Bundespatentgericht:
Beschluss vom 30. Juni 2009
Aktenzeichen: 6 W (pat) 312/09
(BPatG: Beschluss v. 30.06.2009, Az.: 6 W (pat) 312/09)
Tenor
Das Patent 10 2004 023 926 wird in vollem Umfang aufrechterhalten.
Gründe
I.
Gegen das am 11. August 2005 veröffentlichte Patent 10 2004 023 926 mit der Bezeichnung "Schiebetürsystem mit einer in einem Kämpfer angeordneten Antriebsvorrichtung" ist am 11. November 2005 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei nicht neu bzw. beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
In der Einspruchsbegründung verweist die Einsprechende auf folgende Druckschriften:
(E1) DE 42 33 681 A1 (E2) DE 34 42 224 C2
(E3) DE 34 38 180 C2
(E4) JP 2002 11 54 48 A
(E5) DE 28 54 813 A1
(E6) EP 1 180 744 A1
(E7) US 60 50 116.
Die Einsprechende beantragt, das angegriffene Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt, das angegriffene Patent im erteilten Umfang aufrecht zu erhalten.
Sie ist der Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sowohl neu sei als auch auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Der erteilte Anspruch 1 lautet:
"Schiebetürsystem (1) mit einer in einem Kämpfer (2) angeordneten Antriebsvorrichtung (8) für wenigstens einen Türflügel (3) und einer elektromechanischen Betätigungsvorrichtung (9) für die Verriegelung (11) des Türflügels (3), mit einem über eine Abtriebsscheibe (10) der Antriebsvorrichtung (8) geführten, am Türflügel (3) zugfest angeschlossenen endlosen Zugmittel (7), dadurch gekennzeichnet, dass die Verriegelung (11) einen mit der Abtriebsscheibe (10) drehfest verbundenen Rotationskörper (12) aufweist, welcher ein Kupplungsglied (13) zur Verriegelung mit einem nach Maßgabe eines Impulses einer Verriegelungssteuerung von der elektromechanischen Betätigungsvorrichtung (9) beaufschlagten, verschiebbar im Kämpfer (2) gelagerten Verriegelungsbolzen (14) bildet."
Wegen der auf den Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 12 sowie wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patentund Markenamt ist zusätzlich noch die DE 44 15 708 C1 berücksichtigt worden.
II.
1.
Das Bundespatentgericht ist für die Entscheidung über den vorliegenden Einspruch nach § 147 Abs. 3 PatG in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung zuständig geworden und auch nach der ab 1. Juli 2006 in Kraft getretenen Fassung des § 147 Abs. 3 PatG gemäß dem Grundsatz der perpetuatio fori zuständig geblieben (vgl. hierzu BGH GRUR 2007, 859, 861 f. -Informationsübermittlungsverfahren I; BGH GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II; BGH GRUR 2009, 184 f. -Ventilsteuerung).
2.
Der fristund formgerecht erhobene Einspruch ist ausreichend substantiiert und auch im Übrigen zulässig.
Dies ist seitens der Patentinhaberin nicht bestritten worden.
3.
Die erteilten Ansprüche sind zulässig, da sie den ursprünglichen Ansprüchen entsprechen.
4.
Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt eine patentfähige Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG dar.
Die Zulässigkeit der erteilten Ansprüche ist im Übrigen seitens der Einsprechenden nicht bestritten worden.
a. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist neu.
Dies wird seitens der Einsprechenden im Hinblick auf die (E1) DE 42 33 681 A1, die (E4) JP 2002 11 54 48 A und die (E5) DE 28 54 813 A1 bestritten.
Gemäß dem erteilten Anspruch 1 ist u. a. eine "Abtriebsscheibe (10)" vorgesehen, welche drehfest mit einem Rotationskörper verbunden ist. Dabei ist unter der Abtriebsscheibe dasjenige Bauteil zu verstehen, das ohne ein Bezugszeichen in Figur 1 auf der der Antriebsvorrichtung 8 gegenüberliegenden Seite des Kämpfers angeordnet ist und das endlose Zugmittel 7 umlenkt. Dies ergibt sich zum einen aus dem Gesamtzusammenhang der Streitpatentschrift, wo in den Figuren 2 bis 5 der erfindungsgemäße Schiebetürantrieb im Bereich der Abtriebsscheibe dargestellt ist, ohne dass eine Antriebsvorrichtung zu sehen ist. Denn wäre die Abtriebsscheibe direkt an der Antriebswelle der Antriebsvorrichtung 8 angeordnet, müsste die Antriebsvorrichtung in den Figuren 2 bis 5 zu sehen sein. Dies ist aber nicht der Fall. Auch lässt die Darstellung in der Figur 2 schon allein deshalb keinen anderen Schluss zu, da dort keinerlei Vorkehrungen zu erkennen sind, welche eine Verbindung der Abtriebsscheibe mit der Antriebsvorrichtung ermöglichen könnten. Zum anderen ergibt sich dieser Sachverhalt aber auch aus dem Vortrag der Patentinhaberin, die in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat, dass mit "Abtriebsscheibe (10)" die der Antriebsvorrichtung gegenüberliegende Umlenkscheibe für das endlose Zugmittel gemeint ist.
Eine Ausgestaltung, bei welcher die Verriegelung nicht im Bereich der Antriebsvorrichtung, sondern im der Antriebsvorrichtung gegenüberliegenden Bereich angeordnet ist, ist im nachgewiesenen Stand der Technik jedoch nicht verwirklicht.
Die (E1) DE 42 33 681 A1 offenbart nicht einmal die Merkmale des Oberbegriffs des erteilten Anspruchs 1. Denn dort ist angegeben, dass eine elektromechanische Betätigungsvorrichtung für die Verriegelung des Türflügels vorgesehen sein soll. Eine solche ist in der (E1) DE 42 33 681 A1 jedoch weder expressis verbis offenbart noch aus ihr entnehmbar. Denn wie sich aus der Beschreibung, insbes. Sp. 3, Z. 28 bis 52 ergibt, ist dort eine Kupplungseinrichtung 5 erläutert, mit deren Hilfe die Treibriemenscheibe 6 mit dem Getriebemotor 1 in und außer Eingriff gebracht werden kann. Dazu ist an der Abtriebswelle 4 des Getriebemotors 1 eine Stirnverzahnung 20a vorgesehen, welche mit einer korrespondieren Stirnverzahnung 20b der Treibriemenscheine 6 in Eingriff bringbar ist. Die Stirnverzahnungen 20a und 20b bilden somit eine Kupplung zur Übertragung eines Drehmomentes zwischen dem Getriebemotor 1 und der Treibriemenscheibe 6, nicht aber eine Verriegelung des Türflügels.
Die Merkmale des kennzeichnenden Teils des erteilten Anspruchs 1 können in der (E1) DE 42 33 681 A1 ebenfalls nicht verwirklicht sein, da dieser eine Verriegelung weiterbildet, die in der (E1) DE 42 33 681 A1 nicht angesprochen ist. Dies zeigt sich auch darin, dass im kennzeichnenden Teil des erteilten Anspruchs 1 von einem Verriegelungsbolzen die Rede ist, der in den Rotationskörper eingreift. Ein solcher Verriegelungsbolzen kann bei der Kupplung nach der (E1) DE 42 33 681 A1 nicht vorhanden sein, da es dort -wie oben ausgeführt -um eine Kupplung, nicht aber um die Verriegelung des Türflügels in einer bestimmten Position geht.
Die (E4) JP 2002 11 54 48 A offenbart ein Schiebetürsystem mit einer Antriebsvorrichtung 1 und einer Abtriebsscheibe, die im Sinne der Definition der Streitpatentschrift von der Umlenkrolle 4 (vgl. Figur 1) gebildet ist. Bei diesem Schiebetürsystem erfolgt die Verriegelung jedoch nicht an der Umlenkrolle 4, sondern direkt an einer mit der Motorwelle verbundenen Scheibe 1b. Darüber hinaus ist an der Abtriebsscheibe 4 auch kein drehfest mit ihr verbundener Rotationskörper vorgesehen.
Die (E5) DE 28 54 813 A1 offenbart ein Schiebetürsystem, bei dem eine Schiebetür über einen auf einer Seiltrommel aufwickelbaren Seilzug angetrieben wird. Der Seilzug ist aber weder ein endloses Zugmittel, noch wird der Seilzug über eine Abtriebsscheibe umgelenkt.
Die Neuheit des erteilten Anspruchs 1 gegenüber den übrigen Entgegenhaltungen ist seitens der Einsprechenden nicht bestritten worden. Sie ist auch gegeben, wie der Senat im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes nachgeprüft hat und wie auch die nachfolgenden Ausführungen zeigen.
b. Das zweifelsfrei gewerblich anwendbare Schiebetürsystem gemäß dem erteilten Anspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Wie schon beim Neuheitsvergleich ausgeführt, betrifft die (E1) DE 42 33 681 A1 eine Kupplung und unterscheidet sich daher bereits grundsätzlich vom Streitgegenstand, bei dem es um eine Verriegelung geht. Somit können von dort auch keine Anregungen zur Ausgestaltung des patentierten Schiebetürsystems ausgehen.
Eine Anregung zum Vorgehen in der patentierten Weise erhält der Fachmann auch nicht bei zusätzlicher Kenntnis der übrigen seitens der Einsprechenden genannten bzw. im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften.
Die (E2) DE 34 42 224 C2 erläutert einen motorischen Antrieb für ein Garagentor, bei dem ein über einen Bowdenzug betätigbarer Sperrbolzen in einen Zwischenraum zwischen zwei Zähnen eines in einem Laufwagen angeordneten Kettenrades eingreifen kann, wodurch das Kettenrad wahlweise blockiert oder freigegeben wird. Dabei bilden das Kettenrad und der Sperrbolzen eine Kupplungsvorrichtung (vgl. Sp. 3, Z. 49 bis 57).
Somit offenbart die (E2) DE 34 42 224 A1 nichts anderes als die (E1) DE 42 33 681 A1, nämlich eine Kupplungsvorrichtung, nicht jedoch eine Verriegelungsvorrichtung zum Festsetzen eines Türflügels.
Die (E3) DE 34 38 180 C2 erläutert eine Duschkabinen-Schiebetür, bei der keinerlei Verriegelung vorgesehen ist.
Die (E4) JP 2002 11 54 48 A offenbart ein Schiebetürsystem, bei dem die Verriegelung im Bereich der Antriebsvorrichtung angreift (vgl. Figur 1A, 1B und 2). Dabei soll die Verrieglung ohne zusätzliche Teile auskommen und die bereits existierenden Elemente in einen Verriegelungszustand versetzen (vgl. den zugehörigen Abstract, Abs. "Problem to be solved"). Von einer derartigen Anordnung wendet sich die vorliegende Erfindung aber gerade ab, da sie zum einen die Verrieglung nicht im Bereich der Antriebsvorrichtung 1, sondern im Bereich der Abtriebsscheibe (= Umlenkrolle 4) vorsieht und zum anderen ein zusätzliches Teil, nämlich den Rotationskörper, verbaut. Zu einer derartigen Ausgestaltung kann die (E4) JP 2002 11 54 48 A folglich keinen Hinweis geben, da dort grundsätzlich andere Voraussetzungen vorliegen.
Die (E5) DE 28 54 813 A1 offenbart ein Schiebetürsystem, bei dem ein auf eine Seiltrommel aufwickelbares Seil an der Schiebetür befestigt ist. Das Seil wird beispielsweise beim Schließen der Tür von der Seiltrommel abgewickelt, wobei eine in der Seiltrommel vorhandene Spiralfeder gespannt wird. Damit die gespannte Feder die Tür nicht wieder in den geöffneten Zustand zurückziehen kann, ist ein elektromechanisch betätigbarer Stift 10 vorgesehen, der in eine Bohrung eines mit der Seiltrommel verbundenen Steges eingreifen kann. Somit offenbart die Druckschrift zwar einen drehfest mit der Seiltrommel verbundenen Rotationskörper (= Flansch), jedoch ist dieser Rotationskörper nicht an einer Abtriebsscheibe im Sinne der Erfindung befestigt, sondern an einer Seiltrommel für ein endliches Zugmittel (= Seil). Somit vermag auch diese Druckschrift keine Hinweise zur patentierten Lehre zu geben.
In der im Prüfungsverfahren berücksichtigten und in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents gewürdigten DE 44 15 708 C1 wird eine Verriegelung für den Antrieb einer Schiebetür beschrieben, bei der ein Mitnahmestück kraftund formschlüssig mit dem umlaufenden Zahnriemen zusammenwirkt. An dem Mitnahmestück befindet sich ein Mitnehmer, der mit einer hakenförmigen Verriegelung zusammenarbeitet. Der Verriegelungshaken wird einerseits über den Mitnehmer betätigt, der über eine Auslösekurve fährt, andererseits über das Trumm des Antriebsriemens. Eine Ausgestaltung, wie sie im kennzeichnenden Teil des erteilten Anspruchs 1 abgegeben ist, ist dort aber nicht entnehmbar.
Die (E6) EP 1 180 744 A1 und die (E7) US 60 50 116, die in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffen wurden, sind nur zu Unteransprüchen genannt und liegen erkennbarerweise noch weiter vom Streitgegenstand ab.
Aus Vorstehendem ergibt sich somit, dass der nachgewiesene Stand der Technik entweder keine Verriegelung zum Festsetzen einer Schiebetür zeigt (E1 bis E3) oder -sofern eine Verriegelung angesprochen ist, wie in der (E4) JP 2002 11 54 48 A, der (E5) DE 28 54 813 A1 oder der DE 44 15 708 C1 -aufgrund anders gearteter Konstruktionen keine Anregung zu der im kennzeichnenden Teil des erteilten Anspruchs 1 angegebenen Merkmalskombination geben kann, da eine Verriegelung an der der Antriebsvorrichtung gegenüberliegenden Abtriebsscheibe im gesamten nachgewiesenen Stand der Technik ohne Vorbild ist.
Folglich kann der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auch nicht durch eine Zusammenschau des nachgewiesenen Standes der Technik nahe gelegt sein.
Der erteilte Anspruch 1 hat somit Bestand.
c. Zusammen mit dem Anspruch 1 sind auch die auf ihn rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 12 bestandsfähig, da sie nicht platt selbstverständliche Ausgestaltungen des erfindungsgemäßen Schiebetürsystems betreffen.
Lischke Guth Schneider Ganzenmüller Cl
BPatG:
Beschluss v. 30.06.2009
Az: 6 W (pat) 312/09
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