Bundesgerichtshof:
Urteil vom 16. Oktober 2012
Aktenzeichen: II ZR 239/11

(BGH: Urteil v. 16.10.2012, Az.: II ZR 239/11)

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 26. September 2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der durch die Nebenintervention entstandenen Kosten zu tragen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger ist als unmittelbarer Gesellschafter mit einem Kommanditanteil von 150.000 DM (76.693,78 €) an der Beklagten, einem geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, beteiligt. Die Nebenintervenientin ist geschäftsführende Kommanditistin und wie die beiden Komplementäre allein zur Vertretung der Beklagten berechtigt und verpflichtet.

Der Gesellschaftsvertrag (künftig: GV) enthält in §§ 16, 17 zur Beschlussfassung unter anderem folgende Regelungen: 1 § 16 Gegenstand der Gesellschafterversammlung 1. Die Gesellschafterversammlung ist insbesondere für folgende Beschlussfassungen zuständig:

...

f) Änderungen des Gesellschaftsvertrages

...

2. Soweit Beschlüsse nach Abs.1 lit. a), c), f), g), j), k) und l) gefasst werden, bedarf es einer -Mehrheit der anwesenden Stimmen. Sind 75 % aller Stimmen auf fünf oder weniger Personen vereinigt, tritt an die Stelle der -Mehrheit die 9/10-Mehrheit. Sind 90 % oder mehr aller Stimmen auf fünf oder weniger Personen vereinigt, sind die vorgenannten Beschlüsse einstimmig zu fassen.

§ 17 Beschlussfassung 1. Die Beschlüsse können in Gesellschafterversammlungen oder im Wege der schriftlichen Abstimmung gefasst werden.

2. ...

3. Beschlüsse bedürfen grundsätzlich der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sofern nicht in diesem Vertrag oder durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist. ...

...

7. Die Unwirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses kann nur...durch Klage, die gegen die Gesellschaft zu richten ist, geltend gemacht werden...

§ 9 GV lautet:

§ 9 Gesellschaftskonzept, Beleihungsrichtlinien 1. Diesem Gesellschaftszweck ist eine Wirtschaftlichkeitsberechnung zugrunde gelegt (...), die wesentlicher Bestandteil des Gesellschaftsvertrages ist ... . Wenn und soweit die Gesellschafterversammlung Beschlüsse fasst, die zu einer wesentlichen Abweichung von dieser Wirtschaftlichkeitsberechnung führen, bedarf ein solcher Beschluss der in § 16 Abs. 2 beschriebenen Mehrheit.

...

In der Gesellschafterversammlung vom 11. März 2010 beschlossen die Gesellschafter mit der in § 16 Abs. 2 Satz 1 GV bestimmten 3/4-Mehrheit, § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV ersatzlos aufzuheben. Die Voraussetzungen, unter denen diese Bestimmungen für eine Beschlussfassung über die in Satz 1 genannten Beschlussgegenstände höhere Mehrheitserfordernisse aufstellen, lagen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht vor.

Der Kläger hat beantragt, die Unwirksamkeit der Beschlüsse festzustellen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge auf Feststellung der Unwirksamkeit der Beschlüsse weiterverfolgt.

Gründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Die in der Gesellschafterversammlung vom 11. März 2010 gefassten Beschlüsse seien formell wirksam zustande gekommen und materiell wirksam. Die Beschlüsse über die Aufhebung des § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV hätten nicht der in diesen Vorschriften bestimmten Mehrheit von 9/10 bzw. der Einstimmigkeit bedurft, weil die dort vorausgesetzten Beteiligungsverhältnisse nicht erreicht gewesen seien. Die Gesellschaftermehrheit habe mit den angegriffenen Beschlüssen nicht ihre gesellschafterlichen Treuepflichten gegenüber der Minderheit verletzt. Hierfür genüge nicht, dass aufgrund der Änderungen des Ge-4 sellschaftsvertrags die abstrakte Gefahr bestehe, dass künftig treuwidrige Beschlüsse gefasst werden könnten, sofern die Mehrheitskommanditistin eine beherrschende Stellung erlange. Vielmehr seien diese Beschlüsse im Einzelfall darauf zu überprüfen, ob die Mehrheit ihre Stimmrechtsmacht treuwidrig zu Lasten der Minderheit ausgeübt habe oder die Zustimmung der Minderheitskommanditisten erforderlich sei.

II. Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision stand. Die angefochtenen Änderungsbeschlüsse sind mit der erforderlichen Mehrheit gefasst worden und sind materiell wirksam.

1. Die Beschlüsse über die Aufhebung von § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV konnten mit der in § 16 Abs. 2 Satz 1 GV bestimmten 3/4-Mehrheit gefasst werden, da die in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV für die Geltung der höheren Quoren bestimmten Voraussetzungen nicht vorlagen.

a) Beschlüsse in einer Personengesellschaft sind grundsätzlich einstimmig zu fassen (vgl. § 709 Abs. 1 BGB, § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB), wenn und soweit nicht im Gesellschaftsvertrag für den betreffenden Beschlussgegenstand das Einstimmigkeitsprinzip durch das Prinzip einfacher oder qualifizierter Mehrheit ersetzt worden ist (vgl. § 709 Abs. 2 BGB), um die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft sicherzustellen. Für die formelle Legitimation eines Mehrheitsbeschlusses genügt es grundsätzlich, dass sich aus dem Gesellschaftsvertrag - ausdrücklich oder durch Auslegung - eindeutig ergibt, dass der jeweilige Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein soll (BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 - II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 9 - OTTO; Urteil vom 24. November 2008 - II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rn. 15 - Schutzgemeinschaftsvertrag II; Urteil vom 15. November 2011 - II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 16).

Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten bestimmt nicht ausdrücklich, welches Quorum für Änderungen der gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklauseln erforderlich ist. Er regelt jedoch, dass Beschlüsse über Änderungen des Gesellschaftsvertrags, um die es sich auch bei Änderungen der gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklauseln handelt, einer 3/4-Mehrheit bedürfen (§ 16 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Buchstabe f). Ein höheres Stimmquorum von 9/10 oder Einstimmigkeit verlangt der Gesellschaftsvertrag für solche Beschlüsse erst dann, wenn 75 % bzw. 90 % der Stimmen in der Hand von fünf oder weniger Gesellschaftern vereinigt sind (§ 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV). Liegen die Geltungsvoraussetzungen für die potentiell höheren Mehrheitserfordernisse nicht vor, gilt für Änderungen des Gesellschaftsvertrags das Mehrheitserfordernis des § 16 Abs. 2 Satz 1 GV, mit der Folge, dass ein Beschluss formell wirksam gefasst ist, wenn er eine Mehrheit von 3/4 der anwesenden Stimmen gefunden hat.

Dem Gesellschaftsvertrag lässt sich auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen, dass abweichend von § 16 Abs. 2 GV die Aufhebung von § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV auch dann nur mit den dort bestimmten Mehrheiten möglich sein soll, wenn die Voraussetzungen, die der Gesellschaftsvertrag für das Eingreifen dieser Mehrheitsklauseln aufstellt, (noch) nicht erfüllt sind. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass entgegen dem Wortlaut des Gesellschaftsvertrags für eine bestimmte Änderung des Gesellschaftsvertrags, nämlich die Herabsetzung des Mehrheitserfordernisses, die in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV geregelten höheren Mehrheitserfordernisse gelten sollen, obwohl die Voraussetzungen nicht gegeben sind, die diese Bestimmungen selbst für ihre Anwendbarkeit fordern, sind nicht ersichtlich und werden von der Revision auch nicht aufgezeigt. Die von der Revision befürwortete "Vorwirkung" insbesondere des § 16 Abs. 2 Satz 3 GV führte in einer Publikumsgesellschaft wie der Beklagten dazu, dass eine Änderung dieser Satzungsbestimmung faktisch unmög-12 lich würde, und zwar auch dann, wenn das in § 16 Abs. 2 Satz 3 GV geregelte Einstimmigkeitserfordernis bei Vorliegen der dort vorausgesetzten Beteiligungsverhältnisse zur Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft führte. § 16 Abs. 2 GV knüpft einen höheren als den durch das Erfordernis einer 3/4-Mehrheit gewährleisteten Schutz der Minderheit - auch vor nachteiligen Änderungen der Mehrheitsklausel selbst - an besondere Voraussetzungen. Solange diese nicht eingetreten sind, lässt der Gesellschaftsvertrag eine Aufhebung des in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV geregelten qualifizierten Minderheitenschutzes mit der qualifizierten Mehrheit des § 16 Abs. 2 Satz 1 GV von 75 % der anwesenden Stimmen zu.

b) Der von der Revision für ihre Auffassung herangezogene so genannte Bestimmtheitsgrundsatz führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar wird im Gesellschaftsvertrag der Beklagten nicht ausdrücklich ausgesprochen, dass § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 GV mit der in § 16 Abs. 2 Satz 1 GV bestimmten Mehrheit aufgehoben werden können, wenn die Voraussetzungen der Sätze 2 und 3 GV (noch) nicht vorliegen. Dies ist - unabhängig davon, dass es sich bei der Beklagten um eine Publikumsgesellschaft handelt und der Bestimmtheitsgrundsatz bei Publikumsgesellschaften ohnehin keine Anwendung findet (BGH, Urteil vom 19. November 1984 - II ZR 102/84, NJW 1985, 972, 973) - für die formelle Legitimation einer auf eine gesellschaftsvertragliche Mehrheitsklausel gestützten Mehrheitsentscheidung aber nicht erforderlich, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um ein früher so genanntes Grundlagengeschäft handelt; es genügt, dass sich durch Auslegung des Gesellschaftsvertrags eindeutig ergibt, dass der betreffende Beschlussgegenstand der Mehrheitsklausel unterworfen sein soll (BGH, Urteil vom 15. November 2011 - II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 16 mwN). Das Berufungsgericht hat im vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei bejaht, dass auch Beschlüsse über eine Änderung des § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV selbst uneingeschränkt der Mehrheitsklausel des § 16 Abs. 2 GV unterlie-14 gen, mit der Folge, dass die Aufhebung von § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV in gleicher Weise wie sonstige Satzungsänderungen einer Mehrheitsentscheidung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 GV unterworfen ist, wenn - wie hier - die Bedingungen, unter denen der Gesellschaftsvertrag für satzungsändernde Beschlüsse ein höheres Quorum oder Einstimmigkeit fordert, nicht erfüllt sind.

Ohne Erfolg beruft sich die Revision für ihre gegenteilige Auffassung auf das Urteil des Senats vom 15. Juni 1987 (II ZR 261/86, ZIP 1987, 1178). Diese Entscheidung beruhte auf der Anwendbarkeit des so genannten Bestimmtheitsgrundsatzes, dem, wie ausgeführt, für die formelle Legitimation einer Mehrheitsentscheidung nach der neueren Rechtsprechung des Senats (BGH, Urteil vom 24. November 2008 - II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rn. 15 - Schutzgemeinschaftsvertrag II; Urteil vom 15. November 2011 - II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 16 mwN) keine Bedeutung mehr zukommt. Darauf, dass in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall zudem die Satzungsbestimmung, die ein höheres Mehrheitserfordernis vorschrieb, anwendbar war und ihr Eingreifen anders als im vorliegenden Fall nicht vom Eintritt bestimmter, zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht gegebener Voraussetzungen abhängig war, kommt es nicht mehr an.

c) Schließlich rechtfertigt auch der von der Revision angeführte Grundsatz, wonach Sonderregelungen, die bei Geltung des Mehrheitsprinzips für einzelne Beschlussgegenstände Einstimmigkeit oder ein höheres Quorum voraussetzen, nur unter Einhaltung des betreffenden höheren Quorums abgeändert oder aufgehoben werden können (MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer, 5. Aufl., § 709 Rn. 82; einschränkend Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 179 Rn. 20; offen gelassen in BGH, Urteil vom 13. März 1980 - II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 195 für die Aktiengesellschaft), keine abweichende Beurteilung. Ob eine allgemeine Regel anzuerkennen ist, wonach Mehrheitsklauseln in einem Gesellschaftsvertrag, die für bestimmte Beschlussgegenstände eine qualifizierte Mehrheit vorschreiben, 15 nur mit derselben Mehrheit beseitigt werden können, und welchen Anwendungsbereich sie hat, bedarf keiner Entscheidung. Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten schreibt für alle Änderungen der Satzung dasselbe qualifizierte Mehrheitserfordernis vor, das sich unter bestimmten Voraussetzungen erhöht. Hier geht es um die Frage, ob für eine bestimmte Vertragsänderung, nämlich die Aufhebung von § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV, die dort geregelten höheren Mehrheitserfordernisse gelten sollen, obwohl bei Beschlussfassung die Voraussetzungen für ihre Anwendbarkeit noch nicht vorliegen.

d) Die Auffassung der Revision, dass die Aufhebung des § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV die dort bestimmte Mehrheit von 9/10 bzw. Einstimmigkeit erfordert, lässt sich auch nicht auf das von ihr angezogene, zum Aktienrecht ergangene Urteil des Senats vom 13. März 1980 (II ZR 54/78, BGHZ 76, 191) stützen. Der Senat hat im Wege der Auslegung der dort zu beurteilenden Satzung verneint, dass das nach dieser Satzung für eine bestimmte Beschlussfassung erforderliche qualifizierte Mehrheitserfordernis von 2/3 der abgegebenen Stimmen mit der allgemein für Hauptversammlungsbeschlüsse vorgesehenen einfachen Mehrheit aufgehoben werden konnte. Daraus kann nichts für die Beantwortung der sich hier stellenden Frage abgeleitet werden, ob eine Regelung, die unter bestimmten Voraussetzungen über die allgemein für Änderungen des Gesellschaftsvertrags erforderliche qualifizierte Mehrheit von 3/4 der anwesenden Stimmen hinaus eine Mehrheit von 9/10 oder Einstimmigkeit fordert, nur mit dieser Mehrheit bzw. Einstimmigkeit abgeändert werden kann, obwohl diese Mehrheitserfordernisse bei Beschlussfassung nicht gelten.

2. Die Beschlüsse sind materiell wirksam. Die Gesellschaftermehrheit hat mit der Aufhebung der in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV bestimmten Quoren ihre gesellschafterliche Treuepflicht gegenüber der Minderheit nicht verletzt.

a) Ist die Entscheidung der Mehrheit der Gesellschafter von einer Regelung im Gesellschaftsvertrag gedeckt, ist auf einer zweiten Stufe zu prüfen, ob sie sich als treuwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minderheit darstellt und deshalb inhaltlich unwirksam ist (BGH, Urteil vom 15. Januar 2007 - II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 Rn. 10 - OTTO; Urteil vom 24. November 2008 - II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rn. 17 - Schutzgemeinschaftsvertrag II; Urteil vom 15. November 2011 - II ZR 266/09, BGHZ 191, 293 Rn. 16). Erfordert eine Mehrheitsentscheidung ihrem Inhalt nach die Zustimmung jedes einzelnen Gesellschafters, wie es beispielsweise bei Beschlüssen über nachträgliche Beitragserhöhungen (vgl. § 707 BGB) der Fall ist, führt ungeachtet sonstiger Beschlussmängel schon die fehlende Zustimmung eines Gesellschafters dazu, dass der Beschluss ihm gegenüber unwirksam ist (BGH, Urteil vom 5. März 2007 - II ZR 282/05, ZIP 2007, 766 Rn. 15; Urteil vom 9. Februar 2009 - II ZR 231/07, ZIP 2009, 864 Rn. 16). Unerheblich ist, ob dieser Gesellschafter an der Beschlussfassung beteiligt war.

b) Nach diesen Grundsätzen sind die Beschlüsse über die Aufhebung der in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV geregelten Mehrheitserfordernisse wirksam. Die Beschlüsse sind nicht als treuwidrig zu beurteilen, weil sie, wie die Revision meint, in einen "Kernbereich" der Gesellschafterrechte des Klägers eingreifen. Gesellschaftsvertragliche Einstimmigkeitserfordernisse oder Sperrminoritäten gehören nicht zu dem Mehrheitsentscheidungen entzogenen Bereich der individuellen Mitgliedschaft des einzelnen Gesellschafters, sondern schützen die Minderheit insgesamt (MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer, 5. Aufl., § 709 Rn. 82; vgl. auch BGH, Urteil vom 24. November 2008 - II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 Rn. 22 - Schutzgemeinschaftsvertrag II). Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, dass die im Gesellschaftsvertrag festgelegten Mehrheitserfordernisse in stärkerem Maß vor Änderungen geschützt wären, als es der Gesellschaftsvertrag selbst vorsieht. § 16 Abs. 2 Satz 3 GV bestimmt für besondere 19 Beschlussgegenstände, zu denen auch Änderungen des Gesellschaftsvertrags zählen, in dem - hier bei der Beschlussfassung nicht gegebenen - Fall, dass sich 90 % oder mehr aller Stimmen in den Händen von fünf oder weniger Personen befinden, dass Beschlüsse zustande kommen, wenn alle anwesenden oder vertretenen Gesellschafter mit Ja stimmen. Die Zustimmung jedes einzelnen Gesellschafters, somit auch derjenigen Gesellschafter, die an der Abstimmung nicht teilnehmen, die aber für eine Änderung der Mehrheitsquoren zu verlangen wäre, wenn man die Stimmqualität dem individuellen "Kernbereich" der Gesellschafterrechte zuordnen wollte, fordert der Gesellschaftsvertrag ungeachtet der Beteiligungsverhältnisse für keinen Beschlussgegenstand, auch nicht für die Änderung des § 16 Abs. 2 GV selbst.

c) Die Beschlüsse stellen sich nicht deshalb als treuwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minderheit dar, weil mit Erreichen der in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV vorausgesetzten Gesellschaftsstruktur die Mehrheitsgesellschafter nach Aufhebung des dort geregelten Mehrheitserfordernisses von 9/10 der anwesenden Stimmen bzw. Einstimmigkeitserfordernisses das in § 9 GV festgelegte Gesellschaftskonzept ohne Weiteres gegen den Willen der Minderheitsgesellschafter ändern könnten, diese jedoch gegen Maßnahmen, die zu einer wesentlichen Abweichung der im Gesellschaftsvertrag niedergelegten Wirtschaftlichkeitsberechnung führten, durch den Gesellschaftsvertrag gerade abgesichert sein sollten (§ 9 Abs. 1, § 16 Abs. 2 GV). Die Minderheitsgesellschafter sind durch § 9 Abs. 1 GV vor Änderungen des Gesellschaftskonzepts schon nicht in diesem weiten Umfang geschützt. Zwar unterwirft § 9 Satz 1 GV Beschlüsse, die zu einer wesentlichen Abweichung von der dem Gesellschaftsvertrag beigefügten Wirtschaftlichkeitsberechnung führen, den in § 16 Abs. 2 GV bestimmten qualifizierten Mehrheitsanforderungen. Damit ist aber nicht gesagt, dass die in § 16 Abs. 2 Satz 1, 2 und 3 GV enthaltenen Mehrheitserfordernisse nach Maßgabe der gesellschaftsvertraglichen Re-21 gelungen keiner Änderung zugänglich sind. Hierfür ergeben sich - wie oben dargelegt - aus dem Gesellschaftsvertrag keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die Zustimmung jedes einzelnen Gesellschafters verlangt der Gesellschaftsvertrag weder für die in § 9 Abs. 1 GV genannten Beschlüsse noch für Änderungen des § 16 Abs. 2 GV selbst.

Hinzu kommt, dass durch die angefochtenen Beschlüsse, mit denen das in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV geregelte gesteigerte Mehrheits- bzw. Einstimmigkeitserfordernis aufgehoben wird, weder die wirtschaftliche Ausrichtung der Gesellschaft geändert noch eine wirtschaftlich nachteilige Entscheidung zu Lasten der Minderheit getroffen wird. Dies kann allenfalls durch künftige Beschlussfassungen geschehen. Folge der Aufhebung des § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV ist es allerdings, dass die Mehrheit auch dann, wenn 75 % der Stimmen in der Hand von fünf oder weniger Gesellschaftern sind, formell legitimiert ist, Entscheidungen mit 3/4-Mehrheit zu fassen. Die Zulassung von Mehrheitsentscheidungen ist jedoch für sich genommen nicht treuwidrig. Sie verfolgt den gerade in einer Publikumsgesellschaft grundsätzlich legitimen Zweck, die bei Geltung sehr hoher Mehrheitserfordernisse und erst recht des Einstimmigkeitsprinzips gefährdete Handlungsfähigkeit der Gesellschaft sicher zu stellen. Zwar wird den Mehrheitsgesellschaftern durch die von der Revision beanstandete Änderung des Gesellschaftsvertrags die abstrakte Möglichkeit verschafft, künftig mit ihrer Mehrheitsmacht (auch) treuwidrige Beschlüsse zu Lasten der Minderheit zu fassen. Dies rechtfertigt es aber grundsätzlich nicht, schon im "Vorfeld" die Beschlüsse über die Änderung des Gesellschaftsvertrags als treuwidrig und deshalb unwirksam zu bewerten (vgl. auch BGH, Urteil vom 28. Januar 1980 - II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 353 f.; Urteil vom 1. Februar 1988 - II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 191 ff.), mit der Folge, dass abweichend vom Willen der im Gesellschaftsvertrag für solche Änderungen der Satzung vorgeschriebenen Mehrheit bei Vorliegen der in § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 GV 22 genannten Beteiligungsverhältnisse Mehrheitsentscheidungen nur mit der höheren Mehrheit von 9/10 gefasst werden könnten oder von vornherein ausgeschlossen wären. Künftige Beschlüsse sind nicht schon deshalb treuwidrig, weil sie die Mehrheit aufgrund der geänderten Satzung gegen den Willen der Minderheit fassen kann. Die Minderheit ist vor treuwidrigen Entscheidungen der Mehrheit durch die gegen diese Beschlüsse gegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten hinreichend geschützt. Verletzen künftige - durch die Aufhebung des § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 GV lediglich formell legitimierte - Beschlüsse der Mehrheit treuwidrig die Interessen der Minderheit, steht es der Minderheit offen, die materielle Unwirksamkeit solcher Beschlüsse durch eine Klage gegen diese Beschlüsse geltend zu machen.

Bergmann Strohn Reichart Drescher Born Vorinstanzen:

LG Berlin, Entscheidung vom 13.01.2011 - 95 O 82/10 -

KG, Entscheidung vom 26.09.2011 - 23 U 42/11 -






BGH:
Urteil v. 16.10.2012
Az: II ZR 239/11


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