. DM von den drei Vor-
standsmitgliedern und dem Beklagten gefordert, wovon
sie jeweils 1,5 Mio. DM von den bereits verurteilten
Vorstandmitgliedern zugesprochen bekam und nunmehr den
letzten Teilbetrag in Höhe von 1,5 Mio. DM vom Beklag-
ten verlangt. Damit ist der Antrag ausreichend präzise
gefasst.
B.
l.
Der Anspruch gegen den Beklagten ist gem. §§ 116, 93
Abs. 2 AktG in voller Höhe begründet; der Beklagte hat
seine Pflichten als Aufsichtsratsmitglied verletzt.
Bei der Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen ist
die über die Verweisung in § 116 AktG in § 93 Abs. 2
Satz 2 AktG zum Ausdruck gekommene und in der Recht-
sprechung des BGH anerkannte Verteilung der Darlegungs-
und Beweislast berücksichtigt worden. Danach obliegt es
der Gesellschaft, die ein Aufsichtsratmitglied auf
Schadensersatz in Anspruch nimmt, lediglich der Vortrag
und der Beweis dazu, dass ein bestimmtes Verhalten des
Aufsichtsratsmitglieds einen Schaden in bestimmter Höhe
herbeigeführt hat. Dem in Anspruch genommenen Auf-
sichtsratsmitglied obliegt es demgegenüber darzulegen
und zu beweisen, dass er objektiv und subjektiv keinen
Pflichtverstoß begangen hat. Diese Verteilung der Dar-
legungs- und Beweislast entspricht der herrschenden
Meinung (Hüffer Kommentar zu AktG § 93, Geßler Kommen-
tar- zum Aktiengesetz § 39 Rz. 8 ff).
Gemäß § III AktG hat der Aufsichtsrat einer AG in
erster Linie Überwachungsfunktion. Überwacht werden
soll die Geschäftsführung und, da diese damit betraut
ist, der Vorstand und seine Handlungen (Geßler a.a.O.
§ III Rz. 2, Hüffer AktG, § III Rz. 2).
Grundsätzlich ist der gesamte Aufsichtsrat als Organ
für die Ausübung seiner Überwachungsfunktion zuständig.
Jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied muss jedoch seine
Vorstellungen von sachgerechter Kontrolle des Vorstan-
des auf dem Wege der Überzeugung der Aufsichtsratsmehr-
heit durchsetzen (Geßler § III Rz. 8). Von besonderer
Bedeutung ist die Kontrolle über die Investitionspoli-
tik des Vorstandes (Mertens in Kölner Kommentar zum Ak-
tiengesetz § III Rz. 29). Der Beklagte hat folglich als
Aufsichtsratsmitglied die Pflicht gehabt, Kenntnisse
über das unrechtmäßige Handeln des Vorstandes dem ge-
samten Aufsichtsrat mitzuteilen. Vorzuwerfen ist dem
Beklagten, dass er trotz Kenntnis der hohen ungesicher-
ten timedeposits an die P AG dies dem Aufsichtsrat
nicht mitgeteilt hat, und der Klägerin dadurch ein
Schaden entstanden ist.
II.
l. Schaden
Die Klägerin hat einen Schaden in Höhe von 15 Mio. DM
dadurch erlitten, dass dieser Betrag als Darlehen/time-
deposit an die P AG versprochen und bezahlt worden ist.
Dieser Schaden entfällt nicht dadurch, dass der Kläge-
rin ein Darlehensrückzahlungsanspruch gegen die P AG
zusteht. Ein Schaden entfiele nur, wenn dem eingetrete-
nen Vermögensvorteil ein gleich hoher Vermögenszuwachs
oder eine ausreichende Sicherheit gegenüberstünde. Das
trifft hier nicht zu. Der Darlehensrückzahlungsanspruch
gegen die P AG ist insofern schon nicht gleichwertig,
weil er nicht in voller Höhe zu realisieren ist. Bisher
hat lediglich die Vollstreckung gegen das frühere Vor-
standsmitglied T teilweise Erfolg gehabt.
Darüber hinaus sind keine Zahlungen zu erwarten. Wegen
der Bezifferung des Schadensersatzes kommt es auf die
Frage nicht an, welche Quote der Klägerin auf dem Li-
quidationsverfahren der P AG zu erwarten hat. Die Klä-
gerin braucht sich auf eine Quote eines etwaigen An-
spruchs, den sie zur Zeit nicht realisieren kann, nicht
verweisen zu lassen. Dieser Anspruch, der nicht durch-
setzbar ist, mindert den Schaden in seiner Gesamthöhe
von 15 Mio. DM nicht. Der Schaden kann daher bedenken-
frei als viertrangiger Teil -nach vorangehenden 4,5
Mio. DM, die der ehemalige Vorstand zu ersetzen hat-
ausgeurteilt werden (siehe auch unten 4.).
Pflichtverstoß des Beklagten
a) Ein denkbarer Pflichtverstoß, der darin liegen
könnte, dass der Beklagte Kenntnis von dem Darlehen am
04.02.1991 gehabt und nicht eingegriffen hat, ist nicht
bewiesen. Die Kenntnis des Beklagten hätte insoweit die
Klägerin beweisen müssen.
Zwar hat das ehemalige Vorstandsmitglied T
als Zeuge glaubhaft bekundet, I5 habe ihm bei dem
Telefongespräch am 04.02.1991 erklärt, die Vergabe des
Darlehens sei mit dem Beklagten und dem weiteren Auf-
sichtsratsmitglied W abgesprochen gewesen. Der
Zeuge L hat ebenso glaubhaft bestätigt, dass
ihm T dies nach dem Telefongespräch mitge-
teilt habe.
Damit ist jedoch keineswegs bewiesen, dass I5 bei
dem Telefongespräch insoweit die Wahrheit gesagt hat.
I5 als Zeuge vernommen (Bl. 146 d. A.) hat insoweit
eine Aussage verweigert. Der Zeuge I hat keinerlei
Aussage gemacht. Der Zeuge W hatte an das Tele-
fonat oder an ein konkretes Darlehen von 15 Mio. DM
keine Erinnerung mehr.
Es konnte auch nicht geklärt werden, ob der Beklagte
ggf. von anderer Seite von der beabsichtigten Vergabe
informiert worden war. Sowohl die Zeugen L2, der
stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzender der Klägerin
im Februar 1991 war, E2 und I5 konnten darüber
keine Angaben machen. Der Zeuge E2 konnte sich
lediglich an ein Darlehen von SFr 15 Millionen er-
innern, er wusste aber nicht, ob es sich dabei um das
fragliche Darlehen handelte. Der Zeuge S
meinte sich an ein timedeposit zu erinnern, das von
Herrn S2 in Auftrag gegeben und von den Zeugen T und I
gezahlt worden sei. Von diesem soll
der Beklagte aber keine Kenntnis gehabt haben. Dabei
steht allerdings nicht einmal fest, ob der Zeuge das
richtige Darlehen im Kopf hatte.
Für den Beklagten spricht, dass der Zahlungsauftrag der
P AG an die Klägerin von den Zeugen E2 und C2 stammt, die in A
für den Bereich Treasury zu-
ständig waren. Dies konnte der Zeuge S bestä-
tigen. Er hat weiter ausgesagt, dass der Beklagte die-
sen Beleg mit 99%,-iger Sicherheit erst nach dem
04.02.1991 erhalten hat.
Zusammenfassend sieht es das Gericht daher nicht als
erwiesen an, dass der Beklagte von der Vergabe des Dar-
lehens vor oder am 04.02.1991 Kenntnis hatte.
b) Dem Beklagten kann auch nicht vorgeworfen werden,
trotz Kenntnis der Aufstellung über die timedeposits
per 30.II./01.12.1990 (K 31) den Aufsichtsrat am
13.12.1990 hierüber nicht unterrichtet zu haben.
Der Zeuge L hat insoweit ausgesagt, dass er
die Aufstellung auf Veranlassung des Vorstandsmit-
gliedes I5 erstellt habe. Bei den dort aufgeführten
Darlehen habe es sich sämtlich um ungesicherte Einlagen
gehandelt. Am 10.12. sei er in A gewesen und habe
mit dem Zeugen S die Aufstellung besprochen.
Dabei sei auch besprochen worden, dass die Darlehen mit
den 45 Millionen GBP aus dem J-Geschäft verrechnet
werden sollten, und zwar in der Weise, dass sämtliche
Darlehen zunächst zurückgeführt und auch buchungsmäßig
bei den Banken erfasst würden. Sodann sollte -wie es
auch geschehen ist- der Kaufpreis für I7in Höhe von
45 Millionen GBP zurücküberwiesen werden. Der über-
schießende Betrag sollte als neues Darlehen in Höhe von
7.540.522,81 GBP bestehen bleiben.
Der Zeuge konnte aber nicht bestätigen, dass der Be-
klagte bei diesem Gespräch zugegen gewesen war. Sein
Gesprächspartner bei finanziellen Fachfragen sei immer
S und nicht der Beklagte gewesen.
S hat dies insoweit bestätigt, dass der Be-
klagte nur selten in C, durchschnittlich nur ein bis
zwei Tage in der Woche, gewesen sei. Dass er bei der
besagten Aufstellung oder bei der Besprechung anwesend
war, an der I5den handschriftlichen Vermerk vom
06.12. auf die Aufstellung gemacht hat, hat er nicht
bestätigt. So kann die Kammer nur davon ausgehen, dass
der Beklagte erst Kenntnis von dieser Zusammenstellung
am 18.12.1990 hatte, als er den Brief an die Klägerin
unterschrieb, in dem auf diese Aufstellung Bezug genom-
men und der Gesamtbetrag wegen eines anderen Dollarkur-
ses um rund 1,6 Millionen GBP reduziert worden war.
c) Vorzuwerfen ist dem Beklagten aber, dass er der PAG
ungesicherte timedeposits in beträchtlicher Höhe gege-
ben hat und er hierüber den Aufsichtsrat in der Sitzung
vom 13.12.1990 nicht unterrichtet hat.
Dass er Kenntnis von den timedeposits hatte, hat der
Beklagte eingeräumt. Er war darüber hinaus durch die
ihm regelmäßig vorgelegten Quartalsberichte unterrich-
tet. Selbst wenn ihm diese -wie der Zeuge L
bestätigt hat- erst etwa einen Monat nach Quartals-
schluss vorgelegt worden sind, so wusste er jedenfalls
vor der Aufsichtsratssitzung am 13.12.1990, dass und in
welcher Höhe die timedeposits bestanden. Der Zeuge
L hat auch anhand eines Quartalsberichtes
überzeugend in seiner Vernehmung dargelegt, dass die
Darlehen hieraus ersichtlich seien.
Abgesehen davon hat die Kammer auch keinen Zweifel
daran, dass der Beklagte in seinem Ressort
"Administration" und als Vorgesetzter von S,
zuständig für Rechnungswesen und das Controling, inso-
weit umfassend unterrichtet war. Das hat insbesondere
auch der Zeuge S in seiner Aussage bestätigt.
Die Vergabe von ungesicherten Darlehen durch den Vor-
stand der Klägerin an die P AG oder deren Töchter war
rechtswidrig. Der Beklagte hätte dies wissen und den
Aufsichtsrat darüber unterrichten müssen.
Dass die Vergabe ungesicherter Darlehen ein Pflichtver-
stoß des Vorstandes beinhaltet, hat das Oberlandesge-
richt Hamm bereits in seiner Entscheidung I3 ./.
I5 und andere bestätigt. Es hat insbesondere ausge-
führt, dass der Vorstand gegen die in § 93 Abs. 3 Nr. l
AktG besonders hervorgehobene Regelung (Verbot der Ein-
lagenrückgewähr) verstoßen hat. Diese Feststeilungen,
die sich im Urteil auf das timedeposits vom 04.02.1991
beziehen, gelten entsprechend für die vorher gegebenen
ungesicherten Darlehen.
Einlagenrückgewähr ist bei einer Aktiengesellschaft
jede Leistung an die Aktionäre oder ihnen gleichge-
stellte Personen, die wegen der Mitgliedschaft erfolgt,
wenn sie nicht aus Bilanzgewinn erfolgt oder ausnahms-
weise besonders zugelassen ist (Hüffer a.a.O., § 57
Rz. 2). Die ungesicherten timedeposits sind eine ver-
deckte Rückgewähr der Einlage.
Dieser Ansicht steht nicht der Wortlaut des § 57 Abs. l
Satz l AktG entgegen, der an die konkrete Einlage-
leistung des Aktionärs anzuknüpfen scheint, entgegen.
Eine derartige Einschränkung würde dem Normzweck des
§ 57 AktG entgegenlaufen. Diese Vorschrift verwirklicht
das Gebot der Kapitalerhaltung. Damit dient es sowohl
dem Gesellschaftsgläubiger als auch dem einzelnen Ak-
tionär. Es wird verhindert, dass die Grenze zwischen
Gesellschaft- und Gesellschaftsvermögen zugunsten ein-
zelner Aktionäre unter Verletzung des Grundsatzes der
Gleichbehandlung verschoben wird. Darüber hinaus
sichert § 57 AktG die Kompetenzverteilung innerhalb der
Aktiengesellschaft, da gemäß § 119 Abs. l Nr. 2 AktG
die Entscheidung über die Gewinnverwendung in die un-
entziehbaren Zuständigkeiten der Hauptversammlung
fällt.
Auch Darlehensgewährungen können und sind im vorliegen-.
den Falle als Einlagenrückgewähr zu betrachten. Zwar
hat gemäß § 607 BGB die Gesellschaft als Darlehensgebe-
rin ein Rückzahlungsanspruch gegen den Aktionär.
Andererseits trifft die Gesellschaft das Insolvenz-
risiko des Darlehensnehmers. Auch der Normzweck des
§ 57 Abs. l AktG stützt diese Annahme. Die Vorschrift
dient dem Gläubiger und dem Minderheitsaktionär. Der
Entzug liquider Mittel aus der Gesellschaft führt dazu,
dass die Haftungsgrundlage geschmälert wird. Der Satz
besteht in einer Ungewissen Forderung aus § 607 BGB.
Das Risiko der Realisierung würde auf die Gläubiger ab-
gewälzt.
Aber auch systematische Überlegungen sprechen für eine
Einlagerückgewähr. Nach § 27 Abs. l AktG bestehen
strenge Mitteilungs- und Prüfungspflichten für den
Fall, dass die grundsätzliche Bareinlagenverpflichtung
durch eine Sacheinlage ersetzt wird. Diesem Fall ver-
gleichbar ist, dass die zunächst gezahlte Bareinlage in
ein Darlehen umgewandelt wird, so dass anstelle der
liquiden Mittel nunmehr eine Forderung steht. Die Rege-
lungen der §§ 27, 57 AktG stehen im Kontext mit dem
Grundsatz der Kapitalaufbringung und -erhaltung. Ihr
gemeinsames Ziel ist die Sicherung der Gläubiger, so
dass die systematischen Überlegungen auf beide Vor-
schriften anzuwenden sind.
Gleichwohl wäre die Hingabe der Darlehen erlaubt und
keine unzulässige Einlagerückgewähr, wenn es sich hier
um ein Rechtsgeschäft gehandelt hätte, wie es die Klä-
gerin zum damaligen Zeitpunkt auch mit einem außen-
stehenden Dritten abgeschlossen hätte oder hat.
Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob der Klägerin
eine angemessene oder sogar günstige Verzinsung zuge-
flossen ist. Die besondere Kondition der Darlehen war
jedoch die Tatsache, dass sie ungesichert vergeben wor-
den waren. Lütter (Kölner Kommentar § 57 Rz. 28) sieht
in der ungesicherten Kreditvergabe den Standardfall
einer unzulässigen Einlagenrückgewähr. Dieser Ansicht
ist auch das OLG Hamm in seiner bereits zitierten Ent-
scheidung (I3 ./. I5 und andere) gefolgt. Bei
einem vergleichbaren Dritten, so das OLG, hätten die
damaligen Beklagten als ordentlich nach kaufmännischen
Maßstäben handelnde Vorstandsmitglieder ganz unabhängig
von der nicht im Einzelnen einschätzbaren Bonität des
Schuldners das Darlehen ohne Sicherheit nicht gegeben
und auch nicht geben dürfen.
Der Einwand des Beklagten, er sei davon ausgegangen,
dass der Aufsichtsrat in einer vor seinem Eintritt in
das Gremium gefassten Beschluss die Gewährung solcher
Darlehen generell genehmigt hätte, kann ihn schon des-
halb nicht entlasten, weil auch der Aufsichtsrat nicht
befugt gewesen wäre, den Vorstand zu einer Einlagen-
rückgewähr zu ermächtigen. Abgesehen davon räumt der
Beklagte selbst ein, einen entsprechenden Beschluss
niemals gesehen zu haben, da man ihm trotz Verlangens
die Protokolle früherer Aufsichtsratssitzungen nicht
zur Einsicht gegeben hätte.
Zusammenfassend ist die Kammer daher der Ansicht, dass
der Beklagte seine Kenntnis über das rechtswidrige Ver-
halten des Vorstandsaufsichtsrats spätestens in der
Sitzung vom 13.12.1990 hätte mitteilen müssen. Soweit
er sich darauf beruft, der Aufsichtsrat hätte von die-
sen ungesicherten Darlehen gewusst, hat er dies nicht
beweisen können. Der Zeuge L2, damaliger Aufsichts-
ratsvorsitzender, hat zwar ausgesagt, dass die von der
Klägerin in den S2-Konzern gesteckten Gelder in den
Berichten an den Aufsichtsrat als Festgeldanlagen
deklariert worden seien. Darunter habe aber niemand
eine konzerninterne Verschiebung von Geldern gesehen,
sondern man sei davon ausgegangen, dass es sich um bei
Banken liegenden Festgeldern gehandelt hätte. Erst
später, als der Vorfall mit der J bekannt geworden
sei, sei dem Aufsichtsrat bewusst gewesen, dass die
Gelder an den S2-Konzern geflossen seien.
Die Pflicht des Beklagten, den Aufsichtsrat zu unter-
richten, wird dadurch verstärkt, dass er in der Auf-
sichtsratssitzung vom 13.12. die heftige Diskussion um
die Frage des Ankaufes des J-Projekts mitbekommen
hat. Die Vertreter der Arbeitnehmer hatten größte Be-
denken und brachten dies deutlich zum Ausdruck, ob der
ausgehandelte Preis für die Transaktion angemessen sei
(Punkt 3 der Hauptversammlung, Bl. 19 des Protokolls).
Sie wiesen darauf hin, dass die 2-seitige Stellungnahme
von D3 sich ausschließlich auf
Angaben der Verkäuferin stütze und deshalb von der Er-
mittlung eines "fairen"' Preises nicht ausgegangen wer-
den könne. Bei dieser Diskussion wäre der Beklagte ob-
jektiv verpflichtet gewesen, sein Wissen darüber, dass
erhebliche Darlehen an die P AG geflossen waren und
diese mit dem J -Geschäft verrechnet werden sollten zu
offenbaren, zudem er in der Aufsichtsratssitzung erfah-
ren hat, dass die Kreditlinie der Klägerin mit
240,5 Mio. DM zum damaligen Zeitpunkt erschöpft war.
Somit war dem Beklagten ein objektiver Pflichtenverstoß
vorzuwerfen. Der Beklagte hat aber auch subjektiv vor-
werfbar gehandelt. Davon muss zumindest mangels Exkul-
pation ausgegangen werden.
Der Sorgfaltsmaß5tab für ein Aufsichtsratsmitglied be-
stimmt sich nach § III Abs. l AktG. Dem Aufsichtsrat
steht die Aufgabe zu, "die Geschäftsführung" zu über-
wachen. Dies bedeutet nicht nur eine in die Vergangen-
heit bezogene Kontrolle der Vorstandstätigkeit, viel-
mehr ist die Überwachung auch präventiv angelegt, sie
muss in die Zukunft hineinwirken (ausführlich hierzu
Henze in NJW 1998, 3309 m. w. N.). Die Kontrolle be-
zieht sich nicht nur auf abgeschlossene Sachverhalte,
sondern erstreckt sich auch auf grundsätzliche Fragen
der zukünftigen Geschäftspolitik. Um diese Aufgaben er-
füllen zu können, kann der Aufsichtsrat beratende Ge-
spräche mit dem Vorstand führen, er kann die Erstattung
zusätzlicher Berichte nach § 90 Abs. 3 Satz l AktG ver-
langen oder ein Zustimmungsvorbehalt im Sinne des § III
Abs. 4 Satz 2 AktG anordnen; er kann auch auf die Ab-
lösung des Vorstandes hinwirken (§ 84 Abs. 3 Satz l
und 2 AktG).
Der Einwand des Beklagten, als einzelnes Aufsichtsrats-
mitglied hätte ihn diese Pflicht nicht getroffen, ist
unbeachtlich. Wenn der Vorstand seine Geschäftsfüh-
rungspflichten verletzt hat, hat sowohl der Aufsichts-
rat als auch jedes einzelne Mitglied einzuschreiten
(Mertens in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz § 116
Rz. 16). Dazu umfasst die Pflicht der Mitglieder jeden-
falls die Information des Aufsichtsrats (Mertens
a.a.O.).
Wenn der Beklagte sich über den Umfang seiner Aufgaben
als Aufsichtsratsmitglied nicht im Klaren war, hätte er
notfalls auch Rechtsrat einholen müssen. Entsprechendes
gilt für den Einwand, er habe sich wegen seiner
Stellung bei der P AG in einem Interessenkonflikt be-
funden. In seinem Aufgabenbereich als Aufsichtsratsmit-
glied der Klägerin war er verpflichtet, allein die
Interessen dieser Gesellschaft wahrzunehmen. Die Recht-
sprechung hat zu Recht entschieden, dass man sich auf
eine mögliche Interessenkollision nicht zurückziehen
kann. Solche Interessenkollisionen sind grundsätzlich
nicht in dem Sinne entlastend, dass die Pflichterfül-
lung gegenüber der einen die Pflichtverletzung gegen-
über der anderen Gesellschaft rechtfertigen könnte
(Mertens in Kölner Kommentar § 93 Abs. 22, BGH WM 1980
173, BGH ZIP 1984, 578) .
Soweit sich der Beklagte darauf beruft, von einer gene-
rellen Genehmigung der timedeposits durch den Auf-
sichtsrat ausgegangen zu sein, kann ihn dies nicht ent-
lasten. Es wäre ihm zuzumuten gewesen, hier weitere
Nachforschungen anzustellen. Er räumt selbst ein, die
Aufsichtsratsprotokolle, in denen er die generelle Zu-
stimmung vermutet hatte, nicht eingesehen zu haben. Dem
Einwand, dass er sie verlangt aber nicht bekommen habe,
ist entgegenzuhalten, dass er als Aufsichtsratsmitglied
hierauf hätte intensiver drängen müssen.
Aber selbst wenn eine Genehmigung vorgelegen hätte,
hätte er bei der besonderen Situation der Diskussion
über das J -Geschäft und der Kenntnis des ausgeschöpf-
ten Kreditrahmens die Frage der timedeposits zur
Sprache bringen müssen.
Ursächlichkeit
Sein Verhalten ist ursächlich für den eingetretenen
Schaden.
Hätte der Beklagte in der Aufsichtsratssitzung vom
13.12.1990 die Problematik angesprochen, wäre nach An-
sicht der Kammer entweder bereits in dieser Sitzung das
J -Geschäft nicht genehmigt und damit auch das Dar-
lehen vom 04.02.1991 nicht gegeben worden. Aber selbst
wenn der Aufsichtsrat in der Sitzung nicht anders ent-
schieden hätte, so wäre doch das Vorstandsmitglied
T bei seiner Entscheidung am 04.02.1991 so
sensibilisiert gewesen, dass er nicht ohne ausdrück-
liche Zustimmung des Aufsichtsrats seine Zustimmung zu
dem Darlehen gegeben hätte. Dass T die Mög-
lichkeit gehabt hätte, sich zum damaligen Zeitpunkt
nicht von den anderen Vorstandsmitgliedern
"überstimmen" oder "überrennen" zu lassen, hat das OLG
Hamm bereits ausführlich in dem bereits zitierten Ur-
teil ausgeführt. Insoweit wird hierauf verwiesen. Der
Einwand des Beklagten, auch dann, wenn er sich pflicht-
gemäß verhalten habe, wäre der Geschehensablauf nicht
anders gewesen, ist grundsätzlich als Berufung auf
rechtmäßiges Alternativverhalten beachtlich. Jedoch
trägt die Beweislast dafür, dass der Schaden auch bei
einem rechtmäßigen Alternativverhalten eingetreten
wäre, der Schädiger, hier also der Beklagte. Der Be-
klagte hat den hypothetischen Vorgang, wie er sich zu-
getragen hätte, wenn er in der Aufsichtsratssitzung ak-
tiv geworden wäre zwar vorgetragen, jedoch nicht bewei-
sen können. Der als Zeuge vernommene Aufsichtsratsvor-
sitzende L2 hat bekundet, dass der Aufsichtsrat
nicht darüber unterrichtet gewesen sei, dass die erste
Anzahlung für das J-Geschäft durch Verrechnung mit
den timedeposits erfolgen sollte. Er hat weiter ausge-
sagt, dass er Anfang 1991 seine Zustimmung zu einer
weiteren Überweisung des Kaufpreises versagt hätte, be-
vor das Thema nicht in einer Aufsichtsratssitzung be-
handelt worden wäre.
Dieses Verhalten L2 spricht gerade nicht für den
Vortrag des Beklagten, bestärkt vielmehr das Gericht in
der Auffassung, dass L2 bereits in der Aufsichts-
ratssitzung am 13.12.1990 gegen den Kauf und die Ver-
rechnung gestimmt hätte.
Auch der als Zeuge vernommene K, ebenfalls
damals Aufsichtsratsmitglied, hat ausgesagt, dass ihm
nichts von den sogenannten konzerninternen Darlehen
oder timedeposits bekannt gewesen sei, ebensowenig wie
von der Verrechnungsabrede. Er konnte sich nur daran
erinnern, dass ihm mitgeteilt worden sei, dass Über-
schussliquidität bei erstklassigen Banken angelegt wor-
den sei. Wäre ihm dies bekannt gewesen, hätte er sicher
interveniert.
Aber selbst wenn es in dieser Aufsichtsratssitzung zu
keinem anderen Abstimmungsverhältnis gekommen wäre, so
ist die Kammer doch der Ansicht, dass T
-sensibilisiert durch die Diskussion in dieser Auf-
sichtsratssitzung- das Darlehen vom 04.02.1991 entweder
abgelehnt oder die Zustimmung des Aufsichtsrats einge-
holt hätte. Es mag zwar möglich sein, dass die Zeugen
L2 und K aus Eigeninteresse ihre Aussagen
"geschönt" haben. Das ändert jedoch nichts daran, dass
der Beklagte für seine Behauptung, dass sein Fehlver-
halten nicht ursächlich für den Schaden gewesen sei,
beweispflichtig geblieben ist. Im Ergebnis bleibt daher
festzuhalten, dass der Einwand des rechtmäßigen Alter-
nativverhaltens dem Beklagten hinsichtlich der Ursäch-
lichkeit seines Verhaltens für den Schadenseintritt
nicht zum Erfolg verhelfen kann.
Höhe des Schadens
Der Beklagte ist daher zum Schadensersatz in der gel-
tend gemachten Höhe verpflichtet. Wegen der Bezifferung
des Schadensersatzes kommt es auf die möglicherweise
noch streitige Frage nicht an, welche Quote die Kläge-
rin aus dem Liquidationsverfahren der P AG zu erwarten
hat. Die Klägerin braucht sich auf diese Quote und de.
dortigen Anspruch, den sie zur Zeit nicht realisieren
kann, nicht verweisen lassen. Dies hat das OLG bereits
in seinem zitierten Urteil ausgeführt. Dieser Anspruch,
der nicht durchsetzbar ist, mindert den Schaden in
seiner Gesamthöhe von 15 Mio. DM nicht. Der Beklagte
war daher zu dem viertrangigen Teil des Schadens -nach
vorangegangenen 4,5 Millionen, zu verurteilen.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus einer entsprechenden
Anwendung des § 849 BGB. Die Inanspruchnahme von Kredit
und die Zinshöhe hat die Klägerin durch die Vorlage
entsprechender Unterlagen bis zum 08.11.1993 bewiesen.
Von diesem Zeitpunkt an kann sie nur, da sie einen
höheren Schaden nicht nachgewiesen hat, den gesetz-
lichen Zinssatz verlangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Ent-
scheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf
§ 709 ZPO.
LG Dortmund:
Urteil v. 01.08.2001
Az: 20 O 143/93
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/866ea7ebadf2/LG-Dortmund_Urteil_vom_1-August-2001_Az_20-O-143-93