Bundespatentgericht:
Beschluss vom 23. Februar 2010
Aktenzeichen: 21 W (pat) 18/07
(BPatG: Beschluss v. 23.02.2010, Az.: 21 W (pat) 18/07)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
BPatG 154
Gründe
I.
Der Anmelder hat am 19. April 2005 ein Patent mit der Bezeichnung "Auf Flachstrickmaschinen hergestellter medizinischer Kompressionsartikel (Fußkappe, Arm-, Beinstrumpf, Hose, Hand-, Fingerhandschuh und Kompressionsbandagen) für die physikalische Therapie an Patienten" beim Deutschen Patentund Markenamt angemeldet. Die Offenlegung erfolgte am 26. Oktober 2006.
Im Prüfungsverfahren ist die Druckschrift D1 DE 197 43 074 A1 in Betracht gezogen worden.
Die Prüfungsstelle für Klasse A 61 F des Deutschen Patentund Markenamts hat die Anmeldung mit Beschluss vom 9. Februar 2007 aus den Gründen des Bescheides vom 9. November 2005 gemäß § 48 des Patentgesetzes zurückgewiesen, nachdem eine zuvor gewährte Frist bis zum 31. Dezember 2006 zur Äußerung auf den o. g. Bescheid verstrichen war. In dem in Bezug genommenen Bescheid hat die Prüfungsstelle ausgeführt, dass der Gegenstand des ursprünglichen einzigen Patentanspruchs gegenüber der Druckschrift D1 weder neu noch erfinderisch sei. Außerdem sei dieser Patentanspruch formal unzulässig, da unklar sei, welche Patentkategorie beansprucht werde, denn der Anspruch enthalte als Sachanspruch Verfahrensmerkmale.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Anmelders, der sein Patentbegehren auf der Grundlage des ursprünglichen einzigen Patentanspruchs weiterverfolgt.
Dieser mit Gliederungspunkten versehene, ansonsten wörtlich wiedergegebene einzige Patentanspruch lautet:
M1 Auf Flachstrickmaschinen hergestellter medizinischer Kompressionsartikel (Fußkappe, Beinstrumpf, Hose, Armstrumpf, Handschuh, Fingerhandschuh und Kompressionsbandagen) für die physikalische Therapie an Patientendadurch gekennzeichnet, M2 dass der Kompressionsartikel mit komplexen sequenziell hergestellten Strukturen in nahtloser Ausführung hergestellt wird.
Der Anmelder, der wie telefonisch angekündigt, zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, beantragt sinngemäß, den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A 61 F des Deutschen Patentund Markenamts vom 2. Februar 2007 aufzuheben und das Patent mit den ursprünglich eingereichten Unterlagen zu erteilen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist aber nicht begründet, denn der Gegenstand des einzigen Patentanspruchs ist nicht mehr neu gegenüber der Druckschrift D1.
1. Die Patentanmeldung betrifft einen medizinischen Kompressionsartikel, der auf Flachstrickmaschinen hergestellt ist. Derartige Strickwaren, die eine definierte maschenzahlabhängige Kompression besitzen, sind zur Therapie von Venen-, Lymphund anderen Leiden an den menschlichen Extremitäten geeignet (vgl. Offenlegungsschrift, Absatz [0001]).
Gemäß der Beschreibungseinleitung der Patentanmeldung ist die übliche Fertigungsweise solcher Strickwaren das Stricken von planen Gestricken auf Flachstrickmaschinen, die mit Hilfe einer Nähmaschine zu einem Schlauch zusammengenäht werden. Hierdurch entsteht technisch bedingt eine nicht vermeidbare Naht. Das Problem dabei ist, dass die technisch bedingte Naht beim Patienten Druck und Reibung auslöst. Die dadurch erzeugten Unannehmlichkeiten und Schmerzen führen in Zusammenhang mit dem bereits schmerzhaften Krankheitsbild zu einer zusätzlichen Minderung der Lebensqualität des Patienten (vgl. a. a. O., Absatz [0002]).
2.
Der Patentanmeldung liegt daher sinngemäß die Aufgabe zugrunde, bei medizinischen Kompressionsartikeln die vorgenannten technisch bedingten Nähte und die damit einhergehenden Probleme für die Patienten beim Tragen dieser Artikel zu vermeiden.
3.
Dem Gegenstand des einzigen Patentanspruchs fehlt die erforderliche Neuheit, da alle Merkmale des Kompressionsartikels nach dem Patentanspruch aus der Druckschrift D1 bekannt sind.
Aus dieser Druckschrift (vgl. die Figur 1 und die Ansprüche 1, 3 und 9, sowie die Beschreibung, Spalte 1, Zeilen 3 bis 20) ist ein auf einer Flachstrickmaschine hergestellter medizinischer Kompressionsartikel ("Kompressionsstrumpf") für die physikalische Therapie an Patienten ("medizinisches oder orthopädisches Hilfsmittel") bekannt [= Merkmal M1]. Der bekannte Kompressionsartikel ("Kompressionsstrumpf") ist mit sequenziell hergestellten Strukturen in nahtloser Ausführung hergestellt (vgl. Anspruch 1: "Gestrick mit mehreren, im fortlaufenden Strickprozeß ineinander übergehenden räumlichen Strukturen, das ... nahtlos auf einer ... hergestellt ist"). Auch komplexe Strukturen können so hergestellt werden (vgl. Beschreibung, Spalte 1, Zeilen 27 bis 29: "... lassen sich nahezu alle vorstellbaren räumlichen Gebilde erzeugen ...") [= Merkmal M2].
Damit ist der Gegenstand des einzigen Patentanspruchs mit allen seinen Merkmalen aus der Druckschrift D1 bekannt.
Der Anmelder vertritt in seinem Beschwerdeschriftsatz (vgl. Absatz: "Grund der Beschwerde") die Auffassung, dass die in der Offenlegung der Patentanmeldung der Firma S... [D1] beschriebene Stricktechnik, bereits zum Anmeldezeitpunkt der betreffenden Patentanmeldung zum Stand der Technik gezählt hätte, da der Firma S1... in R... bereits 1938 ein Patent (DE 659 509 C) für die Herstellung nahtloser Artikel (Handschuhe) gewährt worden wäre. Dadurch würde das Patent der Firma S..., mit dem die Herstellung von Produkten für die Orthopädie möglich wäre, automatisch erlöschen. Die Firma S... verfüge somit über kein Patent für die Herstellung von Schlauchgestricken auf Flachstrickmaschinen, da Stand der Technik damals bereits vorhanden gewesen wäre. Die Firma S... verfüge auch über keinen Patentanspruch für Kompressionsstrümpfe, Hosen, Armstrümpfe und Fingerhandschuhe für die Orthopädie, da sie kein Hersteller von Orthopädie-Kompressionsartikeln sei.
Es ist zutreffend, dass das Patent der Firma S1... durch die Veröffentlichung der Patentschrift (DE 659 509 C) zum Stand der Technik im Sinne von § 3 PatG zählt, der bei der Prüfung nachfolgender Patentanmeldungen -und somit auch der in der Offenlegungsschrift DE 197 43 074 A1 [D1] beschriebenen Patentanmeldung -auf Patentfähigkeit (Neuheit und Beruhen auf einer erfinderischen Tätigkeit) zu berücksichtigen wäre. Bei der Offenlegungsschrift DE 19743074 A1 [D1] handelt es sich auch nicht um ein erteiltes Patent, sondern um die Offenlegung einer Patentanmeldung. Unabhängig von der Patentfähigkeit des Gegenstands der in dieser Offenlegungsschrift beschriebenen Patentanmeldung, ist diese veröffentlichte Druckschrift gegenüber nachfolgenden (nach dem Offenlegungstag angemeldeten) Patentanmeldungen ebenfalls dem Stand der Technik im Sinne des Patentgesetzes zuzurechnen, da dieser nach § 3 Abs. 1 Satz 2 PatG u. a. alle Kenntnisse umfasst, die vor dem für den Zeitrang einer Patentanmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche Beschreibung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Da die Offenlegungsschrift DE 19743074 A1 [D1] vor dem Anmeldetag (19. April 2005) der vorliegenden Patentanmeldung veröffentlicht wurde (Offenlegungstag: 1. April 1999) ist sie daher als Stand der Technik im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 PatG bei der Prüfung der vorliegenden Patentanmeldung auf Patentfähigkeit zu berücksichtigen. Da wie vorstehend zum einzigen Patentanspruch der Patentanmeldung ausgeführt, der Gegenstand dieses Patentanspruchs (auf Flachstrickmaschinen hergestellter medizinischer Kompressionsartikel ...) mit allen seinen Merkmalen aus der vorveröffentlichten Offenlegungsschrift DE 197 43 074 A1 [D1] bekannt ist, kann nach § 1 Abs. 1 PatG mangels Neuheit auf die vorliegende Patentanmeldung kein Patent mehr erteilt werden.
Des Weiteren macht der Anmelder in seinem Beschwerdeschriftsatz (vgl. Absatz: "Unser Patent") geltend, dass es nicht beabsichtigt sei, die Stricktechnik für die Herstellung der Flachstrickartikel zu patentieren, sondern die medizinische Wirksamkeit der mit einem bestimmten Herstellungsverfahren gefertigten Kompressionsartikel für die Orthopädie. Die Patentanmeldung ziele daher allein auf die medizinische Wirksamkeit, auf die verbesserten Trageeigenschaften und die Verbesserung der Compliance (Befolgen der ärztlichen Ratschläge) der Patienten. Dieser Einwand greift nicht durch, da auf die medizinische Wirksamkeit der nahtlos gestrickten Kompressionsartikel bei ihrer Verwendung in der Orthopädie kein Patent nach dem Patentgesetz erteilt werden kann. Nach § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG und § 5 Abs. 2 PatG a. F. sind u. a. Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers vom Patentschutz ausgenommen. Dies gilt zwar nicht für Erzeugnisse zur Anwendung in einem therapeutischen Verfahren (vgl. a. a. O.), im vorliegenden Fall bspw. für den beanspruchten nahtlosen Kompressionsartikel für die physikalische Therapie. Da aber der Kompressionsartikel nach dem einzigen Patentanspruch mit allen seinen Merkmalen aus der Druckschrift D1 bereits bekannt ist, ist die Erteilung eines Patents nicht mehr möglich. Im Übrigen tritt auch bei dem aus der Druckschrift D1 bekannten Kompressionsstrumpf als medizinisches bzw. orthopädisches Hilfsmittel (vgl. Beschreibung, Spalte 1, Zeilen 17 bis 20), bedingt durch dessen nahtlose Ausführung, die geltend gemachte medizinische Wirksamkeit ein.
Dr. Winterfeldt Hartlieb Dr. Morawek Veit Pü
BPatG:
Beschluss v. 23.02.2010
Az: 21 W (pat) 18/07
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