Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. Juli 2011
Aktenzeichen: 7 W (pat) 328/09

(BPatG: Beschluss v. 15.07.2011, Az.: 7 W (pat) 328/09)

Tenor

Das Patent 101 41 504 wird widerrufen.

Gründe

I.

Die Einsprechenden haben gegen das am 24. August 2001 angemeldete Patent 101 41 504 mit der Bezeichnung Vorrichtung zum Erkennen eines Fehlerfalles bei Zweioder Mehrspannungsbordnetzendessen Erteilung am 26. Februar 2004 veröffentlicht worden ist, Einspruch erhoben, mit dem sie jeweils den Widerrufsgrund des § 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 1 bis 5 PatG der fehlenden Patentfähigkeit geltend machen. Dies haben sie auf folgende vorveröffentlichte Druckschriften gestützt:

Einsprechende zu 1):

D4 DE 199 44 833 A1, D5 DE 101 02 243 A1, D6 Hering, Bressler und Gutekunst, "Elektronik für Ingenieure", VDl Verlag 1992, ISBN 3-18-400909-2 D7 CH 613 313 A5 Einsprechende zu 2):

D8 Forum Bordnetzarchitektur. Treffen der Automobilhersteller und Zulieferer, SICAN, Hannover, 16. März 2000, Sitzungsprotokoll mit Teilnehmerliste, D9 Kopien des Foliensatzes des bei dem Forum D8 gehaltenen Vortrages "Fusing Issues in a Dual-Voltage Vehicle Electrical System" von Herrn Neubert, Leoni Bordnetz-Systeme, D10 DE 199 61 435 A1, D11 DE 195 03 749 C1 Im Erteilungsverfahren sind darüber hinaus folgende Druckschriften berücksichtigt worden:

D1 DE 195 03 749 C1 D2 DE 199 61 435 A1 D3 DE 196 43 005 A1.

Nach Hinweis des Senats vom 11. März 2010, mit dem auf eine möglicherweise fehlende Neuheit bzw. fehlende erfinderische Tätigkeit des Erfindungsgegenstandes vor dem Hintergrund der Druckschriften D 7 bis D 9 hingewiesen worden war, hat die Patentinhaberin mit am 12. Mai 2010 per Fax eingegangenen Schriftsatz vom 11. Mai 2010 einen neuen Patentanspruch 1 eingereicht, der lautet:

"1. Vorrichtung (1) zum Erkennen eines Fehlerfalles bei Zweioder Mehrspannungsbordnetzen in einem Fahrzeug unter galvanischer Trennung der Spannungsebenen von Teilnetzen (2, 3, 19), dadurch gekennzeichnet, dassÜberwachungsmodule (15, 16, 17, 18, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29) und/oder eine Überwachungseinheit (8) zur Isolationsüberwachung der Teilnetze (2, 3, 19) untereinander vorgesehen sind und die Vorrichtung bei n Spannungsebenen 2n unterschiedliche Pole aufweist."

Die Patentansprüche 2 bis 14 laut Patentschrift betreffen vorteilhafte Ausführungsformen und sind auf Patentanspruch 1 zurückbezogen.

Die Einsprechenden haben schriftlich beantragt, das Patent 101 41 504 zu widerrufen.

Die Patentinhaberin hat schriftlich sinngemäß beantragt, das Patent 101 41 504 beschränkt mit dem Patentanspruch 1 in der Fassung vom 11./12. Mai 2010 sowie mit den Patentansprüchen 2 bis 14, der Beschreibung und den Zeichnungen laut Patentschrift aufrecht zu erhalten.

Zur mündlichen Verhandlung sind entsprechend vorheriger Ankündigung die Patentinhaberin und die Einsprechende zu 2) nicht erschienen. Die ordnungsgemäß geladene Einsprechende zu 1) ist ebenfalls nicht erschienen.

Wegen des Wortlauts der Ansprüche 2 bis 14 wird auf das Streitpatent und wegen weiterer Einzelheiten auf den Akteninhalt verwiesen.

II. A. Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der -mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten -Aufhebung der Übergangsvorschriften des § 147 Abs. 3 PatG auf Grund des Grundsatzes der "perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG zuständig (vgl. BGH GRUR 2009, 184, 185 -Ventilsteuerung; GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II).

B. Der Einspruch ist zulässig. Insbesondere hat sich das Einspruchsverfahren infolge des aufgrund der Verzichtserklärung der Patentinhaberin bewirkten Erlöschens des Streitpatents nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 PatG nicht in der Hauptsache erledigt.

a.

Nach allgemeiner Meinung ist ein Gerichtsverfahren erledigt, wenn ein nach Verfahrenseinleitung eingetretenes außerprozessuales Ereignis vorliegt, das sich auf die materiellrechtlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit oder Begründetheit des Rechtsschutzbegehrens (also der Klage oder des verfahrenseinleitenden Antrags) in der Weise auswirkt, dass sie das ursprünglich zulässige und begründete Rechtsschutzziel nachträglich rechtlich oder tatsächlich gegenstandslos macht, weil dieses entweder bereits außerhalb des Prozesses erreicht wurde oder nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg weiterverfolgt werden kann (vgl. BGHZ 155, 392 [398]; BGH NJW 2007, 3721 [3722]; BVerwG NVwZ 1989, 48; NVwZ 1993, 979; BVerwGE 46, 81 [83]; 73, 312 [314]; s. a. Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 91a Rn. 3 m. w. N.; Sodann/Ziekow/Neumann, VwGO, 3. Aufl., § 161 Rn. 130 ff.).

b.

Eine solche Erledigung ist vorliegend allerdings nicht schon infolge des Erlöschens des Streitpatents nach § 20 PatG eingetreten, weil mit dem sich nur für die Zukunft auswirkenden Verzicht der Patentinhaberin aufihr Patent nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 PatG das auf die rückwirkende (vgl. § 21 Abs. 3 Satz 1 PatG) Beseitigung der Patenterteilung gerichtete Ziel des Einspruchs nicht vollständig verwirklicht wird (vgl. hierzu ausführlich BPatG GRUR 2011, 657 -Vorrichtung zum Heißluftnieten; a. A. BPatGE 29, 65).

c.

Da das Erlöschen des Streitpatents unabhängig von einem Rechtsschutzbedürfnis des Einsprechenden keine Auswirkungen hat, solange nicht das Allgemeininteresse an der rückwirkenden Beseitigung der Wirkungen der Patenterteilung auch für die Vergangenheit konkret festgestellt wurde (vgl. BPatG [7. Senat], a. a. O. -Vorrichtung zum Heißluftnieten; a. A. BPatG [20. Senat] GRUR 2009, 612 -Auslösevorrichtung und BPatG [21. Senat] GRUR 2010, 363 -Radauswuchtmaschine, wonach bereits ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis des Einsprechenden entweder zur nachträglichen Unzulässigkeit des Einspruchs [so 20. Senat] bzw. zur Erledigung der Hauptsache [so 21. Senat] führen soll), kommt eine Erledigung in der Hauptsache vielmehr nur dann in Betracht, wenn die Patentinhaberin über das Erlöschen des Streitpatents nach § 20 PatG hinaus schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung nicht nur die Einsprechenden, sondern auch alle von dem Streitpatent zwischen seiner Anmeldung und seinem Erlöschen von ihm möglicherweise Betroffenen wirksam freigestellt hat, da erst hierdurch dieselben (wirtschaftlichen) Folgen wie beim Widerruf des Streitpatents eintreten können und das auf Beseitigung der Folgen der Patenterteilung gerichtete Ziel des Einspruchs auf eine andere Art und Weise als durch eine gerichtliche Entscheidung über den Einspruch erreicht wird (wegen der Einzelheiten vgl. BPatG [7. Senat], a. a. O. -Vorrichtung zum Heißluftnieten).

d.

Da die Patentinhaberin vorliegend nach Hinweis des Senats keine Erklärung abgegeben hat, mit der sie die vom erloschenen Streitpatent Betroffenen ausdrücklich von Ansprüchen aus diesem für die Zeit vor dem Erlöschen des Patents freistellt, hat sich das Einspruchsverfahren nicht in der Hauptsache erledigt, so dass über die Einsprüche trotz Ablaufs der Schutzdauer des Streitpatents weiterhin in der Sache zu entscheiden ist.

e. Etwas Anderes ergäbe sich vorliegend auch nicht auf der Grundlage der abweichenden Ansichten des 20. und des 21. Senats (vgl. BPatG

[20. Senat] a. a. O. -Auslösevorrichtung und BPatG [21. Senat], a.a.O. -Radauswuchtmaschine), denn nachdem die Einsprechende zu 2) mit Schriftsatz vom 11. März 2011 ausdrücklich um Fortsetzung des Einspruchsverfahrens gebeten und damit ein Rechtsschutzbedürfnis geltend gemacht hat, wäre auch auf der Grundlage dieser Entscheidungen weder der Einspruch nachträglich unzulässig geworden, wie der 20. Senat annimmt, noch die Hauptsache erledigt, wovon der 21. Senat nur bei fehlendem Rechtsschutzbedürfnis ausgeht.

C. Die zulässigen Einsprüche haben in der Sache auch Erfolg. Das Streitpatent ist nach §§ 59, 61, 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 1 bis 5 PatG zu widerrufen, weil es gegenüber dem Tagungsvortrag D 9 nicht mehr neu ist. Der Vortrag D9 stellt einen zu berücksichtigenden Stand der Technik dar, da dieser nachgewiesenermaßen einem breiten Fachpublikum präsentiert worden ist (vgl. hierzu Teilnehmerliste Forum Bordnetzarchitektur gem. D8). Dieser Sachverhalt ist im übrigen von der Patentinhaberin nicht bestritten.

a. Die Zulässigkeit des Einspruchs ist von der Patentinhaberin zwar nicht in Frage gestellt worden. Jedoch haben Patentamt und Gericht auch ohne Antrag der Patentinhaberin die Zulässigkeit des Einspruchs in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen zu überprüfen (vgl. Schulte, PatG, 8. Auflage, § 59, Rdn. 160), da das Vorliegen keines zulässigen Einspruchs zur Beendigung des Einspruchsverfahrens ohne weitere Sachprüfung über die Rechtsbeständigkeit des Streitpatents führt (vgl. hierzu Schulte, PatG, 8. Auflage, § 61, Rdn. 23; BGH GRUR 1987, 513, II.1. -"Streichgarn"). Im vorliegenden Fall bestehen gegen die Zulässigkeit des Einspruchs insofern keine Bedenken, als beispielsweise die Einsprechende zu 2 innerhalb der Einspruchsfrist den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht hat und die Tatsachen -beispielsweise durch Gegenüberstellen aller Merkmale des erteilten Anspruchs 1 mit dem Tagungsvortrag nach D9 -im einzelnen angegeben hat, aus denen sich ergeben soll, dass das Patent zu widerrufen ist (vgl. hierzu BGH BlPMZ 1988, 250, Leitsatz, 251, liSp, Abs. 1 "Epoxidation"; Schulte, PatG, 8. Auflage, § 59 Rdn. 106 bis 110).

b. Die vorliegende Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zum Erkennen eines Fehlerfalls bei Zweioder Mehrspannungsbordnetzen in einem Fahrzeug unter galvanischer Trennung der Spannungsebenen von Teilnetzen (vgl. Streitpatent Abs. [0001]).

Bordnetze mit unterschiedlichen Spannungen werden z. B. für Verbraucher mit höherer Leistungsaufnahme, z. B. Elektromotoren zur Lenkunterstützung oder für Logikschaltungen mit geringer Spannungsaufnahme benötigt. Hierbei ist die galvanische Trennung von Spannungsebenen bekannt. Bei diesen Systemen, insbesondere bei gemeinsamer Masse, tritt das Problem auf, dass im Falle eines Kurzschlusses Komponenten mit einer höheren Spannung beaufschlagt werden als zugelassen (vgl. Streitpatent, Abs. [0002] bis [0004]).

Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt dem vorliegenden Patent die Aufgabe zugrunde, eine Vorrichtung zum Erkennen eines Fehlerfalles bei Zweioder Mehrspannungsbordnetzen in einem Fahrzeug unter galvanischer Trennung der Spannungsebenen von Teilnetzen dahingehend fortzubilden, dass insbesondere ein Kurzschluss zwischen den Spannungsebenen erkannt werden kann, um die Zerstörung von Komponenten eines Teilnetzes durch Überspannung zu verhindern (vgl. Streitpatentschrift Abs.[0007]).

Diese Aufgabe wird gemäß geltendem Anspruch 1 bei einer gattungsgemäßen Vorrichtung nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 dadurch gelöst, dass alternativ Überwachungsmodule und/oder eine Überwachungseinheit zur Isolationsüberwachung der Teilnetze untereinander vorgesehen sind bzw. ist und die Vorrichtung bei n Spannungsebenen 2n unterschiedliche Pole aufweist.

Dadurch wird eine Vorrichtung zum Erkennen eines Fehlerfalles geschaffen, bei der eine leitende Verbindung (Kurzschluss) zwischen Teilnetzen unterschiedlicher Spannungsebenen erkannt wird, wodurch Bordnetze mit unterschiedlichen Spannungsebenen ungestört nebeneinander arbeiten können, ohne dass die Gefahr einer Zerstörung von Komponenten zumindest eines Teilnetzes durch Überspannung zu befürchten ist (vgl. Streitpatentschrift Abs.[0009]).

c. Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist durch den Tagungsvortrag D9 neuheitsschädlich vorweggenommen. Denn im Tagungsvortrag D9 wird eine Schaltung (vgl. dortige Seite 22) mit einer Vorrichtung zum Erkennen eines Fehlerfalls bei einem Zweispannungsbordnetz (42 V, 14 V) in einem Fahrzeug offenbart (detection of short) bei welchem -unter galvanischer Trennung der Spannungsebenen der beiden Teilnetze ("Galvanic Isolation of 14V and 42V Networks"),

-eine Überwachungseinheit (Insulating Meter) zur Überwachung der Teilnetze untereinander vorgesehen ist (eine der Alternativen des ersten kennzeichnenden Merkmals),

- und die Vorrichtung für die vom verteidigten Anspruch 1 umfasste Ausführungsform von zwei Teilnetzen (n=2) gemäß den in der Figur eingezeichneten Anschlüssen 4 (d. h. 2n) unterschiedliche Pole aufweist (zweites und letztes kennzeichnendes Merkmal).

Somit sind sämtliche Merkmale der auf die Überwachungseinheit (8) und ein Zweispannungsbordnetz bezogenen oder-Alternative nach dem geltenden Anspruch 1 aus dem Tagungsvortrag D9 neuheitsschädlich vorbekannt; der verteidigte Anspruch 1 ist daher nicht patentfähig.

d. Mit Anspruch 1 fallen auch die entsprechenden abhängigen Ansprüche des Streitpatents, da auf diese kein eigenständiges Patentbegehren gerichtet ist (vgl. BGH GRUR 2007, 862 Leitsatz -"Informationsübermittlungsverfahren II m. w .N."). Auf die diesbezüglich unklare Antragslage, resultierend aus der entsprechenden unklaren Formulierung des Schreibens vom 11. Mai 2010, wird verwiesen.

e. Bei vorliegender Sachlage war das Patent ex tunc zu widerrufen.

Höppler Dr. Hartung Schwarz Maile Hu






BPatG:
Beschluss v. 15.07.2011
Az: 7 W (pat) 328/09


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