Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 16. Juni 2000
Aktenzeichen: 6 U 127/99

(OLG Köln: Urteil v. 16.06.2000, Az.: 6 U 127/99)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24.06. 1999 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln -31 O 122/98- teilweise dahin abgeändert, daß die unter Ziff. 2. und 3. des Tenors der genannten landgerichtlichen Entscheidung ausgesprochene Verurteilung zur Auskunft sowie die darin festgestellte Verpflichtung zum Schadensersatz - unter teilweiser Abweisung der zeitlich weiter- gehenden Klage auf Auskunft und Feststellung der Schadensersatzpflicht - erst ab dem 25.11.1998 eingreifen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden der Klägerin mit 5%, den Beklagten mit 95 % auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürften die Zwangsvollstreckung aus dem Unterlassungstenor des vorbezeichneten landgerichtlichen Urteils gegen Sicherheits- leistung in Höhe von 6.000.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet. Die Vollstreckung der Verurteilung zur Auskunft dürfen die Beklagten gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 480.000,00 DM, diejenige aus dem Kosten- ausspruch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 145.000,00 DM abwenden, falls nicht die Klägerin vorher jeweils Sicherheit in eben dieser Höhe leistet. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten aus dem Kostenausspruch gegen Sicher- heistleistung in Höhe von 15.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagten Sicherheit in derselben Höhe leisten. Den Parteien wird nachgelassen, die von ihnen jeweils zu stellenden Sicherheiten auch in Form der unbedingten, unbefristeten, unwiderruflichen, selbstschuldnerischen schriftlichen Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu erbringen. Die mit diesem Urteil für die Parteien verbundene Beschwer übersteigt jeweils 60.000,00 DM.

Tatbestand

Die Parteien sind pharmazeutische Unternehmen, die sich mit der Herstellung und/oder dem Vertrieb von Arzneimitteln befassen.

Die Klägerin bringt unter der Bezeichnung D. 200 S ein den Wirkstoff D-Glucosaminsulfat aufweisendes Arzneimittel auf den Markt, das der Funktionsverbesserung und Schmerzlinderung bei leichter bis mittelschwerer Gonarthrose dienen soll. Die Beklagten zu 2) und zu 3) vertreiben seit dem 15.07.1997 das von der Beklagten zu 1) hergestellte, nicht verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel "PR.", dessen alleiniger Wirkstoff ebenfalls D-Glucosaminsulfat ist; die von PR. beanspruchten Anwendungsgebiete lauten - wie bei dem Präparat der Klägerin - ebenfalls "Zur Minderung von Schmerz und Verbesserung der Funktion bei leichter bis mittelschwerer Gonarthrose". Das letztgenannte Arzneimittel PR., für welches die Beklagten eine (Neu-)Zulassung nicht beantragt haben, ist aus dem fiktiv zugelassenen Alt-Arzneimittel CA. entstanden, indem die Beklagte zu 1) dessen alleinigen Wirkstoff Oxyphenbutazon gegen den Wirkstoff D-Glucosaminsulfat unter Anpassung an eine zu dem letztgenannten Wirkstoff am 05.06.1992 veröffentlichte Aufbereitungsmonografie des damaligen Bundesgesundheitsamtes (Anlage A S 2 zur Klageschrift) ausgetauscht hat. Die Anwendungsgebiete des oxyphenbutazonhaltigen Produkts CA. erstreckten sich auf "akute Schübe der Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew), akute Schübe der chronischen Polyarthritis, Gichtanfall". Mit Änderungsanzeige vom 12.08.1994 (Anlage 1 zur Klageerwiderung) zeigte die Beklagte zu 1) dem BfArM u.a. den Austausch des bisherigen Wirkstoffs Oxyphenbutazon gegen D-Glucosaminsulfat an, wobei mitgeteilt wurde, daß eine Anpassung an die zu diesem Wirkstoff vorliegende Aufbereitungsmonografie erfolge. Ebenfalls angezeigt wurden die Änderung der Bezeichnung des Alt-Arzneimittels in PR. sowie die Änderung der Anwendungsgebiete in die nunmehr aktuelle Fassung.

In der erwähnten Änderungsanzeige kündigte die Beklagte ferner an, die vollständigen Unterlagen zur Zulassungsverlängerung gemäß der zum damaligen Zeitpunkt noch gültigen Bestimmung des Art. 3 § 7 Abs. 4 AMG innerhalb einer Frist von 4 Monaten nachzureichen, was mit Schreiben vom 30.11.1994 geschah. Der Antrag auf Verlängerung der Zulassung bzw. "Nachzulassung" des Arzneimittels PR. wurde später mit Schreiben vom 04.09.1995 von der Beklagten zu 1) zurückgenommen, so daß das "Verlängerungsverfahren" vom BfArM eingestellt wurde (vgl. Anlage 16 zur Klageerwiderung).

Gegenstand der vorliegenden Auseinandersetzung zwischen den Parteien ist im wesentlichen die Frage, ob die Beklagten für ihr unter der Bezeichnung PR. in den Verkehr gebrachtes Fertigarzneimittel eine Neuzulassung benötigen.

Die Klägerin hält den Vertrieb des auf die vorbeschriebene Weise entstandenen Arzneimittels PR. durch die Beklagten nach § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs für wettbewerbswidrig, weil die Beklagten damit ein nach Maßgabe von § 29 Abs. 3 AMG der Neuzulasung bedürftiges, indessen eine solche arzneimittelrechtliche Zulassung nicht aufweisendes Produkt in den Verkehr gebracht hätten.

Sie hat gegen die Beklagten im Verfahren 31 O 991/97 bei dem Landgericht Köln unter dem Datum des 04.12.1997 zunächst eine einstweilige Verfügung erwirkt, mit welcher es diesen u.a. verboten wurde, PR. in den Verkehr zu bringen, solange für dieses Fertigarzneimittel keine Neuzulassung gemäß §§ 21 AMG oder eine Nachzulassung gemäß § 105 AMG vorliegt. Das Landgericht hat diese im Beschlussweg erlassene einstweilige Verfügung auf den Widerspruch der Beklagten hin mit Urteil vom 05.03.1998 unter gleichzeitiger Zurückweisung des ihr zugrundliegenden Antrags aufgehoben. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Klägerin hat der erkennende Senat zurückgewiesen (Urteil vom 17.08.1998 -6 U 52/98-).

Bei dem vorliegenden Rechtsstreit handelt es sich um die Hauptsache zu dem vorerwähnten einstweiligen Verfügungverfahren, in welchem die Klägerin die Beklagten weiterhin auf Unterlassung u.a. des Inverkehrbringens des Arzneimittels PR. ohne Neuzulassung oder Nachzulassung bzw. Verlängerung der fiktiven Zulassung sowie daneben auf Auskunft und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch nimmt.

Zur Begründung dieser Klagebegehren hat die Klägerin vorgetragen, daß es sich bei PR. um ein nach Maßgabe der §§ 21 ff AMG (neu-)zulassungspflichtiges Produkt handele. Die Beklagten

könnten nicht von der in bezug auf das Alt-Arzneimittel CA. bestehenden fiktiven Zulassung profitieren, weil sie dessen Wirkstoff gegen einen anderen ausgetauscht hätten, ohne daß insoweit die Voraussetzungen des § 105 Abs. 3 a Nr. 5 AMG, unter denen ausnahmsweise der Wirkstoff eines fiktiv zugelassenen Arzneimittels ausgetauscht werden dürfe, ohne für das geänderte Produkt eine Neuzulassung erwirken zu müssen, vorlägen. Denn das geänderte, den Wirkstoff D-Glucosaminsulfat aufweisende Arzneimittel PR. liege nicht mehr innerhalb des gleichen Anwendungsbereichs wie das oxyphenbutazonhaltige Alt-Arzneimittel CA..

Die Klägerin hat beantragt,

I. die Beklagten zu verurteilen,

1. es bei Androhung eines vom Gericht für jeden Fall

der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnunsgeldes

bis zu 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft,

oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu

unterlassen,

das Fertigarzneimittel PR. (Reg.-Nr.: ...)

mit dem Wirkstoff D-Glucosaminsulfat zum Verkauf

oder sonstiger Abgabe vorrätig zu halten, feil-

zuhalten, feilzubieten und/oder an andere abzu-

geben oder sonst in den Verkehr zu bringen,

solange für dieses Fertigarzneimittel keine

Zulassung des Bundesinstituts für Arzneimittel

und Medizinprodukte nach §§ 21 ff AMG oder eine

Nachzulassung (Verlängerung der fiktiven Zulassung)

des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizin-

produkte vorliegt,

2. ihr, der Klägerin, über den Umfang der unter Ziff.

1. beschriebenen Handlungen Auskunft zu erteilen,

und zwar unter Angabe

a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach

Liefermengen, -zeiten, - preisen, den angegebenen

Arzneimittelmustern, sowie den Namen und Anschrif-

ten der Abnehmer bzw. Ärzte,

b) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach

Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungs-

zeitraum und Verbreitungsgebiet,

c) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufge-

schlüsselten Gestehungskosten und des erzielten

Gewinns,

II. festzustellen, daß die Beklagten gesamtschuldnerisch

verpflichtet sind, der Klägerin, allen Schaden zu

ersetzen, der dieser durch die unter Ziff. I.1.

bezeichneten Handlungen enstanden ist oder künftig

entstehen wird.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben die Ansicht vertreten, daß ihr Arzneimittel PR. keiner Neuzulassung bedarf, sondern an der für das geänderte Vorgängerprodukt CA. bestehenden fiktiven Zulassung teilhabe. Angesichts der nahe verwandten Indikationen des Alt- und Neuprodukts lägen diese innerhalb des gleichen Anwendungsbereiches. Denn Oxyphenbutazon und D-Glucosaminsulfat wirkten gleichermaßen symptomatisch bei rheumatischen Gelenkerkrankungen, nämlich gegen Schmerzen und Entzündungen, so daß die Wirkung - wenn auch mit unterschiedlichem Ausmaß - gleichzusetzen sei. Jedenfalls aber, so haben die Beklagten unter Hinweis auf ein - wie unstreitig ist - auf eine Anfrage der Beklagten zu 1) zurückgehendes Schreiben des Ministeriums für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Saarland vom 22.12.1997 (Anlage 17 zur Klageeerwiderung) vertreten, treffe sie nicht der Vorwurf eines sittenwidrigen Verhaltens. Denn aus dem Inhalt des erwähnten Schreibens gehe hervor, daß eine Neuzulassung für das streitbefangene Arzneimittel PR. nicht erforderlich, das Produkt daher ohne eine solche Zulassung verkehrsfähig sei. Darauf hätten sie - die Beklagten - sich verlassen dürfen.

Mit Beschluss vom 25.06.1998 hat das Landgericht Beweis erhoben über die Frage, "ob das Inverkehrbringen des Arzneimittels PR. mit dem den Wirkstoff Oxyphenbutazon ersetzenden Wirkstoff D.Glucosaminsulfat gem. § 105 Abs. 3 a S. 2 Nr. 5 AMG zulässig" sei, durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (im folgenden: BfArM). Das BfArM hat daraufhin eine sachliche Überprüfung der Änderunsganzeige der Beklagten zu 1) vom 12.08.1994 vorgenommen und mit einem der Beklagten zu 1) zugestellten Bescheid vom 20.11.1998 (Bl. 149 - 152 d.A.) schließlich festgestellt, das das Inverkehrbringen des Arzneimittels PR. in Form der Änderungsanzeige vom 12.08.1994 neuzulassungspflichtig sei. Diesen Bescheid hat das BfArM dem Landgericht zur Erledigung von dessen Auskunftsersuchen übersandt (Bl. 148 d.A.).

Die Beklagte zu 1) hat gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 25.11.1998 Widerspruch eingelegt und diesen Widerspruch am 25.01.1999 begründet.

Mit Urteil vom 24.06.1999, auf dessen Einzelheiten zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagten entsprechend dem Klagebegehren aus § 1 UWG i.V. mit den §§ 21 ff AMG zur Unterlassung und - insoweit allerdings jeweils unter Aufnahme einer zeitlichen Befristung ab dem 12.11.1997 - zur Auskunft verurteilt sowie ihre Verpflichtung zum Schadensersatz festgestellt. Nach der Auskunft des BfArM, so hat das Landgericht zur Begründung dieser Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, stehe fest, daß die Beklagten sich für ihr Arzneimittel PR. nicht auf die Vorschrift des § 105 Abs. 3a Nr. 5 AMG berufen könnten, so daß dieses gemäß der Bestimmung des § 29 Abs. 3 AMG der Neuzulassungspflicht unterliege. Die erwähnte Auskunft des BfArM sei auch ohne weiteres verwertbar, weil es sich dabei um die Stellungnahme der zuständigen Behörde handele. Es bestehe auch kein Anlaß für die beklagtenseits mit Blick auf den gegen den Bescheid des BfArM vom 20.11.1998 eingelegten Widerspruch hilfsweise beantragte Aussetzung des Rechtsstreits nach Maßgabe von § 148 ZPO, bis über diesen Widerspruch bzw. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Bescheides des BfArM vom 20.11.1998 entschieden worden sei. Denn angesichts der zu erwartenden Dauer dieser Verfahren sei davon auszugehen, daß eine Entscheidung über die formelle und inhaltliche Rechtmäßigekeit des erwähnten Bescheides ohnehin nicht vor dem 31.12.2004 erwartet werden könne. Da die Beklagten in Anbetracht der unter § 105 Abs. 5 c AMG getroffenen Regelung ab diesem Zeitpunk aber ohnehin PR. nicht mehr in den Verkehr bringen dürften, werde eine materielle Überprüfung des Bescheides des BfArM aller Voraussicht nach nicht stattfinden und eine Entscheidung über die "vorgreifliche Frage" nicht ergehen.

Gegen dieses ihnen am 06.07.1999 zugestellte Urteil haben die Beklagten, eingehend am 06.08.1999, Berufung eingelegt, die sie - nach entsprechend gewährter Fristverlängerung - mittels eines am 02.11.1999 fristwahrend eingegangenen Schriftsatzes begründet haben.

Die Beklagten wiederholen und vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag und halten dabei namentlich an dem bereits in erster Instanz vertretenen Standpunkt fest, daß sie bis zu dem in § 105 Abs. 5 c AMG genannten Zeitpunkt (31.12.2004) für ihr Fertigarzneimitel PR. die für das Alt-Arzneimittel CA. bestehende fiktive Zulassung in Anspruch nehmen dürfen. Trotz des Austausches des arzneilichen Wirkstoffs Oxyphenbutazon gegen D-Glucosaminsulfat sei eine Neuzulassung des Arzneimittels PR. nicht erforderlich. Dem stehe die Vorschrift des § 29 Abs. 3 Nr. 1 AMG nicht entgegen, weil der Wirkstoffaustausch unter Wahrung der Voraussetzungen des bis zum 16.08.1994 gültigen Art. 3 § 7 Abs. 3 a Satz 2 Nr. 5 AMNG bzw. des seither gültigen, dieser früheren Regelung (mit einer hier nicht einschlägigen Ausnahme) inhaltsgleichen Regelung des § 105 Abs. 3 a Nr. 5 AMG vorgenommen worden sei. Dies gelte insbesondere mit Blick auf das der genannten Bestimmung zu entnehmende Erfordernis, daß durch die Änderung der Art des arzneilich wirksamen Bestandteils der bisherige Anwendungsbereich nicht verlassen werden dürfe. Denn unter Heranziehung der in Abschnitt A. 3. lit. aa)- cc) der zur Bestimmung des Art. 3 § 7 AMNG erlassenen 6. Bekanntmachung des BGA vom 23.10.1990 enthaltenen Definitionen weise das Arzneimittel PR. den gleichen Anwendungsbereich wie das Alt-Arzneimittel CA. auf. Auch wenn aber PR. nicht innerhalb des gleichen Anwendungsbereichs wie CA. liege und daher einer Neuzulassung bedürfe, stelle sich das Inverkehrbringen des Arzneimittels nicht als wettbewerblich unlauter dar. Denn angesichts des bereits erwähnten Schreibens des saarländischen Ministeriums für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 22.12.1997 hätten sie - die Beklagten - auf die Rechtmäßigkeit des Inverkehrbringens von PR. auch ohne Neuzulassung vertrauen dürfen.

Die Beklagten beantragen,

1. das Urteil der 31.Zivilkammer des Landgerichts

Köln vom 24.06.1999 (31 O 122/98) abzuändern und

die Klage abzuweisen;

2. hilfsweise:

den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zur bestands-

oder rechtskräftigen Entscheidung über die Recht.

mäßigkeit des Feststellungsbescheides des Bundes-

instituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom

20./30. November 1998 betreffend das Arzneimittel

PR.(BfArM-Geschäftsnummer: Z14.08-7146-01 23097)

auszusetzen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält demgegenüber an ihrer ebenfalls bereits in erster Instanz vertretenen Auffassung fest, daß PR. nicht innerhalb des gleichen Anwendungsgebietes wie CA. liegt, was namentlich deshalb gelten müsse, weil der Wirkstoff Glucosaminsulfat - anders als das zur Gruppe der nichtsteroidalen Antirheumatika zählende, hochwirksame und das Risko schwerwiegender Nebenwirkungen mit sich bringende Oxyphenbutazon - nicht zur Therapie akuter Schübe primar entzündlicher Erkrankungen wie chronischer Polyarthritis und Morbus Bechterew sowie ferner von Gichtanfällen geeignet sei. Eine antophlogistische bzw. entzündungslindernde Wirkung des Wirkstoffes Glucosaminsulfat - so macht die ihren erstinstanzlichen Vortrag im übrigen wiederholende und vertiefende Klägerin weiterhin geltend - sei beim Menschen nicht nachgewiesen. Hinzu komme, daß Glucosaminsulfat erst bei längerfristiger Einnahme Wirkungen zeige, so daß es schon aus diesem Grund nicht zum Einsatz akuter Schübe der vorbezeichneten Erkrankungen, deren Behandlung eine sofortige Entfaltung der analgetischen Wirkung erfordere, geeignet sei. Auf die Stellungnahme des Gesundheitsministeriums Saarland hätten die Beklagten dabei schon deshalb nicht vertrauen dürfen, weil dieses für die hier interessierende Frage der Wirksamkeit der Änderungsanzeige nicht zuständig sei, und im übrigen den Sachverhalt auch nicht umfassend überprüft habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf die in beiden Instanzen zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze einschließlich der dazu überreichten Anlagen Bezug genommen.

Die Akte 31 O 991/97 des Landgerichts Köln (= 6 U 52/98 Oberlandesgericht Köln) lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die in formeller Hinsicht einwandfreie und insgesamt zulässige Berufung hat in der Sache zum weitaus überwiegenden Teil keinen Erfolg.

Das Rechtsmittel der Beklagten führt lediglich - wie aus der Urteilsformel ersichtlich - zu einer gegenüber dem Tenor des angefochtenen Urteils weitergehenden zeitlichen Beschränkung der auf Auskunft und Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichteten Klagebegehren. Im übrigen sind indessen das Unterlassungspetitum und das Auskunftsverlangen der Klägerin ebenso begründet, wie das auf die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gerichtete Klagebegehren. Der Klägerin stehen diese Ansprüche aus § 1 UWG i.V. mit § 242 BGB zu, weil sich das Inverkehrbringen des streitbefangenen Fertigarzneimittels PR. als ein nach den Maßstäben der erwähnten Wettbewerbsnorm unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs wettbewerblich unlauteres Verhalten darstellt.

Die Beklagten bringen mit dem Produkt PR. ein Fertigarzneimittel in den Verkehr, welches nach § 29 Abs. 3 Nr. 1 AMG der arzneimittelrechtlichen (Neu-)Zulassung bedarf, die indessen unstreitig nicht erteilt ist. Der Verstoß gegen diese arzneimittelrechtlichen Zulassungsvorschriften begründet dabei im Streitfall den Vorwurf eines wettbewerblich unlauteren Verhaltens i.S. des § 1 UWG mit der Folge, daß die Beklagten das Inverkehrbringen des Produkts zu unterlassen haben sowie darüber hinaus der Klägerin zum Schadensersatz sowie zur Erteilung einer diesen Schadensersatzanspruche Auskunft vorbereitenden Auskunft verpflichtet sind.

Die auf den vorbezeichneten Aspekt des "Rechtsbruchs" gestützen Anspüche der Klägerin gemäß § 1 UWG setzen im Streitfall voraus, daß die Beklagten das Arzneimittel PR. unter Verstoß gegen die §§ 21 ff, 29 Abs. 3 AMG i.V. mit § 105 Abs. 3 a Satz 2 Nr. 5 AMG ohne die erforderliche Zulassung in den Verkehr gebracht haben. Da das den Wirkstoff D-Glucosaminsulfat enthaltende Monopräparat PR. durch Austausch der in dem fiktiv zugelassenen Alt-Arzneimittel CA. enthaltenen einzigen arzneilichen Wirksubstanz Oxyphenbutazon unter Anpassung an die vom damaligen Bundesgesundheitsamt am 05.06.1992 veröffentlichte Aufbereitungsmonographie "D-Glucosamin" entstanden ist, können die Beklagten für ihr solcherart aus dem Alt-Arzneimittel CA. hervorgegangenes Präparat nur dann wiederum die fiktive Zulassung dieses Vorgängerprodukts in Anspruch nehmen, wenn die Voraussetzungen des Art. 3 § 7 Abs. 3 a Satz 2 Nr. 5 AMNG bzw. der diesem entsprechenden Bestimmung des § 105 Abs. 3 a Satz 2 Nr. 5 a AMG i.d.F. des 5. ÄnderungsG vom 19.10.1994 (BGBl. I, 3018 ff) gewahrt sind. Danach darf ein Fertigarzneimittel abweichend von dem in § 29 Abs. 3 AMG bei Änderung der Art oder der Menge der arzneilich wirksamen Bestandteile an sich vorgesehenen Neuzulassungserfordernis ausnahmsweise u.a. dann mit einem der Art nach geänderten arzneilich wirksamen Bestandteil innerhalb des gleichen Anwendungsbereichs und der gleichen Therapierichtung ohne Neuzulassung oder Nachzulassung in den Verkehr gebracht werden, wenn das Arzneimittel insgesamt einer nach Maßgabe von § 25 Abs. 7 Satz 1 AMG erstellten und bekanntgemachten sog. Aufbereitungsmonografie angepaßt und durch die Anpassung nicht verschreibungspflichtig wird. Diesen Anforderungen, nach denen ausnahmsweise vom Erfordernis einer Zulassung abgesehen werden kann, hält das streitgegenständliche Fertigarzneimittel PR. der Beklagten nicht stand.

Dabei kann es dahinstehen, ob die Beklagten sich schon deshalb nicht auf die fiktive Zulasssung des Vorgängerprodukts PR. berufen dürfen, weil - nachdem die Beklagte zu 1) den Nachzulassungsantrag (§ 105 Abs. 3 AMG) zurückgenommen hat - schon aus diesem Grund Änderungen des gemäß § 105 Abs. 5 c AMG noch bis zum 31.12.2004 verkehrsfähigen Alt-Arzneimittels ausscheiden, dieses daher bis zu dem genannten Datum nur noch mit einem der Art und Menge nach unveränderten Wirkstoff in den Verkehr gebracht werden darf (verneinend: Sander, Arzneimittelrecht, Anm. 10 b zu § 105 und Anm. 19 zu § 105; Etmer/Bolck, Arzneimittelgesetz, Anm. zu § 105 c AMG). Das bedarf hier deshalb nicht der Entscheidung, weil jedenfalls die sachlichen Voraussetzungen des § 105 Abs. 3 a Satz 2 Nr. 5 AMG, unter denen ein unter Änderung des arzneilichen Wirkstoffs aus einem fiktiv zugelassenen Vorgängerprodukt entstandenes Arzneimittel von der Neuzulassungspflicht befreit ist, nicht vorliegen.

Daß das unstreitig nicht der Verschreibungspflicht unterworfene Arzneimittel PR. unter Einhaltung der formalen Voraussetzungen an die oben erwähnte Aufbereitungsmonografie "D-Glucosamin" angepaßt wurde, steht außer Streit. Auch trifft es weiter zu, daß das Arzneimittel PR. der Beklagten im Hinblick auf die in der Aufbereitungsmonografie "D-Glucosamin" engegebenen Anwendungsgebiet deren Vorgaben enstpricht und daß das geänderte Arzneimittel in der "gleichen Therapierichtung" i.S. der Definition der zu Art. 3 § 7 AMNG ergangenen 6. Bekanntmachung des Bundesgesundheitsamtes vom 23.10.1990 (abgedruckt in Klösel/Cyran, Arzneimittelrecht, A.2.70) liegt wie sein Vorgängerprodukt CA.. Streitig ist allein die Frage, ob das geänderte Arzneimittel PR. sich innerhalb des gleichen Anwendungsbereichs wie sein fiktiv zugelassenes Vorgängerprodukt bewegt. Daß letzteres nicht der Fall ist, und PR. daher nicht die fiktive Zulassung des Alt-Arzneimittels CA. für sich beanspruchen kann, sondern der eigenen, jedoch unzweifelhaft nicht vorliegenden Neuzulassung bedarf, hat die für die Voraussetzungen des geltend gemachten Wettbewerbsverstoßes darlegungs- und beweispflichtige Klägerin zu beweisen vermocht.

Die Prüfung der Frage, ob sich das geänderte Arzneimittel innerhalb des "gleichen Anwendungsbereichs" bewegt, ist dabei allein anhand des Vergleichs des streitbefangenen Arzneimittels PR. mit seinem fiktiv zugelassenen Vorgängerprodukt CA. vorzunehmen. Soweit letzteres seinerseits wiederum aus der Änderung und Anpassung verschiedener Vorgängerprodukte, darunter das im Jahre 1976 registrierte Arzneimittel "Imbun" entstanden ist, das als Anwendungsgebiet u.a. "entzündlicher und degenerativer Rheumatismus wie primär chronische Polyarthritis, Arthrosen, Spondylosen, Myalgien..." aufwies, ist das ohne Bedeutung. Denn gegenüberzustellen und im Hinblick auf die Anwendungsbereiche zu beurteilen sind das Arzneimittel im Zeit-

punkt der Vornahme der Änderung, hier konkret der Änderungsanzeige vom 12.08.1994, sowie das sodann hieraus hervorgegangene Arzneimittel. Im Streitfall bedeutet dies, daß der Anwendungsbereich des für die Anwendungsgebiete "akute Schübe von Spondylitis ankylosans (Morbus Becheterew), akute Schübe der chronischen Polyarthritis, Gichtanfall" indizierten, die arzneiliche Wirksubstanz Oxyphenbutazon aufweisenden Arzneimittels CA. zu vergleichen ist mit dem Anwendungsbereich des die Anwendungsgebiete "zur Minderung von Schmerz und Verbessserung der Funktion bei leichter bis mittelschwwerer Kniegelenksarthrose" angebenden glucosaminsulfathaltigen Monopräparats PR.. Die Anwendungsgebiete dieser beiden Arzneimittel liegen indessen nicht im "gleichen Anwendungsbereich" i.S. von § 105 Abs. 3 a Satz 2 Nr. 5 AMG/Art. 3 § 7 Abs. 3 a S. 2 Nr. 5 AMG.

Der in der erwähnten gesetzlichen Bestimmung gebrauchte Begriff "Anwendungsbereich" deckt sich zwar nicht mit den Begriffen "Anwendungsgebiet" oder "Indikation". Er ist vielmehr weiter gefasst und soll nicht nur ein einzelnes konkret formuliertes Anwendungsgebiet, sondern auch eng benachbarte und verwandte Anwendungsgebiete mitumfassen. Als "Anwendungsbereich" kann daher auch ein mehrere Indikationen umfassendes übergeordnetes Krankheitsbild verstanden werden (Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Anm. 26 und 33 zu § 105 AMG). Folgerichtig heißt es daher unter Abschnitt A. 3. aa) der 6. Bekanntmachung des damaligen Bundesgesundheitsamtes vom 23.10.1990, daß bei der Beurteilung, ob eine Änderung nach Art. 3 § 7 Abs. 3 a Nr. 5 AMG im bisherigen Anwendungsbereich des Arzneimittels erfolgt, darauf abzustellen ist, ob die gewählten Indikationsangaben mit den bisherigen Indikationen nahe verwandt sind und ob das Arzneimittel weiterhin im wesentlichen der Behandlung der gleichen Grunderkrankung dient. Das streitbefangene Arzneimittel PR. liegt indessen auch nach diesen Vorgaben nicht im gleichen An-

wendungsbereich wie sein fiktiv zugelassenes Vorgängerprodukt CA..

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat dabei zunächst gemäß § 543 Abs. 1 ZPO Bezug auf die überzeugenden Ausführungen des Landgerichts in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils (dort S. 10 bis 13), in denen das Landgericht unter Würdigung der eingeholten Auskunft des BfArM bzw. dessen in Erfüllung des Auskunftsersuchens übersandten Bescheid vom 20.11.1998 ausführlich dargestellt hat, daß und warum die arzneilichen Wirkstoffe D-Glucosaminsulfat einerseits sowie andererseits Oxyphenbutazon aufgrund ihrer verschiedenen spezifischen pharmakologischen Eigenschaften sowie des dadurch bedingten unterschiedlichen therapeutischen Einsatzes nicht als innerhalb des gleichen Anwendungsbereiches liegend eingeordnet werden können. Ergänzend zu dieser Würdigung des Landgerichts, die der Senat sowohl vom Ergebnis her, als auch in der Begründung teilt und sich ausdrücklich zu eigen macht, ist lediglich hervorzuheben, daß vor allem auch die nach der erwähnten Auskunft des BfArM festzustellende unterschiedliche Wirkungsweise

der erwähnten Arzneistoffe der Einordnung der zu vergleichenden Arzneimittel als innerhalb desselben Anwendungsbereichs liegend entgegensteht. Denn selbst wenn - was die Beklagte unter Bezugnahme auf die von ihr eingeholten Parteigutachten der Prof.´es Dr.´es W., Sch. und P. behauptet, und was auch nach den u.a. in der Informationsbroschüre "emotions" der Klägerin (Anlage A S 17 zur Klageerwiderung, dort S. 7, 8, 9, 10 und 15) enthaltenen Werbeaussagen zumindest suggeriert wird - dem Wirkstoff D-Glucosaminsulfat ebenso wie dem zur Gruppe der nichtsteroidalen Antiphlogistika/Antirheumatika zählenden Wirkstoff Oxyphenbutazon eine antientzündliche und analgetische Wirkung anhaftet und weiter unterstellt wird, daß diese Wirkung überdies beim Menschen auch pharmakolgisch nachweisbar ist, so steht doch im übrigen fest, daß die genannte Wirkung erst erheblich verzögert, nämlich nach einer Behandlungsdauer von ca. 2 bis 4 Wochen zu verzeichnen ist. Aus diesem Grund erscheint D-Glucosaminsulfat als Mittel der Behandlung akuter Entzündungs- und Schmerzustände ungeeignet. Demgegenüber tritt ein antiphlogistscher und analgetischer Effekt bei Oxyphenbutazon bereits nach Stunden, Tagen oder innerhalb der ersten Woche der Behandlungsaufnahme, mithin innerhalb eines erheblich kürzeren Zeitraums ein, der es geeignet macht, bei akut aufflammenden Entzündungs- und Schmerzzuständen eine Linderung herbeizuführen. Vor diesem Hintergrund der erheblich unterschiedlich einsetzenden Wirkung sowie des dadurch bedingten verschiedenen therapeutischen Einsatzes der jeweiligen arzneilichen Wirkstoffe kann aber das den Wirkstoff D-Glucosaminsulfat aufweisende Präparat PR. nicht als innerhalb des gleichen Anwendungsbereichs liegend wie sein oxyphenbutazonhaltiges Vorgängerprodukt CA. eingeordnet werden, mit der Folge, daß die Beklagten für das geänderte Produkt PR. die fiktive Zulassung des geänderten Vorgängerproduktes nach Maßgabe von § 105 Abs. 3a S. 2 Nr. 5 AMG nicht in Anspruch nehmen können.

Eine abweichende Wertung ist dabei auch nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil die amtliche Auskunft des BfArM im Rahmen der Beweiswürdigung nicht oder jedenfalls nur eingeschränkt verwertet werden dürfte. Soweit die Beklagten in diesem Zusammenhang die sachliche Zuständigkeit des BfArM für die Erteilung des Bescheides vom 20.11.1999 in Abrede stellen, steht das der uneingeschränkten Verwertung und inhaltlichen Überzeugungskraft der amtlichen Auskunft schon deshalb nicht entgegen, weil diese Auskunft vom BfArM als der für die Entscheidung über Neu- und Nachzulassungsanträge zuständigen Behörde angefordert wurde, die im hier betroffenen, von der in Frage stehenden Regelung des § 105 Abs. 3 a Satz 2 Nr. 5 AMG erfassten Bereich unzweifelhaft die erforderliche und - im Rahmen von Neu- und Nachzulassungsverfahren die entscheidende - Sachkunde aufweist. Dies indiziert nicht zuletzt des Umstand, daß die zur Anwendung und Auslegung des § 105 Abs. 3 a Satz 2 Nr. 5 AMG bzw. der inhaltsgleichen Regelung des Art. 3 § 7 Abs. 3 a Nr. 5 AMG ergangene 6. Bekanntmachung vom 23.10.1990 von der Vorgängerbehörde (Bundesgesundheitsamt) stammt.

Können sich die Beklagten nach alledem für ihr Fertigarzneimittel PR. nicht auf die fiktive Zulassung des Alt-Arzneimittels CA. berufen, und bedarf dieses daher der "eigenen" (Neu-)Zulassung nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 21 ff AMG, so verstoßen die Beklagten - indem sie das Präparat ohne die erforderliche Zulassung in den Verkehr bringen - gegen die genannten arzneimittelrechtlichen Bestimmungen. Dieser Normverstoß begründet dabei zugleich den Vorwurf eines nach den Maßstäben des § 1 UWG wettbewerbswidrigen Verhaltens.

Ein Verstoß gegen Vorschriften, die - wie diejenigen des Arzneimittelgesetzes - dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung dienen, ist regelmäßig als ein Verstoß gegen § 1 UWG zu werten. Denn die Verletzung derartiger wertbezogener Normen indiziert - wenn sie zu Wettbewerbszwecken erfolgt - grundsätzlich per se

die wettbewerbliche Unlauterkeit, ohne daß es der Feststellung weiterer Unlauterkeitsumstände bedarf (vgl. BGH WRP 2000, 170/171 f -"Giftnotruf-Box"-; BGH WRP 1999, 643/646 f - "Hormonpräparate"- m.w.N.). Zwar können auch bei einem Verstoß gegen wertbezogene Normen besondere Umstände vorliegen, die Anlaß geben, in die Prüfung des Gesamtverhaltens des Wettbewerbers nach seinem konkreten Anlaß, seinem Zweck, seinen Begleitumständen und Auswirkungen einzutreten, und die bei Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 1 UWG eine sittenwidrige Beeinträchtigung der Lauterkeit des Wettbewerbs verneinen lassen (vgl. BGH a.a.O.). Diese Fälle sind jedoch - wie die den genanten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zugrundeliegenden Sachverhalte belegen - auf Ausnahmen beschränkt. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier indessen auf Seiten der Beklagten nicht vor. Das von den Beklagten in diesem Zusammenhang erwähnte Schreiben des saarländischen Ministeriums für Gesundheit vom 22.12.1997 ist schon deshalb nicht geeignet, den für den Unterlassungsanspruch vorauszusetzenden, aus der Verletzung der arzneimittelrechtlichen Vorschriften herzuleitenden wettbewerblichen Unlauterkeitsvorwurf i.S. von § 1 UWG zu entkräften, weil die Beklagten in einem darauf begründeten Vertrauen, daß ihr Verhalten mit der Praxis der Arzneimittelüberwachungebehörde in Einklang stehe und von dort aus für rechtmäßig befunden werde, jedenfalls mit Zugang des Bescheides des BfArM vom 20.11.1998 verunsichert sein und damit rechnen mußten, daß der Vertrieb des Arzneimittels PR. mit den gegenüber dem Vorgängerprodukt geänderten Wirkstoff und Anwendungsgebieten ohne Neuzulassung nicht einer gefestigten Verwaltungsaxis enspreche. Für den in die Zukunft gerichteten Unterlassunsganspruch können sich die Beklagten auf eine unter dem Aspekt des Vertrauens auf eine mit der Praxis der zuständigen Behörden übereistimmende Vorgehensweise zu verneinende Wettbewerbswidrigkeit ihres Verhaltens daher nicht berufen.

Für die neben diesem Unterlassungpetitum geltend gemachten Klagebegehren auf Auskunft und Festellung der Schadensersatzpflicht gilt dabei allerdings Abweichendes. Daß der Klägerin überhaupt aus der in Rede stehenden Verletzungshandlung ein Schaden entstehen kann, zu dessen Bezifferung sie der begehrten Auskunft bedarf, hat bereits das Landgericht, dessen Ausführungen der erkennende Senat gemäß § 543 Abs. 1 ZPO in Bezug nimmt, in dem angefochtenen Urteil zutreffend erkannt. Die Beklagten trifft der für einen Schadensersatzanspruch sowie den diesen vorbereitenden Auskunftsanspruch vorauszusetzende Verschuldensvorwurf indessen erst ab dem Zugang des Bescheides des BfArM vom 20.11.1998, aus dem das Erfordernis einer Zulassung des Fertigarzneimittels PR. hervorgeht. Bis zu diesem Zeitpunkt durften die Beklagten angesichts des Schreibens des saarländischen Gesundheitsministeriums vom 22.12.1997 auf die Verkehrsfähigkeit ihres Arzneimittels auch ohne eine derartige Zulassung bzw. darauf vertrauen, daß sie nach der Bestimmung des § 105 Abs. 3 a Satz 2 Nr. 5 AMG die fiktive Zulassung des geänderten Alt-Arzneimittels CA. in Anspruch nehmen könnten, so daß ein Verschulden ausscheidet. Bei dem saarländischen Ministerium u.a. für Gesundheit handelte es sich dabei auch um die zuständige Überwachungsbehörde, die über die Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels zu entscheiden und - nach entsprechender Unterrichtung und Mitteilung an das BfArM (vgl. § 68 AMG) - Maßnahmen nach § 69 Abs. 1 AMG zu treffen hat (vgl. Kloesel/Cyran, a.a.O, Anm. 53 zu § 105 AMG). Soweit die Klägerin demgegenüber einwendet, das erwähnte Schreiben des Landesministeriums beruhe auf der Grundlage eines unvollständigen Sachverhalts und lasse weiter auch eine in inhaltlicher Hinsicht nur unzureichende Prüfung erkennen, rechtfertigt das keine abweichende Würdigung. Zum einen gilt das deshalb, weil, wie das auch aus dem weiteren Schreiben des Ministeriums vom 15.07.1998 (Bl. 165 d.A.) hervorgeht, der Inhalt der Änderungsanzeige sowie die daraus ersichtlichen Anwendungsgebiete von CA. und PR. bekannt waren. Zum anderen aber durften sich die Beklagten darauf verlassen, daß die zuständige Behörde die erforderlichen Prüfung ordnungsgemäß, sachkundig und erschöpfend durchführt. Anhaltspunkte dafür, die aus der Sicht der Beklagten Mißtrauen in eine den Amtspflichten entsprechende Prüfung hätten wecken müssen, lassen sich weder dem Vortrag der Klägerin noch dem Sachverhalt im übrigen entnehmen. Vor diesem Hintergrund konnte erstmals mit Zugang des Bescheides des BfArM vom 20.11.1998 auf Seiten der Beklagten eine Unsicherheit in bezug auf die Rechtslage entstehen und lag daher, wenn sie in dieser Situation den Vertrieb des Arzneimittels PR. ohne Zulassung fortsetzen, Verschulden in Form zumindest der Fahrlässigkeit vor. Da die Beklagte zu 1), deren Geschäftsführer gleichermaßen die Beklagten zu 2) ud zu 3) vertritt, unter dem Datum des 25.11.1998 Widerspruch gegen den Bescheid des BfArM eingelegt hat, ist davon auszugehen, daß die Beklagten jedenfalls zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von dessen Inhalt hatten, so daß die verschuldensabhängigen Ansprüche auf Auskunft und Feststellung der Schadensersatzpflicht entsprechend zeitlich zu beschränken sind.

Aus den vom Landgericht dargestellten Gründen, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen ebenfalls Bezug nimmt und die er sich vollinhaltlich zu eigen macht, besteht schließlich kein Anlaß für die beklagtenseits im Rahmen des Hilfsbegehrens beantragte Aussetzung des Verfahrens bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung über den von der Beklagten zu 1) gegen den Bescheid des BfArM eingelegten Widerspruch.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10. 711 ZPO.

Die gemäß § 564 Abs. 2 ZPO festzusetzende Beschwer orientiert sich am Wert des jeweiligen Unterliegens der Parteien im vorliegenden Rechtsstreit.






OLG Köln:
Urteil v. 16.06.2000
Az: 6 U 127/99


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/88ef65a47a3d/OLG-Koeln_Urteil_vom_16-Juni-2000_Az_6-U-127-99




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