Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 13. Dezember 2011
Aktenzeichen: I-4 U 92/11
(OLG Hamm: Urteil v. 13.12.2011, Az.: I-4 U 92/11)
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 02. März 2011 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen wird zu-rückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 45.000,- EUR abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein zur Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere zur Durchsetzung der Regeln des lauteren Wettbewerbs. Mitglieder des Klägers sind -wie gerichtsbekannt ist- auch Hersteller und Vertreiber von Naturheilmitteln, pharmazeutischen Produkten sowie sonstige Lebensmittelbetriebe.
Die Beklagte vertreibt Nahrungsergänzungsmittel. Sie warb in der Zeitschrift "S L" Nr. .../...# auf Seite 19 (Anlage K 1 -Bl.9) unter anderem für das der Nahrungsergänzung dienende Mittel "X" mit folgender Aussage:
"Die X enthalten eine Fülle sorgfältig ausgesuchter Natursubstanzen wie beispielsweise Echinacea und Holunderblüten, die dafür bekannt sind, die natürlichen Abwehrkräfte unterstützen zu können."
Der Kläger mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 4. November 2010 (Anlage K 2 -Bl.11 ff.) erfolglos ab und verlangte die Erstattung einer Abmahnpauschale in Höhe von 166,60 €.
Er hat gemeint, die Werbung verstoße gegen Art. 10 Health-Claims-Verordnung (EG-Verordnung 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel), im Folgenden: HCVO. Danach seien gesundheitsbezogene Angaben verboten, sofern sie nicht gemäß Art. 13 der Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben (Claims) aufgenommen seien. Außerdem müssten sie den allgemeinen und speziellen Voraussetzungen der Verordnung entsprechen. Da unstreitig die nach Art. 13 HCVO zu verabschiedende Liste der Claims noch nicht vorliege, müssten sich die Werbeaussagen an Art. 5 Abs. 1a HCVO messen lassen. Danach seien solche Angaben aber nur dann zulässig, wenn anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Nachweise nachgewiesen sei, dass das Vorhandensein des Nährstoffs, auf den sich die Angabe beziehe, ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung habe. Der Nährstoff müsse zudem in dem Produkt in einer Menge vorhanden sein, die nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen geeignet sei, die behauptete physiologische Wirkung zu erzielen. Bei dem hier beworbenen Produkt sei weder in Bezug auf Echinacea noch auf Holunderblüten der wissenschaftliche Nachweis dafür erbracht, dass sie die natürlichen Abwehrkräfte unterstützen könnten.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr für das Mittel "X" zu werben:
"Die X enthalten ... Echinacea und Holunderblüten,
die dafür bekannt sind, die natürlichen Abwehrkräfte unterstützen
zu können"
und dies geschieht wie in der Werbung gemäß Anlage K 1,
an den Kläger 166,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, da die nach Art. 13 Abs. 3 HCVO zu erstellende Liste trotz Befristung bis zum 31. Januar 2010 immer noch nicht vorliege und die für das Sammelverfahren gemäß Art. 13 HCVO angemeldeten Claims noch geprüft würden, dürften die für entsprechende Wirkaussagen angemeldeten Mittel Echinacea und Holunderblüten einstweilen bis zur Klärung mit den angemeldeten Aussagen weiter beworben werden. Dies gelte umso mehr, als die Europäische Union den Unternehmern nach einer Ablehnung der Aufnahme in die Liste eine Übergangsfrist von sechs Monaten einräumen wolle. Sie hat beantragt, diese Rechtsfrage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass sie zudem im Hinblick auf die im streitgegenständlichen Produkt enthaltenen Substanzen Echinacea und Holunderblüten überhaupt keine Wirkungsaussagen gemacht hätte. Sie hätte lediglich erklärt, dass diese Substanzen dafür bekannt seien, die natürlichen Abwehrkräfte unterstützen zu können. Im Hinblick auf die Wirkung von Echinacea gebe es außerdem eine Vielzahl von Studien. Eine Meta-Analyse von Shah aus dem Jahre 2007 (Anlage B 6) habe zu dem Ergebnis geführt, dass Echinaceaextrakte die Intensität und Dauer von Erkältungskrankheiten signifikant reduziere. Dementsprechend sei eine entsprechende Wirkungsaussage in ein Sammelverfahren nach Art. 13 Abs. 3 HCVO aufgenommen worden. Die eingeschränkte Aussage in der hier beanstandeten Werbung sei deshalb jedenfalls zutreffend. Falls das Gericht dennoch von einer gesundheitsbezogenen Werbeaussage ausgehen sollte, bezieht sich die Beklagte zum Beweis dafür, dass diese Aussage ausreichend wissenschaftlich gesichert sei, auf eine wissenschaftliche Stellungnahme der EFSA sowie auf eine Stellungnahme der zuständigen EU-Kommission.
Auch Holunderblüten, in denen sich neben ätherischen Ölen insbesondere sog. "Flavonoide" fänden, zählten zu den populärsten und bekanntesten "Volksheilmitteln". In der Wissenschaft sei anerkannt, dass die Flavonoiden neben ihrer antioxidativen Wirkung insbesondere auch eine antivirale und antimikrobielle Wirkung aufwiesen (Beweis: Sachverständigengutachten). Zur nach Art. 13 HCVO anzumeldenden Liste sei Schwarzer Holunderbeerensaft (Sambucus nigra) mit der Wirkweise zur Stärkung der körpereigenen Abwehrkräfte angemeldet. Auch Holunderblüten seien bekannt für eine entsprechende Wirkung. Falls auch hier von einer Wirkungsaussage ausgegangen werde, hat die Beklagte auch insoweit zur hinreichenden wissenschaftlichen Absicherung eine Stellungnahme der EFSA sowie der EU-Kommission angeboten.
Das Landgericht hat die Klage zugesprochen. Es hat die Klagebefugnis des Klägers aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG hergeleitet. Den Unterlassungsanspruch hat es aus §§ 8 Abs. 1, 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit Art. 3, 5, 13 Abs. 1a HCVO und § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB für begründet gehalten. Es hat dazu ausgeführt, auf die Beurteilung der vorliegenden Werbung seien sowohl das LFGB als auch die HCVO anwendbar. Bei den streitgegenständlichen Werbeaussagen handele es sich um gesundheitsbezogene Angaben im Sinne der Verordnung. Darin werde darauf hingewiesen, dass die X Natursubstanzen enthielten, die dafür bekannt seien, dass sie die natürlichen Abwehrkräfte unterstützen können. Die Aussagen beschrieben im Sinne von Art. 13 Abs. 1a HCVO die Bedeutung der Substanzen Echinacea und Holunderblüten für bestimmte Körperfunktionen. Derartige Aussagen seien nach Art. 28 Abs. 5 HCVO bis zur Verabschiedung der in Art. 13 Abs. 3 genannten Liste nur zulässig, wenn sie der Verordnung und dem einschlägigen nationalen Recht entsprächen. Gemäß Art. 5 Abs. 1 ad der Verordnung werde aber bei gesundheitsbezogenen Angaben verlangt, dass anhand allgemeiner wissenschaftlicher Erkenntnisse nachgewiesen sei, dass der Wirkstoff, auf den sich die Werbeaussagen bezögen, die beworbene physiologische Wirkung habe, dass er bioverfügbar sei und dass das Produkt bei einem Verzehr, wie er vernünftigerweise erwartet werden könne, eine solche Menge des Wirkstoffs enthalte, die nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen geeignet sei, die behauptete Wirkung überhaupt zu erzielen. Diese Voraussetzungen seien bei der beanstandeten Werbung nicht erfüllt. Denn zum einen sei schon nicht wissenschaftlich gesichert, dass die Substanzen Echinacea und Holunderblüten die Abwehrkräfte des Körpers unterstützen könnten. Zum anderen sei auch nicht ansatzweise erkennbar, dass in dem beworbenen Produkt eine Konzentration dieser angeblich in bestimmter Weise wirksamen Substanzen enthalten sei, die ausreichen könne, die behauptete physiologische Wirkung zu erzielen. Deshalb bestehe auch keine Möglichkeit, das Verfahren auszusetzen, bis die zuständigen Stellen über die Zulassung der Claims entschieden hätten. Denn selbst wenn die Substanz Echinacea gewisse Wirkungen entfalten könnte, sei nicht vorgetragen, dass diese Substanz in dem beworbenen Produkt in einer maßgeblichen Konzentration enthalten sei. Insoweit fehle es an Vortrag der darlegungspflichtigen Beklagten.
Der Kläger könne auch seine Aufwendungen nach § 12 Abs. 1 S. 2 UWG in der geltend gemachten Höhe erstattet verlangen.
Die Beklagte greift das Urteil mit der Berufung an. Sie rügt zunächst eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und meint, ihr hätte auf den neuen Vortrag des Klägers zu den Wirkungen der Substanzen in den im Produkt vorhandenen Dosierungen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müssen. Wäre das geschehen, hätte sie das Folgende vorgetragen: In dem Produkt X, von dem nach der Verzehrempfehlung täglich 2 Kapseln zum Verzehr empfohlen seien, seien dann täglich auch 25 mg. Echinaceapresspulver enthalten. Der Kläger habe selbst vorgetragen, dass Echinacea als Trockenpresssaft sogar als Arzneimittel verwendet werde, allerdings in Dosierungen von ca. 100 mg pro Tag. Auch wenn bei dem streitgegenständlichen Nahrungsergänzungsmittel die Dosierungen geringer seien, ändere dies nichts an den ernährungsphysiologischen Eigenschaften von Echinacea. Die Substanz könne auch in der Dosierung von 25 mg Presspulver das Immunsystem unterstützen (Beweis: Sachverständigengutachten). Gerade in der hier vorliegenden Dosierung sei die Substanz Echinacea auch unter den ID Nummern 2306 und 4257 zur Aufnahme in die Liste nach Art. 13 Abs. 3 HCVO angemeldet worden. Die Entscheidung der EU-Kommission stehe nach wie vor aus. Wäre die Entscheidung des Landgerichts richtig, dürften auch jahrelang auf dem Markt befindliche Echinacea-Produkte nicht mehr mit der hier in Rede stehenden Wirkweise beworben werden. Die Beklagte stellt die hinreichende wissenschaftliche Absicherung der beworbenen Wirkung von Echinacea in der Konzentration von 25 mg Presssaftpulver unter Beweis durch Sachverständigengutachten.
Das Produkt X enthalte darüber hinaus in der empfohlenen Tagesverzehrmenge 110 mg Holunderblütenpulver. Schon 1938 sei bekannt gewesen, dass Holunderblüten als schweißtreibendes Mittel bei Erkältungen geeignet gewesen und verwendet worden seien. Holunderblüten seien auch sonst als schweißtreibend, fiebersenkend und schleimlösend bekannt, Holunder auch als pilztötend und entzündungshemmend. Die Beklagte überreicht eine 2003 veröffentlichte wissenschaftliche Zusammenfassung von Haffner, in der Holunderblüten eine immunmodulierende und antivirale Wirkung bescheinigt wurde. Auch im Hinblick auf die im streitgegenständlichen Produkt verwendete Menge von Holunderblüten bezieht sich die Beklagte zum Beweis der positiv unterstützenden Wirkung auf die Abwehrkräfte auf Sachverständigengutachten. Auch in diesem Zusammenhang stehe eine Entscheidung der EU-Kommission über eine Aufnahme der angemeldeten Claims noch aus.
Die Beklagte rügt außerdem, dass das Landgericht verkannt habe, dass die Regelung des § 11 LFGB seit Inkrafttreten der HCVO nicht mehr anwendbar sei, da Art. 22 HCVO hierzu lex specialis sei. Gerade die HCVO sei als Gesamtpaket verabschiedet worden, um die Interessen der Lebensmittelunternehmen und die Interessen der Verbraucher miteinander abzustimmen. Da entgegen aller Erwartungen die EU-Kommission bis zum Stichtag keine Entscheidungen getroffen habe, die Unternehmen dadurch aber keine Nachteile erleiden sollten, habe die EU-Kommission auf gesundheitsbezogene Angaben nicht mehr die Übergangsregelung in Art. 28 Abs. 5 HCVO angewandt, sondern allgemein die Übergangsregelungen in Art. 28 Abs. 6 HCVO. Dadurch werde ersichtlich, dass insoweit die Interessen der Verbraucher zurücktreten müssten. Wegen der erfolgten Harmonisierung regt die Beklagte noch einmal an, die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Dieser möge klären, ob die derzeitige Rechtspraxis der EU-Kommission auch von den Gerichten der Mitgliedsstaaten übernommen werden müsse.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt mit näheren Ausführungen das angefochtene Urteil und verweist auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 22. März 2011 -20 U 85 / 10.
II.
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Dem Kläger steht sowohl der geltend gemachte Unterlassungsanspruch als auch der Aufwendungsersatzanspruch gegen die Beklagte zu.
1) Die sich aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ergebende Klagebefugnis des Klägers ist von der Beklagten zu Recht nicht mehr in Frage gestellt worden.
2) Der Klageantrag ist im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmt genug, weil es um eine ganz bestimmte Werbung für das Produkt "X" mit den genannten Werbeaussagen in der Zeitschrift "S L" geht, wobei die konkrete Verletzungshandlung in den Antrag einbezogen worden ist.
3) Dem Kläger steht ein Unterlassungsanspruch im Hinblick auf die streitigen Werbeaussagen in Zusammenhang mit den Anzeigen aus §§ 8 Abs.1, 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 11 Abs.1 Nr. 2 LFBG, Art. 3, 5, 10 HCVO zu.
a) Die in der Werbung im "S L" zu sehende geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG wäre nach § 4 Nr. 11 UWG unlauter im Sinne des § 3 UWG, wenn sie gegen eine gesetzliche Vorschrift verstößt, die zumindest auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Eine solche Vorschrift ist § 11 Abs. 1 LFBG, die den Verbraucher in dem sensiblen Bereich der gesundheitsbezogenen Angaben vor Täuschung schützen soll und damit in besonderer Weise dem Verbraucherschutz dient (Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht 29. Auflage, § 4 UWG Rdn. 11.136 m.w.N.). Gleiches gilt für die genannten Bestimmungen der HCVO.
b) Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 LFGB ist es verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung in den Verkehr zu bringen oder für Lebensmittel allgemein oder im Einzelfall mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Angaben zu werben. Eine solche irreführende Werbung liegt nach § 11 Abs. 1 Satz Nr. 2 LFGB insbesondere dann vor, wenn einem Lebensmittel Wirkungen beigelegt werden, die ihm nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind. Diese Vorschrift steht nicht im Widerspruch zu Art. 3 Satz 2 lit. a) und Art. 5 Abs. 1 lit a) HCVO, so dass die Frage, ob und inwieweit die HCVO gegenüber § 11 LFGB vorrangig ist (Art. 22 HCVO), dahingestellt bleiben kann (vgl. Senatsurteil vom 29. September 2011 4 U 71 / 11). Nach beiden Regelungskomplexen darf weder positiv getäuscht noch mit wissenschaftlich nicht hinreichend gesicherten Aussagen für Lebensmittel geworben werden. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. a) HCVO muss der Nachweis für eine Wirkungsbehauptung sogar allgemein wissenschaftlich anerkannt sein und die Substanz muss nach Art. 5 Abs. 1 lit. b) HCVO auch in einer Menge in einem Produkt enthalten sein, dass sie die ihr zugeschriebene Wirkung entfalten kann. Insofern ist die europarechtliche Regelung sogar noch strenger als die in § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB.
aa) Bei dem von der Beklagten beworbenen Produkt "X" handelt es sich um ein Lebensmittel im Sinne des § 2 Abs. 2 LFBG und der HCVO. Zu den Lebensmitteln in diesem Sinne gehören nämlich gerade auch Nahrungsergänzungsmittel (vgl. Fezer/Meyer/Reinhart, UWG, 2.Auflage § 4-S4 Rdn. 42).
bb) Dieses Lebensmittel hat die Beklagte damit beworben, dass darin unter anderem Echinacea und Holunderblüten enthalten sind. In Bezug auf diese Substanzen hat sie angegeben, dass sie dafür bekannt sind, die natürlichen Abwehrkräfte unterstützen zu können. Insoweit handelt es sich um eine gesundheitsbezogene Angabe, so dass auch der Anwendungsbereich der HCVO eröffnet ist. Es wird auf einen Zusammenhang zwischen dem beworbenen Produkt und der Gesundheit der Nutzer hingewiesen. Zudem wird die Bedeutung bestimmter Substanzen in dem Produkt für bestimmte Körperfunktionen wie die Abwehr von Viren beschrieben. Darauf hat schon das Landgericht zu Recht hingewiesen. Diese Angaben werden jedenfalls von einem maßgeblichen Teil der angesprochenen Verbraucher, auf deren Vorstellung es ankommt, so verstanden, dass die genannten Substanzen die natürlichen Abwehrkräfte unterstützen und dass sich diese Wirkweise auch auf das beworbene Produkt bezieht. Den sprachlichen Einschränkungen, die Substanzen Echincea und Holunderblüten seien dafür bekannt, diese Wirkungen entfalten zu können, kommt in den Augen des Lesers der Rätselzeitschrift keine besondere Bedeutung zu. Er geht selbstverständlich von einer Bekanntheit bei den maßgeblichen Stellen aus und glaubt, dass eine Substanz, die bekanntermaßen in einer bestimmten Weise wirken kann, es auch tut, wenn man das Mittel, das sie enthält, einnimmt. Ansonsten hätten die Werbeaussagen nach seinem Verständnis keinen Sinn. Die Tatsache, dass es gerade auch um die Wirkweise des Produkts gehen soll, folgt im Übrigen auch aus dem Umfeld der Werbung, nach dem der Körper "winterfest" gemacht werden soll, in dem u.a. X eingenommen werden. Die Verbraucher nehmen dann auch an, dass die Substanzen Echinacea und Holunderblüten jede für sich und insbesondere in ihrer Gesamtwirkung auch schon in der im Mittel enthaltenen Dosierung für eine maßgebliche Unterstützung der natürlichen Abwehrkräfte sorgen können. Gerade auch dadurch soll derjenige, der sie einnimmt, besser durch den Winter kommen. Er kann deshalb auch meinen, auf andere Unterstützungsmaßnahmen wie eine Grippeschutzimpfung verzichten zu können.
cc) Die Aussage, dass Echinacea und Holunderblüten dem Produkt die Eigenschaft verleihen, für eine maßgebliche Unterstützung der natürlichen Abwehrkräfte zu sorgen, ist aber weder wissenschaftlich hinreichend gesichert im Sinne des LFGB noch gar allgemein wissenschaftlich anerkannt im Sinne der HCVO. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob es in beidem Sinne ausreichen würde, wenn sich die wissenschaftliche Absicherung aus einer einzelnen Arbeit ergeben würde, die auf überzeugenden Methoden und Feststellungen beruht (vgl. BGH GRUR 2010, 359 Rz.18 -Vorbeugen mit Coffein). Schon das Vorliegen einer Studie als ein hinreichend sicherer Nachweis, dass die beiden genannten Substanzen die beworbene physiologische Wirkung haben, ist nicht dargelegt. Auch die in englischer Sprache vorgelegte Zusammenfassung der Meta-Analyse von Shah aus dem Jahre 2007 (Anlage B 6- Bl. 44 R) lässt als sog. Abstract nicht erkennen, ob die Analyse auf überzeugenden Methoden beruht. Die Analyse der Studien ist weder in englischer Sprache vollständig vorgelegt worden noch in deutscher Übersetzung. Das wäre aber erforderlich gewesen, um die Eignung der Studie einschätzen zu können. Es ist noch nicht einmal die verabreichte Tagesdosis von Echinacea und die Form des Auszugs erkennbar. Die allgemein bekannte und im Volksglauben verankerte Meinung, Echinacea und Holunder könnten jeweils für sich das Immunsystem unterstützen, reicht als wissenschaftlicher Nachweis nicht aus. Bei den denkbaren Wirkungen von Holunder geht es nach den vorgelegten Informationen zudem vor allem um die Holunderbeeren und die Blätter des schwarzen Holunderstrauches; Holunderblüten wird danach nur eine schweißtreibende Wirkung zugeschrieben.
dd) Im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 lit. b) HCVO müsste es vor allem auch so sein, dass die beworbene Substanz im Produkt in einer Menge vorhanden ist, die nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Nachweisen geeignet ist, die beworbene physiologische Wirkung zu erzielen. Insofern nützt es der Beklagten auch nichts, dass Frischpresspflanzensaft aus Echinacea in Dosen ab 100 mg als Arzneimittel zur Steigerung der körpereigenen Abwehrkräfte durch Stimulierung des Immunsystems
eingesetzt wird (Bl.60). Die vorgetragene Dosis von 12,5 g Echinaceapresssaftpulver pro Kapsel und die sich daraus ergebende Tagesdosis von 25 g ist von der Dosis des Arzneimittels Echinacea Frischpresssaft von 100 g pro Tag so weit entfernt, dass für die beworbene prophylaktische Wirkung in einer solchen Dosis schon nicht viel spricht, die Wirkung ist erst recht nicht wissenschaftlich hinreichend erwiesen. Die Tatsache, dass das Produkt wegen des Echinacea-Anteils irgendwie ernährungsphysiologisch unterstützend wirken könnte, würde angesichts der oben dargelegten Verbrauchervorstellung nicht ausreichen. Der Nachweis der beworbenen Wirkung, der zur Zeit der Werbung vorliegen muss, kann auch nicht erst durch ein noch einzuholendes Gutachten erbracht werden, jedenfalls wenn bislang noch keine Studie mit einer geeigneten Aussage zu der Wirkweise in einer solchen Dosis vorliegt. Der Werbende kann sich insoweit nur auf im Zeitpunkt der Werbung bereits vorliegende Erkenntnisse stützen, nicht auf erst zu erwartende Erkenntnisse durch eine Begutachtung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen. Eine Wirksamkeit kann somit insbesondere nicht auf "gut Glück" behauptet werden (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. März 2011 S.17). Wieso Holunderblütenpulver überhaupt und dann auch in der verwandten Dosis von 110 mg pro Tag nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen einen Beitrag zu der beworbenen Prophylaxe beisteuern könnte, ist in keiner Weise dargelegt oder ersichtlich.
4) Der Beklagten und anderen Unternehmen aus dem Bereich der Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln gereicht es auch nicht wirklich zum Nachteil, dass die EU-Kommission entgegen Art. 13 Abs. 3 HCVO bis zum Stichtag 31. Januar 2010 nicht entschieden hat und deshalb nicht klar ist, ob die im Rahmen der Anmeldungen vorliegenden Claims, die auch Substanzen in der hier vorliegenden Dosis betreffen sollen, zur Aufnahme in die Liste führen werden, die entsprechende gesundheitsbezogene Aussagen in Zukunft zulässig machen würden. Wie der Senat schon im Urteil vom 29. September 2011 (S. 8 ff.) entschieden hat, steht das noch nicht abgeschlossene Anmeldeverfahren einer eigenen Entscheidung des Senats und einem Verbot der hier vorliegenden nicht wissenschaftlich gesicherten gesundheitsbezogenen Werbung nicht entgegen.
a) Es besteht kein Anlass für die Annahme, dass durch eine liberale Praktik der Kommission bei der Bewerbung von Wirkungsaussagen die HCVO für angemeldete Claims suspendiert worden ist oder überhaupt werden kann. Die Beklagte hat für eine solche tatsächlich erfolgte Suspendierung durch die Kommission keine Nachweise vorgelegt. Es erscheint auch nicht plausibel, dass die Kommission als Teil der exekutiven Gewalt der Europäischen Union die Geltung der mit unmittelbarer Wirkung ausgestatteten Verordnung teilweise außer Kraft setzen könnte, nur weil der nach den Regelungen vorgesehene Stichtag für die Entscheidungen durch die Kommission nicht eingehalten werden konnte.
b) Für eine solche Annahme besteht noch weniger Anlass, weil die HCVO das erkennbare Problem von Anmeldung und noch nicht erfolgter Zulassung eines Claims systemimmanent gelöst hat. Nach dieser Lösung sollen die angemeldeten Werbeaussagen mit Ablauf der von der Verordnung vorgesehenen Erledigungsfrist für die Bearbeitung entsprechender Werbeaussagen nicht automatisch zulässig sein. Eine faktische Freigabe von noch ungenehmigten und ungeprüften Werbeaussagen würde vielmehr auch einem wesentlichen Ziel der Verordnung, nämlich der Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus entgegen wirken und "Roulette spielen" auf Kosten der Gesundheit der Verbraucher bedeuten, wie es das OLG Düsseldorf im Urteil vom 22. März 2011 -20 U 85 / 10 zutreffend ausgedrückt hat. Auch auf diesen teleogischen Gesichtspunkt hat der Senat bereits im Urteil vom 29. September 2011 ausdrücklich hingewiesen. Eine vorübergehende Freigabe von gesundheitsbezogener Werbung ist deshalb auch in der HCVO nicht vorgesehen. Die Verordnung erlaubt vielmehr neben der Zulassung auf Antrag auch weiter den wissenschaftlichen Nachweis einer Wirkaussage (Art, 5 Abs. 1, 6 HCVO). Auch angemeldete Claims dürfen folgerichtig vor einer Entscheidung der Kommission nach Art. 28 Abs. 5 HCVO verwendet werden, wenn die Wirkaussagen die Voraussetzungen des Art. 5 HCVO erfüllen. Gerade die dort verlangte allgemeine wissenschaftliche Absicherung ist auch im Zulassungsverfahren nachzuweisen, wie sich aus Art. 15 der HCVO mit der dazu erlassenen VO Nr. 353/2008 ergibt. Der Beklagten wird wie den anderen Unternehmen mit dem wissenschaftlichen Nachweis nichts abverlangt, was nicht bei einer Zulassung ohnehin geprüft wird. Eine Benachteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen durch die fehlende Entscheidung durch die Kommission vermag der Senat deshalb nicht zu erkennen. Das Verfahren nach Art. 28 Abs. 6 HCVO ist nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut von vorneherein auf solche Claims beschränkt, die bereits vor dem Inkrafttreten der Verordnung verwendet wurden. Darum geht es im vorliegenden Fall aber gerade nicht.
c) Vor diesem Hintergrund kommt weder eine Anfrage bei der EFSA noch bei der EU-Kommission noch eine Aussetzung des Verfahrens zwecks Vorlage des Falles an den EuGH in Betracht.
d) Die gesetzeswidrige Werbung ist auch geeignet, den Wettbewerb auf dem hier einschlägigen Markt der Gesundheitsmittel im Sinne des § 3 UWG spürbar zu beeinträchtigen. Es handelt sich hier um einen Verstoß gegen den Verbraucherschutz im sensiblen Bereich der Gesundheitswerbung.
5) Dem Kläger steht auch der Anspruch auf Erstattung der pauschalierten Abmahnkosten in Höhe von 166,60 € nebst Zinsen nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG zu. Die Abmahnung war berechtigt; der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288, 291 BGB.
Die von der Beklagten angeregte Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, weil die sich aus § 543 Abs. 2 ZPO ergebenden Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nicht vorliegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
OLG Hamm:
Urteil v. 13.12.2011
Az: I-4 U 92/11
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