Bundespatentgericht:
Beschluss vom 23. März 2001
Aktenzeichen: 14 W (pat) 57/99
(BPatG: Beschluss v. 23.03.2001, Az.: 14 W (pat) 57/99)
Tenor
1. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
2. Das Patent wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:
zwei Patentansprüche 1 und 2 vom 23. März 2001, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2001 sowie Beschreibung gemäß Patentschrift.
Gründe
I Mit dem angefochtenen Beschluß vom 4. Oktober 1999 hat die Patentabteilung 45 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent 44 17 012 mit der Bezeichnung
"Verfahren zum Aufbereiten von Klärschlamm und Verwendung des Endproduktes"
widerrufen.
Dem Beschluß liegen die erteilten Patentansprüche 1 bis 3 zugrunde, von denen Anspruch 1 wie folgt lautet:
"Verfahren zur Herstellung eines schüttfähigen, krümeligen Materials, dadurch gekennzeichnet, daß man organischen Klärschlamm auf einen Trockensubstanzgehalt zwischen 20 und 35 % entwässert und im Intensivmischer mit kalkreicher hydraulischer westelbischer Braunkohlenfilterasche in einer Menge von > 60 %, bezogen auf die Trockensubstanz des Gemischs, vermischt."
Der Widerruf ist im wesentlichen damit begründet, das beanspruchte Verfahren beruhe gegenüber dem durch die Druckschriften
(1) DD 244 545 B5,
(2) EP 323 482 B1 und
(3) TGL 190-72/03, Fachbereichsstandard: Elektroenergie-Erzeugungsanlagen, feste Verbrennungsrückstände aus staubbefeuerten Braunkohlekraftwerken, Kraftwerkstrockenasche - Technische Lieferbedingungen, Juli 1983 belegten Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. (1) betreffe nach Anspruch 1 ein Verfahren zur Herstellung von Betonmassen, bei dem Industrieschlämmen mit einem Wasser-Feststoffverhältnis > 1,3 ein stark wasserbindender, die Erhärtung beeinflussender Stoff wie aktive Trockenasche mit eigenem Erhärtungsvermögen in Mengen von 20 bis 60 Ma-% bezogen auf das Gesamtgemisch zugegeben werde. Für die Gehalte an Asche, Trockensubstanz des Schlamms sowie Wassergehalt der Materialien nach dieser Druckschrift und dem Streitpatent sei eine Überschneidung festzustellen. Folglich seien mit dem Verfahren nach der Entgegenhaltung (1) auch schüttfähige, krümelige Materialien herstellbar, die im übrigen einem sehr steifen, feinstrukturiertem Beton gemäß Beispiel 1 der Patentschrift (1) entsprechen dürften. Als aktive Trockenfilterasche im Sinne der Entgegenhaltung werde der Fachmann zwangsläufig westelbische Braunkohlenfilterasche in Betracht ziehen, welche ausweislich des DDR-Standards (3) die kalkreichste Braunkohle in der ehemaligen DDR sei. Die Verwendung eines organischen Klärschlamms sei (1) nicht direkt als bekannt zu entnehmen. Ob derartige Klärschlämme als Industrieschlämme im Sinne der Entgegenhaltung (1) aufzufassen seien, könne dahinstehen, da aus (2) die Eignung industrieller und kommunaler Abwässer zur Herstellung hydraulisch härtender Mischungen aus latent hydraulischer Asche wie Kohlefilterasche und Klärschlämmen hervorgehe. Da ferner auch das Vermischen in einem Intensivmischer in (1) beschrieben sei, könne der erteilte Anspruch 1 mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand haben.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin, mit der sie die beschränkte Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüche 1 und 2 verfolgt. Diese Ansprüche lauten:
"1. Verfahren zur Herstellung eines schüttfähigen, krümeligen, Ettringit enthaltenden, bindigen und verdichtungsfähigen Materials mit hohem Wasserspeichervermögen, dadurch gekennzeichnet, daß man organischen Klärschlamm auf einen Trockensubstanzgehalt zwischen 20 und 35 % entwässert und im Intensivmischer mit kalkreicher hydraulischer westelbischer Braunkohlenfilterasche in einer Menge von > 60 %, bezogen auf die Trockensubstanz des Gemischs, vermischt.
2. Verwendung eines nach dem Verfahren des Anspruchs 1 erhaltenen schüttfähigen, krümeligen Materials für die Zwischenabdekkung von Altlasten oder Müllkörpern, wobei das Material aufgebracht und verdichtet wird."
Die Patentinhaberin macht geltend, (1) lasse sich weder ein Hinweis auf das Ausgangsmaterial organischer Klärschlamm noch ein Hinweis auf die Produktqualität schüttfähig, krümelig, bindig und verdichtungsfähig entnehmen. Unter den in (1) angeführten Konsistenzen von plastisch bis steif lasse sich der patentgemäße Konsistenzbegriff nicht einordnen. Allein die patentgemäße Verwendung von Klärschlamm mit hohem Wassergehalt in Verbindung mit der kalkreichen, hydraulischen westelbischen Braunkohlenfilterasche ergebe das erwünschte Produkt, wobei sowohl beim Trockensubstanzanteil des Schlamms als auch beim Aschegehalt jeweils im unteren Bereich der sehr viel umfangreicheren Bereiche der Entgegenhaltung gearbeitet werde. Ein sehr steifer feinstrukturierter Beton, wie er nach Beispiel 1 von (1) entstehe, entspreche auch nicht dem patentgemäß resultierenden Material. Die Betonfestigkeit (BK) nach Beispiel 1 der Entgegenhaltung betrage 5 bis 12,5, was einer Druckfestigkeit von > 11 MN/m2 entspreche, während das streitpatentgemäß erhaltene Produkt nicht aushärte, verformbar bleibe, Druckfestigkeiten von 0,2 bis 0,3 MN/m2 aufweise und sich somit gar nicht in eine Betonklasse einordnen lasse. In (2) werde zwar der Einsatz kommunaler Klärschlämme erwähnt. Das Verfahren nach dieser Entgegenhaltung führe jedoch zu einem nach vollständiger Hydratation festen Körper. Dieser könne auch gebrochen und gemahlen werden, was aber ein festes Verfahrensprodukt voraussetze. Somit könne auch die Zusammenschau von (1) und (2) das beanspruchte Verfahren nicht nahelegen.
Die Patentinhaberin erklärt, daß das beanspruchte Verfahren erst nach dem Anmeldetag öffentlich gemacht worden ist und entgegenstehende schriftsätzliche Zeitangaben irrtümlich erfolgt sind.
Sie beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent beschränkt mit den zwei Patentansprüchen 1 und 2 vom 23. März 2001, überreicht in der mündlichen Verhandlung, sowie Beschreibung gemäß Patentschrift aufrechtzuerhalten.
Die beiden ordnungsgemäß geladenen Einsprechenden haben an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen, was für den Einsprechenden II auch vorab mitgeteilt worden war. Schriftsätzlich haben beide Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Einsprechenden haben die Patentfähigkeit der Gegenstände der mit Schriftsatz vom 14. September 2000 eingereichten, jedoch in der mündlichen Verhandlung nicht mehr weiterverfolgten Patentansprüche 1 bis 3 bestritten. Der Einsprechende I hat ferner Material zur Erläuterung der Begriffe "steifer Beton" und "Magerbeton" eingereicht.
Wegen weiterer Einzelheiten des schriftlichen Vorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II Die Beschwerde der Patentinhaberin ist zulässig (PatG § 73); sie führt zu dem im Tenor angegebenen Ergebnis.
1. Die geltenden Patentansprüche 1 und 2 sind zulässig.
Anspruch 1 geht inhaltlich auf den erteilten Anspruch 1 iVm Seite 2 Zeilen 43/44 und 61 sowie Seite 3 Zeilen 7 bis 9 der Streitpatentschrift bzw die ursprünglichen Ansprüche 1 und 2 iVm Seite 1 Absatz 1, Seite 2 Absatz 4, Seite 3 Absatz 1 und 2 sowie Seite 4 Absatz 1 und 2 der ursprünglichen Beschreibung zurück. Die Verwendung nach Anspruch 2 ist im erteilten Anspruch 3 bzw im ursprünglichen Anspruch 10 offenbart.
2. Das Verfahren nach dem geltenden Anspruch 1 ist neu.
Es unterscheidet sich von dem aus (1) bekannten Verfahren, das als nächstgelegener Stand der Technik anzusehen ist, schon durch die verwendeten Ausgangsmaterialien organischer Klärschlamm und kalkreiche hydraulische westelbische Braunkohlenfilterasche. Diese Materialien sind in (1) nicht erwähnt und der Fachmann liest jedenfalls unter den in (1) Ansprüche 1 und 2 angegebenen Industrieschlämmen nicht ohne weiteres einen organischen Klärschlamm mit.
Beim Verfahren nach (2) können zwar ua Klärschlamm und Elektrofilterasche eingesetzt werden (Ansprüche 1 u 11 iVm Sp 4 Z 26 bis 29 u Sp 5 Z 21 bis 34). Das vorgeschriebene Verhältnis von Wasser zu hydratphasenbildenden Substanzen von 0,23 bis 0,35, vorzugsweise 0,23 bis 0,30 (Ansprüche 1 u 2 iVm Sp 2 Z 50 bis Sp 3 Z 11), führt aber zu einem festen Produkt ("Probekörper" in den Beispielen), das erwünschtenfalls gebrochen/gemahlen werden kann (Anspruch 19 iVm Sp 5 Z 46 bis 49) und nicht zu einem schüttfähigen, krümeligen und bindigen Material.
(3) betrifft keine Verarbeitung von Schlämmen, sondern lediglich das Gebiet der Trockenaschen aus der Braunkohlenverbrennung und somit einen ferner liegenden Stand der Technik. Diese Entgegenhaltung kann die Neuheit des beanspruchten Verfahrens ebensowenig in Frage stellen wie die weiteren dem Senat vorliegenden Druckschriften.
3. Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die dem Senat vorliegenden Druckschriften können nämlich den Fachmann nicht dazu anregen, aus organischem Klärschlamm durch Entwässerung und intensive Vermischung mit westelbischer Braunkohlenfilterasche unter Einhaltung der im Anspruch festgelegten Gewichtsangaben ein schüttfähiges, krümeliges, bindiges und verdichtungsfähiges Material mit hohem Wasserspeichervermögen herzustellen.
Zwar trifft es zu, daß die in (1) angegebenen Mengenverhältnisse für Wassergehalt, Trockensubstanzanteil der eingesetzten Schlämme und eingesetzte aktive Flugasche sich mit den patentgemäß einzuhaltenden überschneiden. Dies wird auch von der Patentinhaberin eingeräumt und ist daher nicht näher auszuführen.
Nach Überzeugung des Senates wird dabei unmittelbar nach dem Vermischen auch ein schüttfähiges und krümeliges Material entstehen. Der dahingehenden Bewertung der Angabe "feinstrukturierter Beton sehr steif" im Beispiel 1 der Entgegenhaltung (1) durch die Patentabteilung ist daher zuzustimmen, was auch durch die vom Einsprechenden I mit Schriftsatz vom 6. März 2001 vorgelegten Dokumente zur Erläuterung der Begriffe "Magerbeton" und "steifer Beton" bestätigt wird.
Hierbei handelt es sich jedoch stets um die Konsistenz des Materials nach der Vermischung, das sich anschließend - nach Ablagerung und gegebenenfalls Verdichtung - durch Aushärtung unter Betonbildung verfestigt. Dies kommt im erwähnten Beispiel 1 auch im abschließenden Satz mit den Worten "...ergibt sich ein Beton BK 5-12,5 ..." deutlich zum Ausdruck; ferner ist in (1) die Erhärtung mehrfach angesprochen (vgl zB le Satz im Beispiel 2 sowie S 2 Z 6 von unten).
Demgegenüber umschreibt die Eigenschaft "bindig" nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift bzw der ursprünglichen Unterlagen ein Material, das "sich grundsätzlich von den bisher bekannten Mischprodukten unterscheidet" (S 2 Z 56 bis 60 bzw S 3 Abs 2). Aus der Angabe der hierfür bestimmten Kennwerte und der Zitierung der bodenmechanischen Kennwerte (S 2 Z 50 bis 55 iVm S 3 Z 7 bis 9 bzw S 3 Abs 1 iVm S 4 Abs 1) entnimmt der Fachmann nach den überzeugenden und schon mangels Anwesenheit eines Einsprechenden unwidersprochen gebliebenen Ausführungen der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung, daß hier keine Aushärtung erfolgt und das Material dauerhaft "erdstoffähnlich" im Sinne des in den ursprünglichen Unterlagen (Anspruch 1 u 1. Abs der Beschreibung) gebrauchten Begriffs vorliegt. Dies steht im übrigen in Übereinstimmung mit der hier lediglich gutachterlich zu wertenden, da nicht ins Verfahren eingeführten Literaturstelle Krenkler, Chemie des Bauwesens, Band 1: Anorganische Chemie, Springer-Verlag, 1980, Seite 92.
Die in den Beispielen 1 und 2 der Entgegenhaltung (1) als (weniger) aktive (schwach)bindige Flugasche angeführte Komponente ist aus dem Gesamtzusammenhang der Druckschrift - insbesondere Anspruch 1 und Seite 2 Absatz 2 - im Sinne von wasserbindend, (hydraulisch) abbindend, (ab)bindefähig zu verstehen, wie sich auch aus der angestrebten Festigkeit des gehärteten Endproduktes ergibt. Als "bindig" im Sinne des üblichen Sprachgebrauchs könnten allenfalls die in (1) als "stark wasserbindige" Industrieschlämme oder Industrieschlämme mit "einer hohen Wasserbindigkeit" beschriebenen Ausgangsmaterialien vor der Vermischung mit Flugasche angesehen werden (vgl S 2 1. Satz nach Beispiel 2 u Z 1/2 unter "Vorteile der Erfindung").
(2) kann nicht zum beanspruchten Verfahren hinführen, weil auch nach der Lehre dieses Dokumentes eine Aushärtung zu einem festen Endprodukt angestrebt wird.
Da sich auch unter Berücksichtigung der übrigen dem Senat vorliegenden Druckschriften keine andere Beurteilung des Sachverhaltes ergibt, kann es nicht als naheliegend angesehen werden, nach dem geltenden Anspruch 1 zu verfahren, um ein schüttfähiges, krümeliges und bindiges Material zu erhalten.
4. Das Verfahren nach Anspruch 1, dessen gewerbliche Anwendbarkeit außer Frage steht, weist somit alle Kriterien der Patentfähigkeit auf.
Der geltende Patentanspruch 1 ist daher rechtsbeständig.
Die Patentfähigkeit der Verwendung des nach Anspruch 1 hergestellten Materials wird sinngemäß von den in Zusammenhang mit dem Verfahrenserzeugnis selbst ausgeführten Gründen getragen.
Patentanspruch 2 hat somit ebenfalls Bestand.
Bei dieser Sachlage war der angefochtene Beschluß, dessen Gründe gegenüber dem nunmehr eingeschränkten Patentbegehren nicht mehr zum Tragen kommen, aufzuheben und das Patent antragsgemäß beschränkt aufrechtzuerhalten.
Moser Wagner Harrer Proksch-Ledig Pü
BPatG:
Beschluss v. 23.03.2001
Az: 14 W (pat) 57/99
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